L 1 RA 94/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 19 RA 4219/95 W01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 94/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit eines Überführungsbescheides (Entgeltbescheides) der Beklagten und seiner Änderungen.

Der 1931 geborene Kläger gehörte in der Zeit vom November 1956 bis Juni 1967 und vom März 1971 bis Juni 1990 der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (nach Anlage 1 Nr. 19 zu § 1 Abs. 2 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) und vom 1. Juli 1967 bis 28. Februar 1971 der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zu § 1 Abs. 2 AAÜG) an.

Mit Überführungsbescheid vom 16. März 1995 stellte die Beklagte als Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme die Daten nach dem AAÜG fest. Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 28. März 1993 (richtig wohl: 1995) Widerspruch. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 1995 zurück. Wegen des genauen Inhalts der Bescheide wird auf diese verwiesen.

Am 28. Juni 1995 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Er hat die Entgeltbegrenzungen nach § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG damaliger Fassung für verfassungswidrig gehalten. Die von ihm erzielten tatsächlichen Entgelte seien in voller Höhe als berücksichti-gungsfähig festzustellen. Am 21. Januar 1997 hat die Beklagte einen neuen Überführungsbescheid aufgrund der Rechtslage ab 01.01.1997 gemäß dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des AAÜG (AAÜG–ÄndG) erlassen, ohne auf dessen Verhältnis zum vorangegangenen einzugehen. Am 13. November 2001 hat sie einen Ergänzungsbescheid zum Bescheid vom 21. Januar 1997 erlassen, wonach dessen Feststellungen für Leistungszeiträume ab 01.01.1997 erweitert würden auf Leistungszeiträume bereits ab 01.07.1993. Der Bescheid ergehe zur Umsetzung des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsänderungsgesetzes (2. AAÜG–ÄndG).

Mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Sie sei bereits mangels Klagebefugnis unzulässig. Die Bescheide vom 21. Januar 1997 und 13. November 2001, die nach § 96 Sozial-gerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen gerichtlichen Verfahrens geworden seien, beschwerten den Kläger nicht. Dieser begehre, die tatsächlich erzielten Entgelte als in voller Höhe berücksichtigungsfähig festzustellen. Darüber treffe jedoch der beklagte Zusatzversorgungsträger keine Entscheidung. Vielmehr stelle der Versorgungsträger nach § 8 Abs. 1 AAÜG (nur) die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht komme und in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG das Vorliegen von Arbeitsausfalltagen fest. Neben den hier unstreitigen Tatbeständen (Zeiten der Zugehörigkeit zu den Zusatzversorgungssystemen Nr. 1 und 19 der Anlage 1 zum AAÜG, tatsächlich gezahlte Entgelte und Arbeitsausfalltage) habe der Versorgungsträger die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze festzustellen. Soweit die Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung des § 6 Abs. 2 Satz 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 5 feststelle, sei dies zutreffend, da diese Vorschrift allein auf die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem und die Überschreitung des Betrages der Anlage 4 abstelle. Das AAÜG ermächtige den Versorgungsträger nicht dazu, dem Rentenversicherungsträger verbindlich vorzuschreiben, dieser müsse bei seiner Entscheidung über den Bestand und die Höhe eines Rechts auf Rente aus dem SGB VI die nach § 6 Abs. 2 bis 4 und § 7 AAÜG maßgeblichen besonderen Beitragsbemessungsgrenzen zugrunde legen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 20.10.2001, B 4 RA 61/01 R). Auch die Ausgestaltung des Bescheides der Beklagten erlaube es nicht, die Mitteilungen über begrenzte Jahreswerte in der dritten Spalte als Verwaltungsakte zu verstehen. Bescheide eines Verwaltungsträgers seien nämlich nach der zitierten Entscheidung des 4. Senats des BSG aus Sicht eines mit der Sach- und Rechtslage vertrauten Adressaten im Zweifel so auszulegen, dass durch sie rechtmäßige Maßnahmen verlautbar werden sollten. Dann aber seien diese Ausführungen als bloße Hinweise auf die später möglichen rentenrechtlichen Folgen der Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der besonderen Beitragsbemessungsgrenzen des § 6 Abs. 2 AAÜG zu verstehen. Die Beklagte habe damit nur die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen kalenderjährlichen Beitragsbemessungsgrenzen verbindlich festgestellt. Aus den gesetzlichen Formulierungen in § 8 Abs. 2 AAÜG und § 6 Abs. 1 AAÜG i. V. m. Anlage 3 AAÜG folge keine deutliche Verwaltungsaktqualität. Der Kläger werde damit hinsichtlich seiner Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der Begrenzungen auf das spätere Rentenverfahren verwiesen. Dies sei nach dem Beschluss des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2000 (SozR 3 – 8570 § 8 Nr. 5) verfassungsgemäß. Auch eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG sei unstatthaft. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, rechtlich folgenlose Hinweise nachträglich und im Übrigen ebenfalls rechtsfolgenlos abzuändern.

Der Kläger hält mit seiner Berufung seine Auffassung der Verfassungswidrigkeit der Kürzung der Entgelte gemäß § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG in der Fassung des ersten und zweiten AAÜG - Änderungsgesetzes aufrecht. Auch das neue Erste Gesetz zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (Erstes AAÜG-ÄndG 2005) sei verfassungswidrig.

Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 2. November 2005 die Feststellungen im Bescheid vom 16.03.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.06.1995 sowie der Bescheide vom 21. Januar 1997 und 13. November 2001 hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze ab 01.07.1993 für die Zeiten vom 01.01.1967 bis 30.06.1967 und vom 01.03.1971 bis 13.01.1990 aufgehoben. Für die übrigen Zeiten verbleibe es bei den alten Feststellungen. Mit dem Bescheid seien die Vorgaben des Gesetzgebers durch das Erste AAÜG-ÄndG 2005 umgesetzt worden.

Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung vom 30. 05. 2006 nicht vertreten war, hat seine Anträge mit Schriftsatz vom 24.05.2006 unter Punkt 6.1. präzisiert. Hierauf wird Bezug genommen. Darüber hinaus hat er in diesem Schriftsatz unter Punkt 6.2. verschiedene Hilfsanträge gestellt, auf die ebenfalls Bezug genommen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen.

Gegenstand der Berufung sind dabei lediglich noch der Bescheid vom 16.03.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 01.06.1995 sowie der Bescheide vom 21.01.1997 und 13.11.2001. Der im Verlauf des Berufungsverfahrens ergangene Bescheid vom 02.11.2005 ist als Teilanerkenntnis der Beklagten zu werten. Der Kläger hat mit seinen Schriftsätzen vom 21.11.2005, 16.01.2006 und 02.02.2006 hinreichend deutlich gemacht, dass er dieses Teilanerkenntnis annimmt, indem er bezüglich der Zeiten vom 01.01.1967 bis 30.06.1967 und 01.03.1971 bis 13.01.1990 keine weitergehenden Ansprüche im Rahmen dieses Verfahrens geltend macht. Soweit aus den Schriftsätzen des Bevollmächtigten des Klägers bezüglich des Bescheides vom 02.11.2005 teilweise anderes herausgelesen werden könnte, beruhen diese Ausführungen auf der irrigen Annahme, der Bescheid vom 02.11.2005 wiederhole und bestätige die in dem Bescheid vom 16.03.1995 getroffenen Feststellungen hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze. Durch die insoweit im Rahmen des Bescheides vom 02.11.2005 vorgenommene ausdrückliche Bezugnahme auf den Bescheid vom 16.03.1995 wird klargestellt, dass eine erneute Regelung damit nicht verbunden sein sollte. Dies hat die Beklagte darüber hinaus nochmals mit ihrem Schriftsatz vom 06.02.2006 klargestellt. Soweit das Teilanerkenntnis der Beklagten reicht, ist damit der Rechtsstreit nach § 101 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Hauptsache erledigt.

Ein etwa aus dem Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 24.05.2006 herauszulesender Klageantrag gegen den Bescheid vom 02.11.2005 sowie der entsprechende Klageabweisungs-antrag der Beklagten gehen danach ins Leere.

Soweit danach die Feststellungen im Bescheid vom 16.03.1995 noch Gegenstand der Berufung sind, hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Senat nimmt insoweit, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts Bezug und macht sie sich zu Eigen. Die Ausführungen des Klägers im Berufungsverfahren zur Verfassungswidrigkeit des 1. AAÜG-ÄndG 2005 ändern daran nichts. Selbst wenn diese Vorschriften sich als verfassungswidrig herausstellen sollten, bliebe es dabei, dass durch den angefochtenen Bescheid lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer besonderen Beitragsbemessungsgrenze festgestellt sind, nicht aber dem Rentenversicherungsträger die für die Entscheidung über den "Rentenanspruch" maßgeblichen Beitragsbemessungsgrenzen oder die Höhe der als versichert geltenden Arbeitsverdienste vorgeschrieben wird. Es steht hier außer Streit, dass der Kläger vom 14.01.1990 bis 17.03.1990 stellvertretender Minister im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG in der Fassung des 1. AAÜG-ÄndG 2005 gewesen ist. Die Konsequenzen hieraus - nach wie vor Begrenzung der Beiträge, die der Kläger für verfassungswidrig hält, regelt die Beklagte als Versorgungsträger nicht. Diese Rechtsauffassung, die das Bundessozialgericht als zuständiges Fachgericht in ständiger Rechtsprechung in Abkehr von der bisherigen Verwaltungspraxis seit 1996 vertritt (vgl. BSG-Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 -, zit. nach Juris) hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gebilligt (vgl. Beschluss vom 9. März 2000 – 1 BvR 2216/96 zit. nach Juris). Der Hinweis des Bevollmächtigten des Klägers darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28.04.1999 (BVerfG 100, 59, ff) unter anderem auch über eine Vorlage entschieden habe, in einem Verfahren, das einen so genannten Entgeltbescheid des Versorgungsträgers zum Gegenstand hatte, steht dem nicht entgegen; denn das Bundes-verfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, dass die Vorlage deshalb zulässig sei, weil das Sozialgericht sich hinreichend mit der Entscheidungs-erheblichkeit des damaligen § 6 Abs. 3 Nr. 7 AAÜG auseinandergesetzt und zumindest vertretbar begründet habe, dass es diese Vorschrift für einen selbständigen Begrenzungstatbestand halte. Diese Beurteilung sei vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen. In ständiger Rechtsprechung vertritt nämlich das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, dass es für die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Frage maßgeblich auf die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts ankommt, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfG vom 6. November 1957 - 2 BvL 12/56 -, - 2 BvL 13/56 -, - 2 BvL 14/56 -, - 2 BvL 15/56 –zit. nach Juris). Damit lässt sich aus der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nichts dafür herleiten, dass das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hinsichtlich der unterschiedlichen Bedeutung des Entgeltbescheides des Versorgungsträgers und des Rentenbescheides des Rentenversicherungsträgers missbillige. Da der Senat die Frage, ob § 6 Abs. 2 in der Fassung des 1. AAÜG-Änd.G. 2005 verfassungswidrig ist, für den vorliegenden Rechtsstreit nicht für entscheidungserheblich hält, kam auch die vom Kläger beantragte Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nicht in Betracht.

Auf die hilfsweise von dem Kläger gestellten Beweisanträge kommt es nicht an, weil die von dem Kläger in diesem Zusammenhang gerügte Kürzung seines Alterseinkommens nicht streitgegenständlich ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass bereits das Klageverfahren sich als unzulässig erwies. Die im Klage- und Berufungsverfahren erfolgten Änderungen des AAÜG wirken sich zugunsten des Klägers allein im Rentenverfahren aus. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorlag.
Rechtskraft
Aus
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