L 4 RA 22/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RA 5006/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 RA 22/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der am 1942 geborene Kläger absolvierte ein Studium als Vermessungsingenieur, das er im Jahre 1968 abschloss. Bis zum Jahr 1982 war er als Vermessungsingenieur tätig, vorwiegend im Ausland. Seither war er arbeitslos. Mit Bescheid vom 24. Oktober 1984 ließ die Beklagte ihn zur freiwilligen Entrichtung von Rentenbeiträgen zu. In den Folgejahren entrichtete der Kläger diese Beiträge regelmäßig bis einschließlich Januar 1998.

Aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 5. Oktober 1971 bezog der Kläger eine Verletztenrente (MdE: 20), welche er sich später als Abfindung auszahlen ließ.

Unter Hinweis auf orthopädische Beschwerden beantragte der Kläger bei der Beklagten am 29. Januar 1998 die Bewilligung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Erfüllung der Wartezeit und das Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wurden von der Beklagten geprüft und bejaht. Zur Begründung seines Rentenantrages reichte der Kläger ein Attest des ihn behandelnden Orthopäden Dr. A vom 29. Januar 1998 bei der Beklagten ein, wonach er aufgrund verschiedener orthopädischer Beschwerden nicht in der Lage sei, seine berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte die Gemeinschaftspraxis Dres. H/M/K am 9. März 1998 ein orthopädisches Sachverständigengutachten über den Kläger. Die Gutachter stellten folgende Diagnosen:

1. Cervikale Spondylose 2. Lumbosakrale Spondylose 3. Mäßige Coxarthrose beidseits 4. Initiale Rhizarthrose links 5. Initiale retropatellare Arthrose rechts.

Trotz der damit im Bereich der HWS und der LWS sowie insbesondere auch im Bereich beider Hüften vorliegenden degenerativen Veränderungen sei der Kläger durchaus in der Lage, die vom ihm zuletzt vor 16 Jahren ausgeübte Tätigkeit als Vermessungstechniker vollschichtig zu verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erscheine er in der Lage, leichte, selten auch mittelschwere Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, ohne Arbeiten in Zwangshaltungen sowie ohne die Notwendigkeit häufigen abrupten Drehens und Neigens des Kopfes vollschichtig zu verrichten.

Mit Bescheid vom 30. März 1998 lehnte die Beklagte daraufhin den Rentenantrag des Klägers ab, weil weder Berufs- noch Erwerbsunfähigkeit vorlägen und der Kläger in der Lage sei, in seinem bisherigen Berufsbereich vollschichtig tätig zu sein.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, weder im Gelände noch am Computer tätig sein zu können, weil seine Leiden dies verhinderten. Nachdem sie einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Orthopäden Dr. A eingeholt hatte, gab die Beklagte die Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens über den Kläger in Auftrag, welches der Arzt Dr. F am 22. Juli 1998 erstellte. Als Diagnosen formulierte dieser Gutachter:

1. Spinale Stenose in Höhe HWK 5/6 bei degenerativen HWS-Veränderungen 2. Carpaltunnelsyndrom rechts 3. Lumbago 4. Gefühlsstörung im 1. Trigeminusast rechts nach Unfall 1971.

Das Leistungsvermögen sei auf nervenärztlichem Gebiet damit bedroht, aber nicht aufgehoben. Der Kläger sei noch in der Lage, in seinem bisherigen Beruf als Vermessungsingenieur vollschichtig tätig zu sein. Belastende Tätigkeiten bezüglich der Halswirbelsäule mit Überkopfarbeiten und längeren Zwangshaltungen seien nicht zumutbar, ansonsten bestehe nervenärztlicherseits keine Einschränkung des Leistungsvermögens.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 1998, abgesandt am 8. Oktober 1998, wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch des Klägers zurück. Sowohl aus dem eingeholten Befundbericht als auch aus dem nun angeforderten neurologischen Gutachten ergäben sich keine Befunde, die nicht bereits bei den bisherigen medizinischen Feststellungen berücksichtigt worden seien. Mit seinem festgestellten Leistungsvermögen könne der Kläger seinen Hauptberuf als Vermessungsingenieur noch vollschichtig ausüben.

Hiergegen hat der Kläger am 6. November 1998 Klage erhoben. Die Beklagte habe die sozialen und arbeitsmarktbedingten Aspekte nicht berücksichtigt. Außerdem bedingten allein seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine totale Berufsunfähigkeit. Die Sicht der Beklagten auf den Beruf des Vermessungsingenieurs sei realitätsfremd. Es handele sich keinesfalls um körperlich leichte Arbeiten. Er sei nicht in der Lage, diesen Beruf mit seinen körperlichen Leiden noch auszuüben.

Die Beklagte dagegen hat erklärt, der Kläger genieße als Vermessungsingenieur qualifizierten Berufsschutz, der eine Verweisung auf eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließe. Weil der Kläger aber noch in seinem bisherigen Beruf tätig sein könne, bedürfe es nicht der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden Orthopäden Dr. A eingeholt und die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Orthopädie Dr. ML angeordnet. In seinem am 6. Juli 1999 vorgelegten Gutachten mit ergänzender Stellungnahme vom 18. September 2001 stellt der Sachverständige für den Kläger folgende Diagnosen:

1. Endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule bei radiologischen degenerativen Veränderungen im Bereich der unteren Halswirbelsäule ohne klinische Symptomatik 2. Endgradige Bewegungseinschränkung der Innendrehung beider Hüftgelenke bei mäßiger Coxarthrose beidseits 3. Initiale Rhizarthrose links.

Die vom Kläger geschilderten Beschwerden hätten vom Untersucher nicht im geschilderten Maße nachempfunden werden können. Mit seinen Leiden könne der Kläger noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Die Arbeiten sollten in wechselnden Körperhaltungen verrichtet werden, Zwangshaltungen seien zu vermeiden. Eine einseitige körperliche Belastung sei nicht anzuraten.

Mit Urteil vom 15. Februar 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung, wegen deren Einzelheiten auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt: Aus dem medizinisch ermittelten Leistungsvermögen ergebe sich, dass der Kläger in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Vermessungsingenieur noch vollschichtig einsatzfähig sei. Wie die Beklagte ausgeführt habe, handele es sich nicht durchweg um eine schwere Tätigkeit, vielmehr könnten auch Arbeiten etwa im Kataster- und Planungswesen und in der Kartographie ausgeführt werden. Damit eröffneten sich durchaus auch Bürotätigkeiten, die dem Einsatzvermögen des Klägers für lediglich leichte Männerarbeiten angepasst seien. Dass der Kläger aufgrund seines Alters, seiner körperlichen Beeinträchtigungen und seiner gegebenenfalls einseitigen beruflichen Erfahrungen als Vermessungsingenieur auf dem Arbeitsmarkt erheblichen Schwierigkeiten begegne, sei als Risiko nicht der Renten-, sondern der Arbeitslosenversicherung zuzuordnen.

Gegen das ihm am 21. März 2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 10. April 2003 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er ist der Auffassung, in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Vermessungsingenieur aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tätig sein zu können. Eine Arbeit im Freien scheide aus, weil auch nach dem Gutachten des Dr. L Arbeiten im Freien nur noch ohne Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft zumutbar seien. Eine Tätigkeit als Vermessungsingenieur im Außendienst beinhalte aber Arbeitsbedingungen, bei denen der Versicherte solchen Witterungseinflüssen ausgesetzt sei. Auf eine Bürotätigkeit als Vermessungsingenieur könne er ebenso wenig verwiesen werden, weil er mit den heute ausschließlich verwendeten Hilfsmitteln der computergestützten Datenverarbeitung in keiner Weise vertraut sei und niemals eine Bürotätigkeit ausgeübt habe. Seine Einarbeitung erfordere weit mehr als 3 Monate. Er verfüge mit seinem im Jahre 1968 abgeschlossenen Studium über keine computerbezogenen Fähigkeiten. Auch aus gesundheitlichen Gründen könne er aber eine Tätigkeit im Büro nicht ausüben, weil er wegen seiner orthopädischen Erkrankung keine Arbeiten in gleichförmiger Körperhaltung mit einseitiger Belastung der Wirbelsäule verrichten könne. Seine Schmerzbeeinträchtigung sei mit den vorliegenden Gutachten nicht hinreichend gewürdigt worden. Er leide insbesondere an nächtlichen Schmerzen, aufgrund derer er kaum schlafen könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. März 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Oktober 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Januar 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, hilfsweise Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das mit der Berufung angegriffene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Der Senat hat zunächst Befundberichte des Orthopäden Dr. F und der Internistin Dr. L eingeholt. Der Orthopäde Dr. A hat angegebenen, den Kläger zuletzt am 13. April 1999 behandelt zu haben. Außerdem ist ein Befundbericht der Orthopäden Dr. L und Dr. G vom 11. Februar 2004 zu den Akten gelangt, bei denen der Kläger nur einmal am 19. August 2002 vorstellig geworden ist.

Der Senat hat sodann den Orthopäden Dr. J R mit der Erstellung eines orthopädischen Fachgutachtens über den Kläger beauftragt, welches dieser am 9. Juli 2004 mit ergänzender Stellungnahme vom 23. September 2004 vorgelegt hat. Als Diagnosen werden formuliert:

1. Ausgeprägte Segmentabnutzung mit Wirbelgleiten C5/6 und fortgeschrittenen sekundären knöchernen Veränderungen mit wiederkehrender haltungs- und belastungsabhängiger Wurzelreizung C6 re. und relativer Spinalkanalstenose. 2. Statisch muskuläre Wirbelsäulenfehlhaltung bei muskulärer Dysbalance sowie wiederkehrender pseudoradikulärer BWS-/LWS-Symptomatik. 3. Anlagebedingte Trichterbrust. 4. Mittelgradige Hüftgelenksabnutzung bds. mit haltungs- und belastungsabhängigen Schmerzsyndrom und Einschränkung der Bewegungsfunktion. 5. Beginnende Kniegelenksabnutzung re. ) li. betont im Kniescheibengleitlager/Kniescheibengleitrinne. 6. Beginnende Daumensattelgelenksarthrose li.

Mit diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne der Kläger noch leichte Tätigkeiten vollschichtig verrichten. In Betracht kämen Arbeiten in geschlossenen Räumen wie auch im Freien mit Witterungsschutz. Staub, Feuchtigkeit und Zugluft seien zumutbar. Es seien Tätigkeiten im Haltungswechsel mit überwiegendem Sitzen möglich. Der Anteil des Gehens und Stehens sollte nicht mehr als 30 - 60 Minuten ununterbrochen bzw. mehr als 4 Stunden bei einem 8-stündigen Arbeitstag betragen. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden und insbesondere der Halswirbelsäulenerkrankung sei es erforderlich, dass der Kläger jederzeit nach freiem Entschluss einen Haltungswechsel durchführen könne. Ein Haltungswechsel sei mehrmals stündlich erforderlich. Dabei könne es sich um einen Haltungswechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen handeln sowie auch um einen Wechsel der Sitzhaltung oder einen Wechsel der Halswirbelsäulenposition. Ein kurzzeitiger Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen wäre ideal. Aus alledem folge, dass der Kläger in der Lage sei, eine Tätigkeit im Innendienst mit Verwaltungs- und Bürotätigkeiten auszuführen. Dies beinhalte auch Arbeiten am Computer. Von Seiten der Fingergeschicklichkeit und Beweglichkeit im Handbereich sowie auch der Kraft und Sensibilität zum Schreiben an einer Tastatur seien die Voraussetzungen dabei im vollen Umfang gegeben. Auch das Bedienen einer Maus sei uneingeschränkt möglich. Eine Zwangshaltung oder eine einseitig körperlich belastende Haltung sei bei einem PC-Arbeitsplatz nicht gegeben. Auch sei es möglich, einen solchen individuell zu gestalten. So könne etwa der Monitor leicht nach links versetzt werden, so dass die vom Kläger angegebene angenehmste Kopfhaltung mit leichter Linksdrehung ohne weiteres möglich sei.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Gericht den Orthopäden Dr. A P mit der Erstellung eines orthopädischen Gutachtens beauftragt, welches dieser am 25. Mai 2005 vorgelegt hat. Als Diagnosen werden darin formuliert:

- schmerzhaftes Schulterarmsyndrom bei deutlichen degenerativen Veränderungen und Wirbelgleiten im Halswirbelsäulensegment C5/6, - wiederkehrendes LWS-Syndrom bei Muskeldysbalance und mäßigen degenerativen Veränderungen im unteren LWS-Bereich, - eingeschränkte Belastbarkeit der unteren Extremität durch mäßige Hüftgelenksabnutzung bds. und schmerzhafte endgradige Bewegungseinschränkung mit deutlicher vorderer Instabilität und Schwellneigung am rechten Kniegelenk, - beginnende Daumensattelgelenksarthrose links.

Der Kläger sei aufgrund der ausgeprägten Veränderungen im gesamten Stütz- und Bewegungsapparat damit in seiner Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Leichte Tätigkeiten seien jedoch noch vollschichtig zumutbar. Solchen Tätigkeiten seien im Wechsel zwischen kurzzeitigem Gehen, Stehen und Sitzen durchaus möglich. Der Kläger müsse die Möglichkeit zur selbstbestimmten Arbeitszeiteinteilung haben. Die Belastbarkeit für einen Bildschirmarbeitsplatz sei gegeben, wenn der Arbeitsplatz unter ergonomischen Bedingungen eingerichtet werde und keine starre Haltung der Halswirbelsäule erforderlich sei, sondern ein ständiger Wechsel zwischen Blick zum Bildschirm und auf andere Unterlagen und schreibender Tätigkeit eingerichtet werden könne. Hierbei könne auch zum Wechsel der Arbeitshaltung ein Stehschreibpult zum Einsatz kommen, gegebenenfalls mit erhöhtem Hocker zum Anlehnen. Eine reine Bildschirmtätigkeit solle die Dauer von 60 Minuten ohne kurze Pause nicht überschreiten und sei bei dieser lockeren Folge 8 Stunden täglich möglich.

Der Kläger hat hierzu erklärt, aufgrund seiner Schmerzen nicht in der Lage zu sein, eine Bürotätigkeit zu verrichten. Auch durch Schmerzmedikation lasse sich die Arbeitsfähigkeit nicht wieder ausreichend herstellen. In der Bewertung der Bildschirmtauglichkeit sei das Gutachten widersprüchlich. Den vom Gutachter genannten ergonomischen Arbeitsplatz gebe es unter betriebsüblichen Arbeitsbedingungen nicht. Der betriebsübliche Bildschirmarbeitsplatz erzwinge die starre Haltung der Wirbelsäule und lasse keinen ständigen Haltungswechsel zu. Angesichts der fehlenden Belastbarkeit von Beinen und Füßen komme es auch nicht in Betracht, ein Stehschreibpult einzurichten.

Die Beklagte sieht sich durch die vom Senat eingeholten medizinischen Gutachten in ihrer Haltung bestätigt. Mit dem von den Sachverständigen beschriebenen Leistungsvermögen sei der Kläger in der Lage, in seiner beruflichen Tätigkeit als Vermessungsingenieur noch vollschichtig bzw. mehr als 6 Stunden erwerbstätig zu sein. Vor allen Dingen müsse an einem Bildschirmarbeitsplatz keine starre Haltung eingenommen werden. Die Bereitstellung eines ergonomischen Arbeitsplatzes mit individuellem Haltungswechsel sei vorstellbar. Der Kläger könne durch wechselnde Kopfhaltung und auch Rumpfbeugungen seine Position im Sitzen wechseln. Auch handele es sich bei den Arbeiten im Innendienst nicht ausschließlich um Bildschirmtätigkeiten, sondern um sachbearbeitende Tätigkeiten, die den für den Kläger erforderlichen Haltungswechsel ermöglichten. Sofern der Kläger allerdings nicht mehr als Vermessungsingenieur einsatzfähig sei, ließen sich Verweisungstätigkeiten nicht benennen.

Der Senat hat schließlich den Diplomingenieur für Vermessungswesen D B, Vorsitzender des L B-B des V D V, schriftlich dazu befragt, ob der Kläger mit seinem Leistungsvermögen noch als Vermessungsingenieur einsetzbar sei. Wegen der Stellungnahme vom 3. Februar 2006 wird auf Bl. 233 bis 236 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Rentenakte der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Februar 2003 ist zutreffend. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit (nach altem Recht), ebenso wenig auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (nach der ab 1. Januar 2001 geltenden Rechtslage).

1. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der hier wegen des Datums der Rentenbeantragung (29. Januar 1998) gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI noch anzuwendenden bis 31. Dezember 2000 geltenden alten Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie berufsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 38 Satz 2 SGB VI a.F. liegen Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit auch vor, wenn freiwillige Beiträge gezahlt worden sind, die als Pflichtbeiträge gelten.

Die letztgenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt der Kläger, denn er hat bis einschließlich Januar 1998 (freiwillige) Rentenbeiträge entrichtet. Wegen des seitdem offenen Verfahrens über den Rentenanspruch ist eine Beitragszahlung für die Zeit ab Februar 1998 noch zulässig (§§ 197 Abs. 2, 198 Satz 1 SGB VI).

Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, weil er die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt. Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Ausgangspunkt für die Beurteilung von Berufsunfähigkeit ist danach der "bisherige Beruf", den der Versicherte ausgeübt hat (ständ. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 24. März 1983, 1 RA 15/82, SozR 2200 § 1246 Nr. 107). In der Regel ist dies die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Der bisherige Beruf des Klägers ist derjenige des Vermessungsingenieurs, in welchem er von 1968 bis 1982 versicherungspflichtig beschäftigt war. Selbst wenn er danach bis heute nicht mehr berufstätig war, hat er sich dadurch doch nicht in rentenrechtlich relevanter Weise vom Beruf des Vermessungsingenieurs gelöst, denn der bloße Zeitablauf führt zu keiner Lösung vom Beruf, ebenso wenig wie der Verlust der fachlichen Qualifikation durch jahrelange Nichtausübung des Berufs (vgl. BSG, Urteil vom 11. September 1980, 1 RJ 94/79, SozR 2200 § 1246 Nr. 66; Niesel in Kasseler Kommentar, Stand September 2005, Rdnr. 21 zu § 240 SGB VI).

Den Beruf des Vermessungsingenieurs kann der Kläger zur Überzeugung des Senats aber noch vollschichtig ausüben, so dass von vornherein keine Berufsunfähigkeit vorliegt und es auf das Vorliegen von Verweisungstätigkeiten nicht ankommt. Unbeachtlich ist dabei der unzweifelhaft beim Kläger eingetretene Qualifikationsverlust, weil sich das versicherte Risiko der Berufsunfähigkeit nicht auf den Verlust der Fähigkeit zur Ausübung des Berufs aus anderen als gesundheitlichen Gründen erstreckt (vgl. Niesel a. a. O.).

Der Kläger ist nach dem Votum aller mit ihm befassten ärztlichen Gutachter noch vollschichtig belastbar mit leichten Tätigkeiten bei nur qualitativen Leistungseinschränkungen. Mit seinem Leistungsvermögen ist der Kläger noch in der Lage, den Beruf des Vermessungsingenieurs auszuüben.

Der Senat stützt sich für die Bestimmung des Leistungsvermögens des Klägers in erster Linie auf das im Berufungsverfahren erstellte orthopädische Gutachten von Dr. R, dem der nach § 109 SGG beauftragte Gutachter Dr. P im Wesentlichen folgt. Vor dem Hintergrund der im Tatbestand wiedergegebenen Diagnosen hat der Gutachter Dr. R schlüssig und nachvollziehbar folgendes Belastbarkeitsprofil für den Kläger erstellt: Grundsätzlich besteht vollschichtige Belastbarkeit für körperlich leichte Tätigkeiten. Es bestehen jedoch Einschränkungen für Tätigkeiten, die hüft-, knie- und wirbelsäulenbelastend sind. Stauchungen, Vibrationen, Rüttelungen sowie von außen einsetzende Kräfte auf die Wirbelsäule sind nicht zumutbar, ebenso wenig Überkopfarbeiten und stark einseitig belastende Tätigkeiten, die in überwiegendem Gehen und Stehen verrichtet werden. Zumutbar sind Arbeiten in geschlossenen Räumen und im Freien mit Witterungsschutz. Feuchtigkeit und Zugluft sind zu vermeiden. Das Anheben von Lasten bis 5 kg ist möglich, ebenso wie Arbeiten in Früh-, Spät- oder Wechselschicht. Es können normale Anforderungen an die Fingergeschicklichkeit, die Feinmotorik und die grobe Kraft gestellt werden. Die zu verrichtenden Tätigkeiten sollten überwiegend in sitzender Körperhaltung ausgeführt werden, wobei ein kurzzeitiger Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen ideal wäre. Der Anteil des Gehens und Stehens sollte nicht mehr als 30 bis 60 Minuten ununterbrochen bzw. mehr als vier Stunden bei einem achtstündigen Arbeitstag betragen. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden und insbesondere der Halswirbelsäulenerkrankung ist es erforderlich, dass der Kläger jederzeit nach freiem Entschluss einen Haltungswechsel durchführen kann. Dabei kann es sich um einen Haltungswechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen handeln sowie auch um einen Wechsel der Sitzhaltung oder einen Wechsel der Halswirbelsäulenposition. In Betracht kommt vor allem eine Tätigkeit im Innendienst mit Verwaltungs- und Bürotätigkeiten mit Arbeiten am Computer. Die Belastbarkeit für einen Bildschirmarbeitsplatz ist nach ausdrücklicher Bekundung des Gutachters Dr. P gegeben, wenn der Arbeitsplatz ergonomisch eingerichtet und keine starre Haltung der Halswirbelsäule erforderlich ist; ein ständiger Wechsel zwischen Blick auf den Bildschirm und andere Unterlagen und schreibender Tätigkeit sollte gewährleistet sein. Reine Bildschirmtätigkeit sollte die Dauer von 60 Minuten ohne kurze Pause (andere Tätigkeiten wie Schreiben oder Akten ordnen) nicht überschreiten und ist bei dieser lockeren Folge acht Stunden täglich möglich. Der Kläger kann einfache und mittelschwierige, nach Einarbeitung auch schwierige geistige Arbeit verrichten.

Die gegen dieses Belastbarkeitsprofil vom Kläger erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Sie erschöpfen sich im Wesentlichen in der subjektiven Annahme, auch einer Bürotätigkeit gesundheitlich nicht gewachsen zu sein, was angesichts der ausführlichen, sorgfältigen und überzeugenden Darlegungen der Gutachter ohne Belang ist. Die gegebenenfalls notwendige Einnahme von Schmerzmitteln bei Bedarf schließt eine Berufstätigkeit des Klägers nicht von vornherein aus, zumal die Therapiemöglichkeiten nach den Darlegungen des Gutachters Dr. P nicht ausgeschöpft sind (z.B. Krankengymnastik, Injektionen). Ergonomische Bildschirmarbeitsplätze sind in der Berufswelt inzwischen die Regel und nicht die Ausnahme; der für notwendig gehaltene Haltungswechsel in Gestalt eines Wechsels der Blickrichtung und der Ausübung unterschiedlicher Bürotätigkeiten, etwa auch am Stehpult, ist ohne Weiteres vorstellbar. Die notwendige bequeme Kopfhaltung kann eingenommen werden, indem der Bildschirm entsprechend postiert wird. Weil der Kläger in bestimmtem Umfang durchaus Gehen und Stehen kann, ist gerade die Arbeit am Stehpult für ihn möglich. Dass die beim Kläger bestehende Hämorrhoidalerkrankung (Befundbericht Dr. vom 14. Januar 2004) etwa chronisch ist bzw. längeres Sitzen verhindert, ist nicht weiter belegt. Die beginnende Daumensattelgelenksarthrose links führt nach Angaben der Gutachter nicht zu einer spürbaren Einschränkung der Fingergeschicklichkeit, so dass Arbeiten an einer Tastatur nicht ausscheiden.

Die knappen Ausführungen des Orthopäden Dr. F (Attest vom 13. August 2003) zu angeblich fehlender Eignung für einen Bildschirmarbeitsplatz bleiben angesichts der ausführlichen und dezidierten Bekundungen der Gutachter Dr. R und Dr. P zu eben diesem Punkt unmaßgeblich. Im Übrigen ergeben sich aus den Bekundungen der den Kläger behandelnden Ärzte keine Anhaltspunkte dafür, dass das von den Gutachtern erarbeitete Belastbarkeitsprofil unzutreffend sein könnte.

Mit seiner konkreten, gutachterlich belegten Belastbarkeit ist der Kläger zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, den Beruf des Vermessungsingenieurs vollschichtig auszuüben. Schon aus der im erstinstanzlichen Verfahren von der Beklagten vorgelegten Berufsinformationskarte "Vermessungsingenieur" der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich, dass der Vermessungsingenieur Arbeiten im Freien wie auch in geschlossenen Räumen verrichtet. Der Kläger geht fehl, wenn er das Berufsbild des Vermessungsingenieurs ausschließlich an den Erfahrungen misst, die er während seiner langjährigen Auslandseinsätze gemacht hat und die mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden gewesen sein mögen. Der Beruf des Vermessungsingenieurs ist offensichtlich sehr vielfältig; jedenfalls gibt es in diesem Berufsfeld auch – bzw. überwiegend – Sparten, die mit körperlich leichter Arbeit einhergehen. Entscheidend ist daher, ob es im Berufsfeld des Vermessungsingenieurs irgendwelche Tätigkeitsbereiche gibt, die der Kläger mit seiner Belastbarkeit bekleiden kann. Nach den Ausführungen des sachverständigen Zeugen Dipl.-Ing. B ist dies zur Überzeugung des Senats zu bejahen.

Für eine Tätigkeit als Vermessungsingenieur im Außendienst kommt der Kläger danach nicht mehr in Betracht, weil die qualitativen Leistungseinschränkungen zu gravierend sind. Allerdings sind auch reine Innendiensttätigkeiten, die dem Kläger gesundheitlich zumutbar sind, typisch für das Berufsbild des Vermessungsingenieurs. So sind viele Tätigkeiten am PC, zum Beispiel bei der Lageplanerstellung oder bei der Erstellung von Gutachten, geprägt durch den ständigen Wechsel der Blickrichtung vom Bildschirm auf andere Unterlagen. Ergänzende Tätigkeiten wie die Teilnahme an Besprechungen, Akteneinsicht, Ortsbesichtigungen, Telefongespräche oder die Erstellung von Vervielfältigungen lassen einen kurzzeitigen Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen zu, ohne dass der Anteil des Gehens oder Stehens länger als 30 bis 60 Minuten sein muss. Individuelle Arbeitseinteilung und Arbeitsplatzgestaltung können gewährleisten, dass die reine Bildschirmtätigkeit 60 Minuten ohne Pause nicht überschreitet. Der Anteil des Sitzens im Innendienst ist mit mindestens 80 Prozent der Gesamtarbeitszeit anzusetzen.

Der Senat hat danach keinen Zweifel, dass der Kläger noch in seinem bisherigen Beruf als Vermessungsingenieur tätig sein kann. Der vom Kläger beantragten zusätzlichen Einholung des Gutachtens eines berufskundlichen Sachverständigen bedurfte es nicht, denn mit der Stellungnahme des Sachverständigen B war der Senat in der Lage, die Einsetzbarkeit des Klägers als Vermessungsingenieur abschließend zu würdigen.

Ob dem Kläger noch ein leidensgerechter Arbeitsplatz von der Arbeitsverwaltung vermittelt werden kann bzw. ob er sich den tatsächlichen fachlichen Anforderungen eines solchen Arbeitsplatzes gewachsen fühlt, ist für den Rentenrechtsstreit unerheblich. Dass der Kläger jahrelang ohne Beschäftigung war und es versäumt hat, sich in seinem Beruf fortzubilden, um wettbewerbsfähig zu bleiben, geht zu seinen Lasten. Der Berufsschutz gilt für den abstrakten Beruf, nicht aber für die tatsächlich zuletzt ausgeübte Tätigkeit in diesem Beruf. Im Übrigen ist das Risiko der Arbeitslosigkeit der Arbeitslosenversicherung zuzuordnen und nicht der Rentenversicherung (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4, 2. Halbs. SGB VI).

Liegt nach alledem Berufsunfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI a.FG. nicht vor, scheidet auch ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 SGB VI a.F. aus, weil hierfür noch eine erheblich weitergehende Einschränkung des Leistungsvermögens Voraussetzung ist.

2. Schließlich hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Denn Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung hat nach § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI derjenige, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit hat und teilweise bzw. voll erwerbsgemindert ist. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI diejenigen Versicherten, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein; voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI diejenigen, die nicht mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig sein können. Nicht erwerbsgemindert ist hingegen nach § 43 Abs. 3 SGB VI, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage insoweit nicht zu berücksichtigen ist. Gemessen daran ist der Kläger trotz der bei ihm vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht erwerbsgemindert. Er ist vielmehr – wie oben bereits dargelegt – in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen vollschichtig, mithin für mehr als sechs Stunden täglich zu verrichten.

Der Berufung war damit der Erfolg versagt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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