L 3 U 40/03 -16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 U 20/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 40/03 -16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung der Berufskrankheit (BK) Nr. 3101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders augesetzt war -.

Die 1941 geborene Klägerin war nach ihren Angaben vom 01. April 1959 bis 30. Juni 1963 als Schwesternvorschülerin bzw. –schülerin und Praktikantin tätig. Ab 01. Juli 1963 bis 30. September 1964 sei sie als Arzthelferin in der Praxis des Dr. W beschäftigt gewesen. Seit 01. Oktober 1964 sei sie in der orthopädischen Praxis von Dr. M, dessen Praxisnachfolger ab 01. April 1974 die Dres. A und B gewesen seien, als Arzthelferin tätig gewesen. Mit dem Verkauf der Praxis am 31. März 1999 stellte die Klägerin ihre Tätigkeit als Arzthelferin ein.

Am 07. September 1999 erstattete die Fachärztin für Innere Medizin Dr. G eine ärztliche Anzeige über eine BK. Sie gab an, die Klägerin leide an einer Hepatitis C. Beschwerden in Form eines Meteorismus und erhöhte Leberwerte seien erstmals 1991 festgestellt worden. Die Ursache der Erkrankung werde in der Tätigkeit der Klägerin als Arzthelferin bei Dres. A und B vermutet. Der ärztlichen Anzeige beigefügt war der Bericht des Internisten Dr. Wvom 16. Juni 1999 über eine von ihm bei der Klägerin durchgeführte Leberbiopsie, die wegen einer seit Jahren um das Doppelte bzw. grenzwertig gesteigerten Transaminaseaktivität indiziert gewesen sei. Der Bericht der Privatdozentin Dr. RR vom 24. Juni 1999 über das Ergebnis einer immunhistologischen Untersuchung ergab eine geringgradige chronische Hepatitis mit geringgradiger portaler Fibrose. Die Kombination der morphologischen Befunde sei unter Berücksichtigung der klinisch angegebenen positiven Hepatitis-C-Virus-PCR vereinbar mit einer chronischen Virushepatitis C. Es liege kein Nachweis eines Leberumbaus vor. Ein handschriftlicher Zusatz von Dr. W auf diesem Bericht ergab, dass keine therapeutischen Konsequenzen, wohl aber kontinuierliche Kontrollen der Aktivitäten über die Transaminasen alle 3 Monate erforderlich seien.

Auf Befragen der Beklagten erklärte die Klägerin zu den von ihr im Einzelnen verrichteten Tätigkeiten, sie habe Injektionen (intramuskulär, subcutan, Blutentnahmen) verabreicht, Verbände gemacht, bei Punktionen mitgeholfen und geröntgt. Bei ihr selbst seien Infusionen angelegt bzw. größere operative Eingriffe am 15. Juli 1986 (Ileus), im Juli 1995 (Venen-OP) und im August 1996 (Meniskus-OP) vorgenommen worden. Es sei ihr nicht bekannt, ob innerhalb ihres Arbeitsbereichs an einer gleichartigen Virushepatitis erkrankte Personen behandelt oder untersucht worden seien. Nachweise über konkrete Verletzungen lägen nicht vor, es sei kein Verbandsbuch geführt worden. Bei der Blutentnahme, etwa einmal pro Woche, seien Handschuhe benutzt worden, bei Injektionen, die mehr als zehnmal täglich von ihr durchgeführt worden seien, habe sie keine Handschuhe benutzt. Verbände seien ein- bis zehnmal täglich angelegt worden, ohne dass Handschuhe benutzt worden seien. Aus dem beigezogenen Entlassungsbericht des MLKrankenhauses vom 18. Juli 1995 ergab sich, dass bei der letzten Laborkontrolle sämtliche erhobenen Laborparameter im Normbereich lagen.

Wegen Fehlens der arbeitstechnischen Voraussetzungen lehnte es die Landesgewerbeärztin P mit Schreiben vom 29. Oktober 1999 ab, die Anerkennung der BK Nr. 3101 vorzuschlagen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Februar 2000 die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der BK Nr. 3101 ab. Es habe nicht nachgewiesen werden können, dass sich die Klägerin infolge der beruflichen Tätigkeit infiziert habe. Weder sei eine konkrete Infektionsquelle nachweisbar noch lasse sich der Infektionszeitraum eingrenzen. Es bleibe daher völlig offen, wann und bei welcher Gelegenheit sich die Klägerin mit Hepatitis-C-Viren angesteckt habe. Es bestehe somit nur die Möglichkeit, dass die Hepatitis-C-Infektion während der Berufsausübung erfolgt sei, nicht aber die Wahrscheinlichkeit. Die bloße Möglichkeit einer Infektion während der beruflichen Tätigkeit sei nicht ausreichend, um die Hepatitis-C-Erkrankung als BK anerkennen zu können. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch bezog sich die Klägerin auf ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K vom 14. März 2000, der ausführte, die Klägerin sei in ihrer Tätigkeit als Sprechstundenhilfe regelmäßig mit Blut in Kontakt gekommen, so dass hierdurch jederzeit eine Infektionsmöglichkeit gegeben gewesen sei. Außerdem führte die Klägerin aus, zu ihrem Tätigkeitsbereich habe auch die Verabreichung von intramuskulären Injektionen, die intravenöse Entnahme von Blut sowie dessen laborchemische Untersuchung, insbesondere Rheumaserologie, gehört. Die Blutuntersuchungen seien angabegemäß mindestens einmal wöchentlich erfolgt, wobei jedoch an einem Labortag immer von mehreren Patienten Blut entnommen worden sei. Weiter legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung über eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung am 15. Dezember 1998, aus der sich erhöhte Leberwerte ergaben, vor.

Die Beklagte zog die medizinischen Unterlagen des MLKrankenhauses und das Ergebnis einer laborchemischen Untersuchung vom 29. März 2000 bei. Nachforschungen bei dem Praxisnachfolger der Dres. A und B, Dr. C, blieben erfolglos. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2000 zurück. Die Beurteilung des Infektionsrisikos stütze sich im Wesentlichen auf die eigenen Angaben der Klägerin zu ihrer beruflichen Tätigkeit als Arzthelferin sowie auf den derzeitigen medizinischen Kenntnisstand hinsichtlich der Übertragungswege der Hepatitis-C-Erkrankung. Danach handele es sich bei einer orthopädischen Arztpraxis nicht um eine Einrichtung, in der von einer deutlich erhöhten Anzahl von Hepatitisträgern unter den Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung auszugehen sei. Im Gegensatz zu Abteilungen zur Behandlung von Suchtkranken, Stationen für Stoffwechsel- und Infektionserkrankungen, aber auch ambulanten oder auch stationären Behandlungseinrichtungen in so genannten "sozialen Brennpunkten" sei bei einer orthopädischen Arztpraxis davon auszugehen, dass der Prozentsatz der Hepatitis-C-Erkrankten in etwa dem Bevölkerungsdurchschnitt entspreche. Es sei deshalb nicht wahrscheinlich, dass die Klägerin einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sei.

Mit ihrer dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe in der Praxis der Dres. A und B ständig in hochgradig gefährdeten Sparten ihres Berufes gearbeitet, indem sie Spritzen gegeben, Blutentnahmen getätigt und im Rheumalabor ständig mit Fremdblut gearbeitet habe. Da sie überwiegend mit Blut gearbeitet habe und überdies auch im Labor, seien die Ausführungen der Beklagten, sie sei nicht einem besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefährdungspotential augesetzt gewesen, falsch und auch völlig unlogisch. Sie hat sich auf ein Zeugnis der Dres. A und B vom 31. März 1999 bezogen, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.

Auf Befragen des Sozialgerichts haben die Dres. A und B am 14. September 2001 schriftlich erklärt, es sei ihnen nicht bekannt, dass in ihrer Praxis ein Patient, der nachweislich an Hepatits C erkrankt gewesen sei, behandelt worden sei. In den ersten 10 Jahren seien Gelenkpunktionen (maximal einmal im Monat) mit Kanülen durchgeführt worden, die die Klägerin habe reinigen und sterilisieren müssen. Danach habe sie keinen Kontakt mit Skalpellen, chirurgischen Nadeln sowie Venen- und Urinkathedern gehabt. Injektionen (i.m.) seien von ihr ein- bis zehnmal täglich mit Einmalkanülen vorgenommen worden. Blutentnahmen seien ein- bis zehnmal pro Woche durch die Klägerin mit Einmalkanülen aus diagnostischen Gründen erfolgt. Verbandswechsel seien fast ausschließlich bei gedeckten Verletzungen erfolgt. Verletzungen bei den oben genannten Tätigkeiten seien nicht bekannt. Die Fragen, ob die Klägerin durch ihre Tätigkeit in vergleichbarer Weise einem Risiko hinsichtlich des Kontakts mit Blut ausgesetzt gewesen sei, wie z. B. das medizinische Hilfs- und Pflegepersonal auf orthopädischen Krankenhausstationen mit frisch operierten oder verletzten Patienten, und ob sie Erkenntnisse über ein erhöhtes Infektionspotential bezüglich Hepatitis C im Arbeitsumfeld der Praxis bzw. eine erhöhte Erkrankungsrate mit Hepatitis C hätten, wie z. B. bei Praxen in so genannten "sozialen Brennpunkten" oder bei der Behandlung überdurchschnittlich vieler Drogenabhängiger, haben die Ärzte verneint. Die Klägerin hat dazu ausgeführt, die Auskunft ihrer ehemaligen Arbeitgeber sei deshalb unbefriedigend, weil das Arbeitsverhältnis ziemlich gespalten gewesen sei. Sie wisse positiv, dass in der Praxis auch vereinzelt drogenabhängige Patienten behandelt worden seien. Dieser Kreis gehöre zu den hochgefährdeten Patienten. Sie sei der Auffassung, dass sie in einem typischen Gefahrenpotential gearbeitet habe und dass sich dadurch die Beweislast umkehre.

Durch Gerichtsbescheid vom 16. April 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Arzthelferin keiner besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahr, an einer Hepatitis-C-Infektion zu erkranken, ausgesetzt gewesen. Sie habe im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit keinen Kontakt zu einer nachweislichen Infektionsquelle gehabt, denn weder die Klägerin noch die Dres. A und B hätten eine solche Infektionsquelle positiv benennen können. Ohne den konkreten Nachweis eines Kontakts mit einer Infektionsquelle hinsichtlich Hepatitis C könne eine BK Nr. 3101 nicht anerkannt werden, weil die Klägerin weder in einem Arbeitsbereich tätig gewesen sei, in welchem nach gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko gerechnet werden könne, noch von ihr Tätigkeiten ausgeführt worden seien, die ein erhöhtes Übertragungsrisiko belegen könnten. Insbesondere der Vergleich mit orthopädischen Krankenhausstationen vermöge nicht zu tragen, denn weder nach den Angaben der Klägerin, noch nach den Aussagen der Dres. A und B habe die Klägerin ständig mit frisch operierten oder verletzten Patienten (Patienten mit Blutungen) zu tun gehabt. Sie habe auch nicht regelmäßig und häufig Tätigkeiten ausgeübt, die erfahrungsgemäß mit einem konkreten Risiko bezüglich Verletzungsereignissen mit Blutaustausch einhergingen. So fehle es zumindest an der Regelmäßigkeit und Häufigkeit im Sinne von mehr als zehn relevanten Tätigkeiten pro Arbeitsschicht. Dies ergebe sich aus der Aussage der ehemaligen Arbeitgeber der Klägerin. Dass die Angaben wegen eines gespaltenen Arbeitsverhältnisses unglaubhaft seien, sei nicht feststellbar. Hiergegen spreche das langjährige Arbeitsverhältnis sowie der Inhalt des abschließenden Zeugnisses vom 31. März 1999, das die Klägerin selbst vorgelegt habe. Ein überdurchschnittlich hohes Gefahrenpotential hinsichtlich einer Hepatitis-C-Infektion lasse sich auch nicht durch statistische Erkenntnisse über ein erhöhtes Infektionspotential im Arbeitsumfeld der Klägerin belegen. Insoweit seien hier insbesondere Stationen für Leber- bzw. Stoffwechselerkrankungen, internistische Stationen, Infektionsabteilungen, Abteilungen zur Behandlung von Suchtkranken, psychiatrische Einrichtungen und vergleichbare Einrichtungen für geistig Behinderte bzw. sonstige stationäre Behandlungseinrichtungen in "sozialen Brennpunkten" zu nennen. Eine orthopädische Praxis entspreche offensichtlich keiner der vorgenannten Einrichtungen. Dass vereinzelt drogenabhängige Patienten behandelt worden seien, vermöge das erhöhte Gefährdungspotential nicht zu belegen. Die Klägerin habe nämlich insoweit nicht dargelegt, dass in der Praxis der Dres. A und B in signifikant höherem Maße Drogenabhängige oder ähnliche Personenkreise, bei denen gehäuft Hepatitis-C-Infektionen festzustellen seien als in anderen medizinischen Einrichtungen, behandelt worden seien.

Gegen den am 10. Juni 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27. Juni 2003 Berufung eingelegt, mit der sie geltend macht, das Gericht hätte nicht durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, denn § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setze voraus, dass nur mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden könne. Ein solches Einverständnis habe sie nicht gegeben.

Auch materiell-rechtlich sei das Urteil anfechtbar. Die Blutentnahme in der Praxis der Dres. A und B sei in einem offenen Verfahren erfolgt, d. h. das Blut habe mit einer Spritze abgenommen werden müssen. Sodann sei die Spritze abgekoppelt worden, indem Tupfer oder ähnliches unter die Kanüle gelegt worden seien und es sei dann eine neue Spritze angesetzt worden, um den Vorgang des Blutabnehmens fortzusetzen. Bei dieser Art und Weise des Blutabnehmens sei das Risiko von Tröpfcheninfektionen ernorm hoch. Bei der Praxis Dres. A und B habe es sich um eine H-Arzt-Praxis gehandelt. Es sei deshalb unverständlich, dass die erste Instanz zu dem Ergebnis gelangt sei, es habe sich dabei nicht um einen "sozialen Brennpunkt" gehandelt. Sie kenne auch zwei Patienten, die mit Hepatitis C infiziert gewesen seien, möchte aber deren Namen nicht nennen. Es sei auch festzuhalten, dass es bei ihr und ihren Kolleginnen häufig zu Nadelstichen gekommen sei. Sie habe außerdem im Labor gearbeitet und dort natürlich insgesamt mit Hepatitis-C-Erkrankungen zu tun gehabt. Es sei auch nicht richtig, dass sie die Verbandswechsel fast ausschließlich bei gedeckten Verletzungen durchgeführt habe. Dies spiele aber auch keine Rolle, denn wenn auch nur gelegentlich nicht gedeckte Verletzungen hätten verbunden werden müssen, reiche dies für einen Ursachenzusammenhang vollkommen aus. Sie sei insgesamt stärker gefährdet gewesen, als der Durchschnitt der Bürger auf der Straße.

Der Senat hat zur Ermittlung des Sachverhalts ein Vorerkrankungsverzeichnis der DAK seit 1986 beigezogen und dann den Internisten Dr. G mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. In seinem Gutachten vom 19. Juli 2004 ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, es sei erheblich wahrscheinlicher, dass die Klägerin die Hepatitis C im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Arzthelferin erworben habe, als dass die Krankheit in ihrem übrigen Umfeld erworben worden sei. Sie sei während ihrer beruflichen Tätigkeit einem absolut zwar geringen, tatsächlich aber einem berufsbedingt erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen, eine Hepatitis-C-Infektion zu erwerben. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 30 v. H.

Die Beklagte hat ein Gutachten nach Aktenlage von dem Internisten und Sozialmediziner Prof. Dr. O von der Reha-Klinik F in M vom 15. September 2004 vorgelegt, der ausgeführt hat, die Tätigkeit der Klägerin als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis sei nicht mit einem erhöhten Risiko der Infizierung mit Hepatitis-C-Viren verbunden. Blutkontakte hätten wohl während der beruflichen Tätigkeit stattgefunden. Diese reichten aber, wenn sie lediglich auf der Hautoberfläche abgelaufen seien, nicht aus, um eine Hepatitis-C-Infektion zu erklären. Es seien keine Argumente zu erkennen, dass berufliche Infektionen gegenüber den privaten überwögen. Problematisch sei in diesem Zusammenhang immer, dass annähernd 50 % der Hepatitis-C-Infektionen in ihrem Entstehungswert unklar blieben.

Die Klägerin beruft sich demgegenüber auf einen Aufsatz von Dr. Karsten Mülder "Nadelstichverletzungen: Der bagatellisierte Massenunfall", veröffentlicht in Deutsches Ärzteblatt 102, Ausgabe 9 vom 04. März 2005, Seite A-558/ B-473/ C-440. Dr. Mülder gehe darin zu Recht davon aus, dass verlässliche Zahlen fehlten, dass es sich möglicherweise um millionenfach auftretende Ereignisse handele und dass die Häufigkeit der Stiche nicht geschätzt werden könne, weil nur ein geringer Teil der Stiche gemeldet werde. Angaben zur mutmaßlichen Dunkelziffer reichten von 50 bis 90 %. Außerdem bezieht sich die Klägerin auf diverse Zeitungsartikel zu Stichverletzungen im Krankenhaus.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. April 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2000 zu verurteilen, die bei ihr vorliegende Hepatitis C als Berufskrankheit Nr. 3101 der Anlage zur BKV anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend, das Gutachten von Dr. G lasse eine Auseinandersetzung mit den Beweiserleichterungskriterien vermissen. Diese Auseinandersetzung sei aber unerlässlich. Sie halte nach wie vor nicht den Nachweis dafür erbracht, dass die Klägerin nach Art und Häufigkeit der von ihr ausgeübten beruflichen infektionsgefährdenden Tätigkeiten einem derartigen Infektionsrisiko augesetzt gewesen sei, dass die Beweiserleichterungskriterien anwendbar seien. Auch Dr. G sei in seinem Gutachten zu dem Schluss gekommen, die Klägerin sei während ihrer beruflichen Tätigkeit einem absolut gesehen geringem Risiko ausgesetzt gewesen, sich eine Hepatitis-C-Infektion zuzuziehen. Seine Schlussfolgerung, dass sie tatsächlich einem berufsbedingt erhöhtem Risiko ausgesetzt gewesen sei, eine Hepatitis-C-Infektion zu erwerben, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie außerhalb ihrer beruflichen Atmosphäre einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sei, sei nicht zu folgen. Denn die berufsbedingte Ausübung infektionsgefährdender Tätigkeiten und gleichzeitig das Fehlen eines erhöhten außerberuflichen Infektionsrisikos führten nicht zwangsläufig zu einer Anerkennung der Infektionskrankheit als BK. Die Anwendbarkeit der Beweiserleichterung sei davon abhängig, ob bei der beruflichen Tätigkeit eine konkrete Gefahr von häufigen parenteralen Inokulationsereignissen im Sinne von Verletzungsereignissen, bei denen es zu einem erheblichen Blutaustausch komme, bestanden habe. Diese Gefahr habe bei der Klägerin nicht bestanden. Sie habe nicht in einem Bereich gearbeitet, in dem von einem erhöhten Infektionspotenzial auszugehen sei. Die von ihr an den Patienten durchgeführten Maßnahmen, die die Möglichkeit des Blutkontakts einschlössen, begründeten nach der Art und Frequenz dieser Maßnahmen keine erhöhte Infektionsgefahr. Der Artikel von Dr. Mülder, der sich im Übrigen mit den Erkenntnissen der medizinischen Sachverständigen decke, vermöge hier nicht zu einer anderen Einschätzung zu führen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, keinen Anspruch auf Anerkennung der Hepatitis-Erkrankung als BK nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV.

Eine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung wegen eines Verfahrensmangels kommt nicht in Betracht, denn die Klägerin ist vor Erlass des Gerichtsbescheids vom 16. April 2003 ordnungsgemäß mit gerichtlichem Schreiben vom 26. September 2001 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört worden. In dem Anhörungsschreiben ist auf die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 105 SGG hingewiesen worden. Die Klägerin hat, wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 05. Dezember 2003 ergibt, das Anhörungsschreiben erhalten. Es bedurfte auch nicht ihres Einverständnisses zu einer Entscheidung des Gerichts durch Gerichtsbescheid, denn § 124 Abs. 2 SGG regelt nur eine Ausnahme von dem Grundsatz der Mündlichkeit bei Entscheidungen durch Urteil. Danach kann nur im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden. Auf den Erlass eines Gerichtsbescheids ist die Vorschrift deshalb nicht anwendbar.

Die Berufung war auch in der Sache zurückzuweisen.

Unabhängig davon, ob der geltend gemachte Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 oder danach eingetreten ist, gelten sowohl nach dem bis 31. Dezember 1996 geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch nach dem ab 1. Januar 1997 geltenden Recht des Sozialgesetzbuch VII (SGB VII) Berufskrankheiten als Arbeitsunfälle (§ 551 Abs. 1 S. 1 RVO bzw. § 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 551 Abs. 1 S. 2 RVO bzw. § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Streitig ist hier allein die Feststellung und Entschädigung des Versicherungsfalls einer BK, nicht der eines Arbeitsunfalls, der aufgrund der begrenzten Einwirkung auf den Körper der Klägerin gegebenenfalls vorliegen könnte. Bei einer Konkurrenz der Anspruchsgrundlagen gebührt den Vorschriften über die BK der Vorrang (so BSG SozR 5670 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 1).

Nach Nr. 3101 der Anlage zur BKV ist eine Infektionskrankheit dann eine BK, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.

Wie sich aus dem Zeugnis der Dres. A und B vom 31. März 1999 ergibt, ist die Tätigkeit der Klägerin als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis, also im Gesundheitsdienst, in der Zeit vom 01. April 1974 bis 31. März 1999 nachgewiesen. Der Senat hat allerdings keine Zweifel, dass die Klägerin, wie sie im Verwaltungsverfahren angegeben hat, bereits ab 1964 in einer Praxis für Orthopädie gearbeitet hat. In diesen Zeiten war sie in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).

Bei der Klägerin liegt auch eine Infektionskrankheit vor, denn sie leidet, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, an einer Hepatitis C vom Genotyp 1b, die aufgrund einer pathologisch-anatomischen Begutachtung am 24. Juni 1999 durch Dr. RR nach einer von Dr. W am 16. Juni 1999 durchgeführten Leberbiopsie festgestellt worden ist. Dr. G hat diese Feststellung in seinem Gutachten vom 19. Juli 2004 bestätigt. Der Sachverständige hat jedoch darauf hingewiesen, dass der Infektionszeitpunkt und damit die Laufzeit der Erkrankung nicht bekannt seien. Nach Angaben der Klägerin seien erstmals 1994 erhöhte Leberwerte nachgewiesen worden, ohne dass eine Ursachendiagnostik durchgeführt worden sei. Die Hepatitis C könne jahre- und jahrzehntelang leicht verlaufen sein mit wechselnd normalen oder mehr oder weniger stark erhöhten Leberwerten.

Weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalls der BK Nr. 3101 ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Infektionskrankheit. Die zumindest erforderliche Wahrscheinlichkeit eines solchen ursächlichen Zusammenhangs ist nach der Rechtsprechung des BSG zu der Infektionskrankheit Hepatitis B (vgl. Urteil vom 24. Februar 2004, Aktenzeichen B 2 U 13/03 R) bei der BK Nr. 3101 gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei der Berufstätigkeit - sei es durch einen Patienten, einen Mitarbeiter oder auf sonstige Weise - einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist. Bei diesem Nachweis kann dann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene Infektionskrankheit durch seine besondere berufliche Exposition zugezogen hat.

Eine Anerkennung der bei der Klägerin vorliegenden Hepatitis C als BK setzt somit voraus, dass ihre Tätigkeit als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis mit besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahren verbunden war, an Hepatitis C zu erkranken. Die Annahme, dass die Klägerin bei dieser Tätigkeit einer Hepatitis-C-Exposition besonders ausgeliefert war, erfordert unter Berücksichtigung des Beginns ihrer Erkrankung den Nachweis, dass entweder (a) ein unmittelbarer oder mittelbarer beruflicher Kontakt mit an Hepatitis C erkrankten Personen bestanden hat oder (b) der prozentuale Anteil der Hepatitis-C-infektiösen Patienten in der orthopädischen Praxis, in der die Klägerin tätig war, deutlich höher war als in der Normalbevölkerung oder (c) die Art ihrer Tätigkeit als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis als solches besonders hepatitisgefährdend war.

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats nicht erfüllt.

Die Klägerin hat den Nachweis, in unmittelbarem oder mittelbarem beruflichen Kontakt mit einer an Hepatitis C erkrankten Person gestanden zu haben, nicht erbracht. Dabei muss es sich um einen Kontakt gehandelt haben, der eine Virusübertragung möglich macht (Selmair/Manns, Virushepatitis als Berufskrankheit – Ein Leitfaden zur Begutachtung -, 2. A. 2003, S. 163). Die Klägerin hat zwar ausgeführt, sich in der Praxis, wie ihre Kolleginnen auch, häufig mit benutzten Injektionsnadeln gestochen zu haben. Sie hat sich jedoch weder an ein konkretes Verletzungsereignis erinnern können, noch die Namen der Patienten benannt, die mit Hepatitis C infiziert gewesen sein sollen. Ein Verbandsbuch ist nicht geführt worden, die Nachfrage bei den Dres. A und B hat weder Erkenntnisse über Verletzungen der Klägerin noch über Patienten, die nachweislich an Hepatitis C erkrankt waren, erbracht.

Es ist auch weder nachgewiesen, dass der prozentuale Anteil Hepatitis-C-infektiöser Patienten in der orthopädischen Praxis, in der die Klägerin gearbeitet hat, deutlich höher war, als in der Normalbevölkerung, noch dass die Art ihrer Tätigkeit als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis als solches besonders hepatitisgefährdend war.

Für diesen Teil der Prüfung des Kausalzusammenhangs hat die medizinische Literatur Regelungen zu Beweiserleichterungen in Form von 4 Fallgruppen geschaffen (veröffentlicht u.a. in Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, M 3101, Anm. 13; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, Seite 785 ff.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass abweichend von einer Hepatitis B bei einer Hepatitis-C-Infektion nur solche Tätigkeiten in Betracht kommen, die erfahrungsgemäß mit der konkreten Gefahr von häufigen, parenteralen (unter Umgehung des Magen-Darm-Kanals) Inokulationsereignissen (Hineinbringen von Erregern) im Sinne von Verletzungsereignissen, bei denen es zu einem erheblichen Blutaustausch kommt, verbunden sind. Die Notwendigkeit für diese Einschränkung ergibt sich aus den Erkenntnissen über das wesentlich geringere Infektionsrisiko bei der Hepatitis C im Vergleich zur Hepatitis B, welches vor allem bei der Gefahr von nur geringfügigen Blutkontakten berücksichtigt werden muss. Eine über das übliche Maß hinausgehende Gefährdung kann somit insbesondere bei Tätigkeiten; die im Allgemeinen nur mit oberflächlichen Hautkontakten zu Patienten, Pflegebedürftigen usw. verbunden sind, nicht bejaht werden (Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Anm. 11; Selmair/Manns, a.a.O, S. 166; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. Seite 783). Das Risiko der Übertragung einer Hepatitis C durch Verletzungen ist daher beim Klinikpersonal bei geringen Blutmengen um ein Vielfaches geringer als bei Hepatitis B, weil die Konzentration der Hepatitis-B-Viren um mehrere Zehnerprozente höher ist (vgl. Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Nr. 1.3; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 777 m.w.N.).

Die Tätigkeit der Klägerin ist aber keiner der Fallgruppen zuzuordnen.

Es bedarf keiner Frage, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis nicht der Fallgruppe 1 mit einem besonders hohen Risiko eines Kontakts mit Blut oder anderen als infektiös in Frage kommenden Körperflüssigkeiten angehört hat, denn in diese Fallgruppe gehören Ärzte und Rettungsassistenten in Operationseinheiten, Notfallaufnahmen, Rettungsdienste, zahnärztliche Behandlungseinheiten sowie Dialyseeinrichtungen.

Sie gehört auch nicht der Fallgruppe 2 mit einem vergleichbaren besonderen Risiko aufgrund von häufigen Kontakten mit Blut oder sonstigen infektiösen Flüssigkeiten an. In diese Fallgruppe gehören Assistenzpersonal, medizinisches Hilfspersonal, Pflegepersonal, Ärzte und Hebammen in Operationseinheiten, Notfallaufnahmen, zahnärztlichen Behandlungseinheiten, Intensivstationen, Krankenhausstationen mit frisch operierten oder verletzten Personen, Patienten mit Blutungen, gynäkologische Stationen, Geburtskliniken und internistische Stationen. Die Klägerin war in keinem dieser Arbeitsbereiche tätig. Allein der Umstand, dass es sich bei der orthopädischen Praxis der Dres. A und Bum eine H-Arzt-Praxis gehandelt hat, stellt sie den in der Fallgruppe 2 genannten Einrichtungen nicht gleich. Maßgebend für diese Fallgruppe ist allein der häufige Kontakt mit Blut. Ein H-Arzt ist aber gemäß § 34 Abs. 2 SGB VII nur ein an der besonderen unfallmedizinischen Behandlung zu beteiligender Arzt, der wegen seiner fachlichen Befähigung und Ausstattung von den Unfallversicherungsträgern dazu ausgesucht wird. Über ein besonderes Infektionsrisiko aufgrund von häufigen Kontakten mit Blut wird darüber nichts ausgesagt.

Der Fallgruppe 3 mit einem besonderen Infektionsrisiko aufgrund des Ausmaßes der Infektionsgefährdung im Arbeitsumfeld des Versicherten ist die Klägerin ebenfalls nicht zuzurechnen. Anhaltspunkte für ein erhöhtes Infektionsrisiko ergeben sich nach der Behauptung der Klägerin daraus, dass besondere milieu-spezifische Umstände vorgelegen haben sollen wie z.B. bei ambulanten oder stationären Behandlungseinrichtungen in einem "sozialen Brennpunkt". Abgesehen davon, dass diese Behauptung weder genauer dargelegt worden ist, noch Bestätigung durch die Stellungnahme der Dres. A und B vom 14. September 2001 gefunden hat, scheidet diese Untergruppe (c) der Fallgruppe 3 ebenso wie die Untergruppe (a) bei Hepatitis-C-Infektionen grundsätzlich aus, weil nur bei gleichzeitig gegebenem konkreten Risiko bzgl. Verletzungsereignissen mit Blutaustausch im Rahmen der versicherten Tätigkeit diese Umstände relevant sind. Die Untergruppe (b) ist ebenfalls nicht einschlägig, denn es gibt keine Anhaltspunkte für eine erhöhte Durchseuchung der Patienten in orthopädischen Praxen. Der Durchseuchungsgrad in der Bevölkerung in der nördlichen Erdhälfte beträgt bis 1 %, in Deutschland 0,2 bis 0,4 % (vgl. Urteil des LSG Berlin vom 27. Januar 2005, Aktenzeichen L 3 U 34/03; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. Seite 724). Dr. G hat in seinem Gutachten die Durchseuchung der Bevölkerung mit Hepatitis C ebenfalls mit einem Prozent eingeschätzt, d.h. auf 100 Patienten sei mit einer Hepatitis-C-Infektion zu rechnen. Er hat weiter ausgeführt, während der Tätigkeit der Klägerin in der orthopädischen Praxis zwischen 1964 und 1999 müssten - vorsichtig geschätzt - mindestens 500 Patienten mit einer Hepatitis-C-Infektion in der Praxis behandelt worden sein. Er ist davon ausgegangen, dass die Zahl der Patienten innerhalb von 35 Jahren deutlich über 50.000 gelegen habe. Diese Berechnung zeigt, dass Dr. G auch für den Durchseuchungsgrad der Patienten in der orthopädischen Praxis von dem durchschnittlichen Durchseuchungsgrad der Allgemeinbevölkerung von einem Prozent ausgegangen ist. Dies kann aber nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ausreichen. Denn danach ist ein deutlich höherer Prozentsatz an Hepatitis C infizierten Patienten erforderlich als in der Normalbevölkerung. Das hat Dr. G auch erkannt, denn er hat in seiner Zusammenfassung ausgeführt, die Klägerin sei während ihrer Tätigkeit einem absolut gesehen geringen Risiko ausgesetzt gewesen, eine Hepatitis-C-Infektion zu erwerben. Auch die Dres. A und B haben in der Stellungnahme vom 14. September 2001 die Frage nach einem erhöhten Infektionspotential bzgl. Hepatitis C in ihrer Praxis verneint.

In die Fallgruppe 4 gehören Tätigkeiten, bei denen nicht typischerweise, aber unter bestimmten Umständen ein besonders erhöhtes Infektionsrisiko gegeben ist. Dabei ist bei Hepatitis-C-Infektionen zu beachten, dass ein besonderes Risiko hinsichtlich des Eintritts von Verletzungsereignissen, bei denen es zu einer Blutinokulation kommen kann, auf Grund der Umstände des Einzelfalls nachvollziehbar sein muss. Das Risiko eines nur oberflächlichen Hautkontakts mit kontaminierten Flüssigkeiten reicht nicht aus.

Ein besonderes Infektionsrisiko behauptet die Klägerin wegen der Verabreichung von Injektionen (bis zu 30 x am Tag), Blutentnahmen (1-2 x pro Woche), Laborarbeiten und Verbandswechseln. Aus dem Zeugnis vom 31. März 1999 ergibt sich, dass zu ihren Aufgaben vor allem die Anfertigung und Entwicklung von Röntgenaufnahmen, das Anlegen von Gips- und anderen Verbänden sowie die Verabfolgung von Injektionen, die Blutentnahme sowie dessen laborchemische Untersuchung und die vertretungsweise Bedienung der Apparate der physikalischen Therapie gehörte. Außerdem war sie für die Bestellung der Medikamente, der Chemikalien sowie für die meisten betriebstechnischen Abläufe verantwortlich. Die Hauptaufgabe der Klägerin bestand also nicht allein in Tätigkeiten, die typischerweise zu Kontakt mit Blut führen. Die ehemaligen Arbeitgeber haben in ihrer Stellungnahme vom 14. September 2001 die Angaben der Klägerin zu der Häufigkeit der von ihr als besonders infektionsgefährdend geschilderten Tätigkeiten nicht in vollem Umfang bestätigt. Sie haben vielmehr ausgeführt, die Klägerin sei für die Reinigung von Kanülen nach Gelenkspunktionen, die in den ersten 10 Jahren maximal einmal im Monat durchgeführt worden seien, zuständig gewesen, Injektionen habe sie nur 1-10 x täglich mit Einmalkanülen verabreicht und Blutentnahmen 1-10 x pro Woche vorgenommen. Der Verbandswechsel sei fast ausschließlich bei gedeckten Verletzungen erfolgt. Sonstige invasive Tätigkeiten habe die Klägerin nicht ausgeübt.

Angesichts der Häufigkeit der Durchführung von Blutentnahmen und der Verabreichung von Injektionen kann nicht von einer erhöhten Infektionsgefährdung ausgegangen werden, wie sie die Fallgruppe 4 erfordert. Dies gilt auch dann, wenn man den Angaben der Klägerin folgt. Die Fallgruppe 4 nennt als Beispielsfälle Tätigkeiten in medizinischen oder zahnmedizinischen Labors oder pathologischen Instituten, Pflegepersonal in Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen sowie Entsorgungstätigkeiten in medizinischen Behandlungseinrichtungen. In klinischen Laboratorien mit mehreren tausend arbeitstäglichen Blut- und Serumprobeeingängen können aufgrund der statistisch möglichen Höhe HCV-positiver Proben die Voraussetzungen der Fallgruppe 4 erfüllt sein, da die Arbeitsverfahren neben kontaminierten Behältnissen regelmäßig Leckagen der Proben und Mikroverletzungen an den Händen mit sich bringen (Selmair/Manns, a.a.O. S. 198). Es ist nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit der Klägerin und das damit verbundene Infektionsrisiko mit einer solchen Labortätigkeit vergleichbar ist. Es fehlt bereits an einer Häufigkeit der gefährdenden Tätigkeit, die mit der einer Laborantin vergleichbar wäre. Auch ist zu beachten, dass beispielsweise das Auswechseln der Blutröhrchen bei der Blutentnahme zwar die Gefahr trägt, dass Bluttröpfchen mit der Haut der Klägerin in Kontakt gekommen sind. Allein der Kontakt mit infiziertem Blut in kleinsten Mengen kann jedoch, wie bereits oben ausgeführt, keine besondere Hepatitis-C-Exposition begründen. Dass es zu einem erheblichen Blutaustausch bei den von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten tatsächlich gekommen ist, wird von der Klägerin selbst nicht geltend gemacht und auch nicht von Dr. G oder den ehemaligen Arbeitgebern der Klägerin bestätigt.

Zusammenfassend hält es der Senat nicht für wahrscheinlich, dass die Hepatitis C Infektion der Klägerin auf ihrer beruflichen Tätigkeit als Arzthelferin in einer orthopädischen Praxis beruht. Der gegenteiligen Auffassung von Dr. G vermag der Senat nicht zu folgen. Dr. G hat in seinem Gutachten ausgeführt, die Klägerin sei während ihrer Tätigkeit von 1964 bis 1999 zwar einem absolut gesehen geringen, tatsächlich aber einem berufsbedingt erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen, eine Hepatitis-C-Infektion zu erwerben. Er begründet seine Auffassung nicht nur mit dem Fehlen konkurrierender Ursachen, wobei er die Klägerin z.B. nicht nach Auslandsaufenthalten befragt und auch nicht diskutiert hat, ob die drei bei der Klägerin 1986, 1995 und 1996 durchgeführten Operationen als Infektionsursache in Betracht zu ziehen sind. Er führt für seine Auffassung insbesondere an, dass der Gebrauch von Handschuhen bei der Blutentnahme früher unüblich gewesen sei und auch heute häufig nicht praktiziert werde, da dadurch die Blutentnahme erschwert werde. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass mindestens während der ersten 25 Jahre der Tätigkeit der Klägerin ein deutlich höheres Infektionsrisiko vorgelegen habe, als es aus heutiger Sicht zu erwarten sei. Der Sachverständige hat ausdrücklich ausgeführt, von den Feststellungen in dem Merkblatt für die ärztliche Begutachtung abzuweichen, da diese nicht ausreichend die historischen Hintergründe der Erkenntnisse über die Hepatitis C und die tatsächlich in der medizinischen Praxis durchgeführten Hygienemaßnahmen berücksichtige. Außerdem werde die wissenschaftliche Literatur nicht hinreichend kritisch gewürdigt bezüglich der Tatsache, dass prospektive Studien zur Infektionsgefährdung des medizinischen Personals nicht ausreichend zur Verfügung stünden und die umfangreiche retrospektive Literatur überwiegend nicht geeignet sei, die tatsächliche Gefährdung des medizinischen Personals zu erfassen.

Diese Ausführungen hält der Senat nicht für überzeugend. Zum einen beachtet der Gutachter nicht, worauf Prof. Dr. Oehler in seiner Stellungnahme vom 15. September 2004 hinweist, dass für eine Hepatitis-C-Infektion eben nicht ausreichend ist, dass es bei Injektionen zu kleinen Blutaustritten an der Einstichstelle kommt. Zum anderen sind die Ausführungen des Sachverständigen selbst widersprüchlich. Er zitiert Selmair/Manns, wonach mindestens der Zeitpunkt der Infektion bekannt sein muss, um einen Kausalzusammenhang zu begründen, stellt aber anschließend, obwohl er den Infektionszeitpunkt bei der Klägerin nicht benennen kann, gleichwohl den Kausalzusammenhang her, weil es aufgrund der konkreten Umstände doch wahrscheinlich sei, dass die Klägerin sich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit infiziert hat. Allein die berufsbedingte Ausübung infektionsgefährdender Tätigkeiten und gleichzeitig das Fehlen eines erhöhten außerberuflichen Infektionsrisikos führen aber nicht zwangsläufig zu der Anerkennung einer Infektionskrankheit als BK. Wenn der Infektionszeitpunkt nicht nachgewiesen ist, kann Dr. G außerdem nicht maßgebend auf die mangelhaften hygienischen Verhältnisse in den ersten 25 Jahren der Berufstätigkeit der Klägerin abstellen, denn dann lässt er außer Acht, dass sich die späteren Verhältnisse insoweit gebessert haben, als der Gebrauch von Handschuhen bei der Blutentnahme gebräuchlich geworden ist, die Infektion sich aber auch erst zu dem späteren Zeitpunkt ereignet haben kann.

Der Senat hält es auch nicht für gerechtfertigt, wegen des fehlenden Hygienebewusstseins in früheren Jahren und fehlenden Studien zur Infektionsgefährdung von dem Merkblatt für die ärztliche Gutachtertätigkeit abzuweichen. Die vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat -Sektion Berufskrankheiten- beim BMGS erarbeiteten Merkblätter sollen dem Arzt rechtlich unverbindliche Hinweise für die Beurteilung im Einzelfall aus arbeitsmedizinischer Sicht bieten. Als antizipierte Sachverständigengutachten oder als Dokumentation des Stands der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft können sie zwar nicht verwendet werden, zumal sie häufig nicht auf aktuellem Stand sind. Sie stellen jedoch eine wichtige, nicht aber unbedingt ausreichende Informationsquelle für die Praxis dar (so BSG vom 12. April 2005, Az.: B 2 U 6/04 R). Es ist unwahrscheinlich, dass dem Sachverständigenbeirat die medizinischen Verhältnisse in Arztpraxen in den 60er und 70er Jahren unbekannt waren. Dr. G hat auch nicht dargelegt, dass sich der Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft so weiterentwickelt hat, dass dem Merkblatt nicht mehr gefolgt werden kann. Wie die vom Senat oben zitierte Literatur zeigt, hat sich eben keine gefestigte wissenschaftliche Auffassung herausgebildet, die mit den Ausführungen von Dr. Gübereinstimmt. Allein der Umstand, dass Studien zur Infektionsgefahr von medizinischem Personal nicht ausreichend zur Verfügung stehen sollen, rechtfertigt weder ein Abweichen von dem Merkblatt noch die Bejahung des Kausalzusammenhangs. Das gilt auch für den von der Klägerin vorgelegten Aufsatz von Dr. Mülder, der darin ausführt, dass verlässliche Zahlen zu Infektionsereignissen fehlten und die Dunkelziffer 50-90 % betrage. Die Beklagte verweist zu Recht darauf, gerade weil der konkrete Nachweis eines Kontakts mit einer Infektionsquelle häufig nicht geführt werden könne, habe die Rechtsprechung die haftungsbegründende Kausalität unter bestimmten Bedingungen auch ohne tatsächlichen Vollbeweis der schädigenden Einwirkung akzeptiert. Die Voraussetzungen der Regeln zu den Beweiserleichterungen müssen dann aber erfüllt sein. Fehlt es daran, wie hier bei der Klägerin, kann der Kausalzusammenhang nicht bejaht werden.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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