L 3 B 1138/05 U ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 10 U 136/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 B 1138/05 U ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 1690,85 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides. Die Antragstellerin ist Auftraggeberin der Firma C D (im Folgenden: Fa. D) in B-S, über deren Vermögen auf Antrag der Antragsgegnerin mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) am 10. August 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mit Beitragsbescheiden für 2004 vom 18. April 2005 und 20. Juli 2005 verpflichtete die Antragsgegnerin die Fa. D zur Entrichtung von Beiträgen in Höhe von 27.652,08 EUR und 1.692,87 EUR. Da die Beiträge nicht entrichtet wurden, hörte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. Juli 2005 zu der Absicht an, das Unternehmen der Antragstellerin gemäß § 150 Abs. 3 Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) i.V.m. § 28e Abs. 3a Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) für die nicht gezahlten Beiträge der Fa. Dfür das Jahr 2004haftbar zu machen. Dem Anhörungsschreiben war eine Musterberechnung beigefügt, der die Rechnung Nr. 460/04-SR BV Ahrensfelder Terrassen Teilbereich 4 der Fa. Dvom 27. Oktober 2004 zugrunde lag und mit dem diese der Antragstellerin eine Abrechnungssumme netto in Höhe von 192.407,56 EUR (242.600,50 EUR abzüglich Unkosten für Baustrom usw.) in Rechnung stellte. Mit Haftungsbescheid vom 30. August 2005 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragstellerin zur Entrichtung eines Beitrags für das Jahr 2004 in Höhe von 6763,39 Euro. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und beantragte außerdem, die Vollziehung des Bescheides bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auszusetzen. Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin am 20. September 2005 ab, weil keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheides bestünden. Eine Stundung des Haftungsbetrages nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV komme derzeit ebenfalls nicht in Betracht.

Am 07. Oktober 2005 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. August 2005 anzuordnen. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 21. Oktober 2005, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, zurückgewiesen. Gegen den am 04. November 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 30. November 2005 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

Den Widerspruch gegen den Haftungsbescheid hat die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2005, gegen den die Antragstellerin am 12. Januar 2006 Klage bei dem SG (S 3 U 8/06), erhoben hat, zurückgewiesen. Zur Begründung ihres Antrags macht die Antragstellerin geltend, die Vorschrift des § 150 Abs. 3 SGB VII, die keinen eigenen Haftungstatbestand enthalte, verweise auf die entsprechende Anwendung des § 28e Abs. 3a SGB IV. Mit der Formulierung "entsprechend" habe der Gesetzgeber lediglich klarstellen wollen, dass der Auftraggeber als Bürger analog den Vorschriften für Sozialversicherungsbeiträge auch im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung haften solle, wie es für die übrigen Zweige der Sozialversicherung gewollt und geregelt sei. Für eine weitergehende Haftung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung gebe die Formulierung des § 150 Abs. 3 SGB VII keinen Raum. Die Formulierung, dass § 28e Abs. 3a SGB IV ausschließlich Anwendung finden solle, sei im Gesetzeswerk nicht enthalten. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift bedeute, dass die in diesem Zusammenhang geregelten Exkulpationsmöglichkeiten und Befreiungstatbestände, die auf die Regelung des § 28e Abs. 3a SGB IV unmittelbar Bezug nähmen, zu berücksichtigen seien. Danach komme eine Haftung nicht in Betracht, da ein geschätzter Gesamtwert von 500.000 EUR für alle in Auftrag gegebenen Bauleistungen nicht erreicht werde (§ 28e Abs. 3d SGB IV). Als Vergütung sei gemäß § 3 des Subunternehmervertrags mit der Fa. D lediglich eine Größenordnung von 200.000 EUR vereinbart worden. In jedem Fall müsse ihr jedoch die Entlastungsmöglichkeit gemäß § 28e Abs. 3b SGB IV verbleiben, denn eine verschuldensunabhängige Durchgriffshaftung halte einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand, weil es dadurch zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die unternehmerische Freiheit komme. Sie habe auch ohne eigenes Verschulden davon ausgehen können, dass die Fa. D ihre Zahlungspflicht erfüllen werde. Letztlich sei die Höhe des von ihr geforderten Beitrags unzutreffend. Richtigerweise hätte eine Bruttolohnsumme in Höhe von insgesamt 35.596,96 EUR die Basis für eine eventuelle Beitragberechnung bilden müssen. Bei einem Beitragssatz von 7,75% ergebe dies allenfalls einen nachzufordernden Beitrag in Höhe von 2.758,76 EUR.

Dem Vorbringen der Antragstellerin ist der Antrag zu entnehmen, den Beschluss des SG vom 21. Oktober 2005 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 30. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2005 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II. Die nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgemäß eingelegte Beschwerde (§ 173 SGG) der Antragstellerin ist zulässig.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in der Fassung des am 02. Januar 2002 in Kraft getretenen Sechsten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl. I 2144) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben.

Der Senat entnimmt dem Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren, dass sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nach Beendigung des Widerspruchsverfahrens weiterhin beansprucht.

Einer gerichtlichen Entscheidung über ihre Beschwerde steht nicht entgegen, dass nach Erlass des angefochtenen Beschlusses des SG vom 21. Oktober 2005, durch den der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 30. August 2005 abgelehnt worden ist, der Widerspruchsbescheid am 15. Dezember 2005 erteilt wurde und gegen ihn inzwischen Klage erhoben worden ist. Anders als in den Fällen, in denen gemäß § 86 Abs. 2 SGG in der bis 01. Januar 2002 gültig gewesenen Fassung (a.F.) die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes eintrat und bei nachfolgender Klageerhebung im Hinblick auf die Sonderregelung des § 97 SGG a.F. mit dem Tag vor Eintritt der Rechtshängigkeit endete (vgl. BSG SozR 3 – 1300 § 50 Nr. 20 mwN), erlischt die nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gerichtlich angeordnete aufschiebende Wirkung – soweit sie nicht befristet wurde – erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des zugrunde liegenden Bescheides (Peters/Sautter/Wolff, Komm. zum SGG, 4. Auflage, 78. Lfg., September 2004, § 86b Rz. 24; BVerwGE 78, 192, 208, 209 zu § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Da die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage – anders als nach dem bis 01. Januar 2002 gültig gewesenen Recht (§86 Abs. 2; § 97 SGG a.F.) – in derselben Vorschrift (§ 86b Abs. 1 SGG) einheitlich geregelt ist, bedarf es nach Klageerhebung keiner – erneuten – Prüfung und Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage in einem weiteren Verfahren.

Das gilt auch, wenn bei Erlass des Widerspruchsbescheides bzw. Erhebung der Klage über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 SGG noch nicht erstinstanzlich entschieden oder wenn – wie im vorliegenden Fall – die erstinstanzliche Entscheidung mit der Beschwerde angefochten worden ist. In diesen Fällen ist das anhängige Verfahren mit dem geänderten Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, fortzusetzen (vgl. LSG Niedersachsen NZS 2003, 168; Keller in Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 8. Auflage, § 86b Rz. 9b).

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Dem Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage gegen den streitigen Haftungsbescheid der Antragsgegnerin gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG anzuordnen, war nicht zu entsprechen.

Diese Bestimmung enthält keine Regelungen über die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Während in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG für das Widerspruchsverfahren geregelt ist, dass in den Fällen des Abs. 2 Nr. 1 die Aussetzung der Vollziehung erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, fehlt eine derartige Kodifikation für das gerichtliche Verfahren in § 86b SGG. Der Gesetzgeber hat offensichtlich für das gerichtliche Verfahren auf eine den Entscheidungsspielraum der Gerichte einengende materiell-rechtliche Regelung verzichtet und diesen die Möglichkeit eröffnen wollen, bei der Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Gerichtsverfahren soll nicht ausschließlich oder überwiegend von dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Hauptsacheverfahren abhängen. Diese Handhabung des Instituts des vorläufigen Rechtsschutzes trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich um ein Eilverfahren handelt, bei dem keine vollständige Aufklärung des Sachverhalts und nur eine summarische rechtliche Prüfung erfolgen kann. Sie wirkt auch Versuchen entgegen, im vorläufigen Verfahren bereits eine (Vor)Entscheidung für das Hauptsacheverfahren zu erreichen. Deshalb ist der u.a. von Krodel (NZS 2001, 449 ff.) vertretenen Auffassung zu folgen, dass das Gericht unter besonderer Berücksichtigung des Streitgegenstandes die konkreten öffentlichen Interessen an der Vollziehung des Verwaltungsaktes mit den konkreten privaten Interessen der Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache in einer summarischen Prüfung gegeneinander abzuwägen hat. Die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs sind (nur) als ein Gesichtspunkt der Interessenabwägung mit einzubeziehen. Ausschlaggebend für die vom Gericht zu treffende Eilentscheidung ist, wie weit in Rechtspositionen des Betroffenen eingegriffen wird, ob es ihm zumutbar ist, einen solchen Eingriff bis zu Entscheidung in der Hauptsache hinzunehmen und welches öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht (LSG Berlin, Beschluss vom 19. Februar 2002 – L 3 B 99/01 U ER).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte dem Begehren der Antragstellerin nicht entsprochen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Erhebung von Beiträgen, wie es in dem Allgemeinen Teil der Begründung des Deutschen Bundestages zum Entwurf des 6. SGGÄndG (Bt-Drucks. 14/5943 S. 20) heißt, besondere Bedeutung zukommt, um die Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung zu sichern. Für die sofortige Vollziehung von Beitragsbescheiden ist somit im Regelfall ein besonderes öffentliches Interesse anzuerkennen. Dieselben Erwägungen gelten auch für die Beitragshaftung bei der Ausführung von Dienst- oder Werkverträgen im Baugewerbe gemäß § 150 Abs. 3 SGB VII i.V.m. § 28e Abs. 3a SGB IV. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Haftungsbescheides kann nur in Betracht gezogen werden, wenn er offensichtlich fehlerhaft ist. Zumindest jedoch ist erforderlich, dass die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes derart überwiegen, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen in der Hauptsache.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Senat hält nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage die von dem SG bestätigte Auffassung der Beklagten, dass für die Beitragshaftung im Baugewerbe gemäß § 150 Abs. 3 SGB VII nur die Bestimmungen des Absatzes 3a des § 28e SGB IV Anwendung finden, nicht jedoch die Regelungen der Abs. 3b und 3d dieser Vorschrift, nicht für offensichtlich fehlerhaft. Diese rechtliche Wertung orientiert sich an dem Wortlaut des § 150 Abs. 3 SGB VII. Zwar ist ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers nicht ausgeschlossen (hierzu: Rixen SGb 2002, 536, 541), denkbar ist jedoch auch, dass die verschärfte Haftung für Beitragsschulden in der gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber anderen Bereichen der Sozialversicherung gesetzgeberisch gewollt war, z.B. weil Beitragsschulden in der gesetzlichen Unfallversicherung ausschließlich von den Arbeitgebern (Unternehmen) zu bedienen sind.

Soweit von der Antragstellerin die Höhe der Haftungssumme beanstandet wird, ist eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit nicht dargelegt worden. Eine Überprüfung kann insoweit nicht im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz erfolgen, sondern muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Der Senat konnte daher nicht zu dem Ergebnis kommen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen oder dass dieser sogar offensichtlich fehlerhaft ist.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Vollziehung des Haftungsbescheides für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Hierfür ist zu fordern, dass die Antragstellerin durch die Zahlung des geforderten Betrages in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geriete oder sogar in ihrer Existenz gefährdet wäre. Dass dies der Fall sein könnte, hat die Antragstellerin weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Gerichtskostengesetz und trägt dem Umstand Rechnung, dass vorliegend nicht die Hauptsache, sondern eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren streitbefangen ist (s. a. Streitwertkatalog i.d.F. vom 7./8. Juli 2004 zu § 164 VwGO, Anm. 1.5). Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved