Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 30 RJ 328/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RJ 36/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Mai 2006 Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg heißt, die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am im Beitrittsgebiet geborene Klägerin hat die Schule nach der 8. Klasse verlassen und danach keinen Beruf erlernt. Sie arbeitete - jeweils mit Unterbrechungen - einige Monate als Botin, als Wagenschreiberin, als Aushilfe bei der Post und als Raumpflegerin. Die Klägerin wurde mit Urteil des Stadtbezirksgericht Berlin-Prenzlauer Berg vom 13. Juli 1978 (aufgehoben durch Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Berlin vom 13. Februar 2002) wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt. Vom 06. Juli 1978 bis zum 04. Januar 1979 befand sich die Klägerin in Untersuchungs- bzw Strafhaft. Nach der Haftentlassung war sie rund ein Jahr als Glühlampenfertigerin beschäftigt. Die Klägerin hat vier Kinder geboren (1980, 1983, 1985, 1994). Sie ist seit dem 06. November 1996 beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet. Seit 1998 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Zur Zeit bezieht die Klägerin für sich und die bei ihr lebende jüngste Tochter Arbeitslosengeld II. Die Klägerin ist anerkannte Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60.
Die Klägerin beantragte am 25. Mai 2001 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie sei aufgrund von Allergien und Osteoporose berufs- und erwerbsunfähig. Zur Begründung reichte die Klägerin ihren Allergiepass vom 24. September 1998 ein. Darin wird ihr eine Überempfindlichkeit gegen eine Reihe von chemischen Stoffen (Weichmacher, Filmentwicklungslösungen uä) bescheinigt. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung durch die Fachärztin für Chirurgie – Sozialmedizin - Dipl-Med B. Diese stellte nach einer Untersuchung der Klägerin am 23. August 2001 bei der Klägerin chronische Wirbelsäulenbeschwerden bei Wirbelsäulenfehlhaltung und degenerativen Veränderungen fest. Die Klägerin sei mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten im gelegentlichen Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen. Häufiges Bücken und häufiges Heben und Tragen von Lasten sollten vermieden werden (Gutachten vom 27. August 2001). Die Beklagte veranlasste außerdem die Begutachtung der Klägerin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr L. Diese stellt nach Untersuchung der Klägerin am 05. September 2001 neben den im chirurgisch-orthopädischen Gutachten festgestellten Leiden eine schizoide Persönlichkeitsstörung fest. Die bei der Klägerin vorliegende Persönlichkeitsstörung sei nicht als krankheitswertig aufzufassen. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen in ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Glühlampenfertigerin und für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die qualitativen Leistungseinschränkungen würden sich durch ihre Wirbelsäulenleiden ergeben (Gutachten vom 18. September 2001).
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden ausüben.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05. November 2001 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2002 zurückgewiesen wurde.
Zur Begründung ihrer Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin ein ärztliches Attest der behandelnden Praktischen Ärztin W-W eingereicht. Darin bescheinigte die Ärztin, dass die Klägerin an Asthma bronchiale und multiplen Kontaktallergien sowie an einer schweren Depression erkrankt sei. Zusätzlich leide die Klägerin unter Lebensängsten und starken aggressiven Schüben, die sich besonders in der Konfrontation mit Ämtern verstärke. Zurückzuführen seien diese psychischen Probleme auf die Traumatisierung in ihrer Jugend und besonders gravierend durch die Gefängnisaufenthalte im Alter von 19 Jahren und den dort erfolgten Verhören. In einer handschriftlichen Äußerung vom 13. Februar 2002 hat die Klägerin hierzu ergänzend angegeben, in der Haft vergewaltigt worden zu sein; später sei im 6. Schwangerschaftsmonat eine Abtreibung vorgenommen worden. Weiter hat sie die für sie belastenden Bedingungen des Gefängnisaufenthalts und der Vernehmungssituation beschrieben. Sie vermeide alles, was sie an die während des Gefängnisaufenthalts ausgeübte Tätigkeit mit Filmrollen erinnere. Die Klägerin hat im Klageverfahren weiter geltend gemacht, sie leide unter Schlafstörungen sowie chronischen Wirbelsäulenbeschwerden bei Wirbelsäulenfehlhaltung und degenerativen Veränderungen. Allein aufgrund dieser Minderbelastbarkeit sei es ihr nicht mehr möglich, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hauptsächlich leide sie unter sehr starken seelischen und psychischen Gesundheitsstörungen, auf Grund derer sie nicht mehr in der Lage sei, Ämtertermine wahrzunehmen. Hieraus folgend könne sie nur solche Tätigkeiten ausüben, bei denen der Kontakt zu Vorgesetzten oder anderen Stellen ausgeschlossen werden könne. Bereits die Aufgaben im Haushalt und das tägliche Einkaufen bewältige sie manchmal nur unter größter Anstrengung. So könne schon ein dreistündiger Aufenthalt außerhalb der häuslichen Umgebung zu krankhaften Störungen führen. Es sei zu befürchten, dass ein Herausreißen aus der gewohnten häuslichen Umgebung eine erhebliche Suizidgefahr mit sich bringen würde. Aufgrund der zahlreichen Allergien sei es ihr nicht möglich, zum Beispiel mit Reinigungsmitteln, Terpentin, Klebstoffen, Farbstoffen, Kunstharzen, Stoffe der Auto-, Flugzeug- und Elektroindustrie, Lacken und Stoffen, Kunststoffindustrie zu arbeiten. Der Geruch von Chemikalien erinnere sie zudem an den Aufenthalt in der Haftanstalt und löse eine sofortige innerliche Beklemmung bei ihr aus, die starke Atemnot, Herzrasen und Brechreiz verursache. Deshalb habe sie nicht als Verkäuferin in einer Videothek arbeiten können, da der meist zudringliche Kontakt von angetrunkenen Kunden für sie mit sofortigem Brechreiz verbunden gewesen sei. Ein Auffüllen von Regalen in einer Drogerie sei ihr aufgrund der Gerüche nicht zumutbar, ebenso wenig eine Tätigkeit als Reinigungskraft oder Mitarbeiterin in einem Sonnenstudio. Durch die zusätzlichen atypischen Leistungseinschränkungen der psychischen Erkrankung sei der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen, so dass von voller Erwerbsminderung und nicht nur von teilweiser Erwerbsminderung auszugehen sei.
Das SG Berlin hat einen Befundbericht der behandelnden Praktischen Ärztin W-W vom 27. Mai 2002 eingeholt. Das SG Berlin hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin M G. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 12. August 2003 nach Untersuchung der Klägerin am 25. Juli 2003 folgende Krankheiten bei der Klägerin fest: - gemischte Angststörung mit Phobien, - multiple Somatisierungsstörung, - Verdacht auf post-traumatische Belastungsstörung, - Verdacht auf Dysthymie, - Multiple Allergien mit asthmatischen Zuständen und Hautreaktionen, - Wirbelsäulenfehlhaltung mit Reizzuständen.
Es handle sich zusammengefasst um eine komplexe psychoneurotische Störung mit Ängsten, Angstäquivalenten und Phobien sowie um eine Somatisierungsstörung bei anzunehmender Dysthemie im Sinne einer neurotischen Depression sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Symptomatik sei insgesamt stark situationsabhängig und nur mittelgradiger Ausprägung, so dass zwar zweifellos von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit und von erheblichen qualitativen, nicht jedoch von quantitativen Leistungseinschränkungen auszugehen sei. Die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Auch eine ausreichende Wegefähigkeit könne entwickelt werden.
Die Klägerin hat daraufhin den Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr G W (eingeholt in einem Klageverfahren wegen der Schwerbehinderteneigenschaft) vom 27. August 2003 eingereicht, der folgende Erkrankungen (auf der Grundlage von drei Kontakten mit der Klägerin im Jahr 2002) diagnostizierte: "Allerschwerste generalisierte Angststörung mit Beginn in der frühen Kindheit und dramatische Ausprägung durch weitere psychische Traumatisierungen mit erheblich gemindertem Selbstwertgefühl, ausschließlich depressiver Erlebnisverarbeitung und chronischer trauriger Verstimmung." Letztere habe sich in enger werdenden Abständen zu schweren Depressionen mit Selbsttötungsabsichten und totalem Rückzugsverhalten entwickelt. Hierzu führte die Sachverständige G in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Februar 2004 aus, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der Exploration durchaus zu einer recht beschaulichen und relativ angstfreien Lebensweise in der Lage sei, solange ihr Leben in den von ihr bestimmten Bahnen verlaufe. Insbesondere in privaten Lebensbereichen und für die Belange der Kinder verfüge sie über ein adäquates Durchsetzungsvermögen. Es handle sich um eine eher schwere, vor allem aber völlig chronifizierte psychoneurotische Störung, durch die die Erwerbsfähigkeit zwar in hohem Maße gefährdet und auch qualitativ stark eingeschränkt, jedoch nicht aufgehoben sei.
Mit Urteil vom 06. Mai 2004 hat das SG Berlin die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe eine Erwerbsminderungsrente nicht zu. Sie habe keine Berufsausbildung durchlaufen und damit keinen Berufsschutz erworben. Sie sei daher grundsätzlich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verfüge die Klägerin noch über eine ausreichende Leistungsfähigkeit. Zu dieser Überzeugung sei das Gericht aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Frau G vom 12. August 2003 gekommen. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die neurologisch-psychiatrische Sachverständige Frau Dr L aus dem Verwaltungsverfahren. Eine andere Beurteilung des Leistungsbildes der Klägerin ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die so genannte Wegefähigkeit. Zwar habe die Sachverständige der Klägerin attestiert, dass sie zurzeit nur wenige Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Dieser Zustand könne aber innerhalb von drei Monaten soweit behoben werden, dass eine ausreichende Wegefähigkeit wiederhergestellt werden könne. Damit liege eine Minderung auf nicht absehbare Zeit im Sinne des § 43 SGB VI nicht vor. Nach Angaben der Sachverständigen könne die Klägerin an einer Psychotherapie teilnehmen.
Mit der am 26. Juli 2004 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt zur Begründung ergänzend vor, sie leide unter Suizidgedanken. Ihre Schlafstörungen hätten zugenommen. Sie erwache ca zweimal pro Nacht und finde erst nach einer Wachphase von ca zwei Stunden erneut Schlaf. Sie leide unter Schmerzen im Hinterkopf, die - kombiniert mit Schwindel - auftreten würden. Die linke Seite, vor allem Hand und Fuß, seien aufgrund der Osteoporose taub. Bei ihr sei eine Wegefähigkeit nicht gegeben. Sie verfüge weder über einen Führerschein, noch über ein Kraftfahrzeug. An manchen Tagen sei es ihr gar nicht möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Dem Gutachten von Frau G sei nicht zu entnehmen, dass eine ausreichende Wegefähigkeit derzeit bestehe. Der Beurteilung von Frau G, eine Linderung könne innerhalb von drei Monaten erreicht werden, könne nicht gefolgt werden. Innerhalb des Gutachtens werde nicht darauf eingegangen, dass sie - die Klägerin - unter verschiedenen Allergien leide sowie eine Geruchssensibilität vorliege. Gerade diese Zustände ließen auf eine posttraumatische Belastungsstörung einen Rückschluss zu. Da zwischen den Befundberichten von Dr W und dem Gutachten von Frau G eine erhebliche Diskrepanz bestehe, erscheine eine erneute Begutachtung geboten. Bei der Gesamtzahl der vorliegenden Beeinträchtigungen sei eine Tätigkeit, die von ihr noch sechs Stunden täglich ausgeübt werden könne, nicht ersichtlich. Die Beklagte sei aufgefordert, eine entsprechende Verweisungstätigkeit darzulegen.
Die Klägerin bezieht sich weiter auf den Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Versorgungsamt vom 20. Januar 2005 über die Feststellung von Versorgungsbezügen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Dem lag ein nervenfachärztliches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr D vom 29. November 2004 zugrunde. Dieser stellte eine fortbestehende ängstlich dysphorische Symptomatik fest, die durch die Haft eine Verschlimmerung erfahren habe (dysphorische Verstimmung, Ängste bei Menschenansammlungen und Ängste auch in abgeschlossenen Verkehrsmitteln).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 06. Mai 2004 und den Bescheid vom 10. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01. Mai 2001 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Klägerin nach wie vor für erwerbsfähig.
Der Senat hat das im Auftrag des Amtsgerichts Lichtenberg erstellte psychiatrische Fachgutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie B B beigezogen. In ihrem Gutachten vom 29. September 2004 führte die Ärztin B aus, bei der Klägerin scheine eine posttraumatische Belastungsstörung mit ausgeprägter Angstsymptomatik und paranoiden Anteilen vorzuliegen. Die Klägerin könne daher ihre finanziellen, behördlichen und gesundheitlichen Angelegenheiten nicht ausreichend selbst besorgen. Das Unvermögen zur Besorgung der bezeichneten Angelegenheiten werde längerfristig fortbestehen, so dass die Betreuung für zwei Jahre eingerichtet werden sollte. Zu der Einrichtung einer Betreuung ist es nach Angaben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht gekommen.
Der Senat hat den Arzt für Psychiatrie Prof Dr Zmit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem psychiatrischen Fachgutachten vom 24. November 2005 hat der Sachverständige folgende Erkrankungen festgestellt: Die Klägerin leide an einem mittelschweren psychopathologischen Syndrom im Sinne einer Persönlichkeitsstörung, an einem leichten depressiven Syndrom mit Angstsymptomatik, an einem leichten LWS-Syndrom, an einer generalisierten Urtikaria (Juckreiz), an einer Allergie gegen diverse Stoffe, anamnestisch an Asthma bronchiale und an chronischen Unterbauchbeschwerden. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit hat der Gutachter ausgeführt, die Klägerin könne aufgrund ihrer körperlichen Funktionsstörungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten. Die Klägerin sei aufgrund ihrer schulischen Bildung und der psychischen Störung in der Lage, noch mindestens leichte geistige Arbeit zu leisten. Die Klägerin könne lesen und schreiben und beherrsche die deutsche Sprache für diesen Berufsalltag ausreichend. Die psychische Störung führe zu deutlichen Einschränkungen bzgl der Verantwortungs- und Kontaktfähigkeit. Die von der Klägerin angegebene Angst in der Öffentlichkeit und in den öffentlichen Verkehrsmitteln ließe noch eine ausreichende Flexibilität bzw Mobilität zu. Sie könne viermal täglich zu Fuß je mindestens 500 m in jeweils höchstens 20 Minuten zurücklegen. Gegen das Führen eines Pkw bestünden keine psychiatrischen Bedenken. Die Klägerin sei entsprechend dem oben geschilderten Profil vollschichtig für acht Stunden täglicher Arbeit einsetzbar.
Der Senat hat weiter den Befundbericht der behandelnden Praktischen Ärztin W-W vom 7. November 2005 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr Wvom 15. Januar 2006 (Bezugnahme auf den Befundbericht vom 27. August 2003) aus dem Klageverfahren vor dem SG Berlin zum Aktenzeichen S 46 SB 785/02 beigezogen.
Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gerichtsakte S 46 SB 785/05, die Schwerbehindertenakte des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin () und die Versorgungsakte des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin () verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungs
Gründe:
Gegenstand des Berufungsverfahrens (§§ 157, 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist der von der Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) geltend gemachte Anspruch (§ 123 SGG) auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 01. Mai 2001 nach der durch Artikel 1 Ziffer 10, Artikel 24 Abs 1 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 mit Wirkung vom 01. Januar 2001 neu gefassten Vorschrift des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 43 SGB VI, der mit Rücksicht auf den im Mai 2001 gestellten Rentenantrag und den begehrten Leistungsbeginn nach § 300 Abs 1 und 2 SGB VI anzuwenden ist, haben Versicherte bis zu Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll oder teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, bei denen der bezeichnete Sachverhalt ausschließt, dass sie noch mindestens sechs Stunden tätig sein können (vgl § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Nicht erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs 3 SGB VI diejenige, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin ist nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne dieser Begriffsbestimmungen. Der Senat stützt diese Überzeugung (§ 128 SGG) auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere auf die Gutachten der im gerichtlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen, dem Arzt für Psychiatrie Prof Dr Zund der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G. Danach bestehen bei der Klägerin neben einigen leichteren Funktionsstörungen und Erkrankungen auf somatischen Gebiet (chronisches Asthma Bronchiale, diverse festgestellten Allergien, leichte chronische Funktionseinschränkung der unteren Wirbelsäule (LWS-Syndrom) sowie eine Urtikaria) eine mittelschwere - gelegentlich schwere – psychische Störung, die in früher Kindheit strukturgebend begonnen hat und bereits in früher Jugend symptomatisch (Suizidversuch) geworden ist. So begründen die objektivierbaren somatischen Erkrankungen allesamt und in der Summe keine quantitativen, sondern nur qualitative Leistungseinschränkungen. Aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Funktionsstörungen kann die Klägerin vollschichtig, dh mindestens 6 Stunden arbeitstäglich, nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten.
Prof Dr Z hat nach ausführlicher Befragung sowie Erhebung eines körperlichen, neurologischen und psychischen Befundes nach Untersuchung der Klägerin und unter Würdigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen in seinem Gutachten verschiedene Erkrankungen der Klägerin beschrieben. Er hat daraus fachkundig und für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend aus den erhobenen und dokumentierten Befunden eine Beschreibung der Leistungsfähigkeit der Klägerin entwickelt, die keine quantitativen, aber qualitative Einschränkungen enthält. Hinsichtlich der im Vordergrund stehenden psychiatrischen Leiden beschreibt der Sachverständige zunächst die vorgefundene Situation der ärztlichen Stellungnahmen zu den psychischen Erkrankungen der Klägerin. Die Situation ist geprägt von unterschiedlichen Diagnosen und Einschätzungen des Leistungsvermögens der Klägerin. Weiter beschreibt Prof Dr Zein komplexes psychopathologisches Syndrom bestehend aus einer Fülle von Auffälligkeiten in den einzelnen Kategorien des psychischen Befundes, besonders im Bereich des Denkens, der Stimmung, des Affektes und der Kontaktfähigkeit. Er stützt sich dabei insbesondere auf das Gutachten des Nervenarztes D, da die Klägerin dort mehr bereit war, aus ihrer Biographie zu berichten. Nach Einschätzung von Prof Dr Z hat die Klägerin schon in früher Kindheit und Jugend eine zurückgezogene Persönlichkeitsstruktur entwickelt; im weiteren Verlauf der Zeit ist bei ihr, ausgelöst bzw verstärkt durch verschiedene Umstände familiärer Art (Suizide der Eltern) sowie Verfolgung und Misshandlungen durch die Staatsgewalt der DDR, eine Persönlichkeitsstörung entstanden. Das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild führt, wie von Prof Dr Z nachvollziehbar und ausführlich begründet, zu folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen: Im Hinblick auf die körperlichen Leiden sind der Klägerin nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten, bevorzugt in wechselnder Körperhaltung und ohne häufige vornüber gebeugte Haltung sowie ohne eine besondere und einseitige Belastung der Wirbelsäule zuzumuten. Die Geschicklichkeit der Finger und Hände sowie die Belastbarkeit der Beine und Füße sind dagegen nicht eingeschränkt. Aufgrund ihrer schulischen Bildung und der psychischen Störungen ist die Klägerin in der Lage, zumindest leichte geistige Arbeiten zu leisten. Vermieden werden müssen Arbeiten unter Zeitdruck. Des Weiteren ist zu beachten, dass wegen der psychischen Störungen deutliche Einschränkungen bei der Verantwortungs- und Kontaktfähigkeit bestehen. Die Beschreibung dieses Leistungsbildes wird unterstützt durch die Schlussfolgerungen, die die Sachverständige G in ihrem Gutachten vom 12. August 2003 gezogen hat. Zwar weicht die Sachverständige Gin ihrer Diagnosestellung ab von den von Prof Dr Z getroffenen Zuordnungen. Die Funktionseinschränkungen, die sich aus der mit unterschiedlichen Begriffen umschriebenen psychischen Erkrankung der Klägerin ergeben, werden aber ähnlich gefasst. Denn auch nach Einschätzung der Sachverständigen Gkann die Klägerin noch täglich vollschichtig körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten bei Vermeidung von Zwangshaltungen und besonderer klimatischer Expositionen verrichten. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten in Nachtschicht sowie unter Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeit) und an laufenden Maschinen bzw mit streng vorgegebenem Arbeitsrhythmus. Eine ständig vorliegende Einschränkung der Konzentrations-, Entschluss-, Verantwortungs-, Kontakt-, Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit vermochte die Sachverständige nicht festzustellen; wobei sie ein – gelegentliches – Auftreten bei Stressbelastung, insbesondere auch durch Aufkommen von Ängsten, für möglich erachtet.
Der danach zu Grunde zu legende Sachstand bezüglich der Erkrankungen der Klägerin ist auch nicht im Hinblick auf die Befundberichte der behandelnden Hausärztin und des Berichts von Dr Wanders zu beurteilen. Hinsichtlich der hier für die Entscheidung maßgeblichen Beurteilung der psychischen Erkrankung der Klägerin fehlt es der behandelnden Ärztin W-W an der entsprechenden fachlichen Qualifikation, da sie anders als die Sachverständigen G und Prof Dr Z nicht über eine Facharztausbildung auf nervenärztlichem Gebiet verfügt. Dr. W ist mit der Sachverständigen Gin ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Februar 2004 entgegenzuhalten, dass sich die von ihm beschriebene Schwere der Erkrankung nicht in der von der Klägerin bei der Begutachtung dargestellten Bewältigung des Alltages noch in den erhobenen Befunden wiederfindet, mithin die in seinem Bericht umschriebene Angstbestimmung des Lebens bei der Klägerin als Dauerzustand so nicht vorliegen kann. Zumal nach den Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen G, es ihr in der Zeit der Behandlung durch Dr W vorübergehend sehr schlecht ging. Auch der Sachverständige Prof Dr Z hat sich mit dem Befundbericht von Dr W fachlich auseinandergesetzt und Unklarheiten und Ungereimtheiten festgestellt. Vor diesem Hintergrund hat der Senat den angeführten Befundberichten bei der Beweiswürdigung kein besonderes Gewicht beigemessen und weitere Ermittlungen nicht für erforderlich gehalten.
Im Hinblick auf die vorhandenen qualitativen Leistungseinschränkungen braucht der Klägerin keine konkrete Berufstätigkeit benannt zu werden. Die Leistungseinschränkungen erfordern ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besondere Begründung zur Verneinung einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder einer "schweren spezifischen Leistungsminderung", weil sie nicht geeignet erscheinen, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Insbesondere ist der Ausschluss von Heben und Tragen schwerer Lasten und von Zwangshaltungen bereits vom Begriff "leichte Tätigkeiten" umfasst (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117 und SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaubt ihr noch körperliche Verrichtungen, die in leichten einfachen Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, wie zB Montieren, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von kleinen Teilen. Hierbei handelt es sich um einfache geistige Tätigkeiten, die keine besonderen Anforderungen an die Kontakt-, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit stellen und nicht zwingend mit besonderem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandtätigkeit) verbunden sind. Das Sehvermögen der Klägerin ist noch dergestalt, dass sich für diese Tätigkeitsfelder bei ihr keine Einschränkungen ergeben. Die diversen Allergien der Klägerin lassen zwar einen Einsatz in den Produktionsbereichen der chemischen bzw pharmazeutischen Industrie – einem nicht sehr großen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes - nicht mehr möglich erscheinen; entgegen ihrer Auffassung sind den vorliegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten keine Anhaltspunkte für eine weitergehende gesundheitsbedingte Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu entnehmen. So ist der Klägerin im Rahmen der Bewältigung ihres Haushaltes, in dem noch ein minderjähriges Kind zu versorgen ist, offensichtlich der Kontakt mit den vielfältigen Gegenständen des Alltages (Lebensmittel, Bekleidung, Reinigungsmittel, Körperpflegemittel einschließlich Haarfärbemittel etc) ohne Einschränkungen möglich; solche klingen in den vorliegenden Gutachten auch nicht an. Schließlich ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Wegefähigkeit keine andere Entscheidung. Die dokumentierten Befunde und Gutachten fügen sich nicht zu einem feststehenden Bild einer Wegeunfähigkeit zusammen. Die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens beauftragten Gutachterinnen - Dipl-Med B und Dr L-verhalten sich zu der Frage der Wegefähigkeit nicht. Über Schwierigkeiten der Klägerin bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln wird erstmals in dem Gutachten der Sachverständigen G vom 12. August 2003 berichtet: Zwar kann die Klägerin problemlos viermal täglich Wegstrecken von 500 m zu Fuß zurücklegen. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu längeren Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht in der Lage sei. Sie könne aktuell höchstens wenige Stationen mit dem Bus fahren. Fahrten mit der U-Bahn seien ihr nur dann möglich, wenn in dem Wagen eine Ablenkung durch dort installierte Bildschirme gegeben sei. Die geschilderten Schwierigkeiten sind jedoch nach Ansicht der Sachverständigen in kurzer Zeit mit Hilfe einer Psychotherapie, bei der die Klägerin zusätzliche Techniken zur Ablenkung von ihren Ängsten erlernen kann, überwindbar, so dass U-Bahn- und Busfahrten von einer Dauer bis zu jeweils 20 Minuten zugemutet werden könnten. Auch der Gutachter D hat sich in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 29. November 2004 im Rahmen des Antrages nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) ausführlich mit den Ängsten der Klägerin und deren Schwierigkeiten bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln beschäftigt. Er hat gleichwohl die Merkzeichen "B" und "G" nicht befürwortet, da die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Nach seiner Einschätzung kann die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel, wenn auch unter Anstrengung, allein benutzen. Ebenso bejaht der Sachverständige Prof Dr Ztrotz der von der Klägerin geschilderten Ängste in der Öffentlichkeit und in den öffentlichen Verkehrsmitteln noch eine ausreichende Flexibilität und Mobilität.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, die seit dem 01. Mai 2006 Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg heißt, die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die am im Beitrittsgebiet geborene Klägerin hat die Schule nach der 8. Klasse verlassen und danach keinen Beruf erlernt. Sie arbeitete - jeweils mit Unterbrechungen - einige Monate als Botin, als Wagenschreiberin, als Aushilfe bei der Post und als Raumpflegerin. Die Klägerin wurde mit Urteil des Stadtbezirksgericht Berlin-Prenzlauer Berg vom 13. Juli 1978 (aufgehoben durch Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Berlin vom 13. Februar 2002) wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verurteilt. Vom 06. Juli 1978 bis zum 04. Januar 1979 befand sich die Klägerin in Untersuchungs- bzw Strafhaft. Nach der Haftentlassung war sie rund ein Jahr als Glühlampenfertigerin beschäftigt. Die Klägerin hat vier Kinder geboren (1980, 1983, 1985, 1994). Sie ist seit dem 06. November 1996 beim Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet. Seit 1998 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. Zur Zeit bezieht die Klägerin für sich und die bei ihr lebende jüngste Tochter Arbeitslosengeld II. Die Klägerin ist anerkannte Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 60.
Die Klägerin beantragte am 25. Mai 2001 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Sie sei aufgrund von Allergien und Osteoporose berufs- und erwerbsunfähig. Zur Begründung reichte die Klägerin ihren Allergiepass vom 24. September 1998 ein. Darin wird ihr eine Überempfindlichkeit gegen eine Reihe von chemischen Stoffen (Weichmacher, Filmentwicklungslösungen uä) bescheinigt. Die Beklagte veranlasste die Begutachtung durch die Fachärztin für Chirurgie – Sozialmedizin - Dipl-Med B. Diese stellte nach einer Untersuchung der Klägerin am 23. August 2001 bei der Klägerin chronische Wirbelsäulenbeschwerden bei Wirbelsäulenfehlhaltung und degenerativen Veränderungen fest. Die Klägerin sei mehr als sechs Stunden täglich leistungsfähig für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten im gelegentlichen Wechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen. Häufiges Bücken und häufiges Heben und Tragen von Lasten sollten vermieden werden (Gutachten vom 27. August 2001). Die Beklagte veranlasste außerdem die Begutachtung der Klägerin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr L. Diese stellt nach Untersuchung der Klägerin am 05. September 2001 neben den im chirurgisch-orthopädischen Gutachten festgestellten Leiden eine schizoide Persönlichkeitsstörung fest. Die bei der Klägerin vorliegende Persönlichkeitsstörung sei nicht als krankheitswertig aufzufassen. Aus nervenärztlicher Sicht bestehe vollschichtiges Leistungsvermögen in ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Glühlampenfertigerin und für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die qualitativen Leistungseinschränkungen würden sich durch ihre Wirbelsäulenleiden ergeben (Gutachten vom 18. September 2001).
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könne die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden ausüben.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 05. November 2001 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 25. Januar 2002 zurückgewiesen wurde.
Zur Begründung ihrer Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klägerin ein ärztliches Attest der behandelnden Praktischen Ärztin W-W eingereicht. Darin bescheinigte die Ärztin, dass die Klägerin an Asthma bronchiale und multiplen Kontaktallergien sowie an einer schweren Depression erkrankt sei. Zusätzlich leide die Klägerin unter Lebensängsten und starken aggressiven Schüben, die sich besonders in der Konfrontation mit Ämtern verstärke. Zurückzuführen seien diese psychischen Probleme auf die Traumatisierung in ihrer Jugend und besonders gravierend durch die Gefängnisaufenthalte im Alter von 19 Jahren und den dort erfolgten Verhören. In einer handschriftlichen Äußerung vom 13. Februar 2002 hat die Klägerin hierzu ergänzend angegeben, in der Haft vergewaltigt worden zu sein; später sei im 6. Schwangerschaftsmonat eine Abtreibung vorgenommen worden. Weiter hat sie die für sie belastenden Bedingungen des Gefängnisaufenthalts und der Vernehmungssituation beschrieben. Sie vermeide alles, was sie an die während des Gefängnisaufenthalts ausgeübte Tätigkeit mit Filmrollen erinnere. Die Klägerin hat im Klageverfahren weiter geltend gemacht, sie leide unter Schlafstörungen sowie chronischen Wirbelsäulenbeschwerden bei Wirbelsäulenfehlhaltung und degenerativen Veränderungen. Allein aufgrund dieser Minderbelastbarkeit sei es ihr nicht mehr möglich, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hauptsächlich leide sie unter sehr starken seelischen und psychischen Gesundheitsstörungen, auf Grund derer sie nicht mehr in der Lage sei, Ämtertermine wahrzunehmen. Hieraus folgend könne sie nur solche Tätigkeiten ausüben, bei denen der Kontakt zu Vorgesetzten oder anderen Stellen ausgeschlossen werden könne. Bereits die Aufgaben im Haushalt und das tägliche Einkaufen bewältige sie manchmal nur unter größter Anstrengung. So könne schon ein dreistündiger Aufenthalt außerhalb der häuslichen Umgebung zu krankhaften Störungen führen. Es sei zu befürchten, dass ein Herausreißen aus der gewohnten häuslichen Umgebung eine erhebliche Suizidgefahr mit sich bringen würde. Aufgrund der zahlreichen Allergien sei es ihr nicht möglich, zum Beispiel mit Reinigungsmitteln, Terpentin, Klebstoffen, Farbstoffen, Kunstharzen, Stoffe der Auto-, Flugzeug- und Elektroindustrie, Lacken und Stoffen, Kunststoffindustrie zu arbeiten. Der Geruch von Chemikalien erinnere sie zudem an den Aufenthalt in der Haftanstalt und löse eine sofortige innerliche Beklemmung bei ihr aus, die starke Atemnot, Herzrasen und Brechreiz verursache. Deshalb habe sie nicht als Verkäuferin in einer Videothek arbeiten können, da der meist zudringliche Kontakt von angetrunkenen Kunden für sie mit sofortigem Brechreiz verbunden gewesen sei. Ein Auffüllen von Regalen in einer Drogerie sei ihr aufgrund der Gerüche nicht zumutbar, ebenso wenig eine Tätigkeit als Reinigungskraft oder Mitarbeiterin in einem Sonnenstudio. Durch die zusätzlichen atypischen Leistungseinschränkungen der psychischen Erkrankung sei der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen, so dass von voller Erwerbsminderung und nicht nur von teilweiser Erwerbsminderung auszugehen sei.
Das SG Berlin hat einen Befundbericht der behandelnden Praktischen Ärztin W-W vom 27. Mai 2002 eingeholt. Das SG Berlin hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin M G. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 12. August 2003 nach Untersuchung der Klägerin am 25. Juli 2003 folgende Krankheiten bei der Klägerin fest: - gemischte Angststörung mit Phobien, - multiple Somatisierungsstörung, - Verdacht auf post-traumatische Belastungsstörung, - Verdacht auf Dysthymie, - Multiple Allergien mit asthmatischen Zuständen und Hautreaktionen, - Wirbelsäulenfehlhaltung mit Reizzuständen.
Es handle sich zusammengefasst um eine komplexe psychoneurotische Störung mit Ängsten, Angstäquivalenten und Phobien sowie um eine Somatisierungsstörung bei anzunehmender Dysthemie im Sinne einer neurotischen Depression sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Symptomatik sei insgesamt stark situationsabhängig und nur mittelgradiger Ausprägung, so dass zwar zweifellos von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit und von erheblichen qualitativen, nicht jedoch von quantitativen Leistungseinschränkungen auszugehen sei. Die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten. Auch eine ausreichende Wegefähigkeit könne entwickelt werden.
Die Klägerin hat daraufhin den Befundbericht des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr G W (eingeholt in einem Klageverfahren wegen der Schwerbehinderteneigenschaft) vom 27. August 2003 eingereicht, der folgende Erkrankungen (auf der Grundlage von drei Kontakten mit der Klägerin im Jahr 2002) diagnostizierte: "Allerschwerste generalisierte Angststörung mit Beginn in der frühen Kindheit und dramatische Ausprägung durch weitere psychische Traumatisierungen mit erheblich gemindertem Selbstwertgefühl, ausschließlich depressiver Erlebnisverarbeitung und chronischer trauriger Verstimmung." Letztere habe sich in enger werdenden Abständen zu schweren Depressionen mit Selbsttötungsabsichten und totalem Rückzugsverhalten entwickelt. Hierzu führte die Sachverständige G in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Februar 2004 aus, dass die Klägerin nach dem Ergebnis der Exploration durchaus zu einer recht beschaulichen und relativ angstfreien Lebensweise in der Lage sei, solange ihr Leben in den von ihr bestimmten Bahnen verlaufe. Insbesondere in privaten Lebensbereichen und für die Belange der Kinder verfüge sie über ein adäquates Durchsetzungsvermögen. Es handle sich um eine eher schwere, vor allem aber völlig chronifizierte psychoneurotische Störung, durch die die Erwerbsfähigkeit zwar in hohem Maße gefährdet und auch qualitativ stark eingeschränkt, jedoch nicht aufgehoben sei.
Mit Urteil vom 06. Mai 2004 hat das SG Berlin die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe eine Erwerbsminderungsrente nicht zu. Sie habe keine Berufsausbildung durchlaufen und damit keinen Berufsschutz erworben. Sie sei daher grundsätzlich auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verfüge die Klägerin noch über eine ausreichende Leistungsfähigkeit. Zu dieser Überzeugung sei das Gericht aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen Frau G vom 12. August 2003 gekommen. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die neurologisch-psychiatrische Sachverständige Frau Dr L aus dem Verwaltungsverfahren. Eine andere Beurteilung des Leistungsbildes der Klägerin ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die so genannte Wegefähigkeit. Zwar habe die Sachverständige der Klägerin attestiert, dass sie zurzeit nur wenige Stationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen könne. Dieser Zustand könne aber innerhalb von drei Monaten soweit behoben werden, dass eine ausreichende Wegefähigkeit wiederhergestellt werden könne. Damit liege eine Minderung auf nicht absehbare Zeit im Sinne des § 43 SGB VI nicht vor. Nach Angaben der Sachverständigen könne die Klägerin an einer Psychotherapie teilnehmen.
Mit der am 26. Juli 2004 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt zur Begründung ergänzend vor, sie leide unter Suizidgedanken. Ihre Schlafstörungen hätten zugenommen. Sie erwache ca zweimal pro Nacht und finde erst nach einer Wachphase von ca zwei Stunden erneut Schlaf. Sie leide unter Schmerzen im Hinterkopf, die - kombiniert mit Schwindel - auftreten würden. Die linke Seite, vor allem Hand und Fuß, seien aufgrund der Osteoporose taub. Bei ihr sei eine Wegefähigkeit nicht gegeben. Sie verfüge weder über einen Führerschein, noch über ein Kraftfahrzeug. An manchen Tagen sei es ihr gar nicht möglich, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Dem Gutachten von Frau G sei nicht zu entnehmen, dass eine ausreichende Wegefähigkeit derzeit bestehe. Der Beurteilung von Frau G, eine Linderung könne innerhalb von drei Monaten erreicht werden, könne nicht gefolgt werden. Innerhalb des Gutachtens werde nicht darauf eingegangen, dass sie - die Klägerin - unter verschiedenen Allergien leide sowie eine Geruchssensibilität vorliege. Gerade diese Zustände ließen auf eine posttraumatische Belastungsstörung einen Rückschluss zu. Da zwischen den Befundberichten von Dr W und dem Gutachten von Frau G eine erhebliche Diskrepanz bestehe, erscheine eine erneute Begutachtung geboten. Bei der Gesamtzahl der vorliegenden Beeinträchtigungen sei eine Tätigkeit, die von ihr noch sechs Stunden täglich ausgeübt werden könne, nicht ersichtlich. Die Beklagte sei aufgefordert, eine entsprechende Verweisungstätigkeit darzulegen.
Die Klägerin bezieht sich weiter auf den Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Versorgungsamt vom 20. Januar 2005 über die Feststellung von Versorgungsbezügen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Dem lag ein nervenfachärztliches Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Dr D vom 29. November 2004 zugrunde. Dieser stellte eine fortbestehende ängstlich dysphorische Symptomatik fest, die durch die Haft eine Verschlimmerung erfahren habe (dysphorische Verstimmung, Ängste bei Menschenansammlungen und Ängste auch in abgeschlossenen Verkehrsmitteln).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 06. Mai 2004 und den Bescheid vom 10. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01. Mai 2001 Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Klägerin nach wie vor für erwerbsfähig.
Der Senat hat das im Auftrag des Amtsgerichts Lichtenberg erstellte psychiatrische Fachgutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie B B beigezogen. In ihrem Gutachten vom 29. September 2004 führte die Ärztin B aus, bei der Klägerin scheine eine posttraumatische Belastungsstörung mit ausgeprägter Angstsymptomatik und paranoiden Anteilen vorzuliegen. Die Klägerin könne daher ihre finanziellen, behördlichen und gesundheitlichen Angelegenheiten nicht ausreichend selbst besorgen. Das Unvermögen zur Besorgung der bezeichneten Angelegenheiten werde längerfristig fortbestehen, so dass die Betreuung für zwei Jahre eingerichtet werden sollte. Zu der Einrichtung einer Betreuung ist es nach Angaben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats nicht gekommen.
Der Senat hat den Arzt für Psychiatrie Prof Dr Zmit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem psychiatrischen Fachgutachten vom 24. November 2005 hat der Sachverständige folgende Erkrankungen festgestellt: Die Klägerin leide an einem mittelschweren psychopathologischen Syndrom im Sinne einer Persönlichkeitsstörung, an einem leichten depressiven Syndrom mit Angstsymptomatik, an einem leichten LWS-Syndrom, an einer generalisierten Urtikaria (Juckreiz), an einer Allergie gegen diverse Stoffe, anamnestisch an Asthma bronchiale und an chronischen Unterbauchbeschwerden. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit hat der Gutachter ausgeführt, die Klägerin könne aufgrund ihrer körperlichen Funktionsstörungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten verrichten. Die Klägerin sei aufgrund ihrer schulischen Bildung und der psychischen Störung in der Lage, noch mindestens leichte geistige Arbeit zu leisten. Die Klägerin könne lesen und schreiben und beherrsche die deutsche Sprache für diesen Berufsalltag ausreichend. Die psychische Störung führe zu deutlichen Einschränkungen bzgl der Verantwortungs- und Kontaktfähigkeit. Die von der Klägerin angegebene Angst in der Öffentlichkeit und in den öffentlichen Verkehrsmitteln ließe noch eine ausreichende Flexibilität bzw Mobilität zu. Sie könne viermal täglich zu Fuß je mindestens 500 m in jeweils höchstens 20 Minuten zurücklegen. Gegen das Führen eines Pkw bestünden keine psychiatrischen Bedenken. Die Klägerin sei entsprechend dem oben geschilderten Profil vollschichtig für acht Stunden täglicher Arbeit einsetzbar.
Der Senat hat weiter den Befundbericht der behandelnden Praktischen Ärztin W-W vom 7. November 2005 und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr Wvom 15. Januar 2006 (Bezugnahme auf den Befundbericht vom 27. August 2003) aus dem Klageverfahren vor dem SG Berlin zum Aktenzeichen S 46 SB 785/02 beigezogen.
Wegen des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gerichtsakte S 46 SB 785/05, die Schwerbehindertenakte des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin () und die Versorgungsakte des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin () verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungs
Gründe:
Gegenstand des Berufungsverfahrens (§§ 157, 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist der von der Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) geltend gemachte Anspruch (§ 123 SGG) auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 01. Mai 2001 nach der durch Artikel 1 Ziffer 10, Artikel 24 Abs 1 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 mit Wirkung vom 01. Januar 2001 neu gefassten Vorschrift des § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).
Nach § 43 SGB VI, der mit Rücksicht auf den im Mai 2001 gestellten Rentenantrag und den begehrten Leistungsbeginn nach § 300 Abs 1 und 2 SGB VI anzuwenden ist, haben Versicherte bis zu Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller bzw teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll oder teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, bei denen der bezeichnete Sachverhalt ausschließt, dass sie noch mindestens sechs Stunden tätig sein können (vgl § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI). Nicht erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs 3 SGB VI diejenige, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Die Klägerin ist nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert im Sinne dieser Begriffsbestimmungen. Der Senat stützt diese Überzeugung (§ 128 SGG) auf die vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere auf die Gutachten der im gerichtlichen Verfahren beauftragten Sachverständigen, dem Arzt für Psychiatrie Prof Dr Zund der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G. Danach bestehen bei der Klägerin neben einigen leichteren Funktionsstörungen und Erkrankungen auf somatischen Gebiet (chronisches Asthma Bronchiale, diverse festgestellten Allergien, leichte chronische Funktionseinschränkung der unteren Wirbelsäule (LWS-Syndrom) sowie eine Urtikaria) eine mittelschwere - gelegentlich schwere – psychische Störung, die in früher Kindheit strukturgebend begonnen hat und bereits in früher Jugend symptomatisch (Suizidversuch) geworden ist. So begründen die objektivierbaren somatischen Erkrankungen allesamt und in der Summe keine quantitativen, sondern nur qualitative Leistungseinschränkungen. Aufgrund ihrer körperlichen und psychischen Funktionsstörungen kann die Klägerin vollschichtig, dh mindestens 6 Stunden arbeitstäglich, nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten.
Prof Dr Z hat nach ausführlicher Befragung sowie Erhebung eines körperlichen, neurologischen und psychischen Befundes nach Untersuchung der Klägerin und unter Würdigung der vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen in seinem Gutachten verschiedene Erkrankungen der Klägerin beschrieben. Er hat daraus fachkundig und für das Gericht nachvollziehbar und überzeugend aus den erhobenen und dokumentierten Befunden eine Beschreibung der Leistungsfähigkeit der Klägerin entwickelt, die keine quantitativen, aber qualitative Einschränkungen enthält. Hinsichtlich der im Vordergrund stehenden psychiatrischen Leiden beschreibt der Sachverständige zunächst die vorgefundene Situation der ärztlichen Stellungnahmen zu den psychischen Erkrankungen der Klägerin. Die Situation ist geprägt von unterschiedlichen Diagnosen und Einschätzungen des Leistungsvermögens der Klägerin. Weiter beschreibt Prof Dr Zein komplexes psychopathologisches Syndrom bestehend aus einer Fülle von Auffälligkeiten in den einzelnen Kategorien des psychischen Befundes, besonders im Bereich des Denkens, der Stimmung, des Affektes und der Kontaktfähigkeit. Er stützt sich dabei insbesondere auf das Gutachten des Nervenarztes D, da die Klägerin dort mehr bereit war, aus ihrer Biographie zu berichten. Nach Einschätzung von Prof Dr Z hat die Klägerin schon in früher Kindheit und Jugend eine zurückgezogene Persönlichkeitsstruktur entwickelt; im weiteren Verlauf der Zeit ist bei ihr, ausgelöst bzw verstärkt durch verschiedene Umstände familiärer Art (Suizide der Eltern) sowie Verfolgung und Misshandlungen durch die Staatsgewalt der DDR, eine Persönlichkeitsstörung entstanden. Das bei der Klägerin bestehende Krankheitsbild führt, wie von Prof Dr Z nachvollziehbar und ausführlich begründet, zu folgenden qualitativen Leistungseinschränkungen: Im Hinblick auf die körperlichen Leiden sind der Klägerin nur noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten, bevorzugt in wechselnder Körperhaltung und ohne häufige vornüber gebeugte Haltung sowie ohne eine besondere und einseitige Belastung der Wirbelsäule zuzumuten. Die Geschicklichkeit der Finger und Hände sowie die Belastbarkeit der Beine und Füße sind dagegen nicht eingeschränkt. Aufgrund ihrer schulischen Bildung und der psychischen Störungen ist die Klägerin in der Lage, zumindest leichte geistige Arbeiten zu leisten. Vermieden werden müssen Arbeiten unter Zeitdruck. Des Weiteren ist zu beachten, dass wegen der psychischen Störungen deutliche Einschränkungen bei der Verantwortungs- und Kontaktfähigkeit bestehen. Die Beschreibung dieses Leistungsbildes wird unterstützt durch die Schlussfolgerungen, die die Sachverständige G in ihrem Gutachten vom 12. August 2003 gezogen hat. Zwar weicht die Sachverständige Gin ihrer Diagnosestellung ab von den von Prof Dr Z getroffenen Zuordnungen. Die Funktionseinschränkungen, die sich aus der mit unterschiedlichen Begriffen umschriebenen psychischen Erkrankung der Klägerin ergeben, werden aber ähnlich gefasst. Denn auch nach Einschätzung der Sachverständigen Gkann die Klägerin noch täglich vollschichtig körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten bei Vermeidung von Zwangshaltungen und besonderer klimatischer Expositionen verrichten. Ausgeschlossen sind Tätigkeiten in Nachtschicht sowie unter Zeitdruck (Akkord- und Fließbandarbeit) und an laufenden Maschinen bzw mit streng vorgegebenem Arbeitsrhythmus. Eine ständig vorliegende Einschränkung der Konzentrations-, Entschluss-, Verantwortungs-, Kontakt-, Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit vermochte die Sachverständige nicht festzustellen; wobei sie ein – gelegentliches – Auftreten bei Stressbelastung, insbesondere auch durch Aufkommen von Ängsten, für möglich erachtet.
Der danach zu Grunde zu legende Sachstand bezüglich der Erkrankungen der Klägerin ist auch nicht im Hinblick auf die Befundberichte der behandelnden Hausärztin und des Berichts von Dr Wanders zu beurteilen. Hinsichtlich der hier für die Entscheidung maßgeblichen Beurteilung der psychischen Erkrankung der Klägerin fehlt es der behandelnden Ärztin W-W an der entsprechenden fachlichen Qualifikation, da sie anders als die Sachverständigen G und Prof Dr Z nicht über eine Facharztausbildung auf nervenärztlichem Gebiet verfügt. Dr. W ist mit der Sachverständigen Gin ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21. Februar 2004 entgegenzuhalten, dass sich die von ihm beschriebene Schwere der Erkrankung nicht in der von der Klägerin bei der Begutachtung dargestellten Bewältigung des Alltages noch in den erhobenen Befunden wiederfindet, mithin die in seinem Bericht umschriebene Angstbestimmung des Lebens bei der Klägerin als Dauerzustand so nicht vorliegen kann. Zumal nach den Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen G, es ihr in der Zeit der Behandlung durch Dr W vorübergehend sehr schlecht ging. Auch der Sachverständige Prof Dr Z hat sich mit dem Befundbericht von Dr W fachlich auseinandergesetzt und Unklarheiten und Ungereimtheiten festgestellt. Vor diesem Hintergrund hat der Senat den angeführten Befundberichten bei der Beweiswürdigung kein besonderes Gewicht beigemessen und weitere Ermittlungen nicht für erforderlich gehalten.
Im Hinblick auf die vorhandenen qualitativen Leistungseinschränkungen braucht der Klägerin keine konkrete Berufstätigkeit benannt zu werden. Die Leistungseinschränkungen erfordern ihrer Anzahl, Art und Schwere nach keine besondere Begründung zur Verneinung einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" oder einer "schweren spezifischen Leistungsminderung", weil sie nicht geeignet erscheinen, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Insbesondere ist der Ausschluss von Heben und Tragen schwerer Lasten und von Zwangshaltungen bereits vom Begriff "leichte Tätigkeiten" umfasst (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 117 und SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr. 17). Das Restleistungsvermögen der Klägerin erlaubt ihr noch körperliche Verrichtungen, die in leichten einfachen Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, wie zB Montieren, Kleben, Sortieren, Verpacken oder Zusammensetzen von kleinen Teilen. Hierbei handelt es sich um einfache geistige Tätigkeiten, die keine besonderen Anforderungen an die Kontakt-, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit stellen und nicht zwingend mit besonderem Zeitdruck (Akkord- und Fließbandtätigkeit) verbunden sind. Das Sehvermögen der Klägerin ist noch dergestalt, dass sich für diese Tätigkeitsfelder bei ihr keine Einschränkungen ergeben. Die diversen Allergien der Klägerin lassen zwar einen Einsatz in den Produktionsbereichen der chemischen bzw pharmazeutischen Industrie – einem nicht sehr großen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes - nicht mehr möglich erscheinen; entgegen ihrer Auffassung sind den vorliegenden medizinischen Unterlagen und Gutachten keine Anhaltspunkte für eine weitergehende gesundheitsbedingte Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu entnehmen. So ist der Klägerin im Rahmen der Bewältigung ihres Haushaltes, in dem noch ein minderjähriges Kind zu versorgen ist, offensichtlich der Kontakt mit den vielfältigen Gegenständen des Alltages (Lebensmittel, Bekleidung, Reinigungsmittel, Körperpflegemittel einschließlich Haarfärbemittel etc) ohne Einschränkungen möglich; solche klingen in den vorliegenden Gutachten auch nicht an. Schließlich ergibt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Wegefähigkeit keine andere Entscheidung. Die dokumentierten Befunde und Gutachten fügen sich nicht zu einem feststehenden Bild einer Wegeunfähigkeit zusammen. Die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens beauftragten Gutachterinnen - Dipl-Med B und Dr L-verhalten sich zu der Frage der Wegefähigkeit nicht. Über Schwierigkeiten der Klägerin bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln wird erstmals in dem Gutachten der Sachverständigen G vom 12. August 2003 berichtet: Zwar kann die Klägerin problemlos viermal täglich Wegstrecken von 500 m zu Fuß zurücklegen. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin zu längeren Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht in der Lage sei. Sie könne aktuell höchstens wenige Stationen mit dem Bus fahren. Fahrten mit der U-Bahn seien ihr nur dann möglich, wenn in dem Wagen eine Ablenkung durch dort installierte Bildschirme gegeben sei. Die geschilderten Schwierigkeiten sind jedoch nach Ansicht der Sachverständigen in kurzer Zeit mit Hilfe einer Psychotherapie, bei der die Klägerin zusätzliche Techniken zur Ablenkung von ihren Ängsten erlernen kann, überwindbar, so dass U-Bahn- und Busfahrten von einer Dauer bis zu jeweils 20 Minuten zugemutet werden könnten. Auch der Gutachter D hat sich in seinem nervenfachärztlichen Gutachten vom 29. November 2004 im Rahmen des Antrages nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) ausführlich mit den Ängsten der Klägerin und deren Schwierigkeiten bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln beschäftigt. Er hat gleichwohl die Merkzeichen "B" und "G" nicht befürwortet, da die Klägerin bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen ist. Nach seiner Einschätzung kann die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel, wenn auch unter Anstrengung, allein benutzen. Ebenso bejaht der Sachverständige Prof Dr Ztrotz der von der Klägerin geschilderten Ängste in der Öffentlichkeit und in den öffentlichen Verkehrsmitteln noch eine ausreichende Flexibilität und Mobilität.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved