L 8 R 469/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 RJ 2257/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 469/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin beansprucht die Zahlung ihrer Witwenrente neben ihrer Altersrente ohne Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte gemäß § 22 b des Fremdrentengesetzes (FRG).

Die 1942 geborene Klägerin ist die Witwe des 1937 geborenen und 1976 verstorbenen Versicherten B K. Die Eheleute lebten von Geburt an in der ehemaligen Sowjetunion und waren dort versicherungspflichtig beschäftigt. Die Klägerin übersiedelte am 19. Mai 1997 nach Deutschland und ist als Spätaussiedlerin im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt. Die Beklagte gewährte ihr mit Bescheid vom 17. Dezember 1997 ab 19. Mai 1997 große Witwenrente. Dabei wurden zur Ermittlung der zu zahlenden Rente von insgesamt 27,9498 Entgeltpunkten für anrechenbare Zeiten nach dem FRG 25 Entgeltpunkte berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 08. März 2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente für Frauen, beginnend am 01. Mai 2004. Dieser Rente liegen 23,7545 Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG zugrunde.

Mit Bescheid vom 22. März 2004 änderte die Beklagte den Bescheid vom 17. Dezember 1997 und stellte die Witwenrente mit Wirkung vom 01. Mai 2004 wegen Berücksichtigung der Altersrente als Einkommen und unter Berücksichtigung des § 22 b FRG der Höhe nach neu fest. Sie berücksichtigte für die zu zahlende Rente nur noch 1,2455 Entgeltpunkte für anrechenbare Zeiten nach dem FRG.

Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin die Weiterzahlung der Witwenrente in bisheriger Höhe geltend und verwies zur Begründung auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. August 2001 (B 4 RA 118/00 R in SozR 3 – 5050 § 22 b Nr. 2). Die Beklagte beschied den Widerspruch (zunächst) nicht.

Am 18. November 2004 hat die Klägerin beim Sozialgericht – SG – Berlin Klage erhoben und geltend gemacht, die Beklagte habe über den Widerspruch ohne erkennbaren Grund nicht entschieden. Der angefochtene Bescheid sei auch in der Sache rechtswidrig. Für eine Gesamtbegrenzung der eigenen Versichertenrente und der Hinterbliebenenrente auf 25 Entgeltpunkte finde sich keine gesetzliche Grundlage, wie aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung feststehe. Auch die neue Fassung des § 22 b FRG stehe dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen.

Die Beklagte ist bei ihrer Auffassung geblieben und hat mit dem während des Klageverfahrens erlassenen Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2004 den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie die Neufassung des § 22 b FRG auch im vorliegenden Verfahren zu beachten habe.

Das SG hat der Aufrechterhaltung der Klage eine (zulässige) Klageänderung entnommen in der Weise, dass sich die Klägerin nunmehr mit der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2004 wendet. Die so verstandene Klage hat das SG mit Urteil vom 26. April 2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung der Witwenrente ohne die vorgenommene Begrenzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte und sie habe auch keinen Anspruch auf die hilfsweise geltend gemachte Begrenzung der Witwenrente auf 15 Entgeltpunkte. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der von der Klägerin geltend gemachten Auslegung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG nach Maßgabe des Urteils des BSG vom 30. August 2001 aaO; bestätigt durch Urteil vom 21. März 2003 – B 13 RJ 44/03 R) sei nicht zu folgen (Hinweis auf LSG Berlin, Urteil vom 17. September 2004 – L 5 RA 74/03 – und LSG Nordrhein-Westfahlen, Urteil vom 30. Juli 2003 – L 8 RJ 64/03). Dieses Normverständnis habe entsprochen und entspreche dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Dies habe der Gesetzgeber mit der Änderung des Wortlautes des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG, der mit Wirkung vom 07. Mai 1996 in Kraft getreten sei, ausdrücklich klargestellt. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken bestünden nicht.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Berufung gewandt, mit der sie eine Begrenzung der Entgeltpunkte aus anrechenbaren Zeiten nach dem FRG im Falle des Zusammentreffens von Versicherten – und Hinterbliebenen-rente bekämpft und dazu auf das bereits angeführte Urteil des BSG vom 30. August 2001 Bezug nimmt. Sie ist der Auffassung, die rückwirkende Neufassung des § 22 b FRG sei in ihrem Falle aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zulässig.

Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerpruchsbescheides vom 22. Dezember 2004 aufzuheben, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2004 in der Weise zu ändern, dass die Hinterbliebenenrente auf der Basis von 15 Entgeltpunkten für anrechenbare Zeiten nach dem FRG gezahlt wird.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, das der Sach- und Rechtslage entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte (Versicherungsnummer: ), die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

II.

Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung der Klägerin entschieden, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zurecht die mit Bewilligungsbescheid vom 17. Dezember 1997 gewährte große Witwenrente mit Wirkung für die Zukunft neu festgestellt, da sich mit der Bewilligung der Altersrente für Frauen an die Klägerin die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die beim Erlass des Witwenrentenbescheides vorgelegen haben, wesentlich geändert haben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 des 10. Buches Sozialgesetzbuch – SGB X –).

Außer Streit steht, dass die Klägerin, die 1997 und demnach vor dem in § 14 a FRG n. F. genannten Stichtag 1. Januar 2002 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt war, dem Grunde nach einen Anspruch auf Witwenrente auf der Grundlage einer so genannten "fiktiven FRG-Rente" hatte (s. dazu ausführlich BSG, Urteil vom 21. Juli 2005 – B 8 KN 9/04 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Ob die Voraussetzung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegt, beantwortet sich nach der materiellen Rechtslage, wie sie sich für den im Mai 2004 bestehenden Rentenanspruch der Klägerin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung ergibt (s. auch hierzu BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R – mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist deshalb zu berücksichtigen, dass § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. rückwirkend zum 7. Mai 1996 durch § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ersetzt worden ist, der bestimmt, dass für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt werden.

Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. im vorliegenden Fall ausschließen könnte, und der Gesetzgeber war auch von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. einzubeziehen (in diesem Sinne wiederum im Besonderen BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R -; s. auch BSG, Urteile vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R - und vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 57/03 und 39/04 R -, zitiert nach Juris). Die Begrenzungsregelung in § 22 b Abs. 1 FRG a. F. hatte das BSG bereits für verfassungsmäßig erachtet (BSG SozR 3-5050 § 22b Nr. 1 und 3 sowie BSG SozR 4-5050 § 22 b Nr. 2 und 3). § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. führt den mit § 22 b FRG bereits in der Fassung des WFG vorgenommenen Systemwechsel fort. Daher ist die Erweiterung der Begrenzungsregelung nicht anders zu beurteilen als die bisherige Regelung. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14. Abs. 1 Grundgesetz [GG]) scheidet bereits deshalb aus, weil selbst der Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach einem ausschließlich in der bundesdeutschen Rentenversicherung Versicherten nicht von diesem Grundrecht geschützt wird (BVerfGE 97, 271). Aber auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht berührt. Die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber Hinterbliebenen, deren Renten keine Entgeltpunkte für FRG-Zeiten zu Grunde liegen, beruht darauf, dass dem FRG-Anteil ihrer Renten keine Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung zugeordnet werden können. Die hieraus sich ergebenden Leistungen werden vielmehr aus sozialstaatlichen Gründen gewährt; dies ist ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium.

§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. ist schließlich auch insoweit verfassungsgemäß, als er den bereits vor Verkündung dieser Vorschrift bestehenden Anspruch der Klägerin vom Zeitpunkt seines Entstehens an erfasst. Zwar handelt es sich dabei um eine verfassungsrechtlich grundsätzlich verbotene so genannte echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen (s. dazu etwa BVerfGE 72, 200 [242, 255, 257]). Das Verbot der echten Rückwirkung kann aber dann ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn sich bei den Betroffenen kein schutzwürdiges Vertrauen bilden konnte. Das ist etwa dann der Fall, wenn das geltende Recht unklar und verworren war, sodass eine baldige Klärung erwartet werden musste (BVerfGE 30, 367 [388]; 45, 142 [173]; 50, 177 [193] und 72, 200 [259]). Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG erfüllt, wenn die ursprüngliche Norm von vornherein Anlass zu Auslegungsproblemen gibt, "deren Lösung nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung" möglich ist (BVerfGE 50, 177 [194]). In diesem Fall entsteht Rechtssicherheit hinsichtlich des Norminhalts erst durch die Rechtsprechung, insbesondere die des zuständigen höchsten Fachgerichts und/oder eine ständige Praxis der Gesetzesanwendung, die dann Grundlage für eine schutzwürdige Vertrauensbildung wird.

Dies berücksichtigend hat das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz durch seine rückwirkend mit dem Tag des Inkraftretens der Ursprungsfassung des § 22 b FRG in Kraft getretenen Änderung des § 22 b Abs. 1 Satz FRG schutzwürdiges Vertrauen in den Norminhalt des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. nicht verletzt. Solch ein Vertrauen konnte sich vor dem Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 11. März 2004 nicht bilden, dem entsprechend war auch keine Übergangsregelung notwendig. Bis zum Urteil des 4. Senats des BSG vom 30. August 2001 (SozR 3-5050 § 22 b Nr. 2) wurde die Vorschrift von den Trägern der Rentenversicherung durchgehend dahin verstanden, dass der Höchstwert von 25 Entgeltpunkten alle für FRG-Zeiten ermittelten Entgeltpunkte erfasse, unabhängig davon, aus welcher Versicherung sie stammten. Dieses Verständnis wurde praktisch weder von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz noch von den Betroffenen in Frage gestellt. Auch in dem Fall, der dem Urteil des 4. Senats zu Grunde liegt, war das in den ersten beiden Instanzen zwischen den Beteiligten unstreitig (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2000 - L 12 RA 2663/99 -, zitiert nach Juris); gestritten wurde darüber, ob die Begrenzung verfassungsgemäß sei. Die Auslegung des 4. Senats überraschte daher und wurde von den Rentenversicherungsträgern übereinstimmend nicht befolgt. Die erneut mit entsprechenden Streitigkeiten befassten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit schlossen sich dem Urteil des BSG nur teilweise an. Zu abweichenden Entscheidungen kam es sogar dann noch, als weitere Fachsenate des BSG im März 2004 (13. Senat, s. in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 1) und Juli 2004 (8. Senat, in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 2) der Auffassung des 4. Senats folgten (ausführliche Darstellung wiederum im Urteil des BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R -) Hinzu kommt, dass die Entscheidung des 4. Senats aus dem Jahr 2001 noch nicht alle Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. geklärt hatte. Im Hinblick auf den bedeutsamen Widerspruch gegen die Auslegung des 4. Senats und die damit verbundenen weiteren Fragen war das Ergebnis der ausstehenden Prüfung durch die anderen Rentensenate des BSG offen. Erst mit den Urteilen des 13. Senats vom März 2004 und des 8. Senats vom Juli 2004 konnte deshalb erwartet werden, dass es bei dieser Auslegung bleiben werde. Zu diesem Zeitpunkt war – am 11. März 2004 – der Gesetzesbeschluss über das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz aber bereits ergangen. Ein berechtigtes Vertrauen in einen ihnen günstigen Inhalt des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. konnte sich daher bei den Betroffenen nicht bilden (vgl. zu allem bereits den Beschluss des Senats vom 2. März 2006 – L 8 R 428/05).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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