L 12 AL 64/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 64 AL 2705/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 AL 64/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) über die Berechnung von Arbeitslosengeld und -hilfe.

Der im 1961 geborene Kläger verließ am 8. November 1989 die DDR und meldete sich am 13. November 1989 arbeitslos. Die Beklagte bewilligte durch Bescheide vom 4. Dezember 1989 und 9. Januar 1990 Arbeitslosengeld ab 11. November 1989. Nachdem der Kläger am 24. Januar 1990 gegenüber der Beklagten angegeben hatte, ab dem 1. Februar 1990 in einem Beschäftigungsverhältnis zu stehen, hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld wieder auf und stellte die Zahlung ein. Im Juli 1990 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos zum 1. August 1990. Die Beklagte bewilligte ab diesem Tag Arbeitslosengeld durch Bescheide vom 6. September 1990 und 21. September 1990. Ab dem 9. November 1990 gewährte die Beklagte dann (Anschluss-)Arbeitslosenhilfe (Bescheide vom 23. November 1990 und 4. Januar 1991). Am 24. Dezember 1990 teilte der Kläger mit, dass er ab dem 2. Januar 1991 in Arbeit sein werde. Die Beklagte hob daraufhin mit Wirkung ab dem 2. Januar 1991 die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe auf und stellte die Zahlung ein. Am 9. November 1993 erhob der Kläger Widerspruch "gegen alle früheren Bescheide", und wandte sich gegen die "Reduzierung der Lohnersatzleistungen um die Kirchensteuer". Die Beklagte verwarf den Widerspruch als unzulässig (Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1993). Die Widerspruchsfrist sei versäumt.

Im Dezember 1995 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos zum 1. Januar 1996. Ab diesem Tag bewilligte ihm die Beklagte durch Bescheid vom 20. Dezember 1995 Arbeitslosengeld. Der Kläger legte dagegen am 1. Februar 1996 Widerspruch ein, weil sein vorheriges Arbeitsentgelt nicht in voller Höhe bei der Bemessung berücksichtigt worden sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1996 verwarf die Beklagte den Widerspruch wegen versäumter Widerspruchsfrist als unzulässig. Durch Bescheid vom 13. Mai 1996 hob sie mit Wirkung vom selben Tage die Bewilligung von Arbeitslosengeld auf, weil der Kläger an diesem Tage mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und nunmehr Anspruch auf Krankengeld habe. In einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) München verglichen sich am 25. Juni 1996 der Kläger und die Beklagte u.a. dahingehend, dass die Beklagte Beträge nachbewilligen werde, wenn "sich künftig aus einer Entscheidung des BVerfG zur Höhe des Arbeitslosengeldes in Bezug auf die Berücksichtigung von Kirchensteuer und Krankenversicherungsbeitrag in der Leistungsverordnung ergeben sollte, dass dem Kläger eine zu geringe Leistung bewilligt wurde".

Am 16. August 1996 meldete sich der Kläger wieder arbeitslos zum 19. August 1996. Die Beklagte bewilligte Arbeitslosengeld (Bescheid vom 30. August 1996). Der Kläger erhob am 4. Oktober 1996 Widerspruch, mit dem er bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes die Berücksichtigung seines gesamten Bruttoarbeitsverdienstes einschließlich einmalig gezahlter Zuwendungen und die Außerachtlassung der Kirchensteuer und eines allgemeinen Krankenversicherungsbeitrags begehrte. Die Beklagte hob die Bewilligung des Arbeitslosengeldes durch Bescheid vom 9. Januar 1997 mit Wirkung ab dem 27. Dezember 1996 auf, da der Kläger nunmehr Anspruch auf Krankengeld habe. Nachdem sich der Kläger am 30. April 1997 erneut arbeitslos gemeldet und gleichzeitig mitgeteilt hatte, dass er ab dem 1. Mai 1997 eine Beschäftigung aufnehmen werde, bewilligte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juni 1997 noch Arbeitslosengeld für den 30. April 1997.

Der Kläger meldete sich wieder arbeitslos am 1. August 1997. Durch Bescheid vom 17. Oktober 1997 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. August 1997 bis 28. November 1997 auf der Grundlage eines wöchentlichen Bruttoarbeitsentgeltes von 1380,- DM mit einem Leistungssatz von 436,20 DM wöchentlich. Der Kläger erhob Widerspruch, in dem er inhaltlich auf seinen Widerspruch vom 4. Oktober 1996 Bezug nahm. Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 30. Dezember 1997 Arbeitslosengeld für den 29. November 1997 und durch Bescheid vom 26. Februar 1998 Arbeitslosengeld für den 1. Dezember 1997 (jeweils in unveränderter Höhe, der 30. November 1997 fiel auf einen Sonntag). Durch weiteren Bescheid vom 26. Februar 1998 bewilligte sie Arbeitslosenhilfe vom 2. Dezember 1997 bis 31. Dezember 1997 mit einer wöchentlichen Leistungshöhe von 385,20 DM. Durch Bescheid vom 3. März 1998 erfolgte dann die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab 1. Januar 1998 mit einer wöchentlichen Leistungshöhe von 387,87 DM. Der Kläger legte am 1. April 1998 Widerspruch gegen die Bescheide vom 26. Februar 1998 und 3. März 1998 ein. Diesen Widerspruch wies die Beklagte als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 1998).

Nachdem der Kläger am 2. September 1998 erklärt hatte, dass er (nur) am 1. September 1998 eine Beschäftigung aufgenommen habe, hob die Beklagte durch Bescheid vom 8. September 1998 die Leistungsbewilligung für diesen Tag auf und erklärte gleichzeitig, dass die Leistungen ab dem 2. September 1998 weitergewährt würden. Durch Bescheid vom 6. Oktober 1998 gewährte sie Arbeitslosenhilfe für den 2. September 1998, durch Bescheid vom 26. Oktober 1998 Arbeitslosenhilfe ab dem 3. September 1998, jeweils in unveränderter Leistungshöhe zu dem Bescheid vom 3. März 1998. Durch weiteren Bescheid vom 26. Oktober 1998 hob sie die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe mit Wirkung ab dem 14. Oktober 1998 wegen Erwerbs eines Anspruchs auf Krankengeld auf.

Am 30. Dezember 1998 (Eingang bei der Beklagten) beantragte der Kläger die Überprüfung aller früheren Bescheide, in denen ab dem 11. November 1989 Leistungen bewilligt worden seien. Bemessungsentgelt und Leistungsbetrag seien zu niedrig bemessen worden. Am 26. Januar 1999 (Eingang bei der Beklagten) beantragte er die Überprüfung des Bescheides vom 8. September 1998, mit dem die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für den 1. September 1998 aufgehoben worden war. Durch Bescheid vom 5. März 1999 lehnte die Beklagte die Rücknahme ihres Bescheides vom 8. September 1998 ab. Mit Bescheid vom 9. April 1999 lehnte sie eine Änderung ihrer Entscheidung vom 1. Dezember 1989 (Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung des Arbeitslosengeldes) ab. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe den "uneingeschränkten Kirchensteuersatz" nach dem AFG als rechtmäßig angesehen. Gegen die Bescheide vom 5. März 1999 und 9. April 1999 legte der Kläger jeweils Widerspruch ein. Die Widersprüche wurden von der Beklagten durch Widerspruchsbescheide vom 19. Mai 1999 zurückgewiesen.

Gegen beide Widerspruchsbescheide vom 19. Mai 1999 hat der Kläger am 21. Juni 1999 Klage erhoben. Während des laufenden Klageverfahrens hat die Beklagte nach Inkrafttreten des § 434c SGB III das an den Kläger zu gewährende Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30. April 1997 bis 2. Dezember 1997 mit einem für Einmalzahlungen erhöhten Bemessungsentgelt neu berechnet. Das Verfahren gegen den Bescheid vom 5. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Berlin für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte diese Bescheide aufgehoben und den Erlass eines Bescheides über die Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe unter Anrechnung eines erzielten Nebeneinkommens angekündigt hat. Soweit der Kläger im Übrigen weiter die Aufhebung des Bescheides vom 9. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 beantragt und die Änderung aller Leistungsbescheide vor dem 1. Januar 1997 und bis zum Überprüfungsantrag vom 29. Dezember 1998 dahingehend begehrt hat, dass Einmalzahlungen auch vor dem 31. Dezember 1996 berücksichtigt werden und eine Neuberechnung ohne fiktiven Kirchensteuerabzug erfolge, hat das SG die Klage durch Urteil vom 18. September 2003 abgewiesen. Die Leistungsbescheide seien rechtmäßig. Das Gesetz schreibe die Berücksichtigung der Kirchensteuer für die Bestimmung der pauschalierten Entgeltabzüge vor. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des Bundessozialgerichts (BSG) sei diese Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar (Hinweis auf BVerfG Beschluss v. 23. März 1994 – SozR 3-4100 § 111 Nr. 6 - und BSG, Urt. v. 21. März 2002 – B 7 AL 18/01 R -und 25. Juni 2002 – B 11 AL 55/01 R-). Für die Berücksichtigung von Einmalzahlungen bei Lohnersatzleistungen vor dem 1. Januar 1997 gebe es keine Rechtsgrundlage. Das BVerfG habe die Anwendung des § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG, wonach bei der Bemessungsgrundlage einmalige Zuwendungen außer Betracht blieben, für die Zeit bis zum 31. Dezember 1996 ausdrücklich gebilligt (Hinweis auf Beschluss v. 11. Januar 1995, BVerfGE 92, 53). Erst für Bezugszeiträume ab dem 1. Januar 1997 gebe es – veranlasst durch die Rechtsprechung des BVerfG (Hinweis auf Beschluss v. 24. Mai 2000, BVerfGE 102, 127) - in § 434c Abs. 1 SGB III eine Neuregelung. Die dort vorgeschriebene Erhöhung des Bemessungsentgelts um 10 Prozent habe die Beklagte bereits nachgeholt. Die Beklagte sei auch nicht nach § 328 Abs. 2 SGB III zur vorläufigen Entscheidung verpflichtet gewesen, solange die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen verfassungsrechtlich noch nicht abschließend geklärt gewesen sei (Hinweis auf BSG, Urt. v. 25. März 2003 – B 7 AL 106/01 R -).

Gegen das ihm am 22. Oktober 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. November 2003 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er nunmehr (nur) noch die Neuberechnung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 1. August 1997 bis 1. Dezember 1997 und der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 2. Dezember 1997 bis 13. Oktober 1998 begehrt. In einem weiteren Verfahren hat er – bisher erfolglos – einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides vom 30. August 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2001 und Neuberechung des Arbeitslosengeldes für die Zeit vom 19. August bis 25. Dezember 1996 unter Außerachtlassung eines Abzuges für Kirchensteuer geltend gemacht (Urteil des SG Berlin vom 21. Januar 2003 – S 56 AL 21/03 , Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin vom 6. November 2003 – L 4 AL 21/03 , Beschluss des BSG vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 10/04 R-, Verfassungsbeschwerde eingelegt). Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, dass der Abzug fiktiver Kirchensteuer bei der Bestimmung der Höhe von Lohnersatzleistungen gegen die in Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit verstoße. Daran ändere nichts, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 23. März 1994 – 1 BvL 8/85 – für die Berechnung von Arbeitslosengeld Abzüge in Höhe des Kirchensteuer-Hebesatzes gebilligt habe. Richtig entschieden habe vielmehr das SG Chemnitz in seinen gegenteiligen Urteilen vom 14. Dezember 1995 - S 6 AL 847/95 und 6. August 2003 – S 6 AL 1077/01. Die Berücksichtigung des Kirchensteuersatzes verstoße gegen die Religionsfreiheit des Klägers und die Neutralitätspflicht des Staates. Die konfessionslosen Arbeitnehmer würden als Minderheit ausgegrenzt, indem die Zugehörigkeit zu einer Kirche als normal und damit wünschenswert dargestellt werde. Konfessionslosigkeit müsse auch bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes respektiert werden. Das staatliche Interesse an einer Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge rechtfertige keinen Eingriff in die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Auch Art. 140 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung werde verletzt. Nur die Religionsgemeinschaften seien zur Erhebung von Kirchensteuer befugt. Deswegen habe weder der Staat noch die Beklagte das Recht, Kirchensteuern für Arbeitslose festzusetzen und einzubehalten. Der Beklagten sei – ebenso wie dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung - vorzuwerfen, nicht auf eine Änderung der Rechtslage gedrungen und sich auch nicht um die Sammlung von aussagekräftigen Daten bemüht zu haben. Spätestens seit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass bei Arbeitnehmern noch gewöhnlich Kirchensteuer anfalle. Die danach bestehenden Zweifel müssten sich zugunsten der Leistungsempfänger auswirken.

Der Kläger beantragt unter Zurücknahme seiner Berufung im übrigen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 9. April 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Mai 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Bescheide vom 16. Juni 1997, 17. Oktober 1997, 30. Dezember 1997, 26. Februar 1998, 3. März 1998, die beiden letzteren in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 1998, und den Bescheid vom 26. Oktober 1998 teilweise zurückzunehmen und ihm für die Zeit vom 1. August 1997 bis 1. Dezember 1997 höheres Arbeitslosengeld und vom 2. Dezember 1997 bis 13. Oktober 1998 höhere Arbeitslosenhilfe auf der Grundlage eines ohne Kirchensteuerabzug errechneten Leistungsentgeltes zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend. Im Jahre 1998 seien noch 56,8 Prozent der Arbeitnehmer kirchensteuerpflichtig gewesen. Schreibe man die Zahlen fort, so ergebe sich nach wie vor die Zugehörigkeit einer Mehrheit der Arbeitnehmer zu einer Kirche, die Kirchensteuer erhebe.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (vier Bände) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung kann keinen Erfolg haben.

Bei sinnorientierter Würdigung des Klagebegehrens erfasst der Klageantrag zwar nicht die Rücknahme des Bescheides vom 16. Juni 1997, wohl aber (neben den ausdrücklich genannten) die des Bescheides vom 6. Oktober 1998. Denn die Beklagte hat mit dem Bescheid vom Juni 1997 nur über das für den 30. April 1997 zu gewährende Arbeitslosengeld entschieden. Für diesen Zeitraum macht der Kläger hier aber keinen Anspruch auf Neuberechnung geltend. Der Bescheid vom 6. Oktober 1998 regelt dagegen die Höhe der Arbeitslosenhilfe für den 2. September 1998 und fällt daher in den Zeitraum, für den eine Neuberechnung der Leistungen verlangt wird.

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2003 und der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. April 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 1999 sind nicht rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihre bisherigen Bescheide für Leistungszeiträume vom 1. August 1997 bis 13. Oktober 1998 teilweise zurücknimmt und die an den Kläger zu gewährenden Leistungen ohne Abzüge für Kirchensteuer neu berechnet.

Ein Anspruch auf Rücknahme und Neuberechnung könnte sich nur aus § 44 SGB X ergeben. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Das dem Kläger für die Zeit vom 1. August 1997 bis 1. Dezember 1997 zu gewährende Arbeitslosengeld und die für die Zeit vom 2. Dezember 1997 bis 13. Oktober 1997 zu gewährende Arbeitslosenhilfe sind zutreffend auf der Grundlage eines um Abzüge für Kirchensteuer verminderten Arbeitsentgeltes berechnet worden.

Maßgebend für die Berechnung des vom 1. August 1997 bis 1. Dezember 1997 zu gewährenden Arbeitslosengeldes ist § 111 AFG in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung. Danach beträgt das Arbeitslosengeld für (nicht verheiratete und kinderlose) Arbeitslose 60 vom Hundert des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 111 Abs. 1 Nr. 2 AFG). Nach § 111 Abs. 2 Satz 1 AFG bestimmt das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die Leistungssätze jeweils für ein Kalenderjahr durch Rechtsverordnung. Dabei hat es (unter anderem) als Kirchensteuer-Hebesatz den im Vorjahr in den Ländern geltenden niedrigsten Kirchensteuer-Hebesatz zugrunde zu legen (§ 111 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AFG). Die Beklagte war danach auf gesetzlicher Grundlage gehalten, bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes die in der Verordnung über die Leistungssätze des Unterhaltsgeldes, des Arbeitslosengeldes, des Altersübergangsgeldes, der Arbeitslosenhilfe, des Kurzarbeitergeldes und des Winterausfallgeldes für das Jahr 1997 – AFG-Leistungsverordnung 1997 – (BGBl. I S. 2161) vorgegebenen Abzüge für Kirchensteuer zu berücksichtigen, welche für das der Berechnung der Leistungen zugrunde liegende Arbeitsentgelt anfallen würden. Dabei kommt es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht darauf an, ob gerade der Kläger kirchensteuerpflichtig wäre, wenn er denn in dem streitigen Zeitraum statt Arbeitslosengeld Einkünfte erzielt hätte. Entsprechendes gilt für die in der Zeit vom 2. Dezember 1997 bis 13. Oktober 1997 gezahlte Arbeitslosenhilfe. Diese bestimmt sich der Höhe nach auf der Grundlage des Arbeitsentgeltes, das für die Berechnung des vorherigen Arbeitslosengeldes herangezogen worden ist (§ 136 Abs. 1 und 2 AFG für Leistungszeiträume bis zum 31. Dezember 1997, § 198 Satz 2 Nr. 4 SGB III in Verbindung mit §§ 136, 133 Abs. 1 SGB III für Leistungszeiträume ab 1. Januar 1998). Rechtsgrundlage für die Vornahme von Abzügen für Kirchensteuer ist bis zum 31. Dezember 1997 § 136 Abs. 3 AFG in Verbindung mit der AFG Leistungsverordnung 1997, danach §§ 195, 198 Satz 2 Nr. 4 SGB III in Verbindung mit § 136 Abs. 2 Nr. 2 SGB III sowie § 151 Abs. 2 Nr. 2 SGB III mit der Verordnung über die Leistungsentgelte für das Arbeitslosengeld, das Teilarbeitslosengeld, das Unterhaltsgeld, die Arbeitslosenhilfe, das Altersübergangsgeld sowie die pauschalierten Nettoarbeitsentgelte für das Kurzarbeitergeld und das Winterausfallgeld für das Jahr 1998 – SGB III-Leistungsentgeltverordnung 1998 – v. 22. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3349).

Die Berechnung der Leistungen unter Berücksichtigung von Abzügen für Kirchensteuer verstößt nicht gegen die Verfassung. Bereits mit Beschluss vom 23. März 1994 hat das BVerfG entschieden, dass es mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dessen Art. 3, 4 und 14 vereinbar sei, wenn bei der Berechnung des für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgebenden Nettoentgelts als gewöhnlich anfallender Abzug auch ein Hebesatz für Kirchensteuer berücksichtigt wird (BVerfG Beschluss vom 23. März 1994 - 1 BvL 8/85 - = BVerfGE 90, 226). Der Gesetzgeber typisiere zwar, wenn er nicht darauf abstelle, ob gerade der betroffene Arbeitslose Kirchensteuer entrichten würde. Dies sei aber solange nicht zu beanstanden, als aufgrund statistischer Erkenntnisse davon ausgegangen werden könne, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer Kirchensteuer entrichte, wenn der Abzug der Höhe nach nicht all zu sehr ins Gewicht falle. Beide für das Arbeitsförderungsrecht zuständigen Senate des BSG sind übereinstimmend zu der Auffassung gekommen, dass bei Anwendung dieser Grundsätze des BVerfG jedenfalls für Leistungszeiträume bis 1999 nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Berücksichtigung des Kirchensteuer-Hebesatzes verfassungswidrig sei (BSG Urteil v. 21. März 2002 – B 7 AL 18/01 R - und Urteil vom 25. Juni 2002 – B 11 AL 55/01 R - = SozR 3-4300 § 136 Nr 1). Denn maßgebend für eine Verpflichtung des Gesetzgebers, auf eine Verminderung der Zahl der Kirchensteuer zahlenden Arbeitnehmer zu reagieren, seien nur schon erhobene und ausgewertete Daten. Bis zum Jahre 1999 hätten aber keine Daten vorgelegen, welche belegen würden, dass die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer nicht mehr einer Kirche angehöre, die zur Erhebung von Kirchensteuer ermächtigt sei.

Der Senat schließt sich – nach eigener Prüfung – der geschilderten Rechtsauffassung des BVerfG und des BSG an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen ergänzend auf die dortigen Ausführungen Bezug. Die von dem Kläger in dem vorliegenden Verfahren vorgetragenen Argumente rechtfertigen keine andere Entscheidung. Ein Verstoß gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) scheidet aus, weil der Abzug eines Kirchensteuersatzes bei der Berechnung typisierend ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft erfolgt und deswegen einen Anreiz weder für das Verlassen noch für das Verbleiben in einer Kirche schafft. Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung ist schon deswegen nicht verletzt, weil die Beklagte tatsächlich keine Kirchensteuer festsetzt und einbehält. Es handelt sich um einen Abzugsposten, der sich ausschließlich auf die Berechnung des Bemessungsentgelts und der Lohnersatzleistungen auswirkt. Dem Gesetzgeber ist auch nicht vorzuwerfen, dass er die Verpflichtung zur Beobachtung der Entwicklung der Verhältnisse nicht ernst genommen hat. Dagegen spricht schon, dass nach § 133 SGB III in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung (3. Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 [BGBl. I S. 2848]) die Kirchensteuer als Rechengröße für die Ermittlung des Leistungsentgelts weggefallen ist. Der Kläger hat nicht vorgetragen, welche Daten den Wegfall der Kirchensteuer – entgegen der Rechtsprechung des BSG - bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätten erzwingen müssen. Der pauschale Hinweis auf die deutsche Wiedervereinigung reicht nicht aus.

Auch die Hinweise des Klägers auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) - verfangen nicht. Art. 9 EMRK schützt die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) ist die Religionsfreiheit in erster Linie für innere Vorgänge bedeutsam, sie erfasst aber auch die Freiheit, seine Religion zu bekennen und für sie durch Worte oder Taten Zeugnis abzulegen (EGMR NJW 2001, 2872). Die Freiheit des Klägers, sich von einer Religion fernzuhalten, wird durch den "Abzug fiktiver Kirchensteuer" nicht betroffen. Weder wird dem Kläger ein bestimmtes Bekenntnis aufgezwungen, noch erscheint er nach außen hin deswegen als Anhänger einer Religionsgemeinschaft, weil er Lohnersatzleistungen bezieht, für deren Berechnung unter anderem auf die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallende Kirchensteuer zurückgegriffen wird. Eine Verbindung zwischen der Höhe der Leistungen an Arbeitslose und der Unterstützung einer Religionsgemeinschaft besteht nicht, weil die auf Kirchensteuer entfallenden Abzugsbeträge lediglich Berechnungsfaktoren sind und nicht tatsächlich einer Religionsgemeinschaft zugute kommen. Eine nach Art. 14 EMRK verbotene Diskriminierung des Klägers schließlich kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil er nicht anders behandelt wird als andere Leistungsempfänger.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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