Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 45 SB 40/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 56/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Dem 1969 geborenen Kläger war auf einen im September 2000 gestellten Erstantrag hin durch &61506;escheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II – Versorgungsamt – vom 4. April 2002 ein Gesamt-GdB von 50 wegen folgender Behinderungen zuerkannt worden (die verwaltungsintern festgesetzten Einzel-GdB ergeben sich aus den Zusätzen in Klammern):
1. Somatoforme autonome Funktionsstörung des respiratorischen Trakts (30) 2. Persönlichkeitsstörung (30).
Merkzeichen lägen nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht vor.
Im Juni 2003 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB. Die Frage nach Behinderungen und Beschwerden beantwortete er dahin, Schwierigkeiten beim Laufen, Gehen (Schwindel), Luftschwierigkeiten, Luftnot und psychologische Probleme zu haben. Der Beklagte holte einen Befundbericht der praktischen Ärztin Dr. W (vom 31. Juli 2003) sowie ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G (vom 11. September 2003) ein. Letztere kam zu dem Ergebnis, dass eine chronifizierte psychoneurotische Störung mit erheblich eingeschränkter Belastbarkeit, Phobien, Depressionen, Essstörungen und Distanz-Nähe-Störungen vorliege. Eine durchgreifende Besserung hätte in den letzten Jahren nicht erreicht werden können. Es werde für den mit insgesamt 50 festzustellenden GdB die allgemeinere Formulierung "seelische Störung" vorgeschlagen. Eine erhebliche Gehbehinderung liege nicht vor. Durch Bescheid vom 31. Oktober 2003 bezeichnete der Beklagte die Funktionsbeeinträchtigungen als "seelische Störung", lehnte die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung bzw. die Anerkennung weiterer Funktionsbeeinträchtigungen sowie gesundheitlicher Merkmale jedoch ab. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, mit dem er ausführte, beim Fahren mit S- und U-Bahnen sehr beeinträchtigt zu sein, die begutachtende Ärztin hätte ihm mit Wahrscheinlichkeit einen neuen Behinderungsgrad in Aussicht gestellt. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2003 zurück. Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hätte, sodass er am 31. Mai 2002 seinen Beruf hätte aufgeben müssen. Der Kläger verwies zugleich auf die der Beklagten bereits vorliegenden Unterlagen.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 24. März 2005 abgewiesen. Die seelische Störung des Klägers sei zu Recht mit einem GdB von 50 bewertet worden, der nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP 2004) für schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorgesehen sei. Die Kammer folge dem Gutachten der Ärztin G. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" lägen nicht vor, weil es an einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens fehle.
Gegen dieses ihm am 11. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, dem 06. Juni 2005 eingelegte Berufung. Der Kläger verweist zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen sowie darauf, dass die Gutachterin schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten festgestellt habe. Auch benötige er für eine Wegstrecke von 2000m 45 Minuten, sodass aus diesen Gründen das Merkzeichen "G" in Betracht komme. Er habe erhebliche Beeinträchtigungen während der Benutzung der Verkehrsmittel, die auch durch die Gutachterin bestätigt worden seien. Bei schweren Störungen komme ein "G" auch ohne Gehbehinderung in Betracht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2005 sowie den Bescheid des Be- klagten vom 31. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung, denen er sich anschließe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Zuerkennung eines höheren GdB noch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Eine Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers, die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes. Buch (SGB IX) zu einer Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2002 führen könnte, liegt nicht vor.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in Verbindung mit den AHP in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier Ausgabe 2004 – AHP 2004 -), die als antizipierte Sachverständigengutachten gelten, festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind die Einzel-GdB in Graden anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (AHP 2004 Nr. 19 Abs. 1).
Bei Zugrundelegung dieses Bewertungssystems sind die beim Kläger vorhandenen, aus seinen Behinderungen folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zu Recht mit einem Gesamt-GdB von 50 bewertet worden. Der Kläger verweist zur Begründung seiner Berufung u.a. darauf, dass die Gutachterin G schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten festgestellt habe. Die Gutachterin Ghat die beim Kläger bestehenden Einschränkungen bezeichnet als "chronifizierte psychoneurotische Störung mit erheblich eingeschränkter Belastbarkeit, Phobien, Depressionen, Essstörungen und Distanz-Nähe-Störungen". Die maßgebenden AHP 2004 (Nr. 26.3 S. 48) sehen für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40 und für "schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit)" mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 vor. Die Bildung eines Gesamt-GdB von 50 durch die Gutachterin Gbegegnete dabei keinen Bedenken, da eine schwere Störung z.B. im Sinne einer schweren Zwangskrankheit jedenfalls nicht in einem Umfang vorliegt, der eine Bewertung im mittleren oder oberen Rahmen der GdB-Einstufung für schwere Störungen rechtfertigen würde. Ergänzend wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen gefolgt wird. Es wurde weder vorgetragen noch waren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit der Durchführung der Begutachtung verschlechtert hätte, so dass die durch die Gutachterin gefundene Einschätzung einer weiteren Überprüfung bedurft hätte. Der Kläger selbst hat den Zeitpunkt der Verschlechterung seines Zustandes dahin beschrieben, dass er in Folge der Verschlechterung seinen Beruf hätte aufgeben müssen; im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. G hatte er bereits angegeben, ohne Arbeit zu sein.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Auch insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen gefolgt wird. Wie hier bereits ausgeführt, ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht ausreichend, dass der Kläger eine Wegstrecke von 2000m nur in 45 Minuten zurückzulegen vermag. Denn über diese Voraussetzung hinaus geben die Anhaltspunkte als antizipierte Sachverständigengutachten auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", die Gehzeit ist insoweit nicht ausreichend. Damit tragen die Anhaltspunkte dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten nicht in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder in Folge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (BSG, Urteil vom 13. August 1997, Az. RVs , SozR 3-3870 § 60 Nr. 2). Auch bei inneren Leiden kommt es nach den ausdrücklichen Vorgaben der Anhaltspunkte "entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an" (AHP 2004, Nr. 30 Abs. 3). Die Aufzählung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Anfälle und Störungen der Orientierungsfähigkeit), durch die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des Merkzeichens "G" erheblich beeinträchtigt sein kann und die der Störung des Gehvermögens gegenübergestellt werden, wegen denen die Zuerkennung des Merkzeichens "G" also auch ohne Gehbehinderung in Betracht kommt, ist hingegen abschließend. Psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit "Anfällen" gleichzusetzen sind und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führen, sind daher in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt (BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994, Az.: 9 BVs 45/93). Der Kläger leidet nicht an Beeinträchtigungen im Sinne der abschließenden Aufzählung der Störungen; er leidet nicht an Anfällen und Störungen der Orientierungsfähigkeit, sodass bereits aus diesem Grund die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht in Betracht kam. Abgesehen davon ist darauf hinzuweisen, dass nach Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 Störungen der Orientierungsfähigkeit z.B. bei Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen mit einem GdB von 50 oder 60 nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen sind. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Die Höhe des als Mindestvoraussetzung genannten GdB macht deutlich, von welcher Schwere die Einschränkungen sein müssen, um berücksichtigungsfähig im Sinne des Merkzeichens "G" zu sein. Selbst mit dem vom Kläger vorliegend begehrten GdB von 60 wäre nicht davon auszugehen, dass eine Störung im Sinne eines ausreichenden Schweregrades vorläge.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie die Zuerkennung des Nachteilsausgleiches "G" (erhebliche Gehbehinderung).
Dem 1969 geborenen Kläger war auf einen im September 2000 gestellten Erstantrag hin durch &61506;escheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II – Versorgungsamt – vom 4. April 2002 ein Gesamt-GdB von 50 wegen folgender Behinderungen zuerkannt worden (die verwaltungsintern festgesetzten Einzel-GdB ergeben sich aus den Zusätzen in Klammern):
1. Somatoforme autonome Funktionsstörung des respiratorischen Trakts (30) 2. Persönlichkeitsstörung (30).
Merkzeichen lägen nach Art und Ausmaß der Behinderung nicht vor.
Im Juni 2003 beantragte der Kläger die Neufeststellung seines GdB. Die Frage nach Behinderungen und Beschwerden beantwortete er dahin, Schwierigkeiten beim Laufen, Gehen (Schwindel), Luftschwierigkeiten, Luftnot und psychologische Probleme zu haben. Der Beklagte holte einen Befundbericht der praktischen Ärztin Dr. W (vom 31. Juli 2003) sowie ein Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie G (vom 11. September 2003) ein. Letztere kam zu dem Ergebnis, dass eine chronifizierte psychoneurotische Störung mit erheblich eingeschränkter Belastbarkeit, Phobien, Depressionen, Essstörungen und Distanz-Nähe-Störungen vorliege. Eine durchgreifende Besserung hätte in den letzten Jahren nicht erreicht werden können. Es werde für den mit insgesamt 50 festzustellenden GdB die allgemeinere Formulierung "seelische Störung" vorgeschlagen. Eine erhebliche Gehbehinderung liege nicht vor. Durch Bescheid vom 31. Oktober 2003 bezeichnete der Beklagte die Funktionsbeeinträchtigungen als "seelische Störung", lehnte die Zuerkennung eines höheren Grades der Behinderung bzw. die Anerkennung weiterer Funktionsbeeinträchtigungen sowie gesundheitlicher Merkmale jedoch ab. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch, mit dem er ausführte, beim Fahren mit S- und U-Bahnen sehr beeinträchtigt zu sein, die begutachtende Ärztin hätte ihm mit Wahrscheinlichkeit einen neuen Behinderungsgrad in Aussicht gestellt. Der Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2003 zurück. Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hätte, sodass er am 31. Mai 2002 seinen Beruf hätte aufgeben müssen. Der Kläger verwies zugleich auf die der Beklagten bereits vorliegenden Unterlagen.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage durch Urteil vom 24. März 2005 abgewiesen. Die seelische Störung des Klägers sei zu Recht mit einem GdB von 50 bewertet worden, der nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP 2004) für schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten vorgesehen sei. Die Kammer folge dem Gutachten der Ärztin G. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "G" lägen nicht vor, weil es an einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens fehle.
Gegen dieses ihm am 11. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, dem 06. Juni 2005 eingelegte Berufung. Der Kläger verweist zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen sowie darauf, dass die Gutachterin schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten festgestellt habe. Auch benötige er für eine Wegstrecke von 2000m 45 Minuten, sodass aus diesen Gründen das Merkzeichen "G" in Betracht komme. Er habe erhebliche Beeinträchtigungen während der Benutzung der Verkehrsmittel, die auch durch die Gutachterin bestätigt worden seien. Bei schweren Störungen komme ein "G" auch ohne Gehbehinderung in Betracht.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2005 sowie den Bescheid des Be- klagten vom 31. Oktober 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen Grad der Behinderung von 60 und das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung auf die Ausführungen der erstinstanzlichen Entscheidung, denen er sich anschließe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder Anspruch auf die Zuerkennung eines höheren GdB noch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Eine Änderung des Gesundheitszustandes des Klägers, die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes. Buch (SGB IX) zu einer Aufhebung des Bescheides vom 4. April 2002 führen könnte, liegt nicht vor.
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 und 4 und Abs. 3 SGB IX abgestuft als Grad der Behinderung in 10er Graden von 20 bis 100 entsprechend den Maßstäben des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz in Verbindung mit den AHP in ihrer jeweils geltenden Fassung (hier Ausgabe 2004 – AHP 2004 -), die als antizipierte Sachverständigengutachten gelten, festzustellen. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind die Einzel-GdB in Graden anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander (AHP 2004 Nr. 19 Abs. 1).
Bei Zugrundelegung dieses Bewertungssystems sind die beim Kläger vorhandenen, aus seinen Behinderungen folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zu Recht mit einem Gesamt-GdB von 50 bewertet worden. Der Kläger verweist zur Begründung seiner Berufung u.a. darauf, dass die Gutachterin G schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten festgestellt habe. Die Gutachterin Ghat die beim Kläger bestehenden Einschränkungen bezeichnet als "chronifizierte psychoneurotische Störung mit erheblich eingeschränkter Belastbarkeit, Phobien, Depressionen, Essstörungen und Distanz-Nähe-Störungen". Die maßgebenden AHP 2004 (Nr. 26.3 S. 48) sehen für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40 und für "schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit)" mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 vor. Die Bildung eines Gesamt-GdB von 50 durch die Gutachterin Gbegegnete dabei keinen Bedenken, da eine schwere Störung z.B. im Sinne einer schweren Zwangskrankheit jedenfalls nicht in einem Umfang vorliegt, der eine Bewertung im mittleren oder oberen Rahmen der GdB-Einstufung für schwere Störungen rechtfertigen würde. Ergänzend wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen gefolgt wird. Es wurde weder vorgetragen noch waren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers seit der Durchführung der Begutachtung verschlechtert hätte, so dass die durch die Gutachterin gefundene Einschätzung einer weiteren Überprüfung bedurft hätte. Der Kläger selbst hat den Zeitpunkt der Verschlechterung seines Zustandes dahin beschrieben, dass er in Folge der Verschlechterung seinen Beruf hätte aufgeben müssen; im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. G hatte er bereits angegeben, ohne Arbeit zu sein.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Auch insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen gefolgt wird. Wie hier bereits ausgeführt, ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens nicht ausreichend, dass der Kläger eine Wegstrecke von 2000m nur in 45 Minuten zurückzulegen vermag. Denn über diese Voraussetzung hinaus geben die Anhaltspunkte als antizipierte Sachverständigengutachten auch an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, bevor angenommen werden kann, dass ein behinderter Mensch in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens "in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist", die Gehzeit ist insoweit nicht ausreichend. Damit tragen die Anhaltspunkte dem Umstand Rechnung, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die AHP all jene heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des Schwerbehinderten nicht in Folge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder in Folge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (BSG, Urteil vom 13. August 1997, Az. RVs , SozR 3-3870 § 60 Nr. 2). Auch bei inneren Leiden kommt es nach den ausdrücklichen Vorgaben der Anhaltspunkte "entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an" (AHP 2004, Nr. 30 Abs. 3). Die Aufzählung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Anfälle und Störungen der Orientierungsfähigkeit), durch die die Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr im Sinne des Merkzeichens "G" erheblich beeinträchtigt sein kann und die der Störung des Gehvermögens gegenübergestellt werden, wegen denen die Zuerkennung des Merkzeichens "G" also auch ohne Gehbehinderung in Betracht kommt, ist hingegen abschließend. Psychisch erkrankte Personen, deren Leiden nicht mit "Anfällen" gleichzusetzen sind und nicht zu Störungen der Orientierungsfähigkeit führen, sind daher in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt (BSG, Beschluss vom 10. Mai 1994, Az.: 9 BVs 45/93). Der Kläger leidet nicht an Beeinträchtigungen im Sinne der abschließenden Aufzählung der Störungen; er leidet nicht an Anfällen und Störungen der Orientierungsfähigkeit, sodass bereits aus diesem Grund die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht in Betracht kam. Abgesehen davon ist darauf hinzuweisen, dass nach Nr. 30 Abs. 5 AHP 2004 Störungen der Orientierungsfähigkeit z.B. bei Sehbehinderten mit einem GdB von wenigstens 70 und bei Sehbehinderungen mit einem GdB von 50 oder 60 nur in Kombination mit erheblichen Störungen der Ausgleichsfunktion (z.B. hochgradige Schwerhörigkeit beiderseits, geistige Behinderung) anzunehmen sind. Bei geistig behinderten Menschen sind entsprechende Störungen der Orientierungsfähigkeit mit einem GdB von 100 immer und mit einem GdB von 80 oder 90 in den meisten Fällen zu bejahen. Die Höhe des als Mindestvoraussetzung genannten GdB macht deutlich, von welcher Schwere die Einschränkungen sein müssen, um berücksichtigungsfähig im Sinne des Merkzeichens "G" zu sein. Selbst mit dem vom Kläger vorliegend begehrten GdB von 60 wäre nicht davon auszugehen, dass eine Störung im Sinne eines ausreichenden Schweregrades vorläge.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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