L 8 AL 1016/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AL 436/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 1016/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 03. Juni 2005 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe. Der Kläger ist 1957 geboren worden, besitzt die polnische Staatsangehörigkeit und ist in Polen wohnhaft. Von 1993 bis 2001 übte er als Grenzgänger versicherungspflichtige Beschäftigungen in der Bundesrepublik Deutschland aus. Am 7. August 2002 meldete er sich beim Arbeitsamt Frankfurt/Oder arbeitslos und erhielt von der Beklagten auf seinen Antrag hin Arbeitslosengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 16. März 2004. Den Antrag des Klägers, ihm ab 17. März 2004 Arbeitslosenhilfe zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 4. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2004 ab. Der Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland, so dass kein Anspruch bestehe. Die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld sei ihm als Grenzgänger aus einem Nicht-EU-Land auf Grund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 30. Dezember 1999 - 1 BvR 809/95 - gezahlt worden. Für die Arbeitslosenhilfe habe diese Entscheidung jedoch keine Auswirkungen. Mit seiner Klage hat der Kläger, wie bereits im Widerspruchsverfahren, geltend gemacht, dass ihm als Grenzgänger im Wege der verfassungskonformen Auslegung auch bei einem Wohnsitz in Polen ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zustehen müsse. Er stehe dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung und habe aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit in Deutschland keinerlei Ansprüche auf soziale Leistungen in Polen. Das BVerfG habe eine verfassungskonforme Auslegung im Übrigen nicht nur für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, sondern auch für den auf Arbeitslosenhilfe als geboten angesehen. Durch Gerichtsbescheid vom 3. Juni 2005 hat das Sozialgericht Frankfurt/Oder die Beklagte unter Aufhebung der ergangenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab 17. März 2004 Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Arbeitslosenhilfe seien erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe das Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs der Leistungsgewährung nicht entgegen. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) sei verfassungskonform so auszulegen, dass der aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz abgeleitete Anspruch des Grenzgängers auf eine seiner Beitragszahlung entsprechende Sozialleistung zur Geltung gebracht werde. Das gelte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowohl für den Anspruch auf Arbeitslosengeld wie für den auf Arbeitslosenhilfe. Mit ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, dass die vom Sozialgericht herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht für die (Anschluss-) Arbeitslosenhilfe gelten könne, da es sich hierbei um eine steuerfinanzierte Leistung handle.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 3. Juni 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung über die Berufung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist unbegründet. Wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat, ist das Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und sind damit auch die bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe anwendbar. Zwar hatte der Kläger im streitigen Zeitraum weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, so dass die Vorschriften des SGB III nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch nicht für ihn galten. Jedoch sind die Aufenthaltserfordernisse des § 30 Abs. 1 SGB III dann nicht anspruchshindernd, wenn der zuvor in Deutschland beitragspflichtig beschäftigt gewesene Grenzgänger nach den allgemeinen leistungsrechtlichen Vorschriften die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe erfüllt (BVerfG, Beschluss vom 30. Dezember 1999 – 1 BvR 809/95). Um Wiederholungen zu vermeiden, wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug genommen. Dass der Kläger im Zeitraum bis 31. Dezember 2004 (darüber hinaus kommt die Gewährung der Leistung wegen ihrer Abschaffung ohnehin nicht in Betracht; s. auch § 190 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosenhilfe erfüllt hat, im besonderen arbeitslos war (§ 190 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), wird von den Beteiligten nicht in Frage gestellt; ebenso wenig sind für den Senat Anhaltspunkte ersichtlich, welche einer der Anspruchsvoraussetzungen entgegen stehen könnten. Mit der Berufung hat die Beklagte nichts vorgetragen, was zu einer abweichenden Würdigung des Sachverhaltes führen könnte. Ihre Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 30. Dezember 1999 eine verfassungskonforme Auslegung lediglich für die so genannte originäre Arbeitslosenhilfe gefordert habe, findet in der Entscheidung keine Stütze. In dem Beschluss wird ohne Unterscheidung von der "Arbeitslosenhilfe" bzw. den "§§ 117 f und 190 f SGB III" gesprochen. Sofern das BVerfG eine Differenzierung beabsichtigt hätte, hätte sich diese gerade deshalb angeboten, weil im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Abschaffung der originären Arbeitslosenhilfe bereits absehbar war. Ungeachtet dessen kann eine Unterscheidung auch nicht aus der Finanzierung der "originären" Arbeitslosenhilfe einerseits und der "Anschluss"-Arbeitslosenhilfe andererseits abgeleitet werden, denn für beide Leistungen trug sowohl unter der Geltung des Arbeitsförderungsgesetzes (dort § 188 Satz 1) wie unter der Geltung des Sozialgesetzbuches Drittes Buch (dort § 363 Abs. 1 Satz 1) der Bund die Aufwendungen. Die Anschluss-Arbeitslosenhilfe ist auch nicht rechtlich wesentlich in geringerem Umfang an eine vorherige Beitragsleistung zur Arbeitslosenversicherung gebunden als die originäre. Vielmehr belegt das Erfordernis des Bezugs von Arbeitslosengeld innerhalb der Vorfrist (§ 190 Abs. 1 Nr. 4 i. V. mit § 192 SGB III), dass die Anschluss-Arbeitslosenhilfe im unmittelbaren Zusammenhang mit einer beitragspflichtigen Beschäftigung steht. Da der Anspruch bereits nach dem deutschen inländischen Recht begründet ist, muss nicht darauf eingegangen werden, welche rechtlichen Auswirkungen der Beitritt Polens zur Europäischen Union zum 01. Mai 2004 mit sich gebracht hat. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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