Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Leipzig (FSS)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 14 AL 109/05
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt bei der Versäumung der Ausschlussfrist liegt nicht vor, wenn die rechtzeitige Antragstellung auf Insolvenzgeld trotz Hinweise auf das Vorliegen eines Insolvenzereignisses nur deshalb unterblieben ist, weil der betroffene Arbeitnehmer meint, dass er erst bei positiver Kenntnis von dem Insolvenzereignis den Antrag stellen könne und sich hierbei auf die Informationen der Beklagten in deren Merkblatt 1 beruft.
I. Der Bescheid vom 13.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2004 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.04.2004 bis 30.04.2004 nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld (Insg). Es geht dabei um die Frage, ob die Klägerin die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) versäumt hat bzw. ob eine Nachfrist gem. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu gewähren ist.
Die Klägerin war bis zum 30.04.2004 bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Firma MABU Erhard Burkhard GmbH in Leipzig, als Montiererin beschäftigt. Am 31.03.2004 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen Zahlungsschwierigkeiten zum 30.04.2004.
Mit der Durchsetzung ihrer noch ausstehenden Lohnanforderungen gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber für März und April 2004 beauftragte sie den Prozessbevollmächtigten, der sie auch im hiesigen Verfahren vertritt. Dieser vertrat die Klägerin auch vor dem Arbeitsgericht Leipzig im dortigen Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.05.2004, in dem sich der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin in einem Prozessvergleich zur Zahlung von rückständigen Lohnansprüchen für den Zeitraum von März bis einschließlich April 2004 und zwar für den Monat März 2004 in Höhe von 1183,20 EUR abzüglich bereits geleisteter 899,60 EUR netto sowie für den Monat April 2004 in Höhe von insgesamt noch ausstehender 1128,80 EUR brutto verpflichtete.
Bereits am 01.04.2004 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. In ihrem Antrag gab die Klägerin an, dass sie von dem Arbeitgeber seit März 2004 keinen Lohn mehr erhalten habe und dieser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sei und die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Polen plane.
Infolge zahlte der Arbeitgeber den rückständigen Lohn nur für März 2004, den Lohn für April 2004 zahlte er nicht. Ein von der Klägerin wegen des ausstehenden Lohnanspruchs im August 2004 über ihren Rechtsvertreter veranlasster Vollstreckungsversuch (Pfändungs- und Überweisungsbeschluss) blieb erfolglos.
Mit Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgericht – Leipzig vom 09.09.2004 wurde über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Klägerin stellte den Antrag auf Insolvenzgeld beim Arbeitsamt Leipzig am 29.11.2004. In einem noch am gleichen Tag an die Beklagte übermittelten Schreiben gab die Klägerin an, gerüchteweise erst Anfang November 2004 über eine frühere Arbeitskollegin von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfahren zu haben. Dass die 2-monatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III für die Beantragung von Insolvenzgeld bereits am 09.09.2004 begonnen und mithin ihr Antrag vom 29.11.2004 bereits verspätet gewesen sei, habe sie erst von der Beklagten bei ihrer Antragstellung am 29.11.2004 erfahren; wegen des weiteren Inhalts des Schreibens der Klägerin vom 29.11.2004 wird verwiesen auf Blatt 9 der Verwaltungsakte.
Mit Bescheid vom 13.12.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Insolvenzgeld ab, weil die Klägerin ihren Antrag auf Insolvenzgeld erst am 29.11.2004 gestellt habe und damit nicht innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist vom 10.09.2004 bis 09.11.2004 gem. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Gründe, welche die Einräumung einer Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.12.2004, eingegangen bei der Beklagten am 05.01.2005, Widerspruch ein u.a. mit der Begründung, dass die Klägerin von der Sparkasse Leipzig noch Ende September 2004 darauf hingewiesen worden sei, dass in Bezug auf den ehemaligen Arbeitgeber bislang lediglich ein Insolvenzverfahren angekündigt sei. Tatsächlich habe damit die Klägerin aber noch nicht sicher von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewusst ("An keiner Stelle gelangte Frau I ... zu der Kenntnis, dass das Insolvenzverfahren bereits am 09.09.2004 eröffnet worden ist."; Bl. 12/13 der Verwaltungsakte ). Im Übrigen sei die Klägerin von dem Insolvenzverwalter zu keiner Zeit über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert worden. Die Versäumung der Ausschlussfrist sei damit allein Folge der Unkenntnis der Klägerin von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin habe die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten. Unbeachtlich sei, dass die Klägerin erst zum Zeitpunkt der – verspäteten – Antragstellung am 29.11.2004 Kenntnis von der 2-monatigen Ausschlussfrist erhalten habe. Die Klägerin habe nach ihrem eigenen Vortrag im Widerspruchsverfahren bereits Ende September von der Sparkasse Leipzig den Hinweis erhalten, dass ein Insolvenzeröffnungsverfahren anhängig sei. Damit habe sie bereits über alle notwendigen Informationen verfügt, um den Antrag auf Insolvenzgeld stellen zu können. Die Unkenntnis über die Ausschlussfrist rechtfertige keine verspätete Antragstellung bzw. Gewährung einer Nachfrist.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.02.2005 am selben Tag Klage zum Sozialgericht Leipzig. Sie habe nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt, um einen Antrag auf Insolvenzgeld stellen zu können. Sie habe nur über vage, ungesicherte Informationen verfügt, wonach wohl nunmehr das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Nachdem sie von einer früheren Arbeitskollegin über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert worden sei, sei sie sofort bei der Beklagten "vorbeigegangen" und habe "erst dort sichere Kenntnis vom Insolvenzverfahren erhalten."
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.04.2004 bis 30.04.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung nach wie vor für richtig. Die Klägerin habe aus zu vertretenden Umständen die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB III versäumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, dort insbesondere auf den Inhalt der Erklärungen der Klägerin und der Beklagten, die diese im Erörterungstermin am 29.11.2007 (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 29/30) abgegeben haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erteilt haben gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 13.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.04.2004 bis 30.04.2004.
Arbeitnehmer haben gem. § 183 Abs. 1 SGB III Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie u.a. bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, für die vorausgegangenen 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Hiervon betroffene Arbeitnehmer haben Insolvenzgeld gem. § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Antragstellung nur noch möglich, wenn der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat. Dann ist der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ( § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III ). Eine nähere Erläuterung zu den Voraussetzungen einer derartigen Nachfrist gibt § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III: Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.
Soweit der Betroffene eine dritte Person ausdrücklich zu seiner Vertretung bestellt hat und die Vornahme der fristwahrenden Handlung bzw. das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte Verhalten in deren Aufgabenbereich fällt, ist jedes Verschulden dieser Person dem Betroffenen zuzurechnen.
Es kommt also darauf an, ob der Dritte noch im Rahmen des ihm erteilten Auftrages tätig wird (BGHZ 38, 376, 379). Diese Grundsätze gelten auch bei der Anwendung des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III ( vgl. BSG Urteil vom 29.10.1992, 10 RAr 14/91). Damit kommt es im hiesigen Verfahren darauf an, ob der auch in der arbeitgerichtlichen Auseinandersetzung für die Klägerin tätig gewordene Prozessbevollmächtigte im Rahmen des ihm damals erteilten Auftrages auch zur Stellung eines Antrages auf Insg befugt war oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag, der er nicht nachgekommen ist. Falls sich die Klägerin somit damals an ihren Prozessbevollmächtigten mit dem Anliegen gewandt hat, ihr Arbeitgeber habe ihr kein Lohn gezahlt, und er solle die sich hieraus ergebenden Ansprüche (ohne ausdrückliche Eingrenzung auf das Arbeitsrecht) realisieren, so hätte ein entsprechender Auftrag auch die Stellung eines Antrags auf Insg nach Kenntnis von der Insolvenz des Arbeitgebers umfasst. Dann müsste sich die Klägerin das Fehlverhalten ihres Vertreters (Nichtstellung des Insg - Antrages) im Rahmen des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III zurechnen lassen.
Hat die Klägerin jedoch damals ihren Prozessbevollmächtigten eng begrenzt ausschließlich mit der Vertretung im arbeitsgerichtlichen Verfahren betraut, so wäre zwar im Hinblick auf die bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers, insbesondere dessen Zahlungsunfähigkeit naheliegend gewesen, die Klägerin auch über die Möglichkeit eines Anspruchs auf Insg mit der zu beachtenden Ausschlussfrist für die Antragstellung zu beraten, dies ist jedoch nicht (jedenfalls für den Prozessbevollmächtigten nicht im haftungsrechtlichen Sinne ) zwingend.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten im März/April 2004 lediglich mit der Durchsetzung ihrer Lohnansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren beauftragt hat. Dies schließt die Kammer daraus, dass der Klägerin offensichtlich die Möglichkeit eines Anspruchs auf Insg, möglicherweise aus Unkenntnis, nicht bewusst war und damit die Beauftragung ausdrücklich auf das Arbeitsrecht – von ihr unbewusst- begrenzt wurde. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin die Versäumung der Ausschlussfrist durch ihren Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten hat.
Die Klägerin hat aber auch selbst die Versäumung der Antragsausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht zu vertreten.
Nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III hat der Arbeitnehmer die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht.
Die Ausschlussfrist lief im vorliegenden Fall vom 10.09.2004 bis 09.11.2004. Die Klägerin hat den Antrag erst am 29.11.2004 gestellt.
Damit war die Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt.
Zwar spricht für eine Sorgfaltsverletzung der Klägerin, dass diese selbst davon ausgegangen ist, dass der Verlust ihres Beschäftigungsverhältnisses eine Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihres Arbeitgebers war und ihr bekannt war, dass die Entgeltrückstände wegen Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers entstanden sind sowie diese später - nach ihren eigenen Angaben noch Ende September 2004 - von der Sparkasse Leipzig darauf hingewiesen wurde, dass ein "Insolvenzeröffnungsverfahren" gegen ihren ehemalige Arbeitgeber anhängig sei sowie diese schließlich sogar von einer ehemaligen Arbeitskollegin noch Anfang November 2004, und damit noch innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist, darüber informiert wurde, dass ein Insolvenzverfahren gegen den ehemaligen Arbeitgeber eröffnet worden sei.
Andererseits hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie von dem Insolvenzereignis ( der Eröffnung des Insolvenzverfahren ) erst nach Ablauf der Ausschlussfrist erfahren hat und dass sie davon überzeugt war, erst bei eigener positiver Kenntnis des Insolvenzereignisses den Insolvenzgeldantrag stellen zu können. Die Klägerin kann sich jedenfalls für ihre Darstellung auf die Informationen der Beklagten zum Insolvenzgeld in deren Merkblatt 1 (Stand April 2004) berufen. Dort wird auf Seite 63 f zum Insolvenzgeld u.a. ausgeführt: "Der Antrag auf Insolvenzgeld ist grundsätzlich innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder dessen Abweisung mangels Masse oder der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit zu stellen." Dieser Hinweis vermittelt tatsächlich den Eindruck, dass ein Antrag auf Insolvenzgeld erst gestellt werden kann, wenn der Arbeitnehmer positive Kenntnis von dem Insolvenzereignis hat. Die Kammer nimmt der Klägerin deshalb ab, dass sie der Meinung war, erst bei positiver Kenntnis von dem Insolvenzereignis den Antrag auf Insg stellen zu dürfen. Ein klarerer Hinweis in dem Merkblatt, dass ein betroffener Arbeitnehmer für die Stellung seines Antrags auf Insg tatsächlich nicht positive Kenntnis von dem Vorliegen eines Insolvenzereignisses haben muss, sondern die Beklagte verpflichtet ist, zu ermitteln, ob ein solches vorliegt, hätte hier ausgereicht, um eine Verletzung der Sorgfaltspflicht zu begründen bzw. den Vortrag der Klägerin zu wiederlegen.
Wegen des unzureichenden Hinweises, insbesondere zum Zeitpunkt und zur Befugnis der Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld im Merkblatt 1 nimmt die Kammer der Klägerin ab, dass diese aus nicht zu vertretenden Gründen die Ausschlussfrist versäumt hat.
Nachdem die Beklagte die Klägerin am 19.11.2004 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert hatte, stellte die Klägerin dann auch umgehend, nämlich innerhalb der Nachfrist (§ 342 Abs. 3.Satz 2 SGB III) den Antrag auf Insg.
Nach alledem hat die Klägerin den Antrag auf Insg rechtzeitig gestellt.
Da auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Insg vorliegen, war die Beklagte entsprechend dem Urteilstenor zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
II. Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld (Insg). Es geht dabei um die Frage, ob die Klägerin die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) versäumt hat bzw. ob eine Nachfrist gem. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu gewähren ist.
Die Klägerin war bis zum 30.04.2004 bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der Firma MABU Erhard Burkhard GmbH in Leipzig, als Montiererin beschäftigt. Am 31.03.2004 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen Zahlungsschwierigkeiten zum 30.04.2004.
Mit der Durchsetzung ihrer noch ausstehenden Lohnanforderungen gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber für März und April 2004 beauftragte sie den Prozessbevollmächtigten, der sie auch im hiesigen Verfahren vertritt. Dieser vertrat die Klägerin auch vor dem Arbeitsgericht Leipzig im dortigen Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.05.2004, in dem sich der ehemalige Arbeitgeber der Klägerin in einem Prozessvergleich zur Zahlung von rückständigen Lohnansprüchen für den Zeitraum von März bis einschließlich April 2004 und zwar für den Monat März 2004 in Höhe von 1183,20 EUR abzüglich bereits geleisteter 899,60 EUR netto sowie für den Monat April 2004 in Höhe von insgesamt noch ausstehender 1128,80 EUR brutto verpflichtete.
Bereits am 01.04.2004 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. In ihrem Antrag gab die Klägerin an, dass sie von dem Arbeitgeber seit März 2004 keinen Lohn mehr erhalten habe und dieser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sei und die Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Polen plane.
Infolge zahlte der Arbeitgeber den rückständigen Lohn nur für März 2004, den Lohn für April 2004 zahlte er nicht. Ein von der Klägerin wegen des ausstehenden Lohnanspruchs im August 2004 über ihren Rechtsvertreter veranlasster Vollstreckungsversuch (Pfändungs- und Überweisungsbeschluss) blieb erfolglos.
Mit Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgericht – Leipzig vom 09.09.2004 wurde über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Klägerin stellte den Antrag auf Insolvenzgeld beim Arbeitsamt Leipzig am 29.11.2004. In einem noch am gleichen Tag an die Beklagte übermittelten Schreiben gab die Klägerin an, gerüchteweise erst Anfang November 2004 über eine frühere Arbeitskollegin von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfahren zu haben. Dass die 2-monatige Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III für die Beantragung von Insolvenzgeld bereits am 09.09.2004 begonnen und mithin ihr Antrag vom 29.11.2004 bereits verspätet gewesen sei, habe sie erst von der Beklagten bei ihrer Antragstellung am 29.11.2004 erfahren; wegen des weiteren Inhalts des Schreibens der Klägerin vom 29.11.2004 wird verwiesen auf Blatt 9 der Verwaltungsakte.
Mit Bescheid vom 13.12.2004 lehnte die Beklagte die Gewährung von Insolvenzgeld ab, weil die Klägerin ihren Antrag auf Insolvenzgeld erst am 29.11.2004 gestellt habe und damit nicht innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist vom 10.09.2004 bis 09.11.2004 gem. § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Gründe, welche die Einräumung einer Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29.12.2004, eingegangen bei der Beklagten am 05.01.2005, Widerspruch ein u.a. mit der Begründung, dass die Klägerin von der Sparkasse Leipzig noch Ende September 2004 darauf hingewiesen worden sei, dass in Bezug auf den ehemaligen Arbeitgeber bislang lediglich ein Insolvenzverfahren angekündigt sei. Tatsächlich habe damit die Klägerin aber noch nicht sicher von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewusst ("An keiner Stelle gelangte Frau I ... zu der Kenntnis, dass das Insolvenzverfahren bereits am 09.09.2004 eröffnet worden ist."; Bl. 12/13 der Verwaltungsakte ). Im Übrigen sei die Klägerin von dem Insolvenzverwalter zu keiner Zeit über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert worden. Die Versäumung der Ausschlussfrist sei damit allein Folge der Unkenntnis der Klägerin von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin habe die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten. Unbeachtlich sei, dass die Klägerin erst zum Zeitpunkt der – verspäteten – Antragstellung am 29.11.2004 Kenntnis von der 2-monatigen Ausschlussfrist erhalten habe. Die Klägerin habe nach ihrem eigenen Vortrag im Widerspruchsverfahren bereits Ende September von der Sparkasse Leipzig den Hinweis erhalten, dass ein Insolvenzeröffnungsverfahren anhängig sei. Damit habe sie bereits über alle notwendigen Informationen verfügt, um den Antrag auf Insolvenzgeld stellen zu können. Die Unkenntnis über die Ausschlussfrist rechtfertige keine verspätete Antragstellung bzw. Gewährung einer Nachfrist.
Hiergegen erhob die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21.02.2005 am selben Tag Klage zum Sozialgericht Leipzig. Sie habe nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt, um einen Antrag auf Insolvenzgeld stellen zu können. Sie habe nur über vage, ungesicherte Informationen verfügt, wonach wohl nunmehr das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Nachdem sie von einer früheren Arbeitskollegin über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert worden sei, sei sie sofort bei der Beklagten "vorbeigegangen" und habe "erst dort sichere Kenntnis vom Insolvenzverfahren erhalten."
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 13.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.04.2004 bis 30.04.2004 nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung nach wie vor für richtig. Die Klägerin habe aus zu vertretenden Umständen die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 und 3 SGB III versäumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, dort insbesondere auf den Inhalt der Erklärungen der Klägerin und der Beklagten, die diese im Erörterungstermin am 29.11.2007 (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 29/30) abgegeben haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung ergeht durch Urteil ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erteilt haben gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 13.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Klägerin hat Anspruch auf Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.04.2004 bis 30.04.2004.
Arbeitnehmer haben gem. § 183 Abs. 1 SGB III Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie u.a. bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, für die vorausgegangenen 3 Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Hiervon betroffene Arbeitnehmer haben Insolvenzgeld gem. § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Antragstellung nur noch möglich, wenn der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist aus Gründen versäumt hat, die er nicht zu vertreten hat. Dann ist der Antrag innerhalb von 2 Monaten nach Wegfall des Hindernisses zu stellen ( § 324 Abs. 3 S. 2 SGB III ). Eine nähere Erläuterung zu den Voraussetzungen einer derartigen Nachfrist gibt § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III: Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat.
Soweit der Betroffene eine dritte Person ausdrücklich zu seiner Vertretung bestellt hat und die Vornahme der fristwahrenden Handlung bzw. das für die Fristversäumnis ursächliche schuldhafte Verhalten in deren Aufgabenbereich fällt, ist jedes Verschulden dieser Person dem Betroffenen zuzurechnen.
Es kommt also darauf an, ob der Dritte noch im Rahmen des ihm erteilten Auftrages tätig wird (BGHZ 38, 376, 379). Diese Grundsätze gelten auch bei der Anwendung des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III ( vgl. BSG Urteil vom 29.10.1992, 10 RAr 14/91). Damit kommt es im hiesigen Verfahren darauf an, ob der auch in der arbeitgerichtlichen Auseinandersetzung für die Klägerin tätig gewordene Prozessbevollmächtigte im Rahmen des ihm damals erteilten Auftrages auch zur Stellung eines Antrages auf Insg befugt war oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag, der er nicht nachgekommen ist. Falls sich die Klägerin somit damals an ihren Prozessbevollmächtigten mit dem Anliegen gewandt hat, ihr Arbeitgeber habe ihr kein Lohn gezahlt, und er solle die sich hieraus ergebenden Ansprüche (ohne ausdrückliche Eingrenzung auf das Arbeitsrecht) realisieren, so hätte ein entsprechender Auftrag auch die Stellung eines Antrags auf Insg nach Kenntnis von der Insolvenz des Arbeitgebers umfasst. Dann müsste sich die Klägerin das Fehlverhalten ihres Vertreters (Nichtstellung des Insg - Antrages) im Rahmen des § 324 Abs. 3 S. 3 SGB III zurechnen lassen.
Hat die Klägerin jedoch damals ihren Prozessbevollmächtigten eng begrenzt ausschließlich mit der Vertretung im arbeitsgerichtlichen Verfahren betraut, so wäre zwar im Hinblick auf die bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Arbeitgebers, insbesondere dessen Zahlungsunfähigkeit naheliegend gewesen, die Klägerin auch über die Möglichkeit eines Anspruchs auf Insg mit der zu beachtenden Ausschlussfrist für die Antragstellung zu beraten, dies ist jedoch nicht (jedenfalls für den Prozessbevollmächtigten nicht im haftungsrechtlichen Sinne ) zwingend.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten im März/April 2004 lediglich mit der Durchsetzung ihrer Lohnansprüche im arbeitsgerichtlichen Verfahren beauftragt hat. Dies schließt die Kammer daraus, dass der Klägerin offensichtlich die Möglichkeit eines Anspruchs auf Insg, möglicherweise aus Unkenntnis, nicht bewusst war und damit die Beauftragung ausdrücklich auf das Arbeitsrecht – von ihr unbewusst- begrenzt wurde. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin die Versäumung der Ausschlussfrist durch ihren Prozessbevollmächtigten nicht zu vertreten hat.
Die Klägerin hat aber auch selbst die Versäumung der Antragsausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht zu vertreten.
Nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III hat der Arbeitnehmer die Versäumung der Ausschlussfrist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht.
Die Ausschlussfrist lief im vorliegenden Fall vom 10.09.2004 bis 09.11.2004. Die Klägerin hat den Antrag erst am 29.11.2004 gestellt.
Damit war die Ausschlussfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt.
Zwar spricht für eine Sorgfaltsverletzung der Klägerin, dass diese selbst davon ausgegangen ist, dass der Verlust ihres Beschäftigungsverhältnisses eine Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ihres Arbeitgebers war und ihr bekannt war, dass die Entgeltrückstände wegen Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers entstanden sind sowie diese später - nach ihren eigenen Angaben noch Ende September 2004 - von der Sparkasse Leipzig darauf hingewiesen wurde, dass ein "Insolvenzeröffnungsverfahren" gegen ihren ehemalige Arbeitgeber anhängig sei sowie diese schließlich sogar von einer ehemaligen Arbeitskollegin noch Anfang November 2004, und damit noch innerhalb der 2-monatigen Ausschlussfrist, darüber informiert wurde, dass ein Insolvenzverfahren gegen den ehemaligen Arbeitgeber eröffnet worden sei.
Andererseits hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie von dem Insolvenzereignis ( der Eröffnung des Insolvenzverfahren ) erst nach Ablauf der Ausschlussfrist erfahren hat und dass sie davon überzeugt war, erst bei eigener positiver Kenntnis des Insolvenzereignisses den Insolvenzgeldantrag stellen zu können. Die Klägerin kann sich jedenfalls für ihre Darstellung auf die Informationen der Beklagten zum Insolvenzgeld in deren Merkblatt 1 (Stand April 2004) berufen. Dort wird auf Seite 63 f zum Insolvenzgeld u.a. ausgeführt: "Der Antrag auf Insolvenzgeld ist grundsätzlich innerhalb einer Ausschlussfrist von 2 Monaten nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder dessen Abweisung mangels Masse oder der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit zu stellen." Dieser Hinweis vermittelt tatsächlich den Eindruck, dass ein Antrag auf Insolvenzgeld erst gestellt werden kann, wenn der Arbeitnehmer positive Kenntnis von dem Insolvenzereignis hat. Die Kammer nimmt der Klägerin deshalb ab, dass sie der Meinung war, erst bei positiver Kenntnis von dem Insolvenzereignis den Antrag auf Insg stellen zu dürfen. Ein klarerer Hinweis in dem Merkblatt, dass ein betroffener Arbeitnehmer für die Stellung seines Antrags auf Insg tatsächlich nicht positive Kenntnis von dem Vorliegen eines Insolvenzereignisses haben muss, sondern die Beklagte verpflichtet ist, zu ermitteln, ob ein solches vorliegt, hätte hier ausgereicht, um eine Verletzung der Sorgfaltspflicht zu begründen bzw. den Vortrag der Klägerin zu wiederlegen.
Wegen des unzureichenden Hinweises, insbesondere zum Zeitpunkt und zur Befugnis der Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld im Merkblatt 1 nimmt die Kammer der Klägerin ab, dass diese aus nicht zu vertretenden Gründen die Ausschlussfrist versäumt hat.
Nachdem die Beklagte die Klägerin am 19.11.2004 über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens informiert hatte, stellte die Klägerin dann auch umgehend, nämlich innerhalb der Nachfrist (§ 342 Abs. 3.Satz 2 SGB III) den Antrag auf Insg.
Nach alledem hat die Klägerin den Antrag auf Insg rechtzeitig gestellt.
Da auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Insg vorliegen, war die Beklagte entsprechend dem Urteilstenor zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz – SGG –.
Rechtskraft
Aus
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