Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 RJ 946/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1471/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als Stiefkind des Versicherten W Z gegen die Beklagte ein Recht auf Halbwaisenrente hat.
Der am 1939 geborene Versicherte hatte am 26. Juni 2001 die polnische Staatsangehörige B F, die Mutter der am 1. Juli 1999 in Polen geborenen Klägerin, geheiratet. Gemeinsam mit ihrer Mutter reiste die Klägerin am 30. Mai 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie von dem Versicherten in dessen Wohnung in B aufgenommen wurden. Bis zum 23. Juli 2001, dem Tag, als die Klägerin und deren Mutter einen Antrag auf Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis stellten, hielten diese sich aufgrund eines Touristenvisums im Bundesgebiet auf. In der Zeit vom 23. Juli 2001 bis zum 22. Februar 2002 wurde die Klägerin von der zuständigen Ausländerbehörde ausländerrechtlich erfasst; die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 21. Januar 2002 ab, nachdem der Versicherte, der sich wegen eines Schlaganfalls seit dem 16. Juni 2001 durchgängig in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hatte, am 9. Januar 2002 verstorben war. Seit dem 8. Februar 2002 hält sich die Klägerin mit ihrer Mutter wieder in Polen auf.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Halbwaisenrente hatte die Beklagte bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 10. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2003).
Im Juli 2003 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 ablehnte mit der Begründung, dass sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2005 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 1. Juli 2003 Halbwaisenrente aus der Versicherung des W Z zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei auch begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Halbwaisenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten gemäß § 48 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI). Die Klägerin sei nach § 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI als Stiefkind zu berücksichtigen, da sie in den Haushalt des Versicherten aufgenommen gewesen sei. Hierbei sei bereits fraglich, ob dazu auch eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Stiefkindes am Wohnort im ausländerrechtlichen Sinne zu fordern sei. Indes sei auch hiervon auszugehen. Denn gemäß § 69 Abs. 3 Ausländergesetz (AuslG) in der seinerzeit geltenden Fassung habe der Aufenthalt eines Ausländers, der mit einem mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilten Visum eingereist sei, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gegolten. Dies sei auch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch der Fall gewesen. An der offenen Zukunftsgerichtetheit der Aufnahme in den Haushalt des Versicherten hätte es lediglich dann fehlen können, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits eine endgültige ablehnende Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgelegen hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Die Aufnahme in den Haushalt des Versicherten setze begriffsnotwendig die Herstellung eines auf längere Dauer gerichteten Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses voraus. Um ein solches Verhältnis überhaupt begründen zu können, sei es erforderlich gewesen, dass die Klägerin seinerzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Artikel 1 Nr. 10 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (DPSVA) vom 8. Dezember 1990 (BGBl. II 1990, 743) gehabt hätte. Von einem derartigen gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin sei jedoch nicht auszugehen. Die Klägerin sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels nach dem AuslG gewesen, der eine zukunftsoffene Berechtigung zum Aufenthalt vermittelt habe. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik sei vielmehr während des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt gewesen. Nach Abschluss des Verfahrens habe für die Klägerin und ihre Mutter eine Pflicht zur Ausreise bestanden, der beide auch nachgekommen seien. Im Übrigen sei die Mutter der Klägerin auch während des vorübergehenden Inlandsaufenthaltes in Polen gemeldet gewesen (Auskunft des Stadtamtes B vom 18. August 2005).
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akten des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin – Ausländerbehörde – für die Klägerin und deren Mutter, die Akte des SG Berlin S 32 RJ 2092/02 und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte für die Zeit ab 01. Juli 2003 – der stattgebende Urteilsausspruch des SG, gegen den die Klägerin Rechtsmittel nicht eingelegt hat, beschränkt sich auf diesen Zeitraum – keinen Anspruch auf Halbwaisenrente gemäß § 48 Abs. 1 und Abs. 3 SGB VI; die Klage war daher abzuweisen.
Gemäß § 48 Abs. 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tode eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist (Nr. 1), und wenn der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (Nr. 2). Als Kinder werden auch Stiefkinder berücksichtigt, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren (§ 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI) Die Mutter der Klägerin ist dieser gegenüber unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig. Ebenso hatte der Versicherte – unstreitig – die allgemeine Wartezeit erfüllt. Als nicht leibliches Kind des Versicherten war die Klägerin aber nicht in dessen Haushalt aufgenommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, bedeutet die Haushaltsaufnahme nicht allein die Begründung einer Wohngemeinschaft. Vielmehr ist auf "ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art", auf "die Aufnahme in die Familiengemeinschaft" oder auf "ein elternähnliches, auf die Dauer berechnetes Band" abzustellen. Damit ist unter einer Haushaltsaufnahme nicht nur ein örtlich gebundenes Zusammenleben zu verstehen, sondern eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes; vgl. BSG SozR 2200 § 1262 Nr. 14 mit weiteren Nachweisen; BSG SozR 2200 § 1267 Nr. 35; BSG SozR 3-5870 § 2 Nr. 22; BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr. 6; BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R = SozR 3-2600 § 48 Nr. 5).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere den aus den beigezogenen Ausländerakten gewonnenen Erkenntnissen, ist zwischen der Klägerin und dem verstorbenen Versicherten ein derart umschriebenes elternähnliches bzw. familienhaftes, auf Dauer berechnetes Band zu keiner Zeit begründet worden. Denn nach der Einreise der Klägerin mit ihrer Mutter in die Bundesrepublik Deutschland am 30. Mai 2001 als frühestem Zeitpunkt für eine Haushaltsaufnahme und den Beginn des insoweit maßgebenden letzten Dauerzustandes vor dem Tod des Versicherten kann es zu einer Haushaltsaufnahme im dargelegten Sinne schon deshalb nicht gekommen sein, weil der Versicherte bereits wenige Tage nach der Einreise der Klägerin aufgrund eines schwerwiegenden und schließlich zum Tode führenden gesundheitlichen Leidens am 16. Juni 2001 zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus aufgenommen wurde, die bis zu seinem Todestag am 2002 andauerte. Damit fehlt es jedenfalls an dem immateriellen Merkmal der Begründung eines elternähnlichen, auf Dauer berechneten Bandes, d. h. eines auf längere Dauer gerichteten Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses familienähnlicher Art. Letzteres setzt voraus, dass der Versicherte der Klägerin seine Fürsorge in ähnlicher Weise zugewandt hätte, wie er dies einem leiblichen Kind gegenüber getan hätte. Hierzu war er aber wegen seines körperlichen und geistigen Zustandes und seines seit dem 16. Juni 2001 ununterbrochenen Aufenthaltes außerhalb der potenziellen Familienwohnung gar nicht in der Lage. Dies gilt um so mehr, als die Mutter der Klägerin gegenüber der Ausländerbehörde anlässlich eines Duldungsverfahrens mit Schriftsatz vom 17. Mai 2002 mitgeteilt hat, dass während des stationären Krankenhausaufenthaltes des Versicherten der Kindesvater die Klägerin intensiv betreut habe. Dieser selbst hat in einer eidesstattlichen Versicherung vom 16. Mai 2002 gegenüber der Ausländerbehörde diesen Sachverhalt bestätigt. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden und auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass der Versicherte trotz seines stationären Krankenhausaufenthaltes der Klägerin Fürsorge zugewandt hätte. Ebenso wenig ist feststellbar, dass er im wesentlichen Umfang Betreuungsleistungen erbracht hätte, die auf ein dauerhaftes familienähnliches Band zwischen ihm und der Klägerin nach deren Einreise in das Bundesgebiet schließen lassen könnten. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Versicherte – wie von der Klägerin vorgetragen – Barunterhalt bzw. Naturalunterhalt in Gestalt der Unterkunftsgewährung auch nach seiner Krankenhausunterbringung geleistet hatte. Denn die drei Arten von Kriterien für die Feststellung einer Haushaltsaufnahme, nämlich die Merkmale örtlicher, materieller und immaterieller Art, stehen zwar in enger Beziehung zueinander und mögen sich auch teilweise überschneiden, keines davon darf jedoch gänzlich fehlen, um eine Haushaltsaufnahme bejahen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 08. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R = SozR 3-2200 § 1267 Nr. 6). Dies war jedoch hinsichtlich der zu fordernden Merkmale immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) der Fall.
Da es zu einer auf Dauer angelegten und auch vollzogenen Haushaltsaufnahme der Klägerin gar nicht gekommen war, kann auch dahinstehen, ob in einen einmal begründeten Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten ein zum Tode führendes Leiden nicht einzurechnen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R –). Vorliegend handelte es sich bei der stationären Unterbringung des Versicherten in einem Krankenhaus vielmehr um den dauerhaften "Normalzustand", der schon der Begründung einer Haushaltsaufnahme entgegenstand. Dieser nicht nur vorübergehende "Normalzustand" der Beziehungen zwischen dem Versicherten und der Klägerin dauerte auch bis zu dem Tode des Versicherten an und ist somit – allein – der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer "Haushaltsaufnahme" zugrunde zu legen. Es handelt sich im Ergebnis nicht um einen Fortfall eines oder aller Hilfsmerkmale der Haushaltsaufnahme, sondern um das Fehlen eines derartigen Hilfsmerkmales immaterieller Art von Beginn an. Dass sich der Versicherte in der Zeit vom 30. Mai 2001 bis zum 15. Juni 2001 noch nicht in stationärer Behandlung befand, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dieser Zeitraum von lediglich zwei Wochen ist nicht geeignet, einen nicht nur vorübergehenden Zustand zu begründen.
Da bereits eine Aufnahme der Klägerin in den Haushalt des Verstorbenen nicht feststellbar ist, war nicht zu entscheiden, ob auch der ausländerrechtliche Status der Klägerin in dem hier maßgebenden Zeitraum bereits der Begründung eines auf Dauer ausgerichteten Familienbandes entgegenstand. Indes ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in der Zeit vom 30. Mai 2001 bis zum Verlassen des Bundesgebietes im Februar 2002 über keine ausländerrechtliche Aufenthaltsposition verfügte, die ihr ein Verbleiben im Bundesgebiet auf unbestimmte Zeit ermöglichte. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland war lediglich bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über die am 23. Juli 2001 beantragte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt. Hierbei handelte es sich ausschließlich um eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Verwaltungsverfahrens über die beantragte Aufenthaltserlaubnis, die Spekulationen und Prognosen im Hinblick auf das Verfahrensergebnis nicht zugänglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1998 – B 5 RJ 22/96 R – veröffentlicht in juris). Selbst wenn die Klägerin aber nach der Eheschließung ihrer Mutter mit dem Versicherten ein Bleiberecht für sich hätte beanspruchen können, wogegen sprechen könnte, dass es seit der Eheschließung der Mutter und des Versicherten auf Grund der stationären Unterbringung während der gesamten Ehezeit zu keiner Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft gekommen war (vgl. Bescheid der Ausländerbehörde vom 21. Januar 2002) und das bloße Verheiratetsein nicht dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz unterfällt (vgl. BVerwGE 65, 174-184), fehlte es aber – wie dargelegt – an den tatsächlichen Voraussetzungen einer Aufnahme der Klägerin in den Haushalt des Versicherten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin als Stiefkind des Versicherten W Z gegen die Beklagte ein Recht auf Halbwaisenrente hat.
Der am 1939 geborene Versicherte hatte am 26. Juni 2001 die polnische Staatsangehörige B F, die Mutter der am 1. Juli 1999 in Polen geborenen Klägerin, geheiratet. Gemeinsam mit ihrer Mutter reiste die Klägerin am 30. Mai 2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie von dem Versicherten in dessen Wohnung in B aufgenommen wurden. Bis zum 23. Juli 2001, dem Tag, als die Klägerin und deren Mutter einen Antrag auf Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis stellten, hielten diese sich aufgrund eines Touristenvisums im Bundesgebiet auf. In der Zeit vom 23. Juli 2001 bis zum 22. Februar 2002 wurde die Klägerin von der zuständigen Ausländerbehörde ausländerrechtlich erfasst; die Ausländerbehörde lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 21. Januar 2002 ab, nachdem der Versicherte, der sich wegen eines Schlaganfalls seit dem 16. Juni 2001 durchgängig in stationärer Krankenhausbehandlung befunden hatte, am 9. Januar 2002 verstorben war. Seit dem 8. Februar 2002 hält sich die Klägerin mit ihrer Mutter wieder in Polen auf.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf Gewährung von Halbwaisenrente hatte die Beklagte bestandskräftig abgelehnt (Bescheid vom 10. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2003).
Im Juli 2003 stellte die Klägerin erneut einen Rentenantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2004 ablehnte mit der Begründung, dass sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 25. August 2005 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide antragsgemäß verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab 1. Juli 2003 Halbwaisenrente aus der Versicherung des W Z zu gewähren. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei auch begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Halbwaisenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten gemäß § 48 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI). Die Klägerin sei nach § 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI als Stiefkind zu berücksichtigen, da sie in den Haushalt des Versicherten aufgenommen gewesen sei. Hierbei sei bereits fraglich, ob dazu auch eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Stiefkindes am Wohnort im ausländerrechtlichen Sinne zu fordern sei. Indes sei auch hiervon auszugehen. Denn gemäß § 69 Abs. 3 Ausländergesetz (AuslG) in der seinerzeit geltenden Fassung habe der Aufenthalt eines Ausländers, der mit einem mit Zustimmung der Ausländerbehörde erteilten Visum eingereist sei, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gegolten. Dies sei auch zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch der Fall gewesen. An der offenen Zukunftsgerichtetheit der Aufnahme in den Haushalt des Versicherten hätte es lediglich dann fehlen können, wenn zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits eine endgültige ablehnende Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgelegen hätte. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Die Aufnahme in den Haushalt des Versicherten setze begriffsnotwendig die Herstellung eines auf längere Dauer gerichteten Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses voraus. Um ein solches Verhältnis überhaupt begründen zu können, sei es erforderlich gewesen, dass die Klägerin seinerzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Artikel 1 Nr. 10 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (DPSVA) vom 8. Dezember 1990 (BGBl. II 1990, 743) gehabt hätte. Von einem derartigen gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin sei jedoch nicht auszugehen. Die Klägerin sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels nach dem AuslG gewesen, der eine zukunftsoffene Berechtigung zum Aufenthalt vermittelt habe. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik sei vielmehr während des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt gewesen. Nach Abschluss des Verfahrens habe für die Klägerin und ihre Mutter eine Pflicht zur Ausreise bestanden, der beide auch nachgekommen seien. Im Übrigen sei die Mutter der Klägerin auch während des vorübergehenden Inlandsaufenthaltes in Polen gemeldet gewesen (Auskunft des Stadtamtes B vom 18. August 2005).
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. August 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakte der Beklagten, die Akten des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin – Ausländerbehörde – für die Klägerin und deren Mutter, die Akte des SG Berlin S 32 RJ 2092/02 und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte für die Zeit ab 01. Juli 2003 – der stattgebende Urteilsausspruch des SG, gegen den die Klägerin Rechtsmittel nicht eingelegt hat, beschränkt sich auf diesen Zeitraum – keinen Anspruch auf Halbwaisenrente gemäß § 48 Abs. 1 und Abs. 3 SGB VI; die Klage war daher abzuweisen.
Gemäß § 48 Abs. 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tode eines Elternteils Anspruch auf Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist (Nr. 1), und wenn der verstorbene Elternteil die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (Nr. 2). Als Kinder werden auch Stiefkinder berücksichtigt, die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommen waren (§ 48 Abs. 3 Nr. 1 SGB VI) Die Mutter der Klägerin ist dieser gegenüber unbeschadet der wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig. Ebenso hatte der Versicherte – unstreitig – die allgemeine Wartezeit erfüllt. Als nicht leibliches Kind des Versicherten war die Klägerin aber nicht in dessen Haushalt aufgenommen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, bedeutet die Haushaltsaufnahme nicht allein die Begründung einer Wohngemeinschaft. Vielmehr ist auf "ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art", auf "die Aufnahme in die Familiengemeinschaft" oder auf "ein elternähnliches, auf die Dauer berechnetes Band" abzustellen. Damit ist unter einer Haushaltsaufnahme nicht nur ein örtlich gebundenes Zusammenleben zu verstehen, sondern eine Schnittstelle von Merkmalen örtlicher (Familienwohnung), materieller (Unterhalt) und immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes; vgl. BSG SozR 2200 § 1262 Nr. 14 mit weiteren Nachweisen; BSG SozR 2200 § 1267 Nr. 35; BSG SozR 3-5870 § 2 Nr. 22; BSG SozR 3-2200 § 1267 Nr. 6; BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R = SozR 3-2600 § 48 Nr. 5).
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere den aus den beigezogenen Ausländerakten gewonnenen Erkenntnissen, ist zwischen der Klägerin und dem verstorbenen Versicherten ein derart umschriebenes elternähnliches bzw. familienhaftes, auf Dauer berechnetes Band zu keiner Zeit begründet worden. Denn nach der Einreise der Klägerin mit ihrer Mutter in die Bundesrepublik Deutschland am 30. Mai 2001 als frühestem Zeitpunkt für eine Haushaltsaufnahme und den Beginn des insoweit maßgebenden letzten Dauerzustandes vor dem Tod des Versicherten kann es zu einer Haushaltsaufnahme im dargelegten Sinne schon deshalb nicht gekommen sein, weil der Versicherte bereits wenige Tage nach der Einreise der Klägerin aufgrund eines schwerwiegenden und schließlich zum Tode führenden gesundheitlichen Leidens am 16. Juni 2001 zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus aufgenommen wurde, die bis zu seinem Todestag am 2002 andauerte. Damit fehlt es jedenfalls an dem immateriellen Merkmal der Begründung eines elternähnlichen, auf Dauer berechneten Bandes, d. h. eines auf längere Dauer gerichteten Betreuungs- und Erziehungsverhältnisses familienähnlicher Art. Letzteres setzt voraus, dass der Versicherte der Klägerin seine Fürsorge in ähnlicher Weise zugewandt hätte, wie er dies einem leiblichen Kind gegenüber getan hätte. Hierzu war er aber wegen seines körperlichen und geistigen Zustandes und seines seit dem 16. Juni 2001 ununterbrochenen Aufenthaltes außerhalb der potenziellen Familienwohnung gar nicht in der Lage. Dies gilt um so mehr, als die Mutter der Klägerin gegenüber der Ausländerbehörde anlässlich eines Duldungsverfahrens mit Schriftsatz vom 17. Mai 2002 mitgeteilt hat, dass während des stationären Krankenhausaufenthaltes des Versicherten der Kindesvater die Klägerin intensiv betreut habe. Dieser selbst hat in einer eidesstattlichen Versicherung vom 16. Mai 2002 gegenüber der Ausländerbehörde diesen Sachverhalt bestätigt. Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden und auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass der Versicherte trotz seines stationären Krankenhausaufenthaltes der Klägerin Fürsorge zugewandt hätte. Ebenso wenig ist feststellbar, dass er im wesentlichen Umfang Betreuungsleistungen erbracht hätte, die auf ein dauerhaftes familienähnliches Band zwischen ihm und der Klägerin nach deren Einreise in das Bundesgebiet schließen lassen könnten. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Versicherte – wie von der Klägerin vorgetragen – Barunterhalt bzw. Naturalunterhalt in Gestalt der Unterkunftsgewährung auch nach seiner Krankenhausunterbringung geleistet hatte. Denn die drei Arten von Kriterien für die Feststellung einer Haushaltsaufnahme, nämlich die Merkmale örtlicher, materieller und immaterieller Art, stehen zwar in enger Beziehung zueinander und mögen sich auch teilweise überschneiden, keines davon darf jedoch gänzlich fehlen, um eine Haushaltsaufnahme bejahen zu können (vgl. BSG, Urteil vom 08. Juli 1998 – B 13 RJ 97/97 R = SozR 3-2200 § 1267 Nr. 6). Dies war jedoch hinsichtlich der zu fordernden Merkmale immaterieller Art (Zuwendung von Fürsorge, Begründung eines familienähnlichen Bandes) der Fall.
Da es zu einer auf Dauer angelegten und auch vollzogenen Haushaltsaufnahme der Klägerin gar nicht gekommen war, kann auch dahinstehen, ob in einen einmal begründeten Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten ein zum Tode führendes Leiden nicht einzurechnen ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. August 2001 – B 4 RA 109/00 R –). Vorliegend handelte es sich bei der stationären Unterbringung des Versicherten in einem Krankenhaus vielmehr um den dauerhaften "Normalzustand", der schon der Begründung einer Haushaltsaufnahme entgegenstand. Dieser nicht nur vorübergehende "Normalzustand" der Beziehungen zwischen dem Versicherten und der Klägerin dauerte auch bis zu dem Tode des Versicherten an und ist somit – allein – der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer "Haushaltsaufnahme" zugrunde zu legen. Es handelt sich im Ergebnis nicht um einen Fortfall eines oder aller Hilfsmerkmale der Haushaltsaufnahme, sondern um das Fehlen eines derartigen Hilfsmerkmales immaterieller Art von Beginn an. Dass sich der Versicherte in der Zeit vom 30. Mai 2001 bis zum 15. Juni 2001 noch nicht in stationärer Behandlung befand, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn dieser Zeitraum von lediglich zwei Wochen ist nicht geeignet, einen nicht nur vorübergehenden Zustand zu begründen.
Da bereits eine Aufnahme der Klägerin in den Haushalt des Verstorbenen nicht feststellbar ist, war nicht zu entscheiden, ob auch der ausländerrechtliche Status der Klägerin in dem hier maßgebenden Zeitraum bereits der Begründung eines auf Dauer ausgerichteten Familienbandes entgegenstand. Indes ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin in der Zeit vom 30. Mai 2001 bis zum Verlassen des Bundesgebietes im Februar 2002 über keine ausländerrechtliche Aufenthaltsposition verfügte, die ihr ein Verbleiben im Bundesgebiet auf unbestimmte Zeit ermöglichte. Ihr Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland war lediglich bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über die am 23. Juli 2001 beantragte Aufenthaltserlaubnis gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 erlaubt. Hierbei handelte es sich ausschließlich um eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Verwaltungsverfahrens über die beantragte Aufenthaltserlaubnis, die Spekulationen und Prognosen im Hinblick auf das Verfahrensergebnis nicht zugänglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1998 – B 5 RJ 22/96 R – veröffentlicht in juris). Selbst wenn die Klägerin aber nach der Eheschließung ihrer Mutter mit dem Versicherten ein Bleiberecht für sich hätte beanspruchen können, wogegen sprechen könnte, dass es seit der Eheschließung der Mutter und des Versicherten auf Grund der stationären Unterbringung während der gesamten Ehezeit zu keiner Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft gekommen war (vgl. Bescheid der Ausländerbehörde vom 21. Januar 2002) und das bloße Verheiratetsein nicht dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz unterfällt (vgl. BVerwGE 65, 174-184), fehlte es aber – wie dargelegt – an den tatsächlichen Voraussetzungen einer Aufnahme der Klägerin in den Haushalt des Versicherten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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