L 12 RJ 32/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 RJ 559/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RJ 32/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1953 geborene Kläger ist nach seinen Angaben ohne Berufsausbildung geblieben und war zuletzt als Verkaufsfahrer beschäftigt. In den Jahren 1980, 1984 und 1987 wurde jeweils ein Bandscheibenvorfall operiert.

Das Bezirksamt Pankow von Berlin, von dem er Hilfe zum Lebensunterhalt erhielt, beantragte am 21. Oktober 2002 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Zur Begründung des Rentenantrags gab der Kläger einen Bandscheibenvorfall an.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin Herrn P. In seinem Gutachten vom 27. Dezember 2002 diagnostizierte Herr P ein links-betontes Pseudoradikulärsyndrom mit Zustand nach Mehrfach-Nucleotomie L5/S1, eine Belastungsgonalgie rechts mit Beugedefizit, einen Spreizfuss beiderseits mit hallux rigidus links mehr als rechts. Der Kläger könne zwar nicht mehr als Kraftfahrer arbeiten, wohl aber mehr als 6 Stunden täglich mittelschwere Arbeiten verrichten, überwiegend im Sitzen ohne Vibrationsbelastung, Rumpfzwangshaltungen sowie Hocken und ohne Knien, Erklimmen von Leitern und Gerüsten sowie regelmäßigen Transport größerer Lasten.

Durch Bescheid vom 27. Januar 2003 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Es liege weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vor. Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen könnten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich ausgeübt werden. Erfüllt seien indessen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der Kläger erhob Widerspruch, mit dem er geltend machte, dass er wegen seiner körperlichen Beschwerden keine ständig sitzende, stehende oder körperlich belastende Tätigkeit mehr ausüben könne. Er habe ständig starke Rückenschmerzen sowie Schmerzen und Taubheitserscheinungen im linken Bein. Das rechte Knie sei seit einer Operation nicht belastbar. Wegen seiner Beschwerden sei er seit dem 2. Dezember 2002 krank geschrieben. Außerdem sei die Taubheit auf dem rechten sowie die Einschränkung der Hörfähigkeit auf dem linken Ohr nicht berücksichtigt worden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 14. März 2003). Nach den Feststellungen in dem von Herrn P erstellten Gutachten liege auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Arbeitsmarktlage keine volle Erwerbsminderung vor. Ebenso wenig könne eine teilweise Erwerbsminderung anerkannt werden. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger noch in der Lage sei, seine bisherige Tätigkeit als Kraftfahrer weiter auszuüben, da er auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne.

Mit der am 4. April 2003 bei dem Sozialgericht eingegangen Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Sein Gesundheitszustand habe sich in der Zwischenzeit weiter verschlechtert. Das Sozialgericht hat Befundberichte bei dem Facharzt für Neurochirurgie Dr. W und der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. B eingeholt. Beide Ärzte haben über zunehmende Schmerzen berichtet, eine Operation sei angezeigt. Am 8. September 2003 ist der Kläger in der Caritas Klinik P an der Wirbelsäule operiert worden, nach dem Entlassungsbericht hat er das Operationsergebnis als günstig empfunden. Das Sozialgericht hat ein neurochirurgisches Gutachten veranlasst. Der Sachverständige Prof. Dr. K hat am 29. April 2004 ausgeführt, dass eine degenerative Instabilität der Wirbelsäule mit Spondylolisthesis (Wirbelgleiten) vorliege, die operativ versorgt sei. Weiter seien Radikulopathie mit Lumboischialgien, beiderseitige Schwerhörigkeit, Cervicobrachialgien sowie eine beginnende chronisch-venöse Insuffizienz zu diagnostizieren. Der Kläger könne leichte Arbeiten verrichten, er solle allerdings weder im Freien noch in geschlossenen Räumen unter Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft arbeiten. Das Tragen von Lasten sei nicht zumutbar, ebenso wenig Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder solche, die eine Belastbarkeit der Wirbelsäule, Arme und Beine voraussetzten. Die Wegefähigkeit sei erhalten und eine Arbeitszeit von 8 Stunden grundsätzlich möglich, wenn zwischen Sitzen und Stehen gewechselt werden könne. Der Kläger benötige nach 2 Stunden Tätigkeit eine Pause von 15 Minuten. Die vorgenommene Operation habe die Symptome gewandelt, indem sich die Lumboischialgien von der linken auf die rechte Seite verlagert hätten, nicht aber die Einschränkungen der Belastbarkeit beseitigt. Auf den Einwand des Klägers, dass seine psychischen Leiden nicht berücksichtigt worden seien, entgegnete der Sachverständige in seiner Stellungnahme vom 16. August 2004, dass er keinerlei psychiatrische Beeinträchtigungen habe entdecken können. Er führte weiter klarstellend aus, dass Pausen nach 2 Stunden Tätigkeit nur dann erforderlich seien, wenn kein Wechsel der Haltungsarten möglich sei.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. September 2004 abgewiesen. Der Kläger sei weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Das ergebe sich aus dem überzeugenden Gutachten von Prof. Dr. K.

Gegen das ihm am 27. Oktober 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am selben Tag Berufung eingelegt. Sein tatsächlicher Gesundheitszustand sei nicht richtig wiedergegeben worden.

Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung weder erschienen noch vertreten gewesen ist, beantragt nach dem Sinn seines schriftlichen Vorbringens, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Erwerbsminderungsrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Trotz Aufforderung des Senats hat der Kläger weder die ihn behandelnden Ärzte benannt noch eine umfassende Schweigepflichtentbindungserklärung (auch hinsichtlich der niedergelassenen Ärzte) erteilt. Dr. W (Neurochirurg) hat auf Anforderung des Senats im Februar 2006 erneut einen Befundbericht erstattet. Er gibt an, dass der Kläger sich zuletzt im Januar 2004 bei ihm vorgestellt habe, weswegen er nicht wisse, ob die Operation zu einem dauerhaften Erfolg geführt habe.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht festgestellt werden können.

Gemäß § 43 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs, Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 1 SGB VI unter denselben versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, wenn Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger – unter gewissen qualitativen Einschränkungen – nicht mehr in der Lage wäre, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Deswegen besteht kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Dr. K hat in seinem dem Sozialgericht erstatteten Gutachten überzeugend begründet, dass der Kläger körperlich leichte Tätigkeiten ohne Einschränkungen der täglichen Arbeitszeit verrichten kann. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Sachverständige seine Feststellungen nicht aufgrund einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Untersuchung getroffen hätte oder dass die von ihm gezogenen Folgerungen nicht dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprächen. Weitergehende gesundheitsbedingte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ergeben sich auch aus den Leistungsbeurteilungen der von der Beklagten beauftragten Gutachter nicht.

Zu weiteren Ermittlungen sah sich der Senat nicht gedrängt. Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass das Sozialgericht seinen Gesundheitszustand unzutreffend beurteilt habe. Er hat aber weder konkret angegeben, welche weiteren Leiden und Beschwerden bei ihm bestehen, noch entsprechende ärztliche Atteste vorgelegt oder auch nur behandelnde Ärzte angegeben, bei denen weitere Auskünfte eingeholt werden könnten. Soweit der Kläger sein Vorbringen vor dem Sozialgericht wiederholen und bekräftigen wollte, ist darauf zu verweisen, dass die dort angegebenen Beschwerden, nämlich Bewegungseinschränkungen, Gehörlosigkeit, psychische Probleme und dauernde Schmerzen, sämtlich in dem dortigen Verfahren von Prof. Dr. K gutachterlich beurteilt worden sind. Das Vorliegen erheblicher psychiatrischer Einschränkungen ist von dem Gutachter ausdrücklich verneint worden. Da die Hörschwierigkeiten des Klägers nach seinen Angaben jedenfalls seit dem Jahre 1978 bestehen, ohne dass sie ihn aber in der Vergangenheit an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehindert hätten, und er zudem mit einem Hörgerät versorgt ist, ist nicht ersichtlich, dass insoweit eine erhebliche gesundheitsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit vorliegen könnte. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob auch die Beurteilung von Hörstörungen in die Fachkompetenz des vom Sozialgericht bestellten Gutachters fällt.

Eine seit dem Verfahren vor dem Sozialgericht eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes hat sich ebenfalls nicht feststellen lassen. Vor dem Sozialgericht hat sich der Kläger für das Ausmaß seiner Leiden und Beschwerden auf die Angaben des behandelnden Arztes Dr. W berufen. Dieser hat dem Senat dazu indessen mitgeteilt, dass der Kläger sich seit dem Jahre 2004 nicht mehr bei ihm vorgestellt habe.

Die von Prof. Dr. K bestätigten qualitativen Einschränkungen (nur noch leichte körperliche Arbeiten unter Schutz vor Witterungseinflüssen, Feuchtigkeit und Zugluft, ohne Tragen von Lasten, nicht auf Leitern und Gerüsten, ohne Belastbarkeit der Wirbelsäule, Arme oder Beine) sind nicht so erheblich, dass Zweifel veranlasst sind, ob der Kläger überhaupt noch in einem Betrieb eingesetzt werden könnte. Er kann auch nicht nur unter unüblichen Arbeitsbedingungen beschäftigt werden. Zusätzliche Pausen benötigt er lediglich, wenn während der Arbeitsleistung kein Wechsel der Haltungsarten möglich ist. Auch diese qualitative Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit ist nicht so ungewöhnlich, dass die Beklagte eine verbleibende Einsatzmöglichkeit konkret benennen müsste.

Der Kläger hat ebenfalls keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Ein solcher Anspruch setzt nach § 240 Abs. 1 SGB VI voraus, dass ein Versicherter vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig ist. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist, wobei der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten umfasst, die den Kräften und Fähigkeiten der Versicherten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Für solche Einschränkungen der Zumutbarkeit, einer anderen Tätigkeit nachzugehen (Berufsschutz), fehlt vorliegend jedoch jeder Anhaltspunkt. Denn der Kläger hat selbst angegeben, ohne Ausbildung zu sein. Er ist demnach auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, für den sein Leistungsvermögen indessen – wie oben erörtert – ausreicht.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter Berücksichtigung des Ergebnisses in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved