L 27 R 232/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 17 RJ 957/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 232/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Februar 2005 und der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2003 aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte zu Recht einen Bescheid über die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise aufheben und die zu viel erbrachte Rentenleistung in Höhe von 2959,10 Euro zurückfordern durfte.

Mit Bescheid vom 3. September 1999 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), beginnend mit dem 1. Juli 1999 in Höhe von anfänglich 1061,92 DM monatlich. Der Kläger bezog ab dem 1. Oktober 1999 bis zum 30. Juni 2001 Arbeitslosengeld. Am 16. März 2002 nahm er eine Berufstätigkeit bei der B, A mbH auf. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Landesversicherungsanstalt Brandenburg/Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (A- und B-Stelle) im März 2002 zeigte der Kläger die Beschäftigung unter Vorlage der Lohnbescheinigung an. Die vom Kläger übergebenen Unterlagen wurden aufgrund nicht geklärter Umstände nicht an die Hauptverwaltung der LVA Brandenburg nach Frankfurt (Oder) weitergeleitet. Auch auf die bereits Ende Oktober 1999 vom Kläger erfolgte Anzeige des Bezugs von Arbeitslosengeld war von Seiten der LVA keine Reaktion erfolgt. Der Kläger erhielt daher zunächst weiterhin die Berufsunfähigkeitsrente in ungekürzter Höhe ausgezahlt. Obwohl der Beklagten die aufgenommene Tätigkeit des Klägers ausweislich des Protokolls im Rahmen des DEÜV-Meldeverfahrens vom 22. Mai 2002 bekannt geworden war, nahm sie aufgrund eines "Postrückstandes" erst am 4. Oktober 2002 Ermittlungen auf , ließ die Akte aus dem Archiv holen und fragte bei dem Arbeitgeber des Klägers nach, wie hoch das laufende monatliche Bruttoarbeitsentgelt sei.

Mit Bescheid vom 7. November 2002 berechnete die Beklagte die Rentenleistung an den Kläger aufgrund der Höhe des mitgeteilten Hinzuverdienstes neu mit dem Ergebnis, dass ab dem 1. Dezember 2002 die Rente nur noch in Höhe von einem Drittel gezahlt werde. Für die Zeit vom 16. März bis zum 30. November 2002 errechnete die Beklagte eine Überzahlung in Höhe von 2959,10 Euro.

Mit Bescheid vom 30. Januar 2003 hob die Beklagte nach entsprechender Anhörung nach § 24 SGB X den Bescheid vom 3. September 1999 über die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente mit Wirkung für die Zeit vom 16. März 2002 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X hinsichtlich der Rentenhöhe auf, weil gegenüber den bei Erlass des Bescheides maßgebenden Verhältnissen eine Änderung insoweit eingetreten sei, als durch die Aufnahme einer Beschäftigung ab dem 16. März 2002 die Hinzuverdienstgrenzen gemäß § 313 Abs. 1 SGB VI i. V. m. § 96 a SGB VI überschritten worden seien und machte unter Verweis auf die Rentenberechnung vom 7. November 2002 einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X in Höhe der zu Unrecht erbrachten Leistungen von 2959,10 Euro geltend. Hierbei vertrat die Beklagte die Auffassung, dass ein atypischer Fall nicht vorliege und ein Ermessen daher nicht auszuüben sei.

Im Rahmen seines Widerspruchs trug der Kläger vor, er sei aufgrund der fehlenden Reaktion der Beklagten davon ausgegangen, dass der Bezug von Arbeitsentgelt keinen Einfluss auf den Bezug der Berufsunfähigkeitsrente gehabt habe. Er sei seiner Mitteilungspflicht in vollem Umfang nachgekommen und sei zunächst im März und dann noch zwei Mal im April 2002 zur Meldung seiner Erwerbstätigkeit unter Vorlage der Lohnbescheinigung bei der LVA Brandenburg vorstellig gewesen. Diese Unterlagen hätten nach Auskunft der Mitarbeiterin an die LVA Frankfurt (Oder) weitergeleitet werden sollen, der Kläger habe jedoch monatelang keine Antwort von dort erhalten. Erst im Oktober 2002 habe er von seinem Arbeitgeber die Unterlagen über die Bestätigung des Beschäftigungsverhältnisses und den Verdienst ausgehändigt erhalten und sich daraufhin mit der LVA Frankfurt (Oder) telefonisch in Verbindung gesetzt und mitgeteilt, dass er die aufgenommene Tätigkeit bereits im März/April 2002 bei der LVA in Brandenburg angezeigt habe. Von Seiten der LVA sei ihm gesagt worden, dass in der Akte keine diesbezüglichen Unterlagen und Vermerke vorhanden seien. Daraufhin sei der Kläger nochmals bei der A- und B-Stelle in Brandenburg vorstellig geworden und habe dort nochmals alle erforderlichen Unterlagen kopieren lassen.

Es liege ein atypischer Fall vor, denn der Kläger habe darauf vertraut, dass der Bezug des Arbeitsentgeltes keinen Einfluss auf die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente habe, da ihm trotz ordnungsgemäßer Anzeige fortlaufend die Rente gezahlt worden sei und er dieses Geld zwischenzeitlich verbraucht habe. Der Kläger verfüge lediglich über Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit in Höhe von monatlich 959,60 Euro und über eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 175,00 Euro. Seine Ehefrau sei ebenfalls erwerbsunfähig und beziehe eine Rente in Höhe von monatlich 582,84 Euro. Unter Berücksichtigung einer zu zahlenden Pkw-Kreditrate von monatlich 111,00 Euro sei die Rückzahlung des Erstattungsbetrages nur unter einer erheblichen Einschränkung der Lebensführung möglich, die sich an dem Sozialhilfebedarf orientieren dürfte. Zudem habe der Kläger bei der BAS ein befristetes Arbeitsverhältnis, welches nunmehr bis zum 15. März 2004 verlängert worden sei; ob er anschließend noch über Erwerbseinkünfte in Höhe von monatlich 959,60 Euro verfügen werde, stehe gegenwärtig noch nicht fest.

Mit Bescheid vom 10. September 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück und führte ergänzend aus, dass nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage auch die Beklagte nunmehr von einem atypischen Sachverhalt ausgehe und geprüft habe, ob es angemessen oder gerechtfertigt sei, von der Rücknahme des Bescheides Abstand zu nehmen. Bei der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens müssten die Interessen der Versichertengemeinschaft gegenüber denjenigen des Betroffenen abgewogen werden. Ein Interesse an der Rücknahme liege insbesondere darin begründet, dass das Recht richtig und einheitlich angewendet werde. Es solle sichergestellt werden, dass die Bürger bei gleichen Sachverhalten auch gleich behandelt würden. Leistungsansprüche, die nach dem Gesetz nicht begründet seien, dürften daher auch nicht anerkannt werden. Wenn dies aber ausnahmsweise geschehe, solle möglichst der rechtmäßige Zustand wieder hergestellt werden. Dies folge aus den grundgesetzlichen Geboten der Gleichbehandlung, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Verpflichtung zur wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel. Nach Prüfung des Sachverhalts und unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens könne im Interesse der Versichertengemeinschaft von einer Rücknahme des Bescheides und der daraus resultierenden Rückforderung nicht abgesehen werden.

Mit seiner am 8. Oktober 2003 vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Aufhebungsbescheides unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter. Ergänzend trägt er vor, dass die Beklagte bei ihrer Ermessenserwägung zwar die Belange der Versicherungsgemeinschaft gewürdigt habe, jedoch aus der Begründung im Widerspruchsbescheid nicht ersichtlich sei, ob und inwieweit die Belange des Klägers Berücksichtigung gefunden hätten. Insbesondere habe die Beklagte sich nicht mit den vorgetragenen Einkommensverhältnissen des Klägers und seiner Ehefrau auseinandergesetzt und auch nicht berücksichtigt, dass der Kläger mit Vollendung des 60. Lebensjahres, ab dem 8. August 2004, Altersrente beziehen werde und die Höhe der Renteneinkünfte unter derjenigen der gegenwärtigen Einkünfte liegen würde. Die Beklagte habe sich in ihrer Entscheidung auch nicht mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass die Leistungsüberzahlung nicht auf ein Verschulden des Klägers zurückzuführen sei, sondern in den Verantwortungsbereich der Beklagten falle.

Der Kläger hat vor dem Sozialgericht Potsdam beantragt, den Bescheid vom 30. Januar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2003 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist bei der von ihr vertretenen Rechtsauffassung verblieben.

Das Sozialgericht Potsdam hat am 22. Februar 2005 die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Beklagte zu Recht davon ausgegangen sei, dass dem Kläger im streitigen Zeitraum ab 15. März 2002 nur eine geminderte Rente wegen der zu berücksichtigenden Hinzuverdienstgrenzen zustehe und dass daher der Bescheid vom 3. September 1999 teilweise aufzuheben sei. Ein atypischer Fall mit der Folge, dass die Behörde Ermessen auszuüben habe, liege nicht vor. Einkommens- oder Vermögenslosigkeit allein reichten hierfür nicht aus. Der Bewilligungsbescheid vom 3. September 1999 habe den Hinweis darauf enthalten, dass eine Beschäftigungsaufnahme der Beklagten mitzuteilen sei, so dass die Mitteilung des Klägers einen normalen Vorgang darstelle. Falls der Kläger die erhaltenen Leistungen im Vertrauen auf ein "Einbehaltendürfen" verbraucht habe, liege auch hierin keine signifikante Abweichung vom Normalfall. Eine gewisse "Gutgläubigkeit" werde zumindest in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X immer vorliegen, denn der Leistungsempfänger werde regelmäßig nicht mit der konkreten Möglichkeit der Rückzahlung der gewährten Leistungen rechnen. Eine atypische Fallkonstellation liege vielmehr nur dann vor, wenn der Leistungsempfänger aufgrund besonderer Umstände auf das Behaltendürfen der Leistung habe vertrauen dürfen, z. B. wenn die Behörde die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung ausdrücklich bestätigt habe, was hier nicht der Fall sei. Auch die Rüge des Klägers, der Beklagten seien grobe Fehler unterlaufen, begründe keinen atypischen Fall, denn hierzu bedürfte es eines krassen Fehlverhaltens der Behörde. Ein grober Behördenfehler liege nicht darin, dass die Beklagte auf die Anzeige der Aufnahme einer Beschäftigung nicht sofort reagiert, sondern erst im Januar 2003 – nach Anhörung im November 2002 – den Aufhebungsbescheid erlassen habe. Der Gesetzgeber räume vielmehr der Behörde eine einjährige Entscheidungsfrist ein vom Zeitpunkt der Kenntnis der Tatsachen. Der Kläger müsse sich andererseits vorwerfen lassen, dass er nicht schon vor Aufnahme der Beschäftigung oder zeitgleich mit dieser die Aufnahme angezeigt habe, sondern dass dies erst mehr als einen Monat später erfolgt sei. Nach Aktenlage habe die Beklagte die Lohnbescheinigung erst am 22. Oktober 2002 empfangen. Zudem habe die Prozessbevollmächtigten die für Dezember 2002 angekündigte Begründung erst am 6. Januar 2003 bei der Beklagten eingereicht. Der Aufhebungsbescheid vom 30. Januar 2003 sei mithin zeitnah ergangen. Ebenso wenig nachvollziehbar sei das Vorbringen, der Kläger habe auf den weiteren Bestand vertraut, da er bei seiner Vorsprache in der A- und B-Stelle am 16. April 2002 ausdrücklich die Prüfung der Hinzuverdienstgrenzen verlangt habe und ihm damit bewusst gewesen sei, dass bei weiterem Einkommen sich die Berufsunfähigkeitsrente mindere. Wer aber die Rechtswidrigkeit kenne oder kennen müsse, habe mit einer Rücknahme zu rechnen und könne sich deshalb nicht auf eine besonders unbillig erscheinende Härte durch die rückwirkende Aufhebung berufen, zumal dem Kläger für die Rückzahlung nicht nur die laufenden Bezüge, sondern auch die ihm – aus Anlass einer anderweitigen Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze - belassene Überzahlung in Höhe von über 11.000,00 Euro zur Verfügung gestanden hätten. Der Kläger werde auch nicht vermehrt durch die rückwirkende Aufhebung sozialhilfebedürftig, was sich aus der Darlegung seiner finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergebe. Im Übrigen hätte die Beklagte bei unterstellter Atypik ausreichende Ermessenserwägungen angestellt, indem sie die Interessen der Versichertengemeinschaft im vorliegenden Fall über das Einzelinteresse des Klägers gestellt habe.

Gegen das der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 17. März 2005 zugestellte Urteil hat diese am 18. April 2005 Berufung bei dem Landessozialgericht für das Land Brandenburg eingelegt und ergänzend vorgetragen, dass der Kläger nicht gewusst habe, ob der Verdienst aus seinem Arbeitsverhältnis zum (teilweisen) Wegfall der Berufsunfähigkeitsrente führe; er habe lediglich eine derartige Möglichkeit gesehen und deshalb unverzüglich nach Arbeitsaufnahme in der Nebenstelle in Brandenburg vorgesprochen, um eine Überzahlung zu verhindern. Die rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 3. September 1999 sei auch deshalb rechtswidrig, da hier ein atypischer Fall gegeben sei und die Verwaltung ihr Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe. Sie habe lediglich die Belange der Versichertengemeinschaft gewürdigt, nicht jedoch die Belange des Klägers; allein die Feststellung "unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers" reiche hierfür nicht aus. Auch habe die Beklagte ihr eigenes Verschulden, über sechs Monate die Meldung des Klägers nicht überprüft bzw. nicht weitergeleitet zu haben, nicht in die Ermessenserwägungen einbezogen. In die Ermessensprüfung sei auch nicht das Absehen von der Rückforderung des Betrages von 11.756,21 Euro – in dem vorerwähnten weiteren Überzahlungsfall - einzubeziehen, denn der Aufhebungsbescheid über 11.756,21 Euro sei wegen Verjährung zwingend aufzuheben gewesen.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. Februar 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.September 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, dass das Sozialgericht Potsdam die Annahme eines atypischen Falles mittlerweile auch zur Überzeugung der Beklagten zur Recht abgelehnt habe. Die mehrmalige Vorsprache des Klägers spreche vielmehr dafür, dass er selbst an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung ernsthafte Zweifel gehegt habe. Selbst die Annahme eines atypischen Falles schließe die Rückforderung nicht aus, es wäre dann zu prüfen, ob durch eine derartige Rückforderung eine unbillige Härte ausgelöst werde, was nicht der Fall sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und im Übrigen statthafte Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 3. September 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2003 gerichtete Klage in unzutreffender Weise abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse u. a. dann zurückgenommen werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Unter den Beteiligten ist nicht umstritten, dass der Bezug von Einkommen mit Aufnahme der Beschäftigung durch den Kläger am 16. März 2002 eine derartige wesentliche Änderung i. S. d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X darstellt und hieran hat auch das Gericht keinen Zweifel: Nach § 96 a Abs. 1 Satz 1 SGB VI ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur dann zu leisten, wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Bestand - wie hier - am 31. Dezember 2000 Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit, ist § 96 a SGB VI mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Regelungen zur Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Rente wegen Berufsunfähigkeit und die Regelungen zur Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit entsprechend gelten (§ 313 SGB VI). Dass die schädliche Hinzuverdienstgrenze hier überschritten wurde, ist unter den Beteiligten ebenso wenig umstritten wie die Berechnung der Rentenleistung durch die Beklagte im Bescheid vom 7. November 2002.

Da der Kläger nach Erlass des die Rente bewilligenden Bescheides Einkommen erzielt hatte, war die Beklagte gehalten, den Bescheid auch mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zurückzunehmen. Nach Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X kommt es für die Aufhebung des Rentenbescheides nur auf den Umstand des Anspruchswegfalls infolge der Erzielung von Einkommen oder Vermögen an, nicht aber darauf, ob ein Verschulden oder Bösgläubigkeit vorlag; diese Fälle werden von den Nrn. 2 und 4 erfasst (vgl. v. Wulffen, SGB X, 5. Aufl. § 48 Rdn. 24). Es kommt daher nicht darauf an, ob der Kläger damit gerechnet bzw. es für möglich gehalten hat, dass sein Verdienst die schädliche Grenze überschreiten würde. Angesichts des vom Kläger erzielten und die Hinzuverdienstgrenzen klar übersteigenden Mehrverdienstes von monatlich 1213,14 Euro und der mehrfachen Vorsprachen bei der Beklagten ist von einem guten Glauben des Klägers aber wohl auch nicht auszugehen.

Vorliegend ist allerdings von einem atypischen Fall auszugehen. Die Sollvorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X räumt der Behörde bei atypischen Fällen eine Ermessenskompetenz zur Bescheidaufhebung ein, wobei die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens eines atypischen Falles nicht zur Ermessensausübung gehört [Bundessozialgericht (BSG), Sozialrecht (SozR) 3-4100 § 115 Nr. 1). Ein atypischer Fall ist allerdings nicht bereits deshalb anzunehmen, weil der Leistungsempfänger die überzahlten Beträge zurückzuerstatten hat. Die mit einer Erstattung verbundenen Härten mutet das Gesetz jedem Betroffenen zu, grundsätzlich auch bei schlechter Einkommens- und Vermögenslage [BSG, Sozialrecht (SozR) 1300, § 48 SGB X Nr. 44]. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn das Einkommen bei der rückwirkenden Aufhebung des Rentenbescheides im Nachhinein unter den Sozialhilfebedarf gesunken wäre, da die Sozialhilfeansprüche für die Vergangenheit nicht mehr geltend gemacht werden können (BSG, SozR 3-1300 § 48 Nr. 42). Hiervon kann indes nicht ausgegangen werden. Die monatlichen Einkünfte des Klägers betragen 959,60 Euro, hinzu kommen die – reduzierte - Rente wegen Berufsunfähigkeit in Höhe von 175,00 Euro und die von der Ehegattin des Klägers erzielte Rente von 582,84 Euro. Selbst unter Berücksichtigung der zu zahlenden Pkw-Kreditrate von 111,00 Euro verbleibt genug für den Lebensbedarf des Klägers und seiner Frau, insbesondere, da der Kläger lediglich noch einen Betrag von knapp 3000,00 Euro zurückzuzahlen hat und die Beklagte ihm voraussichtlich Ratenzahlung bewilligen würde.

Allerdings bedeutet der Umstand, dass es für die Aufhebung des Rentenbescheides nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X nur auf den Anspruchswegfall infolge der Erzielung von Einkommen oder Vermögen ankommt, nicht aber auf ein Verschulden, nicht, dass subjektive Zusammenhänge bei der Beurteilung, ob ein atypischer Fall vorliegt, in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gänzlich außer acht zu bleiben haben. Nach der Rechtsprechung des BSG kann ein Mitverschulden des Leistungsträgers an der Überzahlung in allen Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 1 SGB X von Bedeutung sein (BSG, SozR 3-4100 § 115 Nr. 1; BSG, SozR 1300 § 48 Nr. 24). So verhält es sich im Streitfall. Der Kläger ist seiner Pflicht zur Anzeige der Arbeitsaufnahme ordnungsgemäß nachgekommen, indem er im März 2002 sowie am 16. und 25. April 2002 bei der A- und B-Stelle in Brandenburg vorstellig gewesen ist. Dass die vom Kläger übergebenen Unterlagen sowie die aufgenommenen Vermerke nicht an die LVA Frankfurt (Oder) weitergeleitet wurden und die Beklagte erst am 4. Oktober 2002 bei dem Arbeitgeber des Klägers anfragte, obgleich ihr die vom Kläger aufgenommene Tätigkeit ausweislich eines Protokolls im Rahmen des DEÜV-Meldeverfahrens bereits am 22. Mai 2002 bekannt war, liegt nicht im Einflussbereich des Klägers. Die Nichtweiterleitung der vom Kläger übergebenen Unterlagen sowie der beiden Vermerke vom 16. und 25. April 2002 und die offenbar unzulängliche innerdienstliche Kontrolle, um derartige Vorgänge zu vermeiden, führen nach Ansicht des Gerichts zur Annahme eines groben Verwaltungsfehlers. Bei der Würdigung ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Akten im Dezember 1999 an das Archiv abgegeben hat, obwohl der Kläger zuvor angezeigt hatte, dass er Leistungen vom Arbeitsamt beziehe, was im übrigen auch seinem Versicherungskonto und einem ärztlichen Entlassungsbericht aufgrund einer Reha-Maßnahme hätte entnommen werden können. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Verwaltungshandeln der Beklagten typischerweise mit solchen Fehlern behaftet ist.

Der Annahme atypischen Verhaltens kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der Leistungsträger für die Aufhebung der Bewilligung ein Jahr zur Verfügung hat (§ 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Die Verwaltung darf nicht weitere Überzahlungen entstehen lassen, obwohl sie Kenntnis von Umständen besitzt , die die Rechtmäßigkeit ihrer Leistungen berühren. Dass die Beklagte tatsächlich auch in der Lage ist, auf die Kenntniserlangung in angemessener Zeit zu reagieren, zeigt, dass sie nach Erteilung der Auskünfte durch den Arbeitgeber (Eingang der Unterlagen bei der Beklagten am 8. Oktober 2002) bereits am 7. November 2002 die Neuberechnung der Rente vornahm und den Kläger am 14. November 2002 nach § 24 SGB X anhörte. Jedenfalls von diesem Zeitpunkt an musste der Kläger mit der Rückforderung rechnen. Werden aber keine Vorkehrungen getroffen, die solche den Schaden vergrößernden Vorgänge verhindern, ist dies ein grober Verwaltungsfehler (BSG, SozR 1300, § 48 Nr. 25) und begründet eine atypische Sachlage, die die Beklagte verpflichtet, eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen, ob und ggfs. inwieweit sie von ihrem Aufhebungsrecht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X Gebrauch machen will (BSG, SozR 3-4100 § 115 Nr. 1). Die Ausübung von Ermessen kann im übrigen auch dann erforderlich sein, wenn sich die Aufhebung auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gegründet hätte (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 25; SozR 3-4100 § 115 Nr 1), weil nämlich der Kläger wusste oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass ihm die Leistungen in der gewährten Höhe nicht zustanden. Maßgebend für die Ausübung von Ermessen ist nämlich auch in diesem Fall, ob und in welchem Umfang eine rechtswidrige Fortzahlung von Leistungen (mit) in den Verantwortungsbereich der Beklagten fällt.

Die im Widerspruchsbescheid enthaltenen Erwägungen der Beklagten genügen allerdings nicht den Anforderungen an die Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens. Hierauf hat der Kläger Anspruch [§ 39 Abs. 1 Satz 2 Erstes Buch SGB (SGB I)], sofern nicht eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist, was hier nicht der Fall ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte bei Erlass des Widerspruchsbescheides kein genügendes Ermessen ausgeübt oder ihr betätigtes Ermessen nicht ausreichend begründet hat, da in beiden Fällen dieselben Rechtsfolgen der Anfechtung eintreten. Der Widerspruchsbescheid ist jedenfalls im Hinblick auf die Ermessensausübung nicht hinreichend begründet. Ermessensentscheidungen müssen die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anführen, insbesondere ist eine auf den Einzelfall eingehende Darlegung erforderlich, welche Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen stattgefunden hat und welchen Erwägungen dabei die tragende Bedeutung zugekommen ist. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid erschöpfen sich indes in formelhaften Ausführungen, nämlich, dass die Interessen der Versichertengemeinschaft gegenüber denjenigen des Betroffen abgewogen werden müssten, dass ein Interesse an der Rücknahme insbesondere darin begründet liege, dass das Recht richtig und einheitlich angewandt werde, dass die Bürger bei gleichen Sachverhalten auch gleich behandelt werden müssten, dass bei rechtswidriger Anerkennung von Leistungsansprüchen der rechtmäßige Zustand wieder hergestellt werden müsse. Eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Klägers, dass er begründetes Vertrauen auf das "Behaltendürfen" der Rente gehabt, das Geld verbraucht habe und die Rückzahlung nur unter erheblichen Einschränkungen möglich gewesen wäre, fehlt. Außerdem hätte es entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters auch einer Auseinandersetzung mit dem oben dargelegten fehlerhaften Behördenhandeln bedurft. Das Gericht verkennt nicht, dass die Beklagte sich bei ihrer Entscheidungsfindung ausweislich mehrerer Vermerke zum Teil auch mit diesen Umständen auseinandergesetzt hat. Aus dem Widerspruchsbescheid selbst wird aber nicht in nachprüfbarer Weise erkennbar, welche Erwägungen die Beklagte angestellt und auf welche Umstände sie ihre Ermessensentscheidung überhaupt gestützt hat.

Nach alledem hatte die Berufung des Klägers Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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