L 10 B 291/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 23 AS 127/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 291/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Februar 2006 wird zurückgewiesen. Der Antrag des Antragstellers vom 28. März 2006, ihm unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Das Begehren des Antragstellers (§ 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein auf die Gewährung höherer als die in dem mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Dezember 2005 für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 bewilligten Leistungen zum Lebensunterhalt – Arbeitslosengeld II (Alg II) - nach § 19 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gerichtet.

Nach § 86 b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch - die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist - sowie der Anordnungsgrund - die Eilbedürftigkeit der begehrten sofortigen Regelung - sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Die begehrte einstweilige Anordnung kann danach schon deshalb nicht erlassen werden, weil derzeit ein Anordnungsgrund nicht vorliegt.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz; im Beschwerdeverfahren kommt es hiernach auf den Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung an. Für den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung von höherem Alg II für den im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bereits abgelaufenen Zeitraum (01. Januar 2006 bis 30. Juni 2006) steht dem Antragsteller schon deshalb kein Anordnungsgrund zur Seite, weil derartige Ansprüche grundsätzlich nur in einem Hauptsacheverfahren zu klären sind. Die Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes in Fällen der vorliegenden Art ist es, eine akute Notlage zu beseitigen, denn nur dann kann von einem wesentlichen Nachteil gesprochen werden, den es abzuwenden gilt, und bei dem ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten wäre. Ausnahmsweise kann eine Fallgestaltung gegeben sein, in der die sofortige Verfügbarkeit einer für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Geldleistung zur Abwendung eines gegenwärtigen drohenden Nachteils erforderlich ist (vgl Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsverfahren, 4. Auflage, 1998, RdNr 355 mwN). Ein solcher Sachverhalt ist hier jedoch vom Antragsteller weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden und auch nach Lage der Akten nicht erkennbar.

Nicht zu entscheiden brauchte der Senat die Frage, ob im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes dem Antragsteller höheres Alg II für die Zeit ab dem 01. Juli 2006 zu gewähren ist. Ein solches Rechtsschutzbegehren hat der Antragsteller bisher nicht an den Senat herangetragen. Insbesondere ist von ihm nicht der Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2006 betreffend die Gewährung von Alg II für den Leistungszeitraum vom 01. Juli 2006 bis zum 31. Dezember 2006 zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht worden; eben so wenig ist bisher Widerspruch gegen diesen Bescheid vom Antragsteller eingelegt worden. Selbst wenn sich der Antragsteller im vorliegenden Verfahren auch gegen den Bescheid vom 27. September 2006 wenden sollte, bestünden im Hinblick auf § 29 SGG erhebliche Bedenken hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis des Senats. Denn der Senat entscheidet in Beschwerdeverfahren über Beschwerden gegen Entscheidungen des Sozialgerichts (§ 29 SGG), eine erstinstanzliche Entscheidungsbefugnis steht ihm - bis auf wenige, hier nicht gegebene Fallgestaltungen nach § 96 SGG – nicht zu (vgl BSG SozR 3-1500 § 29 Nr 1).

Abgesehen davon hat das Sozialgericht im angefochtenen Beschluss vom 20. Februar 2006 zutreffend das Vorliegen des geltend gemachten Anordnungsanspruchs – eines höheren Leistungsanspruchs wegen des Nichtbestehens einer Bedarfsgemeinschaft bzw einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft – verneint. Auch nach den weiteren Ermittlungen des Senats (siehe ua Inhalt der beigezogenen Akte der Arbeitsagentur für Arbeit Brandenburg (Band 3 zur Kundennummer , Auskunft des Amtes B vom 04. Mai 2006, Inhalt der beigezogenen Verfahrensakten des SG Potsdam S 23 AS 511/05 und S 22 AS 363/05 ER bzw L 29 B 1104/05 AS ER) ist der Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Insoweit kann sich der Antragsteller nicht auf die für ihn im Ergebnis positive Entscheidung des 29. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 17. Juni 2006 - L 29 B 1104/05 AS ER) berufen, da sich diese allein auf Verfahrensfehler bei der angefochtenen (Teil-)Rücknahme der Leistungsbewilligung im Änderungsbescheid vom 25. Juli 2005 stützt, jedoch keine Feststellungen zu der Frage des Bestehens einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, dh einer Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft im Sinne der vom SG bereits zitierten Rechtsprechung, enthält. Vielmehr haben die Ermittlungen des Senats das Vorliegen der wesentlichen Strukturelemente einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft, wie langjährige Dauer des Zusammenlebens, Erziehung gemeinsamer Kinder, stabile Lebens- und Wohnverhältnisse bei unveränderter enger räumlicher Nähe, bestätigt. So lebt der in diesem Zeitraum wiederholt arbeitslos gewesene Antragsteller seit 1989 mit Frau R und den gemeinsamen, 1989 und 1991 geborenen Kindern in einer Wohnung bzw ab November 2003 in dem von Frau R erworbenen Haus (laut Kaufvertrag: nicht umfassend modernisiertes ca 100 Jahre altes Wohnhaus in der Form einer Doppelhaushälfte, bestehend aus zwei mit Gas beheizten Wohnungen im Erdgeschoss mit jeweils zwei Zimmern nebst Wohnküche und Bad sowie zwei separat begehbaren Zimmern im Obergeschoss, insgesamt mit einer Wohnfläche von 115 qm) zusammen. Diese tatsächlichen Umstände, die auf eine eheähnliche Lebensgemeinschaft schließen lassen, sind unverändert weiter gegeben. Demgegenüber sind die Aspekte, auf die der Antragsteller die Beendigung der eheähnlichen Lebensgemeinschaft stützt, formaler Natur und unterliegen – ohne wesentlichen Aufwand zu verursachen – der Disposition der Partner (Nachschieben eines schriftlichen Vertrages für ein "Untermietverhältnis" für die beiden – sanierungsbedürftigen - Zimmer im Obergeschoss (vgl hierzu die Ausführungen des Sozialgerichts; eine erneute Besichtigung ist dem Außendienst der Antragsgegnerin bisher nicht ermöglicht worden), Überweisungen von "Miete" ab August 2005). Sie haben daher bei der Bewertung des Sachverhalts durch den Senat kein entscheidendes Gewicht und sind insbesondere vor dem Hintergrund fortbestehender räumlicher (Wohnen im Haus) und persönlicher (gemeinsame Kindererziehung) Bindungen nicht ausreichend, die Beendigung der langjährigen Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft überzeugend zu belegen.

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, da die Rechtsver¬folgung in diesem Verfahren aus den dargelegten Gründen ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg ist (§§ 73 a SGG, 114 Zivilprozessordnung).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved