L 16 R 1587/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 7 R 250/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1587/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. September 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) und die in diesem Zeitraum erzielten tatsächlichen Arbeitsverdienste festzustellen.

Der am 1948 geborene Kläger erwarb in der früheren Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nach einem Studium an der Technischen Hochschule für Chemie "arlchorlemmer" eu-na-Merseburgdie Berechtigung, die Berufsbezeichnung "Hochschul-ingenieur (Verfahrens-technik)" zu führen (Zeugnis über die Hauptprüfung vom 01. Februar 1971; Diplom-Urkunde vom 01. Juli 1971). Er war ab 01. September 1971 im damaligen Volkseigenen Betrieb (VEB) P (P) S als Entwicklungsingenieur beschäftigt, und zwar auch noch am 28. Juni 1990, dem Tag, an dem der VEB P im Register der volkseigenen Wirtschaft des Bezirkes F von Amts wegen gelöscht worden war (Register-Nr. ); das Nachfolgeunternehmen firmierte als P Akti-engesellschaft (AG) S (Handelsregister des Amtsgerichts F HRB FF). Der Kläger war mit Wirkung vom 01. Juli 1980 der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) der DDR beige-treten. Eine Versorgungszusage hatte er nicht erhalten.

Den im September 2004 gestellten Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2005 ab mit der Begründung, dass der VEB P S bereits vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden und das Unternehmen an diesem Stichtag eine AG gewesen sei.

Mit seiner Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu be-scheiden. Das Sozialgericht (SG) Neuruppin hat dem Vorbringen des Klägers den Antrag ent-nommen, die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verpflichten, die Zeit vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu AVTI und die während dieser Zeit erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte festzustellen, und diese Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2005 abgewiesen.

Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe keinen An-spruch darauf, dass die Beklagte die Zeit vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu AVTI feststellt. Er habe keine Anwartschaft auf eine Zugehörigkeit zu AVTI erworben. Er habe auch am Stichtag, dem 30. Juni 1990, keinen fiktiven Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage aus der Sicht des am 01. August 1991 gültigen Bundes-rechts gehabt. Er sei zwar berechtigt gewesen, den Titel "Ingenieur" zu führen. Er erfülle je-doch nicht die für eine fiktive Einbeziehung erforderliche betriebliche Voraussetzung. Denn er sei am 30. Juni 1990 nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen, sondern in einer AG. Der VEB P S sei zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in den Kapitalgesellschaften vom 01. März 1990 (Umwandlungs-VO; GBl. I S. 107) bereits in eine AG umgewandelt gewesen; die Löschung des VEB sei ausweislich des Registers der volkseigenen Wirtschaft bereits am 28. Juni 1990 erfolgt. Eine verfassungswidri-ge Ungleichbehandlung des Klägers folge hieraus nicht.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf seinen Schriftsatz vom 04. Oktober 2005 wird Bezug genommen.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. September 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 23. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zu-satzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberfüh-rungsgesetz sowie die in diesen Zeiten tatsächlichen erzielten Arbeitsentgelte festzustel-len.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten, die Verwaltungsakte des Rentenversicherungsträgers und die Ge-richtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (vgl. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet; hinsichtlich des vom Kläger in seiner Klage-schrift gestellten Bescheidungsantrages ist bei verständiger Würdigung des Begehrens (vgl. § 123 SGG) davon auszugehen, dass die Feststellung der Zeit vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVTI und der während dieser Zeiten erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte erstrebt wird. Das SG hat den Antrag auch entsprechend ausge-legt. Ausgehend von dem Berufungsvorbringen im Schriftsatz vom 04. Oktober 2005 verfolgt der Kläger dieses erstinstanzliche Begehren weiter.

Der Kläger hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG für den Zeitraum vom 01. September 1971 bis zum 30. Juni 1990. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 01. August 1991, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG innehatte. Denn der Ver-sorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 01. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte – unstreitig – bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der DDR nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Ein-zelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden. Die Beklagte hat auch in den angefochte-nen Bescheiden eine positive Statusentscheidung über die Anwendbarkeit des AAÜG nicht getroffen.

§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleichzustellen sind, die aus bundesrechtli-cher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z. B. Urteile vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und – B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie – B 4 RA 18/01 R – nicht veröffentlicht). Ein derartiger fingierter An-spruch ist aber nur dann zu bejahen, wenn am Stichtag (30. Juni 1990) eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z. B. BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 – B 4 RA 18/03 R – nicht veröffentlicht; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2004 – B 4 RA 23/04 R –).

Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVTI-VO; GBl. S. 844) und der hierzu ergangenen 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; GBl. S. 487). Die genannten Vor-schriften sind als faktische Anknüpfungspunkte unabhängig von der Verwaltungs- und Ausle-gungspraxis der DDR allein nach bundesrechtlichen Kriterien auszulegen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3 S. 22; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 – B 4 RA 11/04 R – veröffentlicht in ju-ris). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch auf eine Versorgungszu-sage nur vor, wenn der Betreffende zum Stichtag am 30. Juni 1990 drei Voraussetzungen er-füllt: Er muss 1. die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen, 2. eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit oder Beschäftigung tatsächlich verrich-tet haben und 3. die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbe-trieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder einem diesen Betrieben gleichgestell-ten Betrieb ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Der Kläger erfüllt ungeachtet dessen, ob er die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen erfüllt hat, jedenfalls nicht die genannte dritte Voraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer fiktiven Versorgungszusage. Denn er war – unstreitig – am 30. Juni 1990 nicht in einem VEB, sondern in einer AG beschäftigt. Ein Betrieb dieser Rechtsform unterliegt nicht dem Anwendungsbereich der AVTI (vgl. zur GmbH: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 7; BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R – veröffentlicht in juris). Unerheblich ist dabei, ob der nach der Umwandlungs-VO umgewandelte Betrieb (P AG) Rechtsnachfolger des vorhergehenden VEB P geworden ist, was indes der Fall gewesen sein dürfte. Bei der P AG handelt es sich auch nicht um einen gleichgestellten Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. DB.

Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersicht-lich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben können, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezoge-nen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 109 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungs-rechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor-genommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; Urteil vom 18. Juli 2003 – B 4 RA 1/03 R – veröffentlicht in juris). Zwischenzeitlich hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Aus-legung der Texte der Zusatzversorgungen durch die Fachgerichte, insbesondere durch das BSG, nicht willkürlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04. August 2004 – 1 BvR 1557/01 – nicht veröffentlicht; Beschluss vom 08. September 2004 – 1 BvR 1503/04 – nicht veröffent-licht – und zuletzt zum Stichtag Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. –). Diese höchstrichterlich geklärte Rechtslage ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch aus seinen zahlreichen – erfolglosen – Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren in gleich gelager-ten Fällen bekannt, in denen er ebenfalls als Bevollmächtigter aufgetreten ist (u. a. B 4 RA 209/05 B –; - B 4 RA 245/05 B –; - B 4 RA 247/05 B – und viele andere; vgl. zuletzt BSG, Beschluss vom 30. Januar 2006 - B 4 RA 278/05 B -). Bei der angesichts dessen als rechts-missbräuchlich anzusehenden Fortsetzung des Verfahrens auch nach dem Hinweis des Gerichts auf diese Rechtsprechung war von der Verhängung von Kosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG (nur) deshalb abzusehen, weil eine mündliche Verhandlung nicht durchgeführt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved