L 3 U 19/04 -16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 882/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 19/04 -16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Februar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit (BK) Nr. 2103 (Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).

Der 1942 in der Türkei geborene Kläger kam im Februar 1969 in die Bundesrepublik Deutschland und war hier bei verschiedenen Arbeitgebern im Hoch-, Tief- und Schalungsbau als Hilfsarbeiter und Einsteifer tätig. Zuletzt arbeitete er ab Januar 1979 bis zu seinem Arbeitsunfall vom 07. Mai 1990 bei der Bauunternehmung R O.

Bei dem Arbeitsunfall vom 07. Mai 1990 erlitt er bei einer Explosion in einem Kabelschacht Verbrennungen zweiten Grades im Gesicht, an den Händen sowie den Streckseiten des distalen Drittels beider Unterarme durch Austreten von heißem, zur Isolierung des Kabels verwendetem Bitumen. Durch Bescheid vom 25. Juni 1991 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1992 lehnte die Beklagte eine Rentenleistung aus Anlass des Arbeitsunfalls mangels Vorliegens einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab. Bei Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit am 15. Oktober 1990 seien außer reizlosen Narbenbildungen an der rechten Hand und am rechen Oberarm keine weiteren Unfallfolgen verblieben. Das festgestellte Karpaltunnel-Syndrom beiderseits sowie die Irritation der Ellennerven beiderseits stellten keine Folgen des Arbeitsunfalls dar. Die hiergegen gerichtete Klage (S 69 U 182/92) blieb nach Einholung eines chirurgischen Gutachtens von Dr. E W vom 2. Oktober 1992 ohne Erfolg (Urteil des SG Berlin vom 15. März 1993).

Aufgrund des Antrages auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 07. August 1991 bewilligte der Rentenversicherungsträger dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 01. August 1995 bis 31. Juli 1999 auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 06. Januar 1995. Die gegen den Bescheid vom 19. Juli 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1998 gerichtete Klage (S 25 J 252/98), mit der er die Gewährung der Rente wegen Erwerbsminderung auf Dauer erstrebte, blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 08. April 1999). Durch Bescheid vom 30. Mai 1995 erkannte das Versorgungsamt Berlin einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 wegen seelischer Leiden, Wirbelsäulenverschleiß mit Reizsymptomatik, operiertem Karpaltunnel-Syndrom beiderseits mit Restbeschwerden, operiertem Sulkus-Ulnaris-Syndrom rechts, Polyneuropathie, Narbenbildung nach Verbrennungen beider Hände, am Gesicht, Beugebehinderung der rechten Hand und rezidivierendem Magengeschwürsleiden, Leberschaden und Fettstoffwechselstörung an. Eine Hörbehinderung wurde nicht geltend gemacht.

Aufgrund einer Anzeige des behandelnden HNO-Arztes Dr. W vom 14. Juni 1996 leitete die Beklagte ein Feststellungsverfahren zum Vorliegen einer BK Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) ein. Nach Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens von Privatdozent Dr. A vom 12. Januar 1998 und eines weiteren HNO-Gutachtens nach Aktenlage von Dr. N vom 07. Februar 1998 erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 10. Juni 1998 eine Lärmschwerhörigkeit als BK Nr. 2301 sowie als deren Folge eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit beiderseits an. Nicht als Folge der BK wurde die Hörverschlechterung in den tiefen und mittleren Frequenzen, die in der Zeit von 1992 bis 1996 eingetreten sei, anerkannt. Ein Anspruch auf Rente wegen der BK bestehe mangels rentenberechtigender MdE nicht. Das anschließende Widerspruchs-, Klage- und Berufungsverfahren blieb ohne Erfolg. In seinem Urteil vom 11. März 2003 (L 2 U 61/00) führte das Landessozialgericht (LSG) Berlin aus, die als BK anerkannte Lärmschwerhörigkeit habe im maßgeblichen Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit am 07. Mai 1990 nach dem zeitnah erstellten Tonaudiogramm vom 02. Juli 1990 nach Feststellung des behandelnden HNO-Arztes Dr. W eine geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit ergeben. Unerheblich sei, dass der im Berufungsverfahren nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Gutachter Dr. M in seinem Gutachten vom 12. Dezember 2001 zu einer MdE von 30 v.H. gelangt sei, da diese Beurteilung auf den am 01. und 02. November 2001 erhobenen Befunden beruhe, die er mit den 1998 erhobenen Befunden verglichen habe. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gewährung einer "stützenden" Rente nach einer MdE von 10 v.H. wegen eines durch den Arbeitsunfall verursachten Hörschadens. Eine Schädigung des Gehörs durch den Unfall vom 07. Mai 1990 sei vielmehr nicht hinreichend wahrscheinlich. Es gebe weder Anhaltspunkte dafür, dass durch den Unfall eine Schädigung des Hörorgans durch eine sogenannte Commotio labyrinthi eingetreten noch dass der Schaden durch einen Stromschlag am Hörorgan hervorgerufen worden sei. Ein Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten BK Nr. 2301 bestehe mangels rentenberechtigender MdE deshalb auch nicht im Wege der Stützrente.

Im April 1996 beantragte der Kläger unter Vorlage entsprechender Vordrucke und Röntgenbilder, bei ihm auch die BKn. Nrn. 2108, 2102 und 2301 anzuerkennen. Er gab in dem Fragebogen vom 03. April 1996 an, bei seinen Tätigkeiten als Hilfsarbeiter und Einsteifer im Tiefbau mit Vorschlaghammer, Picker, Spaten und Kompressorhammer gearbeitet zu haben. Er legte u.a. ein für das Versorgungsamt erstelltes Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie M G vom 07. Januar 1992 vor, wonach 1990 eine Carpaltunnel-Syndrom-Operation links und 1991 eine entsprechende Operation rechts erfolgt sei. Im November 1991 sei eine Sulcus-ulnaris -Operation rechts vorgenommen worden. Es lag der Beklagten weiterhin ein im Rahmen des Schwerbehindertenklageverfahrens (S 41 Vs 672/93) eingeholtes orthopädisches Fachgutachten von Dr. med. G vom 23. Februar 1995 und eine gutachterliche Stellungnahme dieses Arztes vom 21. November 1995 aus dem Rentenrechtsstreit S 30 J 80/93 vor. Mit einer ärztlichen Anzeige über eine BK vom 14. Mai 1997 machten die behandelnden Orthopäden Dres. S, M u. a. unter Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste und Berichte geltend, bei dem Kläger liege u.a. der Verdacht der BKn 2101, 2103 (wegen beider Ellenbogen) vor. Laut Bescheinigung der Firma RO vom 08. August 1996 habe der Kläger seit 02. Januar 1979 als Einsteifer überwiegend mit dem Zehn-Kilogramm-Vorschlaghammer und dem Kompressorhammer für Aufbrucharbeiten sowie Hacke, Schaufel und Spaten gearbeitet.

Die Beklagte veranlasste eine Expositionsanalyse für die Tätigkeit des Klägers von 1979 bis 1997 durch den Technischen Aufsichtsdienst (TAD) vom 15. Oktober 1997, der zu dem Ergebnis gelangte, die manuellen Verbauarbeiten mittels Vorschlaghammer (8 bis 10 kg) stellten einen sich ständig wiederholenden, einseitigen Bewegungsablauf mit erhöhtem Kraftaufwand dar, der die oberen Extremitäten – insbesondere die Armbeuge – stark beanspruche.

Zur Klärung der medizinischen Voraussetzungen u.a. für die BK Nr. 2103 veranlasste die Beklagte ein chirurgisches Gutachten von Prof. Dr. L-H vom 27. Januar 1999 unter Mitberücksichtigung eines neurophysiologischen Zusatzgutachtens von Prof. Dr. S vom 27. Mai 1998 und eines neurologischen Zusatzgutachtens von Dr. med. E H vom 07. Juni 1998. Prof. Dr. L-H gelangte in seinem Gutachten bezüglich der BK Nr. 2103 zu dem Ergebnis, als haftungsausfüllende Voraussetzung finde sich bei dem Kläger eine nahezu seitengleiche Einschränkung der Beweglichkeit beider Ellenbogengelenke in der Streckung, Beugung und Unterarmauswärtsdrehung, während die Bewegungsausmaße in den übrigen großen und kleinen Gelenken der oberen Extremität durchaus der altersphysiologischen Norm entsprächen. Die aktuelle Röntgenuntersuchung beider Ellenbogengelenke zeige eine deutliche, fortgeschrittene Arthrose beiderseits mit zusätzlicher Weichteilbegleitkalzifikation rechts. Die degenerativen Veränderungen besonders des rechten Ellenbogengelenkes seien bereits auf externen Röntgenbildern aus dem Jahre 1991 - also ca. 2 Monate vor der Nervus-ulnaris-Ventralisationsoperation (Verlagerungsoperation) - erkennbar. Ein Zusammenhang der BK Nr. 2103 mit der Nervus-ulnaris-Operation wegen eines Schadens des Ellenbogennervens im Sulcus bestehe nicht. Zusammenfassend liege eine sogenannte "Abnutzungsform" im Sinne einer Arthrosis deformans beider Ellenbogengelenke - also eine BK nach Nr. 2103 - vor, deren MdE auf 10 v.H. eingeschätzt werde. Die MdE bestehe seit September 1991 (Nachweis: Röntgenaufnahmen vom 03. September 1991).

In der Stellungnahme des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin vom 02. März 1999 führte die Gewerbeärztin U unter anderem bezüglich der BK Nr. 2103 aus, dass dem Gutachten gefolgt und eine Anerkennung dieser BK mit einer MdE von 10 v.H. vorgeschlagen werden könne.

Mit Bescheid vom 07. Juli 1999 stellte die Beklagte das Vorliegen einer BK Nr. 2103 der Anlage zur BKV fest und erkannte die Arthrose beider Ellenbogengelenke mit Bewegungseinschränkung als Folge der BK an. Nicht als Folgen der BK wurden die Erkrankung der Sehnenscheiden und des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen oder Muskelansätze und Drucklähmung der Nerven anerkannt. Ein Anspruch auf Rente lehnte die Beklagte mangels rentenberechtigender MdE ab.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2000 als unbegründet zurück.

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Sachverständigengutachten von Dr. med. W-R vom 10. Dezember 2002 eingeholt. Dieser ist zu der abschließenden Beurteilung gelangt, die Beschwerden und Funktionseinschränkungen im Bereich beider Ellenbogengelenke seien genügend wahrscheinlich auf die jahrelange körperliche Belastung zurückzuführen. Die Anerkennung einer BK Nr. 2103 beinhalte auch das Wissen, dass durchaus erhebliche innere Dispositionen vorhanden sein müssten. Die wesentliche Krankheitsbeschleunigung sei jedoch ursächliche Folge der beruflichen Exposition, sodass die erkennbaren Schäden im Bereich der Ellenbogengelenke gesamtheitlich als berufsbedingt anerkannt werden müssten. Der Vorgutachter habe zu Recht darauf hingewiesen, dass erstmalig in den extern angefertigten Röntgenaufnahmen von 1991 die Degeneration objektivierbar gewesen sei. Seit diesem Zeitpunkt sei eine konstante berufsbedingte MdE von 10 v.H. bezüglich der Ellenbogengelenksdegeneration anzusetzen. Im zeitlichen Verlauf (vergleichende Untersuchungen 1999 und 2002) ließen sich keine weiteren Verschlechterungen erkennen. Die funktionellen Auswirkungen im Bereich beider Ellenbogengelenke seien als geringgradig einzustufen.

Der Kläger hat geltend gemacht, mit Bescheid vom 10. Juni 1998 sei das Vorliegen einer BK Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) mit einer MdE von 10 v.H. anerkannt worden. Insoweit sei eine Stützrentensituation gegeben. Dies ergebe sich aus der beizuziehenden Akte des LSG Berlin (L 2 U 61/00).

Mit Schriftsatz vom 18. Juni 2003 hat die Beklagte hat darauf verwiesen, dass in den Entscheidungsgründen des Urteils des LSG Berlin vom 11. März 2003 in dem Verfahren über die Lärmschwerhörigkeit offen gelassen worden sei, ob und in welchem Ausmaß eine MdE bestehe. Aus dem maßgeblichen Tonaudiogramm vom 02. Juli 1990, das zeitnah nach dem Ausscheiden aus der lärmgefährdenden Tätigkeit gefertigt worden sei, ergebe sich nach dem Königsteiner Merkblatt (Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit, S.24 ff) eine MdE von 0 v.H. Ein Stützrententatbestand sei deshalb nicht gegeben.

Durch Gerichtsbescheid vom 12. Februar 2000 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei an einer BK nach Nr. 2103 erkrankt. Entgegen seiner Auffassung seien die Arthrosen im Bereich der Hand- und Fingergelenke jedoch degenerativer und anlagebedingter Natur. Die von ihm beschriebenen Taubheitsgefühle, Einschlafen und Schmerzen im Bereich der Unterarm-, Handgelenks- und Ellenbogengelenksregion seien zum großen Teil Folge von Veränderungen an beiden Nervi mediani bzw. vor allem des rechten Nervus ulnaris. Der gerichtliche Sachverständige Dr. W-R habe sich unter Auswertung der neurologischen Vorbegutachtung der Auffassung angeschlossen, es liege eine hereditäre drucksensible Neuropathie peripherer Nerven vor. Ein Anspruch auf Verletztenteilrente bestehe nicht, da keine rentenberechtigende MdE wegen der Folgen der BK Nr. 2103 gegeben sei. Ob die MdE aufgrund der leichtgradigen Funktionseinschränkungen in den Ellenbogengelenken seit 1991 dauerhaft mit 10 v.H. einzuschätzen sei, wie der Sachverständige Dr. W-R ausführe, oder die berufskrankheitsbedingten geringen Funktionseinschränkungen im Bereich der Ellenbogen nur eine MdE von 10 v.H. für ein Jahr vom 15. Oktober 1990 bis 14. Oktober 1991 rechtfertigten – wie die Beklagte meine– wäre nur dann erheblich, wenn ein weiterer Stützrententatbestand vorliege. Weder die Folgen der BK Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) noch des Arbeitsunfalls vom 07. Mai 1990 bedingten jedoch eine MdE von mindestens 10 v.H. Der Kläger sei seit dem 09. Mai 1990 nicht mehr einer Lärmexposition ausgesetzt gewesen. Da eine Lärmschwerhörigkeit nach Beendigung entsprechender beruflicher Einwirkung nicht fortschreiten könne, sei zur Einschätzung der MdE auf den Befund abzustellen, der dem Ende der Lärmarbeit zeitlich am nächsten liege. Unter Auswertung des maßgeblichen Tonaudiogramms vom 02. Juli 1990 ergebe sich keine feststellbare MdE (Urteil des SG Berlin vom 25. Juli 2000). Ein Stützrententatbestand ergebe sich auch nicht aus der im Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1998 bezüglich der BK Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) getroffenen Feststellung einer MdE von 10 v.H., da diese Feststellung nicht Bestandteil des Verfügungssatzes des Bescheides, sondern nur ein Begründungselement sei und nicht an der Bindungswirkung teilnehme.

Gegen den am 04. März 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 30. März 2004 eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, dass ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. wegen der BK Nr. 2103 zustehe. Zwar habe der Sachverständige Dr. W-R ausgeführt, die Flexion und Extension sowie die Pro- und Supination im Ellenbogengelenk wiesen nur leichtgradige Veränderungen auf. Er sei jedoch der Auffassung, dass die von dem Sachverständigen bezeichneten anderen sekundären Phänomene wie Arthrosen im Bereich der Hand- und Fingergelenke ebenfalls auf berufsbedingte Einwirkungen zurückzuführen seien. Sämtliche von dem Sachverständigen auf Seite 14 seines Gutachtens unter Ziffer 2 zitierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien berufsbedingt entstanden. Ein Anspruch auf Verletztenrente sie zumindest im Wege der Stützrenten gegeben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ist ein Gutachten von Dr. med. V B. S vom 12. Juli 2005 eingeholt worden. Der Sachverständige ist zu dem abschließenden Ergebnis gelangt, die Ellenbogengelenksarthrose beidseits sei im Sinne der erstmaligen Entstehung auf die berufliche Tätigkeit des Klägers zurückzuführen und als BK Nr. 2103 anzuerkennen. Unter Berücksichtigung der bisher erfolgten Begutachtungen und der am 23. November 2004 durchgeführten klinischen Untersuchung sei nur eine geringe funktionelle Einschränkung in der Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit beider Ellenbogengelenke vorhanden, die dazu führe, die MdE mit unter 10 v.H. zu bewerten.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 12. Februar 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 07. Juli 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2000 wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 2103 der Anlage zur BKV eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H., hilfsweise als Stützrente nach einer MdE von mindestens 10 v.H. und unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2003 wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 2301 eine Verletztenrente als Stützrente nach einer MdE von mindestens 10 v.H., jeweils vom frühestmöglichen Zeitpunkt an, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verfahrensakten S 68 U 844/98 / L 2 U 61/00 und S 25 RJ 252/98, der Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Berlin und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 07. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2000, durch den es die Beklagte abgelehnt hat, dem Kläger wegen der Folgen der BK Nr. 2103 eine Verletztenrente zu gewähren, hält ebenso wie die in dem Schriftsatz vom 18. Juni 2003, der als Bescheid zu werten und nach § 96 SGG Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist, getroffenen Entscheidung, dass die MdE wegen der Folgen der als BK anerkannten Lärmschwerhörigkeit 0 v.H. beträgt, einer rechtlichen Überprüfung stand.

Der Kläger hat weder aufgrund der anerkannten BK Nr. 2103 Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. noch kann er wegen dieser BK und der ebenfalls als BK anerkannten Lärmschwerhörigkeit Stützrenten nach einer MdE von mindestens 10 v.H. beanspruchen.

Nach § 56 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebentes Buch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Nach § 56 Abs. 2 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Das die gesetzliche Unfallversicherung beherrschende Prinzip der abstrakten Schadensbemessung besagt, dass die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen ist (vgl. BSGE 31, 158; SozR 2200 § 581 Nr. 6). Es kommt hierbei nicht maßgeblich darauf an, in welchem Umfang der Verletzte in der Ausübung der bisherigen versicherten Tätigkeit beeinträchtigt ist. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Unfallfolgen eingeschränkt werden, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. Urteil des BSG vom 23. April 1987 – 2 RU 42/86 m. w. N. – ).

Bei der Bildung der MdE sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die mit Wahrscheinlichkeit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehen. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 45, 285, 286).

Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. wegen der mit Bescheid vom 7. Juli 1999 als Folge der BK Nr. 2103 anerkannten Arthrose der Ellenbogengelenke lässt sich weder aus dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Prof. Dr. L-H noch aus dem von Dr. W-R im Klageverfahren abgegebenen Sachverständigengutachten vom 10. Dezember 2002 oder aus dem im Berufungsverfahren nach § 109 SGG erstatteten chirurgischen Sachverständigengutachten von Dr. S vom 12. Juli 2005 herleiten.

Nach den Erfahrungswerten in der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Schönberger/Mehrtens,Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, S. 610) ist bei einer Bewegungseinschränkung des Ellenbogens von 0/30/120, gemessen nach der Neutral-Null-Methode, für Streckung und Beugung eine MdE von 20 v.H. anzunehmen. Das Normalmaß beträgt 10/0/150 (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO. Seite 140).

Keiner der den Kläger begutachtenden Ärzte hat angesichts der erstmals durch Röntgenaufnahmen vom 03. September 1991 festgestellten Arthrosis deformans der Ellenbogengelenke wesentliche Bewegungseinschränkungen in Streckung, Beugung und Unterarmein- und auswärtsdrehung feststellen können. Die von Prof. Dr. L-H am 12. Februar 1998 festgestellten Bewegungsausmaße für Streckung / Beugung betrugen rechts 0/15/120 und links 0/10/120. Die Unterarmdrehung betrug rechts 60-0-90 und links 65-0-90. Laut Gutachten von Dr. W-R lagen die Werte bei der Untersuchung des Klägers am 09. Dezember 2002 für die Ellenbogengelenke in Flexion und Extension rechts bei 120/15/0 und links bei 120/10/0. Die Unterarmdrehung auswärts / einwärts zeigte keine Seitendifferenz und lag bei 60/0/90 beiderseits. Das Untersuchungsergebnis durch Dr. S zeigte am 23. November 2004 für die Ellenbogengelenke in Streckung und Beugung 0/20/140 rechts und 0/15/140 links. Die Unterarmdrehung betrug rechts 90/0/80 und links 90/0/80. Keiner dieser aufgezeigten Bewegungsausmaße rechtfertigt nach den Beurteilungskriterien und Erfahrungssätzen eine MdE von 20 v.H., sodass ein Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. nach keinem der genannten Gutachten gerechtfertigt ist.

Nach den vorgenannten Sachverständigengutachten kann auch nicht angenommen werden, dass aus den Folgen der anerkannten BK Nr. 2103 wenigstens eine MdE von 10 v.H. resultiert, die im Falle der Stützrentensituation zu einer Verletztenrente nach einer MdE von 10. v.H. führen könnte. Zwar hat der Sachverständige Dr. W-R in seinem Gutachten vom 10. Dezember 2002 die Auffassung vertreten, dass für die Ellenbogengelenksdegeneration, die erstmalig auf den 1991 gefertigten Röntgenaufnahmen objektivierbar gewesen sei, konstant eine berufsbedingte MdE von 10 v.H. anzusetzen sei, die in ihrem zeitlichen Verlauf keine weiteren Verschlechterungen erfahren habe. Diese Einschätzung erscheint angesichts der von ihm mitgeteilten klinischen Befunde jedoch nicht überzeugend. Er selbst bezeichnet die Funktionseinschränkung im Bereich der Ellenbogengelenke als geringgradig. Nach seiner Darstellung sind die vom Kläger beschriebenen Taubheitsgefühle, das Einschlafen und die Schmerzen im Bereich der Unterarm- Handgelenks- und Ellenbogengelenksregionen zum großen Teil den Veränderungen der beiden Nervi mediani und des rechten Nervus ulnaris geschuldet und nicht auf die beruflich verursachte Arthrose in beiden Ellenbogengelenken zurückzuführen. Auch die Arthrosen im Bereich der Hand- und Fingergelenke seien nicht der beruflichen Einwirkung zuzuordnen, da sie eindeutig degenerativ und anlagebedingter Natur (Heberden-Arthrosen) seien. Die gerade bei Vibrationsarbeiten einer besonderen Exposition unterliegenden Gelenke der Handwurzel seien altersentsprechend unauffällig. Wie bereits durch das neurologische Vorgutachten von Dr. med. H vom 7. Juni 1998 und das neurophysiologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. S vom 27. Mai 1998 klargestellt worden ist, besteht auch nach Auffassung durch Dr. W-R eine eindeutig heriditäre drucksensible Neuropathie als Grundleiden, die deshalb bei der Bewertung der durch die BK Nr. 2103 verursachten Funktionseinschränkungen nicht einbezogen werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Feststellung erscheint die von Dr. W-R vorgenommene Einschätzung der MdE nicht schlüssig. Die von Dr. S in seinem Gutachten vorgenommene Bewertung, nach der nur eine geringe funktionelle Einschränkung in der Beweglichkeit und Gebrauchsfähigkeit beider Ellenbogengelenke vorliege, die eine MdE in wirtschaftlich messbarem Ausmaß nicht rechtfertige und mit unter 10 v.H. anzugeben sei, steht in Übereinstimmung mit der unfallmedizinischen Literatur und ist deshalb nachvollziehbar und folgerichtig.

Selbst wenn dem Gutachtenergebnis von Dr. W-R hinsichtlich der Einschätzung der durch die anerkannte BK Nr. 2103 verursachten MdE zu folgen wäre, bestünde kein Rentenansprüche gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII auslösender Stützrententatbestand.

Der am 07. Mai 1990 erlittene Arbeitsunfall selbst hat keine Folgen hinterlassen, die eine MdE von 10 v.H. rechtfertigen könnten. Laut rechtskräftigem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 1993 lagen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 07. Mai 1990 bei Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Klägers am 15. Oktober 1990 nur noch eine reizlose Narbenbildung an der rechten Hand und am rechten Oberarm vor, die keine messbare MdE bedingten. Das während der Heilbehandlung festgestellte Carpaltunnelsyndrom beidseits sowie die Irritation der Ellennerven beiderseits sind laut Zusammenhangsgutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. H vom 05. Oktober 1990 als unfallunabhängig zu werten, sodass diese Gesundheitsstörungen nicht in die unfallbedingte MdE einzubeziehen sind.

Der Auffassung des Klägers, ihm sei durch den Bescheid vom 10. Juni 1998 eine Lärmschwerhörigkeit als BK Nr. 2301 mit einer MdE von 10 v.H. zuerkannt worden, ist nicht zu folgen. Die Beklagte hat vielmehr als Folge der BK eine geringgradige Schallempfindungsstörung beiderseits anerkannt und es abgelehnt, die in der Zeit von 1992 bis 1996 eingetretene Hörverschlechterung in den tiefen und mittleren Frequenzen als Krankheitsfolge anzuerkennen. Dieser Bescheid ist aufgrund des erfolglosen Widerspruchs-, Klage- (S 68 U 844/98) und Berufungsverfahrens (L 2 U 61/00) bestandskräftig geworden. Die Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes (materielle Bestandskraft) beschränkt sich auf den Entscheidungsausspruch, den so genannten Verfügungssatz (vgl. BSG Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 36/03 R). Zur Klärung des Umfanges der Bindungswirkung kann zwar auch die Begründung des Verwaltungsaktes berücksichtigt werden, jedoch nur innerhalb des Verfügungssatzes und nur, wenn dieser unklar ist und Raum für eine Auslegung lässt. Im vorliegenden Fall war die Gewährung einer Verletztenrente wegen der anerkannten BK Nr. 2301 mangels rentenberechtigender MdE abgelehnt worden. Nur dann, wenn eine Verletztenrente zuerkannt wird, muss der zuständige Träger der gesetzlichen Unfallversicherung über die MdE verbindlich entscheiden, weil die Höhe der MdE gemäß § 56 SGB VII – neben dem Jahresarbeitsverdienst – für die Höhe des Rentenanspruchs maßgeblich ist. Wird dagegen die Gewährung einer Rente abgelehnt, besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, rechtsverbindliche Feststellungen zu den verbliebenen Unfallfolgen oder zur Höhe der unfallbedingten MdE zu treffen. Dementsprechend nehmen die in die Begründung des Ablehnungsbescheides aufgenommenen Ausführungen zu der nicht rentenberechtigenden Höhe der MdE an der Bindungswirkung dieses Bescheides regelmäßig nicht teil.

Die Frage der Stützrentensituation aus der mit Bescheid vom 10. Juni 1998 zuerkannten Lärmschwerhörigkeit hat die Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens ausweislich des als Bescheid zu wertenden Schreibens vom 18. Juni 2003 erneut geprüft und unter Auswertung des maßgeblichen Tonaudiogrammes vom 02. Juli 1990 entschieden, dass die MdE 0 v.H. betrage.

Diese Entscheidung ist nicht zu beanstanden. Zutreffenderweise hat die Beklagte das Audiogramm zur Bemessung der berufskrankheitbedingten MdE herangezogen, das zeitnah nach dem Ausscheiden aus der lärmgefährdenden Tätigkeit - nämlich am 02. Juli 1990 - gefertigt worden ist. Wie sich aus der Auswertung des Tonaudiogrammes ergibt, ist die hieraus resultierende MdE mit 0 v.H. einzuschätzen. Ein Stützrententatbestand lässt sich daher aus der als BK anerkannten Lärmschwerhörigkeit ebenfalls nicht herleiten.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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