S 19 AS 1312/06

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 19 AS 1312/06
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. (Sozial-) Leistungsträger sind nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, eine auf mangelnde Information ihrer Mitarbeiter beruhende gesetzeswidrige Verwaltungspraxis mit sofortiger Wirkung zu ändern.
2. Eine ständige Verwaltungspraxis kommt aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) als Grundlage für die Erbringung von Leistungen nur in Betracht, wenn sie dem geltenden Gesetz und Recht entspricht (Art. 20 Abs. 3 GG).
3. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt nur eine Gleichbehandlung (Gleichheit) im Recht. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung (Gleichheit) im Unrecht besteht nicht.
Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe:

I. Der Antragsteller (Ast.) begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für seinen Rechtsstreit gegen den Beklagten. Streitgegenstand sind Leistungen zur Eingliederung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II).

Auf Antrag vom 22. November 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 12. Januar 2006 die Übernahme von Reisekosten in Höhe von 130 EUR für ein Vorstellungsgespräch am 25. November 2005. Auf den Antrag nebst Anlagen hierzu und den Bescheid wird wegen der Einzelheiten verwiesen (Blatt 1ff der Verwaltungsakte).

Dagegen erhob der Kläger am 17. Januar 2006 Widerspruch. Auf Blatt 8 der Verwaltungsakte wird wegen dessen Inhaltes verwiesen.

Mit Bescheid vom 18. Juli 2006 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise ab. Dem Kläger seien weitere 32 EUR zu zahlen. Auf Blatt 11 der Verwaltungsakte wird wegen der Einzelheiten hierzu verwiesen.

Mit Bescheid vom 21. Juli 2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück, soweit ihm nicht abgeholfen wurde. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf Blatt 12f der Verwaltungsakte verwiesen.

Dagegen richtet sich die Klage vom 14. August 2006.

Der Ast. ist der Auffassung, die Wegstreckenentschädigung sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht auf 130 EUR begrenzt gewesen. Der Beklagte habe vielmehr 0,22 EUR je gefahrenen Kilometer zu erstatten. Denn aus Richtlinien des Beklagten ergebe sich die Geltung der Änderung des Bundesreisenkostengesetzes erst mit Wirkung zum 21. Dezember 2005. Wegen der Einzelheiten zum Vorstehenden wird auf die Schreiben des Klägers vom 14. August und 23. September 2006 (nebst Anlagen hierzu) sowie 13. Januar 2007 verwiesen (Blatt 1f, 9ff und 34f der Gerichtsakte).

Der Ast. beantragt, ihm PKH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Das ab 1. September 2005 geltende Recht sei anzuwenden. Allerdings sei über einige entsprechende Anträge auch nach o.g. Zeitpunkt nach dem bis dahin geltenden Recht entschieden worden. Denn die einheitliche Anwendung der geänderten Rechtslage sei erst mit Wirkung zum 21. Dezember 2005 einheitlich vollzogen worden können. Die bis dahin bewilligten Beihilfen seien rechtswidrig erfolgt. Der Kläger könne daraus keine Rechte herleiten. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorstehenden wird auf die Schreiben des Beklagten vom 30. August und 10. November 2006 nebst Anlagen hierzu verwiesen (Blatt 4f und 24ff der Gerichtsakte).

II. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH sind nicht gegeben.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114ff Zivilprozeßordnung kann PKH bewilligt werden, wenn der antragstellende Beteiligte des Verfahrens nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder -verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Klage hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn für die Rechtsverfolgung besteht nicht einmal eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit. Somit kommt es auf die weiteren Voraussetzungen nicht an.

Die verfassungsrechtlichen Vorgaben, Verbot überspannter Anforderungen, vgl. ausführlicher hierzu zB Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 7. April 2000 - 1 BvR 81/00 und 14. Oktober 2003 - 1 BvR 801/03, wurden dabei berücksichtigt. Denn PKH muß "nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung der Gewährung kann ... gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellter Auslegungshilfen ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann." Vgl. ausführlicher zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2006 - 2 BvR 626/06 und 2 BvR 656/06. Die Rechtsfrage im o.g. Sinne kann ohne weiteres beantwortet werden.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II (in der ab dem 1. August 2006 geltenden und anwendbaren Fassung) kann der Beklagte u.a. die im "Ersten bis Dritten und Sechsten Abschnitt des Sechsten Kapitels ... des Dritten Buches geregelten Leistungen erbringen".

Der Erste Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB Drittes Buch (III) enthält die §§ 45ff. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III können als unterstützende Leistungen Kosten im Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung, Vermittlung, Eignungsfeststellung und zu Vorstellungsgesprächen (Reisekosten) übernommen werden. Darüber besteht dem Grunde nach kein Streit.

Die Höhe der Reisekosten ergibt sich unmittelbar aus § 46 Abs. 2 SGB III. Nach dessen Satz 1 können als Reisekosten die berücksichtigungsfähigen Fahrkosten übernommen werden. Bei Benutzung sonstiger (nicht regelmäßig verkehrender öffentlicher) Verkehrsmittel ist nach § 46 Abs. 2 Satz 3 SGB III ein Betrag in Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 5 Abs. 1 des Bundesreisekostengesetzes berücksichtigungsfähig. Der Wortlaut des Gesetzes eröffnet insoweit kein Raum für eine (abweichende) Ermessensentscheidung ("ist ... berücksichtigungsfähig").

§ 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz enthält folgende Regelungen: Für Fahrten mit anderen als den in § 4 genannten Beförderungsmitteln wird eine Wegstreckenentschädigung gewährt. Sie beträgt bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges oder eines anderen motorbetriebenen Fahrzeuges 20 Cent je Kilometer zurückgelegter Strecke, höchstens jedoch 130 Euro. Die oberste Dienstbehörde kann den Höchstbetrag auf 150 Euro festsetzen, wenn dienstliche Gründe dies im Einzelfall oder allgemein fordern.

§ 46 Abs. 2 Satz 3 SGB III und § 5 Bundesreisekostengesetz sind in der ab dem 1. September 2005 geltenden und oben angeführten Fassung anzuwenden. Denn die durch das Gesetz zur Reform des Reisekostenrechts vom 26. Mai 2005 (BGBl. I, Nr. 30, 1418ff) bewirkten Änderungen des Bundesreisekostengesetzes (Art. 1 des Gesetzes vom 26. Mai 2005, aaO) und § 46 Abs. 2 Satz 3 SGB III (Art. 8, 1422) traten am 1. September 2005 in Kraft (Art. 18 Abs. 1, 1424). Ausnahmen hiervon sind nicht erkennbar. Die streitgegenständliche Fahrt fand vom 24. bis 25. November 2005 und somit nach dem Inkrafttreten des o.g. Gesetzes statt.

Daher hat der Beklagte dem Gesetz entsprechend dem Kläger als Reisekosten den Höchstbetrag von 130 EUR bewilligt und erbracht.

Soweit der Beklagte aufgrund von internen Defiziten im Zeitraum vom 1. September bis 21. Dezember 2005 in vergleichbaren Sachverhalten nach dem bis zum 31. August 2005 geltenden Recht entschieden hat, kann der Kläger daraus keine Rechte geltend machen. Denn (auch) der Beklagte ist nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an Gesetz und Recht gebunden. Somit ist er nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (gewesen), eine auf mangelnde Informationen seiner Mitarbeiter beruhende gesetzeswidrige Verwaltungspraxis mit sofortiger Wirkung zu ändern. Die damit verbundene Entscheidung des Beklagten, es bei den bisherigen und rechtswidrigen Verwaltungsakten zu belassen, ist ebenso mit dem Gesetz vereinbar. Denn die Rücknahme dieser Entscheidungen scheitert im Regelfall am Vertrauen auf deren Bestand, vgl. hierzu § 40 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 45 SGB Zehntes Buch (X).

Ein Anspruch des Klägers auf eine Entscheidung über seinen Antrag nach dem bis zum 31. August 2005 geltenden Recht würde die gesetzeswidrige Verwaltungspraxis des Beklagten aufrechterhalten und fortsetzen. Hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Denn selbst eine ständige Verwaltungspraxis kommt aufgrund einer Selbstbindung der Verwaltung aus Gründen der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) als Grundlage für die Erbringung von Leistungen nur in Betracht, wenn sie (ebenso) dem geltenden Gesetz und Recht entspricht (Art. 20 Abs. 3 GG). Dem entsprechend gewährt Art. 3 Abs. 1 GG nur eine Gleichbehandlung (Gleichheit) im Recht, d.h. in Übereinstimmung mit dem geltenden Gesetz und Recht. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung (Gleichheit) im Unrecht besteht nicht, vgl. zB Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21. August 2003 - 3 C 49/02 und tiefgehender hierzu zB Dürig in: Maunz / Dürig, Kommentar zum GG, Art. 3 Rn 19f.

Schließlich enthält auch das Informationsschreiben des Beklagten vom 5. Januar 2006 weder eine Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X, über den Antrag des Klägers nach dem bis zum 31. August 2005 geltenden Recht zu entscheiden, noch eine entsprechende Regelung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X. Vielmehr wird darin lediglich auf das geltende und (nunmehr) anzuwendende Recht hingewiesen.
Rechtskraft
Aus
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