L 13 VH 10/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 VH 15/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VH 10/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versorgung nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG).

Der im Jahre 1963 geborene Kläger wurde im Jahre 1988 bei dem Versuch, die DDR über die Tschechoslowakei zu verlassen, gefasst und wegen Republikflucht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Er befand sich vom 24. Juni 1988 bis zum 16. Februar 1989 zunächst in der Tschechoslowakei, dann in Potsdam und Chemnitz in Haft. Unmittelbar danach durfte er in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen.

Den ersten Antrag auf Leistungen nach dem HHG vom März 1989 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20. September 1989 ab, weil der Kläger die erforderliche Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG nicht vorgelegt hatte.

Während der Jahre 1990 bis 1999 wurde der Kläger von verschiedenen Krankenanstalten zur stationären bzw. tagesklinischen psychiatrischen Behandlung aufgenommen.

Im März 1997 beantragte der Kläger die Überprüfung des Ablehnungsbescheides. In seinem Antrag auf Versorgung nach dem HHG vom Dezember 1997, dem die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG beilag, machte er als Folge der Haft eine Psychose geltend. Der Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen bei und veranlasste eine nervenfachärztliche Begutachtung des Klägers durch die Ärztin für Psychiatrie und Neurologie H, die im Gutachten vom 14. Februar 2000 ausführte, dass der Kläger an einer endogenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide. Diese psychotische Erkrankung könne nicht auf die Haft zurückgeführt werden. Denn sie habe bereits zwei Jahre vor der Inhaftierung begonnen und sei erstmalig als manifeste psychotische Störung ein Jahr nach der Haftentlassung in Erscheinung getreten. Eine Kannversorgung käme nicht in Betracht. Denn die Erkrankung sei nicht in enger zeitlicher Verbindung mit den Belastungen durch die Haft aufgetreten. Eine tatsächliche psychotische Episode während der Haft sei nicht hinreichend wahrscheinlich. Bei den fünf nervenärztlichen Konsultationen nach der Haftentlassung im Frühjahr 1989 hätten sich keine Hinweise auf eine psychotische Störung ergeben. Unabhängig von der psychotischen Erkrankung beständen belastende Erinnerungen und Träume als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H.

Hierauf gestützt erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 14. September 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2000 als Schädigungsfolge "belastende Erinnerungen und Träume", und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 4 HHG, an. Die Gewährung einer laufenden Rente lehnte er mit dem Hinweis ab, dass die MdE weniger als 25 v.H. betrage.

Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat ein Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie B vom 20. Januar 2001 vorgelegt, wonach er bei ihr wegen einer paranoid-halluzinatorischen Psychose, einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Anpassungsstörung in Behandlung sei. Der Beklagte ist der Klage unter Bezugnahme auf die versorgungsärztliche Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. W entgegengetreten. Das Sozialgericht Berlin hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen P, der zusammen mit dem Kläger den Fluchtversuch unternommen hatte, und durch Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens des Prof. Dr. K vom 6. Dezember 2002, der zu dem Ergebnis gekommen ist, dass bei dem Kläger weder eine posttraumatische Belastungsstörung noch eine Anpassungsstörung vorliege, sondern allein eine paranoid halluzinatorische Schizophrenie, die jedoch keine Folge der Haft darstelle.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger zwar Berechtigter im Sinne des § 1 Abs. 1 HHG sei, jedoch keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten Versorgung im Rahmen des HHG nach einer höheren MdE habe. Der Beklagte habe das Versorgungsleiden zutreffend bezeichnet und bewertet. Weder seien weitere Leiden als Haftfolgen anzuerkennen noch sei die MdE zu erhöhen.

Die paranoid halluzinatorische Psychose sei nicht als Folge der Haft anzuerkennen, da die Voraussetzungen für eine "Kann-Versorgung" (§ 4 Abs. 5 Satz 2 HHG) nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz", herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ausgabe 1996 (AHP 96), S. 185, 250, nicht erfüllt seien. Die schizophrene Psychose sei, worauf "Prof. B" (gemeint ist: Prof. Dr. K) in seinem Gutachten hingewiesen habe, grundsätzlich endogen. Diese Vorstellung liege offensichtlich auch den Voraussetzungen nach Nr. 69 Abs. 1 AHP 96 zugrunde, wenn dort ausgeführt werde, dass bei den schizophrenen Psychosen von einer multifaktorellen Genese ausgegangen werde, es jedoch wissenschaftlich nicht genügend geklärt sei, welches Gewicht dispositionellen, exogenen und psychosozialen Faktoren bei ihrem Zusammenwirken beizumessen sei. Mit der von dem Kläger erlittenen Haft habe zwar eine im Sinne der Nr. 69 Abs. 1 lit. a AHP 96 tief in das Persönlichkeitsgefüge eingreifende psychosoziale Belastung als Schädigungsfaktor vorgelegen, wobei allerdings Prof. Dr. K darauf aufmerksam gemacht habe, dass der Kläger im Verlauf seines Lebens weitere Belastungen erlitten habe. Jedoch habe die Erkrankung nicht, wie in Nr. 69 Abs. 1 lit. b AHP 96 gefordert werde, in enger zeitlicher Verbindung mit der Belastung begonnen. Die Gutachterin H habe hierzu nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass eine psychotische Störung erstmals ein Jahr nach der Haft in Erscheinung getreten sei.

Ebenso wenig leide der Kläger an einer Anpassungsstörung als Haftfolge. Die gegenteilige Einschätzung von Frau B werde durch die überzeugenden Gutachten von Frau H und Prof. Dr. K widerlegt, die auf die fehlende Beschreibung dieses Leidens in sämtlichen medizinischen Vorunterlagen hingewiesen hätten.

Schließlich liege bei dem Kläger kein Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung vor. Dies setze beispielsweise Schlafstörungen, schlimme Träume und das Wiederauftauchen des Erlebens der Haft ("Flashbacks") voraus. Demgegenüber hätten die Gutachter H und Prof. Dr. K plausibel dargelegt, dass die Hauptsymptomgruppenkonstellationen einer posttraumatischen Belastungsstörung nur teilweise erfüllt seien, nämlich bezüglich der belastenden Erinnerungen und Träume. Nur diese Leiden seien dementsprechend als Versorgungsleiden anzuerkennen. Hinsichtlich deren Bewertung mit einer MdE von 10 v.H. sei der Gutachterin H zu folgen, deren Vorschlag den Vorgaben in Nr. 26.3 AHP 96 entspreche.

Gegen den Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung eingelegt, die er entgegen seiner Ankündigung nicht begründet hat.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 5. Mai 2004 und den Bescheid des Beklagten vom 14. September 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2000 zu ändern sowie den Beklagten zu verurteilen, ihm Versorgung im Rahmen des Häftlingshilfegesetzes nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des sozialgerichtlichen Verfahrens und des den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgangs des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Mit Recht hat das Sozialgericht einen Anspruch des Klägers auf Versorgung nach dem HHG (§§ 1, 4 Abs. 5 und Abs. 1 HHG in Verbindung mit §§ 30, 31 Bundesversorgungsgesetz) abgelehnt, da nicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass er über die von dem Beklagten als Versorgungsleiden anerkannten "belastenden Erinnerungen und Träume" hinaus weitere gesundheitliche Schäden durch die Haft erlitt. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Gründe in dem angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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