L 16 R 1623/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 4 RA 4321/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1623/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 30. August 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Arbeitnehmeranteilen an nachträglich gezahlten Rentenversicherungsbeiträgen für die Zeit vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000.

Der im Jahr 1966 geborene Kläger war vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 bei der H L D Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH; im Folgenden: H.), einer Konzerntochter der j H C (im Folgenden: HC), in M beschäftigt. Sozialversicherungsbeiträge wurden während der Beschäftigung des Klägers in Deutschland von der Arbeitgeberin nicht entrichtet, sondern nach einer Betriebsprüfung der Beklagten im Jahr 2000 nachträglich - bestandskräftig - festgesetzt und von der H. entrichtet. Auf den Kläger entfiel insoweit ein Gesamtbetrag von 55.709,44 EUR.

Im Dezember 2002 beantragte der seit Oktober 2002 wieder in J lebende Kläger die Erstattung der im Zeitraum vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 geleisteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Zwischen ihm und der HC habe eine Nettolohnvereinbarung vorgelegen. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2003 lehnte die Beklagte die begehrte Beitragserstattung ab mit der Begründung, dass die Arbeitgeberin den vollen Gesamtsozialversicherungsbeitrag, der nachträglich festgesetzt worden sei, alleine getragen habe und der Kläger somit wirtschaftlich an der Beitragstragung nicht beteiligt gewesen sei. Eine Nettolohnvereinbarung könne nur vorliegen, wenn ein Arbeitgeber die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile regelmäßig und zeitgerecht, d. h. nicht nachträglich, abführe.

Im Klageverfahren hat der Kläger die "Bestimmungen für den Dienst im Ausland" und die "Bestimmungen für die Bezahlung im Ausland", gültig ab 01. April 1992, der HC vorgelegt, in denen es u. a. heißt, "die Steuern und Abgaben, die dem Einzelnen am Arbeitsort auf die Bezahlung durch die Firma erhoben werden, werden in voller Höhe von der Firma getragen (Artikel 7 § 33 der Bestimmungen für den Dienst im Ausland) und dass "Einkommensteuern und Sozialversicherungsbeiträge, die auf das in diesen Bestimmungen festgelegte Auslandsgehalt und auf Beihilfen am Arbeitsort erhoben werden, sowie öffentliche Steuern und Abgaben, die von der Firma als diesen entsprechend eingeschätzt werden, von der Firma übernommen" werden (Artikel 1 § 6 Nr. 1 der Bestimmungen für die Bezahlung im Ausland); ferner ist dort geregelt, dass im Falle einer "Wiedererstattung oder Kompensation o.ä." für die von "der Firma übernommenen öffentlichen Steuern und Abgaben. diese in der Regel an die Firma zurückgezahlt" werden (Artikel 1 § 6 Nr. 2 der Bestimmungen für die Bezahlung im Ausland).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Erstattung der "Arbeitnehmerbeiträge" für die Zeit vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 gerichtete Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2005 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Beitragserstattungsanspruch auf der Grundlage des § 210 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) nicht zu. Dies folge schon daraus, dass der Kläger in dem streitbefangenen Zeitraum keine Beiträge getragen habe. Diese seien ausschließlich von der Arbeitgeberin, und zwar nachträglich, entrichtet worden. Eine Abwälzung auf den Kläger gemäß § 28g Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) habe nicht mehr erfolgen können (Verweis auf BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 - B 4 RA 57/98 R = SozR 3-2600 § 210 Nr. 2). Auch ein Erstattungsanspruch nach § 210 Abs. 3 Satz 2 SGB VI scheide mangels Vorliegens einer Nettolohnvereinbarung im Sinne dieser Vorschrift aus. Der Kläger habe während seiner Beschäftigung in Deutschland ein Bruttoeinkommen bezogen, das keine Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung umfasst habe. Dies folge schon daraus, dass er und seine Arbeitgeberin davon ausgegangen seien, dass eine Sozialversicherungspflicht nicht bestehe. Eine Nettolohnvereinbarung könne aber nur vorliegen, wenn der Entgeltanspruch von vornherein bereits im Umfang der gesamten Lohnabzüge vereinbart werde und wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile regelmäßig und zeitgerecht, d. h. nicht nachträglich, abführe. Dass die Arbeitgeberin des Klägers ihr Abzugsrecht nicht ausgeübt habe, führe zu keiner Nettolohnvereinbarung.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, das SG habe verkannt, dass in seinem Falle eine Nettolohnvereinbarung geschlossen worden sei. Es liege nicht ein bloßer Verzicht der Arbeitgeberin auf ihr Abzugsrecht vor, sondern eine ausdrückliche Vereinbarung, aus der sich ergeben habe, dass die Arbeitgeberin für sämtliche Kosten einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge hätte aufkommen müssen, wenn sie nicht aufgrund eines Rechtsirrtums davon ausgegangen wäre, dass es sich um ein versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis gehandelt habe. Im Übrigen sei es unzutreffend, dass eine Nettolohnvereinbarung dann nicht vorliegen könne, wenn die Beteiligten von einem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis ausgegangen seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 30. August 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Arbeitnehmeranteile der für die Zeit vom 1. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 für ihn entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile an den für die Zeit vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 für ihn entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen.

Nach § 210 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI werden Beiträge auf Antrag den Versicherten erstattet, die nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung haben. Beiträge werden nur erstattet, wenn seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht 24 Kalendermonate abgelaufen sind und nicht erneut Versicherungspflicht eingetreten ist (§ 210 Abs. 2 SGB VI). Der Kläger erfüllt zwar die genannten Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs, weil er mangels eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB VI hat. Er hat dieses Recht auch nicht in Verbindung mit dem Abkommen zwischen der B und J über Soziale Sicherheit vom 20. April 1998 (DGBl. 1999 II, S. 876; D). Denn in Nr. 6c des Protokolls zum D wird ein Recht zur freiwilligen Versicherung nur dann eingeräumt, wenn j Staatsangehörige, die sich im Hoheitsgebiet von J gewöhnlich aufhalten, zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung mindestens 60 Monate Beiträge wirksam entrichtet haben; dies war bei dem Kläger ersichtlich nicht der Fall. Auch die gesetzliche Aufschubfrist von 24 Kalendermonaten seit dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht war im Falle des Klägers bei Antragstellung abgelaufen, da dieser zuletzt am 31. Januar 2000 versicherungspflichtig beschäftigt war.

Eine Erstattungspflicht der Beklagten scheitert jedoch daran, dass der Kläger für seine versicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland vom 01. Dezember 1995 bis zum 31. Januar 2000 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht "getragen" hat und zwischen der H. bzw. der HC und dem Kläger auch kein Nettoarbeitsentgelt vereinbart war (vgl. § 210 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 SGB VI). Der Kläger hat selbst – unstreitig – keine Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung getragen, weil die Arbeitgeberin in dem in Rede stehenden Zeitraum von ihrem Abzugsrecht in Höhe der Arbeitnehmeranteile des Klägers keinen Gebrauch gemacht hat. Der Kläger und seine Arbeitgeberin sind vielmehr davon ausgegangen, dass die Beschäftigung des Klägers versicherungsfrei sei. Die im Jahr 2000 nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses auf eine Betriebsprüfung der Beklagten hin schließlich von der Arbeitgeberin geleistete nachträgliche Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge hatte keinerlei wirtschaftliche Auswirkungen auf das Vermögen oder die Rechtsstellung des Klägers und konnte auch nicht mehr (teilweise) auf ihn abgewälzt werden. Nach § 28g SGB IV kann ein unterbliebener Beitragsabzug des Arbeitgebers in Höhe des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist (vgl. § 28g Satz 1 und Satz 3 SGB IV). Die Arbeitgeberin des Klägers hat auch tatsächlich zu keiner Zeit einen entsprechenden Beitragsabzug nachgeholt. Die Beitragslast auch für den Arbeitnehmeranteil ist somit endgültig bei der Arbeitgeberin verblieben. Eine Erstattung der allein von der Arbeitgeberin getragenen Beiträge ist aber gesetzlich nicht vorgesehen.

Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile an den nachträglich geleisteten Rentenversicherungsbeiträgen besteht auch nicht unter Berücksichtigung von § 210 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Danach wird, wenn mit dem Versicherten ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart war, der vom Arbeitgeber getragene Beitragsanteil des Arbeitnehmers erstattet. Bei einem Nettoarbeitsentgelt im Sinne der genannten Vorschrift handelt es sich um ein Arbeitsentgelt, bei dem der Entgeltanspruch bereits im Umfang der gesamten Lohnabzüge als erfüllt vereinbart wird (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R – aaO). In diesem Fall bringt, worauf schon die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 02. September 1983 zum Haushaltsbegleitgesetz 1984 zu der inhalts- und funktionsgleichen Vorschrift des § 82 Abs. 8 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (BT-Drucksache 10/335 S. 74 zur Parallelbestimmung des § 1308 Abs. 8 Reichsversicherungsordnung) ausdrücklich hingewiesen hat, der rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer im wirtschaftlichen Ergebnis die Pflichtbeiträge mit auf. Denn gemäß § 14 Abs. 2 SGB IV gelten bei der Vereinbarung eines Nettoarbeitsentgelts als Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und u. a. der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung. Dem Nettoarbeitsentgelt sind mithin, um das sozialversicherungspflichtige Bruttoarbeitsentgelt zu ermitteln, die anteiligen Sozialversicherungsbeiträge des Versicherten zuzurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R - aaO; BSG, Urteil vom 14. September 1989 – 4 RA 27/89 = SozR 2200 § 1303 Nr. 35 S. 100). Bei dem Kläger kann es eine Vereinbarung im vorgenannten Sinne schon deshalb nicht gegeben haben, weil die Vertragsparteien des Beschäftigungsverhältnisses während dessen gesamter Dauer davon ausgegangen waren, dass Versicherungsfreiheit bestehe und demzufolge Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gar nicht zu entrichten seien. In diesem Fall ist es schon begrifflich ausgeschlossen, dass die Parteien eines Arbeitsverhältnisses einen Entgeltanspruch im Umfang der gesamten Entgeltabzüge vereinbart haben. Es bedarf nämlich keiner Erhöhung des Nettoentgelts durch die vom Arbeitgeber an Dritte gezahlten Beiträge in der Höhe, die bei einem entsprechenden Bruttoarbeitsentgelt als Arbeitnehmeranteile angefallen wären, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber von vornherein davon ausgehen, dass ohnehin keine Beiträge und somit auch keine Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu entrichten sind. Vorliegend kann das (fiktive) Bruttoeinkommen des Klägers demzufolge daher gar keine anteiligen Sozialversicherungsbeiträge enthalten haben, mit der Folge, dass der Kläger auch im wirtschaftlichen Ergebnis die nachträglich ohne Abwälzungsmöglichkeit von der Arbeitgeberin getragenen Pflichtbeiträge nicht mit aufgebracht haben kann. Hiermit korrespondiert, dass auf die nachgezahlten Beiträge, die die Arbeitgeberin vorliegend allein getragen hat und anteilig nicht mehr auf den Kläger abwälzen konnte, Beiträge nicht mehr erhoben werden können (vgl. BSGE 64, 110, 115 = SozR 2100 § 14 Nr. 22 S. 25). Bei einem vereinbarten Nettoarbeitsentgelt trägt hingegen wirtschaftlich der Versicherte im Ergebnis anteilig die Beiträge und zur Ermittlung des (fiktiven) Bruttoarbeitsentgelts sind dem Nettoarbeitsentgelt die anteiligen Sozialversicherungsbeiträge des Versicherten hinzuzurechnen. Vorliegend fehlt es an jeglicher Vermögensverschiebung zu Lasten des Klägers. Denn es macht keinen Unterschied, ob ein Arbeitgeber für einen nach dem "Brutto"- oder nach dem "Nettomodell" beschäftigten Arbeitnehmer fälschlich keine Sozialversicherungsbeiträge abführt; in beiden Fällen besteht für den Arbeitnehmer kein Erstattungsanspruch nach § 210 SGB VI.

Im Übrigen erhellt auch aus den von dem Kläger in Bezug genommenen "Bestimmungen für den Dienst im Ausland" und den "Bestimmungen für die Bezahlung im Ausland" der HC, dass dem Kläger bei wirtschaftlicher Betrachtung durch den Arbeitgeber kein zusätzlicher Vorteil zu dem gezahlten Entgelt zufließen sollte. Denn in Artikel 1 § 6 Nr. 2 der "Bestimmungen für den Dienst im Ausland" der HC ist geregelt, dass im Falle einer "Wiedererstattung oder Kompensation o. ä." für die von "der Firma übernommenen öffentlichen Steuern und Abgaben diese in der Regel an die Firma zurückgezahlt" werden. Auch die Arbeitgeberin ist damit ersichtlich davon ausgegangen, dass die Arbeitnehmeranteile an den von ihr geleisteten Rentenversicherungsbeiträgen im wirtschaftlichen Ergebnis nicht beim Arbeitnehmer neben dem eigentlichen Nettoentgelt als Einnahmen aus der Beschäftigung verbleiben sollten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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