L 8 RA 82/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 RA 2104/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 82/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) und der in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Entgelte. Die Klägerin ist die Witwe des 1935 geborenen und im Mai 2000 verstorbenen Versicherten R A (im Folgenden: Versicherter). Dem Versicherten war am 22. Dezember 1964 durch Urkunde der Ingenieurschule N nach bestandener Abschlussprüfung in der Fachrichtung Hochbau das Recht zuerkannt worden, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Ab 1. Januar 1965 war er als Bauingenieur beim Rat des Kreises A, Kreisbauleitung, Entwurfsgruppe, als Entwurfsbearbeiter tätig. Vorher war er ab 1962 bei der selben Stelle als technischer Zeichner beschäftigt. Mit der Auflösung der Entwurfsgruppe und Angliederung als Projektierungsabteilung an den VEB (K) Bau A wurde das Arbeitsverhältnis des Versicherten zum 1. Januar 1972 vom diesem VEB übernommen. In ein Zusatzversorgungssystem der DDR war der Versicherte bis zu deren Schließung am 30. Juni 1990 nicht einbezogen worden. Ab dem 9. Februar 1996 war dem Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt worden (Bescheid der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – Träger der Rentenversicherung - vom 16. April 1997). Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens hatte die Beklagte die Feststellung von Daten nach dem AAÜG abgelehnt, da keine Zeiten in Zusatzversorgungssystemen zurückgelegt worden seien (Mitteilung an den Träger der Rentenversicherung vom 27. Dezember 1996). Im März 1999 beantragte der Versicherte die Überprüfung der Entscheidung angesichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur sogenannten "fiktiven Einbeziehung". Durch Bescheid vom 30. Juli 2002 stellte die Beklagte die Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz ab dem 1. Januar 1972 bis zum 30. Juni 1990 und die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelte fest. Sie lehnte die Feststellung von Daten nach dem AAÜG für die Zeit vom 1. Dezember 1964 bis zum 31. Dezember 1971 mit der Begründung ab, dass in dieser Zeit keine Beschäftigung im Geltungsbereich des Zusatzversorgungssystems (volkseigener Produktionsbetrieb) ausgeübt worden sei. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten geltend, dass dieser in einem produktiven Bereich, nämlich der Bauprojektierung gearbeitet habe. Dass der Arbeitgeber im streitigen Zeitraum der Kreis A und kein VEB gewesen sei, sei eher Zufall gewesen. Die Arbeit des Versicherten habe sich nicht von der unterschieden, welche in der Projektierungsabteilung eines VEB geleistet worden sei. Durch Widerspruchsbescheid vom 3. April 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den DDR-Bestimmungen über die Altersversorgung der technischen Intelligenz müsse unter anderem eine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb verrichtet werden. Der Rat des Kreises A sei kein derartiger Betrieb. Der Träger der Rentenversicherung berechnete in der Folgezeit die Renten für die Lebzeiten des Versicherten sowie die Witwenrente auf Grund der von der Beklagten festgestellten Daten von Beginn an neu. Ausweislich der Versicherungsverläufe zu den Rentenbescheiden wurden dabei für Zeiten bis zum 28. Februar 1971 neben den Arbeitsentgelten, für die Beiträge zur Sozialpflichtversicherung gezahlt worden waren, auch die über der Pflichtversicherungsgrenze liegenden Verdienste (als "zusätzlicher Arbeitsverdienst") rentensteigernd berücksichtigt. Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht hat die Klägerin das Anliegen weiter verfolgt, auch die Zeit vom 1. Dezember 1964 bis zum 31. Dezember 1971 als Zeit der Zugehörigkeit des Versicherten zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen. Sie hat die Auffassung vertreten, dass der Versicherte in dieser Zeit in einem produktiven Betrieb im Sinne der Versorgungsordnung tätig gewesen sei. Seit er seine Ausbildung zum Bauingenieur beendet habe, habe sich seine Tätigkeit nicht mehr geändert, sondern lediglich die Rechtsträgerschaft der Betriebsstätte. Sie hat schriftliche Erklärungen des Herrn R E, und des Herrn U R, vom 3. April 2003, und des Herrn H R, vom 16. April 2003 zum Beleg dafür vorgelegt, dass die Entwurfsgruppe Aufgaben eines Konstruktionsbüros erfüllt habe. Durch Urteil vom 4. September 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Versicherte erfülle nicht die Voraussetzungen für eine fiktive Einbeziehung in die zusätzliche Altersversicherung der technischen Intelligenz, weil er im streitigen Zeitraum nicht in einem volkseigenen Betrieb oder einer gleichgestellten Beschäftigungsstätte gearbeitet habe. Im Besonderen habe es sich nicht um ein Konstruktionsbüro gehandelt, da es keine selbständige Einrichtung gewesen sei. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin ihr Anliegen zunächst in vollem Umfang weiterverfolgt. Der Versicherte habe in einem Konstruktionsbüro und damit einer von der Versorgungsordnung erfassten Beschäftigungsstätte gearbeitet habe. Nachdem sie darauf hingewiesen worden war, dass die zusätzlichen Arbeitsverdienste vor dem 1. März 1971 bereits rentenwirksam berücksichtigt sind, hat sie noch beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Juli 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 1. März 1971 bis zum 31. Dezember 1971 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die in dieser Zeit tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Beschäftigungsstätte des Versicherten sei kein Konstruktionsbüro im Sinne der in der DDR gebrauchten Begrifflichkeit gewesen. Zum Beleg hat sie Ablichtungen aus dem Ökonomischen Lexikon, Band "H-P", 3. Auflage, und aus dem Lexikon der Wirtschaft – Industrie – von 1978 eingereicht. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die von ihr gewünschten Feststellungen trifft. Es kann dahingestellt bleiben, ob das AAÜG auf den Versicherten, der zu DDR-Zeiten nicht in ein Zusatzversorgungssystem im Sinne der Anlagen zum AAÜG aufgenommen worden war, überhaupt anwendbar ist. Hiervon geht die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden aus, ohne jedoch eine ausdrückliche Entscheidung ("Statusfeststellung"; siehe dazu etwa BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R -, zitiert nach Juris) darüber zu treffen, die bestandskräftig geworden sein könnte. Jedenfalls scheitert der geltend gemachte Anspruch daran, dass der Versicherte im noch streitigen Zeitraum keine Zugehörigkeitszeit im Sinne des § 5 AAÜG zurückgelegt hat. Ob das der Fall ist, beurteilt sich ausschließlich nach den Texten der jeweiligen Versorgungsordnungen in Verbindung mit den Durchführungsbestimmungen sowie den sonstigen, sie ergänzenden bzw. ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen (ständige Rechtsprechung des BSG, s. beispielhaft BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 3; Urteil vom 10. Februar 2005 – B 4 RA 47/04 R -, zitiert nach Juris). Eine "Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" nach dem von der Klägerin begehrten Versorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG) liegt nur vor, wenn die in § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech; vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) genannten drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss eine bestimmte Berufsbezeichnung führen (persönliche Voraussetzung), eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und die Tätigkeit bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb oder einer gleichgestellten Einrichtung verrichtet haben (betriebliche Voraussetzung; ständige Rechtsprechung des BSG, siehe stellvertretend BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 und 8 und BSG SozR 4-8570 § 5 Nr. 6). Der Versicherte erfüllte im streitigen Zeitraum nicht die betriebliche Voraussetzung. In einem volkseigenen Betrieb war er nicht beschäftigt, weil es sich beim Rat des Kreises um ein Organ des Kreistages und damit der Staatsmacht auf örtlicher Ebene handelte (s. für den streitigen Zeitraum: Ordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Kreistages und seiner Organe vom 28. Juni 1961, DDR-GBl. Teil I S. 75, Abschnitt III; zur Entwicklung der Organisation und der rechtlichen Grundlagen der volkseigenen Betriebe ausführlich BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 7). Ob die Arbeitsstätte des Versicherten ein gleichgestellter Betrieb war, bemisst sich nach den abstrakt-generellen Regelungen in den Texten der VO-AVItech sowie der 2. DB. § 1 Abs. 2 2. DB führt nur bestimmte Arten von Institutionen auf und stellt diese den volkseigenen Produktionsbetrieben gleich. Lediglich dann, wenn der Versicherte im streitgegenständlichen Zeitraum bei einer der dort abschließend genannten Institutionen beschäftigt gewesen wäre, könnten folglich Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech im Sinne des § 5 AAÜG festgestellt werden. Von den in § 1 Abs. 2 2. DB genannten Institutionen konnte der Versicherte allenfalls in einem Konstruktionsbüro tätig geworden sein. Da es sich um einen Begriff handelt, der durch das politische und wirtschaftliche System der DDR geprägt ist, kann ohne weiteres auf Umschreibungen zurückgegriffen werden, die aus Nachschlagewerken der DDR stammen. Da es sich um einen Begriff handelt, der eng mit dem wirtschaftlichen System der DDR verbunden ist, kann es sich dabei auch um wirtschaftliche oder technische Nachschlagewerke handeln. Denn die VO-AVItech und die 2. DB bauen erkennbar auf den wirtschaftlichen Gegebenheiten der DDR auf. Dies berücksichtigend handelte es sich – wie aus den von der Beklagten eingereichten Kopien aus Lexika der DDR hervorgeht - bei einem Konstruktionsbüro um eine Abteilung oder Einrichtung eines Betriebes oder Kombinates, die mit bestimmten Aufgaben betraut war und darüber hinaus um zentrale Entwicklungs- und Konstruktionsbüros außerhalb von Betrieben, die den Kombinaten oder den wissenschaftlich-technischen Zentren der einzelnen Industriezweige zugeordnet waren. Nach dieser Definition wäre eine Gleichstellung von Konstruktionsbüros mit volkseigenen Betrieben zwar dann nicht erforderlich, wenn es sich bei dem Konstruktionsbüro ohnehin um einen Teil des volkseigenen Betriebs handelte. Indem der Normgeber der DDR die Gleichstellung vornahm, wird aber gerade belegt, dass er auf die Gegebenheiten des Wirtschaftslebens aufbaute. Denn die Gleichstellung bewirkte, dass auch verselbständigte Konstruktionsbüros in den Anwendungsbereich der Versorgung einbezogen waren. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Entwurfsgruppe bei der Kreisbauleitung von ihrer Arbeitsaufgabe her einem Konstruktionsbüro oder – wie anschließend die Bezeichnung beim VEB (K) Bau A lautete - einer "Projektierungsabteilung" vergleichbar war und ob sie als Projektierungsabteilung einem "Konstruktionsbüro" gleichgestellt werden könnte (verneinend SG Dresden, Urteil vom 17. August 2005 – S 8 RA 2024/03 -, zitiert nach Juris; Revision anhängig zum Aktenzeichen B 4 RA 39/05 R des BSG). Denn die Entwurfsgruppe war im streitigen Zeitraum jedenfalls weder einem Betrieb noch einem Kombinat angegliedert und schon von daher kein Konstruktionsbüro im Sinne der 2. DB. Dafür, dass es sich bei ihr um ein "Zentrales Entwicklungs- und Konstruktionsbüro" gehandelt haben könnte, gibt es keinen Anhaltspunkt. Vielmehr war die Entwurfsgruppe rechtlich einem Organ der örtlichen Staatsmacht angegliedert und konnte somit lediglich die räumlich und inhaltlich begrenzten Aufgaben dieses Staatsorgans wahrnehmen (s. für den Bereich des Bauwesens die Ordnung über die Aufgaben und die Arbeitsweise des Kreistages und seiner Organe a.a.O., Abschnitt VI D). Hinzu kommt generell, dass die 2. DB von den staatlichen Organen nur die Ministerien und Hauptverwaltungen den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichstellte. Dem ist im Umkehrschluss zu entnehmen, dass die örtlichen Organe der Staatsmacht generell nicht gleichgestellt waren. Ob der Versicherte nach dem 31. Dezember 1971 inhaltlich die gleiche Tätigkeit ausgeübt hat wie vorher, hat keine rechtliche Bedeutung. Für die Zeit ab dem 1. Januar 1972 war die betriebliche Voraussetzung zweifelsfrei erfüllt, weil er in einem volkseigenen Baubetrieb gearbeitet hatte. Die nachträgliche Korrektur der im Bereich der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme getroffenen Regelungen und Entscheidungen der DDR ist bundesrechtlich nicht erlaubt, auch soweit sie willkürlich erscheinen. Durch Nr. 9 Buchstabe a Satz 1 Halbsatz 2 Einigungsvertrag und § 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz ist grundsätzlich nur die Übernahme zum 3. Oktober 1990 bestehender Versorgungsansprüche und -anwartschaften von "Einbezogenen" in das Bundesrecht versprochen worden. Neueinbeziehungen wurden ausdrücklich verboten. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrags war nicht gehalten, die in den Versorgungsordnungen der DDR angelegten Ungleichbehandlungen nachträglich zu korrigieren. Er durfte vielmehr an die am 2. Oktober 1990 vorliegenden Versorgungsordnungen im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (siehe etwa Bundesverfassungsgericht SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 und Beschluss vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a., zitiert nach www.bundesverfassungsgericht.de). Die Rechtsprechung des BSG zur sogenannten "fiktiven Einbeziehung", welche das Verbot der Neueinbeziehung teilweise durchbricht, rechtfertigt sich ausschließlich durch den von ihm zwischen § 1 Abs. 1 AAÜG und dem Einigungsvertrag gesehenen Wertungswiderspruch (stellvertretend BSG SozR 4-8570 § 1 Nr. 4 mit weiteren Nachweisen). Eine darüber hinausgehende Erweiterung des einbezogenen Personenkreises wäre hingegen verfassungswidrig (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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