L 23 B 97/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 20 SO 33/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 97/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 05. April 2006 abgeändert und der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 24. Februar 2006 in vollem Umfang abgelehnt. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 26. Juli 2006 wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung noch die Gewährung von Pflegehilfe nach den Vorschriften des Zwölften Buches Soziagesetzbuch SGB XII – als Darlehen. Vor dem Sozialgericht war das Begehren der Antragstellerin auf die vorläufige Gewährung von Pflegehilfe und Krankenhilfe nach dem SGB XII – als Zuschuss – gerichtet.

Die 1950 geborene Antragstellerin ist als Schwerbehinderte anerkannt mit einem Grad der Behinderung von 60. Die von ihr beantragte Zuerkennung eines Merkzeichens "G" wegen Gehbehinderung ist vom Landesamt für Soziales und Versorgung in Potsdam mit Bescheid vom 14. April 2005 abgelehnt worden; hiergegen ist ein Widerspruchsverfahren anhängig. Die Antragstellerin ist weder kranken- noch pflegeversichert. Sie erhielt von der Antragsgegnerin Leistungen der Kranken- und Pflegehilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz BSHG und dem SGB XII bis zum 31. Dezember 2005. Bis zum 30. April 2005 erhielt sie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß § 41 SGB XII. Mit Bescheid vom 31. März 2005 bewilligte ihr die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 01. September 1999 bis zum 31. Dezember 2007, aus der ihr seit Mai 2005 laufend monatlich 733,87 EUR gezahlt werden. Der Nachzahlungsbetrag für den vorangegangenen Zeitraum betrug 48 393,66 EUR. Von diesem Nachzahlungsbetrag wurde im August 2005 nach Erfüllung von Erstattungsansprüchen ein verbleibender Betrag von 24 290,96 EUR an die Antragstellerin überwiesen. Nachdem die Antragsgegnerin im Februar 2006 von der im August 2005 erfolgten Nachzahlung erfahren hatte, hörte sie die Antragstellerin gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch SGB X am 15. Februar 2006 bezüglich einer Rückforderung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen an. Die Antragstellerin erklärte im Rahmen der Anhörung, sie habe von der Nachzahlung Schulden getilgt sowie größere Anschaffungen getätigt, u. a. einen Pkw für 6 690,00 EUR (lt. Kaufvertrag 6 590,00 EUR) und eine neue Küche für über 5 000,00 EUR sowie weitere Einrichtungsgegenstände und Elektrogeräte. Mit den von ihr zum Beleg eingereichten Unterlagen reichte sie auch einen Kleingarten-Pachtvertrag vom 15. September 2005 ein, in dem sie als Pächterin erklärt, mit gesondertem Vertrag Eigentum an allen auf der Pachtsache befindlichen Anlagen und Aufbauten erworben zu haben. Gemäß § 5 Abs. 2 des Pachtvertrages ist dieses Eigentum bei einem Pächterwechsel gegen eine Entschädigung auf den neuen Pächter zu übertragen.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2006 erklärte sich die Antragsgegnerin bereit, nach § 19 Abs. 5 SGB XII in Verbindung mit §§ 47, 48 SGB XII die anfallenden Krankenbehandlungskosten der Antragstellerin bis zur endgültigen Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse als vorläufige Hilfe zu übernehmen. Die Antragstellerin hatte sich zuvor mit Einverständniserklärung vom 15. Februar 2006 damit einverstanden erklärt, dass die Krankenhilfe als erweiterte Hilfe gemäß § 19 SGB XII erfolge, bis alle Unterlagen vollständig im Amt für Jugend, Soziales und Wohnen der Stadt Brandenburg an der Havel vorlägen. In der Folgezeit reichte die Antragstellerin die geforderten Erklärungen und Unterlagen zur Feststellung des Verbleibs der Rentennachzahlung bei der Antragsgegnerin ein, die ihr am 15. und 20. Februar 2006 jeweils einen Krankenbehandlungsschein erteilt hatte.

Am 23. Februar 2006 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber dem Bevollmächtigten der Antragstellerin mündlich die Kostenübernahme für eine Krankenhausbehandlung der Antragstellerin ab, weil diese mit ihrem Pkw über ein Vermögen verfüge, das die Vermögensgrenze übersteige, und machte der Antragstellerin schriftlich ein Darlehensangebot.

Die Antragstellerin lehnte dieses Angebot ab und beantragte am 28. Februar 2006 beim Sozialgericht Potsdam, die Antragsgegnerin durch einstweilige Verfügung zur Weitergewährung der Hilfe zur Pflege und zur Gewährung von Krankenhilfe nach dem SGB XII zu verpflichten. Zur Begründung führte sie u. a. aus, sie sei am 24. Februar 2006 in das Krankenhaus eingewiesen worden und zur Zahlung der Behandlungskosten nicht in der Lage.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag unter Bezugnahme auf das ihres Erachtens nach vorliegende verwertbare Vermögen der Antragstellerin entgegen getreten. Ferner hat sie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes bestritten, weil die Möglichkeit der darlehensweisen Gewährung der Krankenhilfe bestehe.

Das Sozialgericht Potsdam hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 05. April 2006 verpflichtet, vorläufig die seit dem 23. Februar 2006 angefallenen und die noch anfallenden Krankenbehandlungskosten der Antragstellerin zu übernehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass eine Pflicht der Antragsgegnerin zur Gewährung der Leistungen aus dem Bescheid vom 15. Februar 2006 folge, der bisher nicht aufgehoben worden sei. Bezüglich des ebenfalls geltend gemachten Anspruchs auf Pflegehilfe hat es den Antrag abgelehnt, weil kein konkreter Pflegebedarf vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sei.

Gegen den ihr am 07. April 2006 zugegangenen Beschluss hat die Antragsgegnerin am 28. April 2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 02. Mai 2006). Die Antragsgegnerin rügt mit der Beschwerde, das Sozialgericht verpflichte sie zu einer Leistungsgewährung für einen rückwirkenden Zeitraum und die fehlende zeitliche Begrenzung der einstweilige Anordnung. Ferner habe das Sozialgericht verkannt, dass der Bewilligungsbescheid vom 15. Februar 2006 nach seiner Begründung bereits die Befristung der nur vorläufigen Leistungsgewährung enthalte. Die vorläufige Leistungsgewährung nach § 19 Abs. 5 SGB XII sei ausdrücklich nur bis zum Abschluss der Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse bewilligt worden. Da der zu erwartende Verkauferlös des Pkw über der Vermögensgrenze von 3 214,00 EUR liege, sei ab dem 23. Februar 2006, nachdem die Prüfung über das verwertbare Vermögen insoweit abgeschlossen gewesen sei, die Hilfegewährung mündlich abgelehnt worden.

Mit schriftlichem Bescheid vom 27. April 2006 erklärte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin, dass ab dem 23. Februar 2006 keine Hilfegewährung im Rahmen der vorläufigen Hilfe gemäß § 19 Abs. 5 SGB XII mehr erfolge. Das Angebot der darlehensweisen Hilfegewährung werde aufrechterhalten. Mit Schreiben vom 26. April 2006 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin die Erteilung der von dieser mit Schreiben vom 10. April 2006 angeforderten Krankenbehandlungsscheine ab und bot erneut eine darlehensweise Hilfegewährung an. Das Schreiben erhält den Hinweis, dass, sollte das Sozialgericht zu einer anderen Entscheidung hinsichtlich des einzusetzenden Vermögens kommen, das Darlehen in einen Zuschuss umgewandelt werden könne. Mit Darlehensbescheid vom 10. Mai 2006 gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Übernahme der Krankenbehandlungskosten ab dem 09. Mai 2006 darlehensweise gemäß § 91 SGB XII "bis zu einer endgültigen Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg". Mit Schreiben an das Gericht vom 5. Juli 2006 hat die Antragsgegnerin klargestellt, dass sie an ihrem Angebot vom 22. März 2006 festhalte, bis zu einer endgültigen Klärung der Verwertbarkeit des Vermögens der Klägerin in einem Hauptsacheverfahren die Leistung der Krankenhilfe als Darlehen zu gewähren. Die von der Antragstellerin begehrte Gewährung von Pflegegeld sei nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 05. April 2006 abzuändern und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang abzulehnen.

Nachdem die Antragstellerin zunächst sinngemäß die Zurückweisung der Beschwerde begehrt hat, beantragt sie mit bei Gericht am 26. Juli 2006 eingegangenem Schreiben sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr rückwirkend seit März 2006 darlehensweise Hilfe zur Pflege in Höhe von monatlich 205,00 EUR zu gewähren.

Sie erklärt, kein verwertbares Vermögen zu haben. Am 30. März 2006 habe sie gegenüber dem Gerichtsvollzieher erneut eine eidesstattliche Versicherung abgeben müssen. Dieser habe bei ihr kein verwertbares Vermögen gefunden. Eine Verwertung des Pkw sei ihr nicht zuzumuten. Der Pkw sei angeschafft worden, weil sie nicht mehr in der Lage sei zu laufen. Den Kleingarten könne sie nicht aufgeben, weil er durch die Bewirtschaftung (Anbau von Obst, Gemüse und Blumen) eine Lebensgrundlage darstellen und auch dazu dienen solle, im Verein soziale Kontakte zu pflegen. Nachdem sie gegenüber der Antragsgegnerin noch mit Schreiben vom 02. Mai 2006 erklärt hatte, ein Darlehen aufgrund ihrer Schuldensituation abzulehnen, da sie es nie zurückzahlen könne, teilte sie mit Schreiben an das Gericht vom 24. Juli 2006 mit, bereits am 10. Mai 2006 mit der Antragsgegnerin einen Vertrag über die darlehensweise Gewährung von Krankenhilfe geschlossen zu haben. Sie sei aber auch auf die Gewährung der Pflegehilfe angewiesen. Laut Gutachten vom 27. September 2004 bestünde ein täglicher Bedarf von 102 Minuten für die Grundpflege und 52 Minuten für die Hauswirtschaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Pflegeakte und Krankenhilfeakte) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht Potsdam hat die Antragsgegnerin zu Unrecht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu Leistungen der Krankenhilfe an die Antragstellerin verpflichtet.

Die zutreffende Antragsart ist § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz SGG.

Zwar hat die Beklagte mit Bescheid vom 15. Februar 2006 Krankenbehandlungskosten als vorläufige Hilfe gewährt und diesen Bescheid durch den Bescheid vom 27. April 2006 aufgehoben, so dass in Betracht käme, Rechtsschutz hiergegen allein mit der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27. April 2006 und dementsprechend vorläufigen Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 SGG zu suchen. Dem ist jedoch nicht so. Im Hinblick darauf, dass es sich bei dem Bescheid vom 15. Februar 2006 um eine vorläufige Bewilligung handelte, bedurfte es nicht deren Aufhebung vor Erlass des endgültigen Ablehnungsbescheids (hier der mündliche Bescheid vom 23. Februar 2006, bestätigt durch schriftlichen Bescheid vom 27. April 2006vgl. BVerwG, Beschluss v. 3. Oktober 1984 - 3 B 67/84 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 28). Vielmehr ist mit dem endgültigen Ablehnungsbescheid eine negative Regelung hinsichtlich der Übernahme der Krankenbehandlungskosten getroffen worden. Hiergegen kann die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit der Verpflichtungsklage vorgehen, weshalb vorläufiger Rechtsschutz nur nach § 86 b Abs. 2 SGG in Betracht kommt.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung ZPO ). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. etwa Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 b Rn. 42, s. auch Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123 Rn. 165 ff.). Deshalb sind auch Erkenntnisse, die erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens zutage getreten sind, vom Senat zu berücksichtigen.

Sofern die Antragstellerin danach ihr vor dem Sozialgericht geltend gemachtes Begehren auf Gewährung von Krankenhilfe im Wege der einstweiligen Anordnung trotz ihrer Mitteilung im Schreiben vom 24. Juli 2006, sie habe mit der Antragsgegnerin insoweit einen Darlehensvertrag geschlossen, überhaupt noch aufrecht erhalten sollte, besteht kein Anordnungsgrund. Die Antragstellerin könnte mit der begehrten vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nicht mehr erreichen, als ihr die Antragsgegnerin zuletzt mit Bescheid vom 10. Mai 2006 gemäß § 91 SGB XII bereits gewährt. Denn die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren steht unter dem Vorbehalt einer entsprechenden stattgebenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Im Falle einer negativen Hauptsacheentscheidung ist das im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Gewährte vom Leistungsempfänger an den Sozialhilfeträger zurückzugeben. Die Leistungsgewährung aufgrund einer einstweiligen Anordnung ist daher wirtschaftlich nichts Anderes als die Gewährung eines Darlehens bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren.

Der mit bei Gericht am 26. Juli 2006 eingegangenem Schreiben erhobene, auf die Gewährung von Pflegehilfe gerichtete Antrag der Antragstellerin ist unzulässig. Das Landessozialgericht ist instanziell nicht zuständig. Zuständig für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG das Gericht der Hauptsache. Gericht der Hauptsache ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG). Bei dem Landessozialgericht ist aber kein die Gewährung von Pflegehilfe für die Antragstellerin betreffendes Berufungsverfahren anhängig. Die Gewährung von Leistungen zur Pflege nach den Vorschriften des SGB XII ist auch nicht Streitgegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens. Die Antragstellerin hat kein Rechtsmittel gegen den insoweit abweisenden Beschluss des Sozialgerichts vom 5. April 2006 eingelegt, so dass dieser insoweit rechtskräftig geworden ist.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved