L 16 R 1310/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 5474/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1310/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch die Gewährung von Versichertenrente wegen teilweiser Erwerbsminderung (EM) ab dem 1. Juni 2003.

Die 1959 geborene Klägerin durchlief nach einer einjährigen Beschäftigung als Vorschülerin für die Krankenpflege erfolgreich eine Ausbildung als Krankenpflegehelferin (1. April 1976 bis 31. März 1977). Anschließend übte sie diesen Beruf mehr als 25 Jahre im E S aus. Nach einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 26. Mai 2002 bis zum 30. Juli 2003 auf Grund einer Schultererkrankung ist die Klägerin dort aus gesundheitlichen Gründen seit dem 1. August 2003 mit der Hälfte (20 Stunden wöchentlich) der Arbeitszeit einer vollbeschäftigten Mitarbeiterin als Stationsassistentin in der Pädiatrie beschäftigt.

Auf den Rentenantrag vom Mai 2003 zog die Beklagte u. a. den Entlassungsbericht über die im Juli 2002 erbrachten medizinischen Leistungen zur Rehabilitation bei und veranlasste Untersuchungen und Begutachtungen durch den Facharzt für Orthopädie S und die Fachärztin für Innere Medizin Dr. M. Auf die Gutachten vom 19. August 2003 und vom 5. Oktober 2003 wird Bezug genommen. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag durch Bescheid vom 19. November 2003 ab. Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte ein neuropsychiatrisches Fachgutachten (Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W vom 26. April 2004) ein, auf das ebenfalls verwiesen wird. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der Klage hat die Klägerin die Gewährung von Rente wegen EM beantragt. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat Befundberichte von den die Klägerin behandelnden Ärzten erstatten lassen, und zwar von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H vom 24. Januar 2005 und vom Facharzt für Orthopädie Dr. M vom 17. Januar 2005. Mit Urteil vom 18. Mai 2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser EM. Sie sei schon nicht berufsunfähig, denn sie könne ihren bisherigen Beruf jedenfalls noch sechs Stunden ausüben. Die früher verrichteten Arbeiten am Krankenbett seien der Klägerin zwar nicht mehr zumutbar. Dem habe der Arbeitgeber aber bereits Rechnung getragen und die Klägerin als Stationsassistentin mit leichteren Tätigkeiten betraut. Die Klägerin arbeite deshalb nach wie vor in ihrem bisherigen Beruf. Ihre jetzige Tätigkeit als Stationsassistentin könne die Klägerin täglich sechs Stunden und mehr leisten. Das ergebe sich aus der sehr umfangreichen Vorbegutachtung durch die Beklagte und werde durch die vom Gericht eingeholten Befundberichte bestätigt. Die von der Klägerin vorgelegten Atteste änderten an dieser Einschätzung nichts.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin nunmehr nur noch ihr Begehren auf Rente wegen teilweiser EM weiter. Sie trägt vor: Sie sei nicht mehr in der Lage, ihren erlernten Beruf oder eine andere Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Zur Feststellung ihrer Leistungsfähigkeit müsse ein fachmedizinisches Gutachten eingeholt werden. Es seien Anhaltspunkte für eine deutliche Reduzierung der Leistungsfähigkeit vorhanden, so dass sie zumindest eine teilweise Erwerbsminderungsrente beanspruchen könne. Sie überreicht u. a. einen Arztbrief der behandelnden Orthopäden vom 9. November 2005, ärztliche Berichte über radiologische Untersuchungen der Halswirbelsäule und der Hüfte im Februar 2006 sowie eine Hilfsmittelverordnung vom 27. Februar 2006 über ein Stützkorsett.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Juni 2003 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin, mit der diese nur noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser EM weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser EM nach § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI).

Die Vorschrift des § 43 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1 Nr. 2, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EM voraus (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VI). Darüber hinaus muss teilweise EM vorliegen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI).

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den allgemeinen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin war und ist nicht teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Denn sie verfügte und verfügt noch über ein mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen zumindest für leichte körperliche Arbeiten, mit dem sie regelmäßig einer mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen konnte und kann. Dass die Klägerin über ein derartiges Leistungsvermögen verfügte und auch derzeit noch verfügt, folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens; dabei war vor allem zu berücksichtigen, dass die Klägerin seit dem 1. August 2003 regelmäßig einer Erwerbstätigkeit von 20 Stunden in der Woche nachgeht. Zudem haben die im Verwaltungsverfahren als Sachverständige eingesetzten Ärzte S, Dr. M und Dr. W der Klägerin übereinstimmend ein mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen bescheinigt.

Nach den darüber hinaus festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen ist das verbleibende Leistungsvermögen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegenstünde (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Die Klägerin kann zwar nach den von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen wegen ihrer orthopädischen Leiden nur noch körperlich leichte Tätigkeiten und diese zudem nur zeitweise im Gehen oder Stehen verrichten. Ausgeschlossen sind Überkopfarbeiten und Arbeiten, die häufiges Bücken oder Hocken verlangen (Facharzt für Orthopädie S). Bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestand und besteht aber weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch lag oder liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 – B 5/4 RA 58/97 R – veröffentlicht in juris). Die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen sind jedenfalls nicht geeignet, das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Einschränkungen wie der Ausschluss von Überkopfarbeiten oder Arbeiten in Zwangshaltungen (Bücken, Hocken) zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und erst recht nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Die konkrete Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit war damit nicht erforderlich.

Anlass zu weiteren medizinischen Ermittlungen besteht nicht. Der medizinische Sachverhalt ist vielmehr durch die von der Beklagten veranlassten medizinischen Begutachtungen unter Berücksichtigung der von der Klägerin seit August 2003 tatsächlich ausgeübten Berufstätigkeit ausreichend geklärt. Substanziierte Beanstandungen gegen die Feststellungen im Verwaltungsverfahren hat die Klägerin auch nicht vorgebracht. Die im gerichtlichen Verfahren eingeholten Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte belegen zudem die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen, dass die Klägerin noch über ein mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen zumindest für leichte körperliche Arbeiten verfügt, mit dem sie regelmäßig einer mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen konnte und kann. Die von den behandelnden Ärzten vertretenen Auffassungen zum Restleistungsvermögen stellen zwar keine gutachterlichen Feststellungen im Sinne des Sachverständigenbeweises dar. Dr. H hat aber als sachverständiger Zeuge die Krankheitsentwicklung für stabil und die Klägerin "für sehr wohl fähig" gehalten, "weiterhin zu arbeiten" (Befundbericht vom 24. Januar 2005). Nach Einschätzung der behandelnden Orthopäden kann die Klägerin leichtere Tätigkeiten sogar "problemlos vollschichtig" verrichten (Befundbericht vom 17. Januar 2005). Der Arztbrief der Orthopäden vom 9. November 2005 und die aktuell eingereichten radiologischen Berichte geben ebenso wie die Hilfsmittelverordnung schließlich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das Leistungsvermögen der Klägerin seit den Begutachtungen im Verwaltungsverfahren bzw. seit dem orthopädischen Befundbericht vom 17. Januar 2005 wesentlich verschlechtert haben könnte. In diesem Zusammenhang ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Klägerin seit fast drei Jahren tatsächlich im Umfang von zwanzig Stunden pro Woche als Stationsassistentin arbeitet, ohne dass längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bekannt wäre, und dass sie nach Angaben des Arbeitgebers den gestellten Anforderungen "in vollem Umfang" gewachsen ist (Auskunft vom 25. April 2006). Die Tatsache der Ausübung einer gesundheitlich zumutbaren Tätigkeit hat nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Regel einen stärkeren Beweiswert als die scheinbar dies ausschließenden Befunde (vgl. z. B. BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 12). Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass sie entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG aktuell nicht mehr in ihrem bisherigen Beruf arbeitet. Denn der Beruf der Krankenpflegehelferin ist vom Beruf der Stationsassistentin zu unterscheiden. Da es sich bei dem Beruf der Krankenpflegehelferin wegen der einjährigen Regelausbildung aber um einen Beruf handelt, der in den unteren Bereich der Angelernten einzustufen ist (st. Rspr., vgl. etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 45), kann sich der auf gesundheitlichen Gründen beruhende Berufswechsel auch für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht anspruchsbegründend auswirken. Dem hat die Klägerin dadurch Rechnung getragen, dass sie diesen Anspruch mit der Berufung nicht mehr weiter verfolgt hat. Dem Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung steht aber das mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen der Klägerin entgegen, das auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwertet werden kann. Dabei kommt es nicht darauf an, dass nach der derzeitigen Arbeitsmarktlage entsprechende Arbeitsplätze nicht zur Verfügung stehen (vgl. § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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