S 1 R 5070/15

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 1 R 5070/15
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung
Säumniszuschläge
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Verfahrenskosten zu tragen. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Der Streitwert wird auf 15.513,21 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Beitragsnachforderung in Höhe von 15.513,21 EUR (inklusive Säumniszuschläge in Höhe von 304,00 EUR) für die Zeit vom 14.07.2009 bis 29.06.2012. Grundlage dieser Beitragsforderung ist die Feststellung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung des Beigeladenen zu 1) beim Kläger als Betonflügelglätter.

Der Kläger ist Inhaber einer Fachfirma für Betonflügelglätten. Neben eigenen Arbeitnehmern beschäftigte er im o.g. Zeitraum auch den Beigeladenen zu 1) als Subunternehmer. Der Beigeladene zu 1) hatte im Juni 2009 ein Gewerbe bei der Stadt P ... angemeldet und war in den Folgejahren in den Bereichen Hausmeisterservice, Dienstleistungen und Gebäudereinigung selbständig tätig. Von Juni 2009 bis einschließlich 2010 erhielt er von der Agentur für Arbeit in P ... einen monatlichen Gründerzuschuss in Höhe von 1.361,40 Euro. Nach den Feststellungen des Hauptzollamtes P ..., das im Juli 2012 eine Geschäftsprüfung durchführte, war der Beigeladene zu 1) überwiegend für den Kläger tätig. Er hat bei der Ausführung der Aufträge des Herrn A. dessen Maschinen benutzt und auch mit dessen Beschäftigten zusammengearbeitet. An- und Abreise zur Baustelle erfolgte gemeinsam mit Fahrzeugen der Firma A ... Der Beigeladene zu 1) erhielt keinen Stundenlohn. Nach Abschluss der jeweiligen Arbeit teilte ihm Herr A. persönlich oder telefonisch mit, in welcher Höhe er die Rechnung für die Baustelle stellen könne. Nach Angabe des Beigeladenen zu 1) musste er die Arbeiten jeweils persönlich ausführen. Als Betonglätter war Herr A. sein einziger Auftraggeber, als Hausmeister hatte er diverse Privatkunden. Seine Haupteinkünfte in den Jahren 2010 bis 2012 bezog der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit als Betonflügelglätter.

Mit Bescheid vom 10.06.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Beigeladene zu 1) in der für ihn ausgeübten Beschäftigung der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung (jeweils ab 2010), in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Für die Zeit vom 14.07.2009 bis 29.06.2012 sei der Kläger zur Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 18.689,71 EUR verpflichtet. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Dem Widerspruch wurde mit Änderungsbescheid vom 12.09.2014 teilweise abgeholfen und die Säumniszuschläge auf 304,00 EUR reduziert; insgesamt ergab sich dadurch eine Nachforderung von 15.513,21 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2015 wurde der Widerspruch im Übrigen zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen:

* Herr C. habe sein Gewerbe ordnungsgemäß angemeldet und entsprechend durchgeführt.
* Schriftliche Werk- oder Dienstleistungsverträge seien in der Baubranche nicht zwingend üblich.
* Ein abgestimmtes Arbeiten sei für alle Gewerke auf einer Baustelle zwingend notwendig.
* Herr C. trage auch Unternehmerrisiko. Wenn er nicht arbeite, bekomme er kein Honorar.
* Herr C. beschäftigte naturgemäß keine Arbeitnehmer, weil es sich um einen 1-Mann-Betrieb handelt.
* Herr C. hat freiwillige Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt und für Zeiten der Arbeitslosigkeit im Winter nachweislich Leistungen in Anspruch genommen.
* Herr C. war privat krankenversichert; eine Doppelversicherung sei nicht im Sinne der Versicherungsgemeinschaft.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag, den Bescheid vom 10.06.2013 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 12.09.2014 sowie des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015 aufzuheben.

Der Beklagtenvertreter beantragte, die Klage abzuweisen.

Die Beigeladenen stellten keine Anträge.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide vom 10.06.2013 und 12.09.2014, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2015, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beitragsforderung der Beklagten besteht zu Recht.

Nach § 28 p Abs.1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern u.a., ob diese ihre Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere prüfen sie die Richtigkeit der Beitragszahlungen. Gem. § 28 p Abs.1 Satz V SGB IV erlassen die genannten Träger im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Ob gegen Entgelt tätige Personen versicherungspflichtig in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-und Pflegeversicherung sind, richtet sich zunächst nach § 7 Abs.1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs.1 Satz 1 und 2 SGB IV).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R m.w.N.).

In Anwendung dieser Grundsätze kommt die Kammer wie die Beklagte zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin im maßgeblichen Zeitraum versicherungspflichtig beschäftigt war. Der Beigeladene zu 1) war, soweit er einen Auftrag annahm, in die Arbeitsorganisation des Klägers eingegliedert. Er benutzte die Maschinen des Klägers, arbeitete mit angestellten Betonglättern des Klägers zusammen, er fuhr sogar gemeinsam mit Beschäftigten des Klägers auf die jeweilige Baustelle. Allein der Umstand, dass der Beigeladene zu 1) ein Gewerbe angemeldet hatte (das nicht das Betonglätten betraf) und Rechnungen schreiben durfte, macht ihn nicht zum Selbständigen. Im Grunde machte der Beigeladene zu 1) nichts anderes als die angestellten Betonglätter des Klägers und war nach außen auch nicht als Selbständiger erkennbar. Er trat nicht am Markt als Betonglätter auf und hatte kein Unternehmerrisiko. Sein einziges Kapital war seine Arbeitskraft, die er dem Kläger, wie ein normaler Arbeitnehmer, zur Verfügung stellte. Der Beigeladene zu 1) war verpflichtet, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Dass der Beigeladene zu 1) bei Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit einen Existenzgründerzuschuss des Arbeitsamtes erhielt, ist für die hier zu beurteilende Tätigkeit ohne Belang. Der Beigeladene zu 1) hatte kein Gewerbe als selbständiger Betonglätter angemeldet, sondern einen "Hausmeisterservice und Dienstleistungen". Die Ausübung der Tätigkeit als Betonflügelglätter bewegte sich somit nicht im Rahmen der Gewerbeanmeldung. Im Übrigen hält es die Kammer für durchaus ungewöhnlich, dass einem sogenannten Selbständigen nach Erledigung des Auftrags vom Auftraggeber vorgegeben wird, in welcher Höhe er eine Rechnung schreiben kann. Die für einen Selbständigen typische unternehmerische Freiheit bestand hier offenbar allein darin, dass der Beigeladene zu 1) einen Auftrag entweder annehmen oder ablehnen konnte, wobei er im Fall der Ablehnung eines Auftrags befürchten musste, künftig von der Firma A. nicht mehr herangezogen zu werden.

Im Ergebnis ist die Kammer der Auffassung, dass hier ein ganz klarer Fall von "Scheinselbständigkeit" vorlag. Dass der Beigeladene zu 1) seit 01.07.2012 als Arbeitnehmer beim Kläger beschäftigt ist, wertet die Kammer als Indiz dafür, dass die Beteiligten das sozialversicherungsrechtliche (und strafrechtliche) Risiko ihres Tuns nicht länger in Kauf nahmen wollten.

Damit sprechen die ganz überwiegenden Merkmale für eine abhängige Beschäftigung und für eine Sozialversicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) im streitigen Zeitraum. Die Beklagte hat zutreffend die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge festgesetzt. Gegen die Höhe der Beiträge wurden vom Kläger auch keine Einwände erhoben. Dass der Kläger den Gesamtsozialversicherungsbeitrag allein zu tragen hat, ergibt sich aus § 28 e i.V.m. § 28 g SGB IV. Die Beiträge sind auch fällig und nicht verjährt. Die Erhebung von Säumniszuschlägen gem. § 24 Abs.1 und 3 SGB IV ab dem Zeitpunkt der positiven Kenntnis des Klägers von seiner Zahlungspflicht ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Erhebung von Säumniszuschlägen für die Vergangenheit hat die Beklagte mit Teilabhilfebescheid vom 12.09.2014 korrigiert.

Die Klage war daher in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs.1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs.1 VwGO. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten. Der Beigeladene zu 1) hat Anspruch auf Aufwendungsersatz gem. § 197 Abs.2 Satz 3 i.V.m. § 191 SGG.

Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 197 a Abs.1 SGG i.V.m. § 52 Abs.1, 3 Gerichtskostengesetz.

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Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form eingelegt wird. Die elektronische Form wird nur durch eine qualifiziert signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der "Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Sozialgerichtsbarkeit - ERVV SG" an die elektronische Gerichtspoststelle des Bayer. Landessozialgerichts oder des Sozialgerichts Landshut zu übermitteln ist. Über das Internetportal des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (www.egvp.de) können weitere Informationen über die Rechtsgrundlagen, Bearbeitungsvoraussetzungen und das Verfahren des elektronischen Rechtsverkehrs abgerufen werden. Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung der Berufung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. Der Berufungsschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden; dies gilt nicht im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs.
Rechtskraft
Aus
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