L 29 B 1042/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 22 AS 203/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 1042/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Juli 2005 abgeändert: Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgelehnt. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist insoweit allein das Begehren auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung soweit das Sozialgericht zu deren Leistung vorläufig verpflichtet hat. Streitgegenstand ist nicht das Begehren auf Übernahme der Mietkaution. Der Antragsteller hat gegen die insoweit ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts Beschwerde nicht erhoben.

Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu zahlen. Der Antragssteller hat nicht glaubhaft machen können, einen Anspruch auf solche Leistungen zu besitzen (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG- i. V. m. § 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung –ZPO-). Insoweit ist ein Anordnungsanspruch im Hinblick auf die zwischen dem Antragsteller und Frau E S (im Folgenden: Frau S.) bestehende eheähnliche Gemeinschaft nicht glaubhaft gemacht worden.

Eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b SGB II liegt nur dann vor, wenn sie als auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau über eine reine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht und sich – im Sinne einer Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft- durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen (vgl. zu § 122 BSHG: BVerwG, Urteil vom 17. Mai 1995, Aktenzeichen 5 C 16/93, BVerwGE 98, 195ff.). Ob eine solche Lebensgemeinschaft auf der Grundlage entsprechender innerer Bindungen auf Dauer angelegt ist, kann letztlich nur anhand von Indizien festgestellt werden. Grundsätzlich ist hierzu die Wohngemeinschaft der Partner erforderlich. Als weitere Hinweistatsachen dienen die (lange) Dauer des Zusammenlebens, bekannte intime Beziehungen , eine Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt, die Befugnis, über Einkommens- und Vermögensgegenstände des anderen Partners zu verfügen. Diese Aufzählung ist dabei weder abschließend, noch müssen diese Indizien kumulativ vorliegen, um die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft zu rechtfertigen. Entscheidend ist stets das Gesamtbild der für den streitgegenständlichen Zeitraum festgestellten Indizien (BVerwG, a.a.O. vgl. auch BSG, Urteil vom 29. April 1998, B 7 AL 56/97 R, SozR 3-4100 § 119 Nr. 15). Dabei ist es Sache der Behörde, das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe b SGB II im Hauptsacheverfahren nachzuweisen und dementsprechend in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen. Die Beweislast der Behörde für das Vorliegen der Vorraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II zwingt allerdings nicht dazu, nur dann vom Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen, wenn dies von dem Betroffenen zugestanden wird.

Die vom Bundessozialgericht (B 7 AL 96/00 R) in einem rechtlich anderen Zusammenhang (Sperrzeit) genannten Fristen sind dabei für die Prüfung, ob eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 9 Abs.2 Satz 1 SGG II vorliegt, nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Eine solche kann vielmehr bei Vorliegen der Vorraussetzungen vom ersten Tag des Zusammenlebens bestehen, soweit sie nur auf Dauer angelegt ist. Das Sozialgericht hätte deshalb nicht allein daraus, dass hier kein Zusammenleben von 12 Monaten vorliegt, was das Sozialgericht als Mindestvoraussetzung annimmt, auf das Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft schließen dürfen. Vielmehr hätte es das Vorliegen an Hand der oben genannten Kriterien unabhängig davon überprüfen müssen.

Danach ist hier von einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen. Bei der Überprüfung der oben genannten Kriterien haben dabei die Angaben des Antragsstellers weitestgehend außer Betracht zu bleiben. Vielmehr beurteilt sich die Frage nach allen äußeren, objektiv erkennbaren Umständen. Entgegenstehenden Erklärungen der Partner kommt in der Regel keine durchgreifende Bedeutung zu. Insofern ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Erklärungen der Beteiligten, die mehr und mehr erfahren haben, worauf es ankommt, um die Vorraussetzungen für eine eheähnliche Gemeinschaft auszuschließen, immer weniger glaubhaft werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Januar 1998 – 12 M 345/98 -, FEVS 48, S. 545 m.w.N.). Das trifft sowohl die Erklärungen des Antragsstellers, aber auch die eingereichte Skizze der Wohnraumnutzung. Der Antragssteller hat insbesondere eine

Überprüfung seiner diesbezüglichen Angaben dadurch vereitelt, dass er einen Hausbesuch der Antragsgegnerin nicht zugelassen hat. Das Gericht ist deshalb gezwungen, die Entscheidung aufgrund der objektiven nachweisbaren Indizien zu treffen, die hier für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen.

Dass eine Wohngemeinschaft besteht, wird von dem Antragssteller selbst nicht bestritten. Vielmehr bezeichnet er Frau S. sowohl in seinem Widerspruchsschreiben vom 10. Mai 2005 als auch schon in seinem Widerspruchsschreiben vom 16. Februar 2005 kontinuierlich als seine "Lebensgefährtin". Das damit eine Beziehung bezeichnet wird, die über eine reine Wohngemeinschaft hinausgeht, steht außer Frage. Dies wird bestätigt, durch den gemeinsamen Abschluss des Mietvertrages für die gemeinschaftliche Wohnung. Zutreffend weist die Antragsgegnerin auch darauf hin, dass der Antragssteller 50% der Mietkosten übernimmt, obwohl er – nach seinen Angaben – nur ein Zimmer selbst bewohnt und Frau S. mit Ihrem Sohn C die weiteren zwei Zimmer der Wohnung bewohnen. Damit übernimmt der Antragssteller faktisch einen höheren Mietanteil, als bei einer reinen Wohngemeinschaft anzunehmen wäre. Es ist insoweit nicht rechtsfehlerhaft, wenn die Beklagte daraus auf eine jedenfalls teilweise gemeinsame Versorgung des Kindes schließt. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass im vorliegenden Fall nicht nur von einer Wohngemeinschaft auszugehen ist, sondern dass die Bindungen zwischen dem Antragssteller und Frau S. so eng sind, dass von Ihnen gegenseitiges Einstehen in der Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann.

Besteht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zwischen dem Antragssteller und Frau S. eine eheähnliche Gemeinschaft, kommt es für die Leistungsgewährung auch auf das Einkommen und Vermögen der Frau S. an. Unter Berücksichtigung des Einkommens der Frau S. verbleibt – auch unter Berücksichtigung des Bedarfs des leiblichen Sohnes der Frau S. – für den Antragssteller kein zu deckender Bedarf.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGGB II hat der Senat, wie bereits in seinem Beschluss vom 30. Juni 2005 ausgeführt (L 29 B 65/05 AS ER), nicht.

Die Entscheidung über die Kosten beruhen auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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