L 6 R 720/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 6 RA 6706/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 R 720/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Mit der Klage begehrt die Klägerin eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Im Klageverfahren hat die Klägerin namentlich aufgeführte Vertreter des Verbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer (), Landesverband Bayern mit ihrer Vertretung beauftragt und eine schriftliche Vollmacht vom 30. Juli 2002 zu den Akten gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 23 der Akten verwiesen. Mit Urteil vom 27. Februar 2006 hat das Sozialgericht (SG) Berlin die Klage abgewiesen. Wegen des Inhalts der Rechtsmittelbelehrung wird auf Blatt 293 der Akte Bezug genommen. Das Urteil wurde dem , Bezirksgeschäftsstelle O am 20. März 2006 zugestellt. Mit beim SG Berlin am 11. Mai 2006 eingegangenen Schreiben hat die Klägerin, die sich in U aufhält, gegen das Urteil vom 27. Februar 2006 Berufung eingelegt.

II. Die Berufung ist nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden und war daher durch Beschluss nach § 158 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Die von der Klägerin selbst am 11. Mai 2006 beim Sozialgericht Berlin eingelegte Berufung erfolgte erst nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist am 20. April 2006. Mit gerichtlichem Schreiben vom 22. Mai 2006 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Hiervon abweichend bestimmt § 66 Abs. 2 SGG, dass für den Fall einer unterbliebenen oder unrichtigen Rechtsmittelbelehrung die Einlegung des Rechtsbehelfs i.d.R. innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig ist. Vorliegend ist die Rechtsmittelbelehrung jedenfalls hinsichtlich der Zustellung an den von der Klägerin mit der Prozessführung betrauten Prozessbevollmächtigten eindeutig ("Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einzulegen."). Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2006 wurde der Klägerin zugestellt am 20. März 2006 durch Übersendung einer Ausfertigung an den Sozialverband M, Bezirksgeschäftsstelle O. Die förmliche Zustellung des Urteils nach § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 172 Zivilprozessordnung (ZPO) erfolgte zu Recht im Inland an den von der Klägerin mit der Prozessvertretung bevollmächtigten Verband, auch wenn sich die Klägerin zu dieser Zeit im Ausland aufhielt. Ist ein Prozessbevollmächtigter bestellt, so sind nach § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG die Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten, Zustellungen an Beteiligte sind wirkungslos. Dies betrifft auch die Zustellungen von Urteilen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 73 Rn. 16 a). Der Sachverhalte mit Auslandsbezug betreffende Teil der Rechtmittelbelehrung ist sachlich zutreffend (vgl. §§ 153 Abs. 1 SGG i.V.m. § 87 Abs. 1 S. 2 SGG – dazu HK-SGG/Binder § 151 RdNr. 6 m.w.N.). Die Formulierung, die bedingt, dass vom Empfänger nachvollzogen werden muss, dass die erweiterte Frist nur im Falle der Zustellung des Urteils außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gilt, macht die Rechtsmittelbelehrung insoweit nicht unrichtig im Sinne einer Missverständlichkeit oder sonstigen Unzulänglichkeit. Denn der Sachverhalt ist so dargestellt, dass problemlos zu erfassen ist, für welchen Ausnahmefall (im Ausland zuzustellendes Urteil, nicht Aufenthalt des Klägers im Ausland) die dreimonatige Frist gilt und dass sie nur für diesen Fall Anwendung findet.

Da das Prozessrecht die förmliche Zustellung an den inländischen Prozessbevollmächtigten vorschreibt, ist die vorliegende Fallgestaltung auch nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen ein Sozialversicherungsabkommen die Möglichkeit einräumt, ein Rechtsbehelf auch bei einem ausländischen Versicherungsträger einzulegen und in denen die Rechtsmittelbelehrung einen entsprechenden Hinweis enthalten muss, um nicht fehlerhaft zu sein und damit die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG zu eröffnen (vgl. BSGE 81, 37). Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik U über Soziale Sicherheit vom 2. Mai 1998 (BGBl. 1999 II, S. 902) enthält zwar Bestimmungen über Erleichterungen bei der Zustellung auf der einen Seite und für die Antragstellung und die Einlegung von Rechtsbehelfen auf der anderen Seite. Nicht geregelt ist jedoch der vorliegende Fall, dass aufgrund der prozessrechtlichen Vorschrift des § 73 Abs. 3 S. 1 SGG zwingend an den (inländischen) Prozessbevollmächtigten zugestellt werden muss.

Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Berufungsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (BSGE 72, 158). Die Versäumnis der Verfahrensfrist muss auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Vorliegend hätte es der gebotenen Sorgfalt entsprochen, sich nach der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2006 zu richten. Die Rechtsmittelbelehrung enthält den klaren Hinweis, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einzulegen ist. Den sach- und fachkundigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin musste die Tatsache, dass sie alleiniger Zustellungsadressat der förmlichen Inlandszustellung waren, bekannt sein. Daraus ergab sich ersichtlich der Beginn, die Dauer und das Ende der Berufungsfrist. Diese Kenntnis ist der Klägerin auch zuzurechnen (§ 73 Abs. 4 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Der Rechtsirrtum der Klägerin über die Frage der Berufungsfrist bei einem Auslandsaufenthalt führt nicht zum Ausschluss des Verschuldens. Zwischen der von ihr weiter geltend gemachten Erkrankung und der Versäumung der Berufungsfrist stellt die Klägerin selbst keinen Zusammenhang her; er ist auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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