S 12 AS 73/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 73/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller die ab Oktober 2005 zustehenden Leistungen nach dem SGB II vorläufig ohne Anrechnung der im März 2005 zugeflossenen Eigenheimzulage als Einkommen zu zahlen.
Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I:

Der Antragsteller wendet sich gegen die Berücksichtigung einer im März 2005 zugeflossenen Eigenheimzulage als Einkommen bei der Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II.

Der 1960 geborene Antragsteller erhielt durch Bescheid der Agentur für Arbeit Wesel vom 24.11.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II (AlG II) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 in Höhe von 345,00 EUR monatlich. Mit Wirkung zum 01.03.2005 meldete er sich aus der Hilfebedürftigkeit ab. Am 01.04.2005 beantragte der Antragsteller erneut Leistungen nach dem SGB II. Dabei legte er eine Abrechnung über Aushilfslohn für März 2005 in Höhe von 400,00 EUR brutto vor, die er im März bereits vorschussweise erhalten hatte. Aus vorgelegten Kontoauszügen ergab sich die Gutschrift einer Eigenheimzulage, überwiesen durch das Finanzamt Kleve in Höhe von 2.556,00 EUR am 15.03.2005.

Mit Bescheid vom 09.05.2005 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach SGB II in Höhe von 553,68 EUR. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Regelleistung über 345,00 EUR zzgl. eines Unterkunftskostenanteils von 221,68 EUR, zusammen 566,68 EUR abzüglich Einkommen über 213,00 EUR. Bei diesem Einkommensanteil handelt es sich um 1/12 der am 15.03.2005 zugeflossenen Eigenheimzulage. Zur Begründung seines am 03.06.2005 erhobenen Widerspruchs meint der Antragsteller, der Abzug von 213,00 EUR monatlich vom Bedarf sei nicht rechtmäßig. Die Eigenheimzulage sei im März zugeflossen und könne deshalb im Bewilligungsabschnitt April bis Dezember 2005 nicht berücksichtigt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.08.2005 wies der Antragsgegner den Widerspruch des Antragstellers im wesentlichen mit der Begründung als unbegründet zurück, der Antragsteller sei nur im eingeschränkten Umfange hilfebedürftig. Zwar sei die Eigenheimzulage nicht als laufende Einnahme zu berücksichtigen. Vielmehr handele es sich um eine einmalige Einnahme, die ebenso wie Steuererstattungen, Lohnnachzahlungen etc. vom Beginn des Monats an zu berücksichtigen sei, in dem sie zuflössen. Diese einmaligen Einnahmen seien für einen angemessenen Zeitraum zu berücksichtigen. Angemessen sei bei einer Eigenheimzulage der Zeitraum von zwölf Monaten, da diese Eigenheimzulage jährlich gewährt werde. Durch den monatlichen Anteil der Eigenheimzulage sei sie ab dem 01.04.2005 für den Bewilligungszeitraum beim Bedarf abzusetzen und senke damit die Kosten der monatlichen Unterkunft in Höhe von 221,68 EUR auf 8,68 EUR.

Zur Begründung seines am 30.09.2005 erhobenen Eilantrages vertritt der Antragsteller grundsätzlich die Auffassung, die Eigenheimzulage könne nicht angerechnet werden und beruft sich dabei auf die Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte. Durch die Anrechnung der Eigenheimzulage sei er finanziell in Not geraten und könne seine Zahlungsverpflichtungen insbesondere auch gegenüber seiner Bank nicht erfüllen. Er verwende die Eigenheimzulage zweckgebunden zur Rückführung des zur Finanzierung des Hauserwerbs aufgenommenen Darlehens im Rahmen der monatlichen Ratenzahlung.

Der Antragsgegner meint, die Eigenheimzulage sei korrekterweise berücksichtigt worden. Durch die erste Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung sei diese Verwaltungspraxis bzgl. der Anrechnung der Eigenheimzulage auch bestätigt worden. Im übrigen sei Eilbedürftigkeit nicht zu erkennen. Dass tatsächlich Zwangsversteigerung drohe, sei nicht belegt. Die Volksbank Kleverland verlange lediglich ein fundiertes Angebot zur Rückführung der Kreditverbindlichkeiten. Außerdem nehme der Antragsteller ab 01.11.2005 eine unbefristete Vollzeitarbeit auf.

Im am 30.09.2005 in der Hauptsache erhobenen Klageverfahren S 12 AL 70/05 ist noch keine Entscheidung ergangen.

II.

Der zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsanspruch ist gegeben. Die Anrechnung der Eigenheimzulage ist weder als laufendes Einkommen noch als einmaliges Einkommen zulässig. Die Eigenheimzulage bezweckt nach dem Gesetz zur Neuregelung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung eine verstärkte Förderung der sog. Schwellenhaushalte. Sie ist damit als zweckbestimmt im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II und somit grundsätzlich als privilegiertes Einkommen einzusehen, soweit sie zur Herstellung oder Anschaffung selbst genutzten Wohneigentums eingesetzt wird. Die Zweckrichtung würde verfehlt, wenn der Empfänger die Leistung als Einkommen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes verwenden müsste und dadurch gehindert wäre, sie ihrer eigentlichen Zweckbestimmung zufließen zu lassen (LSG Niedersachsen/Bremen, Beschluss vom 25.04.2005, L 8 AS 39/05 ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 07.07.2005, L 5 B 116/05 ER AS; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B, jeweils mit weiteren Nachweisen). Dieser Auffassung schließt sich das Gericht an. Durch Artikel 1 der 1. Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozial-geldverordnung vom 22.08.2005 (Bundesgesetzblatt 2005, S. 2499) ändert sich daran nichts. Nach Ziffer 1 von Artikel 1 der Verordnung wird in § 1 Abs. 1 u.a. Ziffer 7 eingefügt, danach sind außer den in § 11 Abs. 3 SGB II genannten Einnahmen nicht als Einkommen zu berücksichtigen die Eigenheimzulage, soweit sie nachweislich zur Finanzierung einer nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie verwendet wird. Es handelt sich insoweit nicht um eine durch den Verordnungsgeber bestätigte bisherige Verwaltungspraxis, sondern um eine echte Änderung der Rechtslage, die erst ab Wirksamwerden der Verordnung gelten kann. Bezogen auf die Eigenheimzulage bedeutet dies, dass eine Anwendung auf vor der gem. Artikel 2 am 01.10.2005 in Kraft getretenen Verordnung liegenden Zeiträume nicht möglich ist. Im März 2005 zugeflossene Eigenheimzulage unterfällt daher nicht dem Regelungsgehalt der Verordnung. Im Hinblick auf Eigenheimzulagen kann die Verordnung erst mit Auszahlung der nächsten Eigenheimzulage, also voraussichtlich Mitte März 2006, Wirkung entfalten.

Unabhängig davon besteht kein Zweifel, dass die Eigenheimzulage auch tatsächlich zweckentsprechend verwendet wird. Der Kläger führt sein Darlehen durch monatliche Zahlungen an den Kreditgeber zurück. Eine zweckgebundene Verwendung der Eigenheimzulage zur Finanzierung einer nicht als Vermögen zu berücksichtigenden Immobilie erfordert nicht, dass die Eigenheimzulage in einer einmaligen Zahlung als Sondertilgung genutzt wird. Es genügt, dass sie im Rahmen des Finanzierungsplanes Teil der monat-lichen Ratenzahlung ist. Bei der nachweislich 1 %-tigen Tilgung ab 01.01.1998 und einem Darlehensbetrag von 75.000,00 DM einerseits sowie der sich aus der Teilzahlungsverein-barung vom 01.12.2004 ergebenden Verpflichtung, zur Tilgung der bestehenden Verbindlichkeiten ab 01.03.2004 einen monatlichen Teilzahlungsbetrag von 300,00 EUR zu leisten, ergibt sich unmittelbar, dass in diesen monatlichen 300,00 EUR auch 1/12 der Eigenheimzulage enthalten ist.

Die Eilentscheidung ist auch zur Vermeidung von dem Antragsteller drohenden Nachteilen geboten. Ein Anordnungsgrund besteht. Dies ergibt sich zunächst unmittelbar aus dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II, die zur Sicherung der Existenz bestimmt sind. Unrechtmäßig vorgenommene Kürzungen sind in diesem Sinne immer Existenz gefährdend und rechtfertigen Eilentscheidungen. Unabhängig davon ist der Kläger ausweislich vorgelegter Bescheinigungen seiner Bank zu Zahlungsschwierigkeiten bei der Rückführung seines Darlehens gekommen. Dass dadurch vorübergehend die Eigenheimzulage nicht anteilig zur Tilgung führt, ist Folge der rechtswidrigen Entscheidung der Antragsgegnerin und kann dem Antragsteller nicht entgegen gehalten werden.

Die vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 25.10.2005 erwähnte Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung durch den Antragsteller ab 01.11.2005 lässt die Eilbedürftigkeit nicht entfallen. Einkünfte aus dieser Beschäftigung hat der Antragsteller erst gegen oder nach Ende November 2005 zu erwarten.

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin erfolgt für die Zeit ab Oktober 2005. Der Eilantrag ist am 30.09.2005 gestellt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Antragsteller die rechtswidrige Entscheidung des Antragsgegners hingenommen. Für eine Eilentscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit besteht kein Anlass. Nach § 41 Abs. 1 S. 2 SGB II sollen die Leistungen monatlich im Voraus erbracht werden. Durch den am 30.09.2005 gestellten Antrag konnte damit die nächste Auszahlung unmittelbar erreicht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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