L 8 R 1276/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 R 226/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 1276/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juli 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) und der in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Entgelte. Der Kläger ist 1944 geboren worden. Vom 1. August 1964 bis zum 31. Dezember 1998 war er im VEB Petrolchemisches Kombinat (PCK) Schwedt bzw. dessen Rechtsnachfolgern beschäftigt. Durch Urkunde der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik vom 6. Dezember 1974 wurde ihm die Berechtigung zuerkannt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Der Kläger war zu DDR-Zeiten nicht in ein Zusatzversorgungssystem im Sinne des AAÜG aufgenommen worden oder eingetreten. Am 28. Juni 1990 wurde die Petrolchemie und Kraftstoffe Aktiengesellschaft (PCK AG) S in das Handelsregister eingetragen. Am selben Tag wurde der VEB PCK S von Amts wegen im Register der Volkseigenen Wirtschaft gelöscht. Den Antrag des Klägers, Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2005 ab. Das AAÜG sei auf ihn nicht anwendbar. Weder habe eine positive Versorgungszusage zu DDR-Zeiten vorgelegen noch sei am 30. Juni 1990 eine Beschäftigung ausgeübt worden, die aus bundesrechtlicher Sicht dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Der VEB PCK S sei bereits vor dem 30. Juni 1990 privatisiert worden. Der Kläger sei deshalb nicht mehr im Geltungsbereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz tätig gewesen. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er auch am 30. Juni 1990 in einem volkseigenen Betrieb gearbeitet habe. Die Umwandlung des VEB PCK S in eine AG am 28. Juni 1990 habe daran nichts geändert. Die AG sei nicht Eigentümerin der Produktionsmittel geworden und bis zum 30. Juni 1990 auch unverändert in das Steuerungssystem der Planwirtschaft einbezogen gewesen. Dem entsprechend habe es sich unabhängig von der Rechtsform um einen volkseigenen Betrieb im Sinne der Versorgungsordnung gehandelt. Darüber hinaus ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf "fiktive" Einbeziehung aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung, weil die Beklagte unabhängig vom Zeitpunkt der Umwandlung eines Betriebs eine Anwartschaft dann anerkenne, wenn zu DDR-Zeiten eine individuelle Versorgungszusage erteilt worden sei. Durch Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2005 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Das AAÜG sei auf den Kläger nicht anwendbar. Die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Voraussetzungen für eine fiktive Einbeziehung in die Zusatzversorgung lägen nicht vor, weil der Kläger am Stichtag 30. Juni 1990 nicht Beschäftigter eines VEB, sondern einer Kapitalgesellschaft gewesen sei. Das Gericht könne sich nicht der Auffassung des Klägers anschließen, dass der Betrieb auch nach der Umwandlung noch volkseigen geblieben sei. Mit der Löschung im Register der volkseigenen Wirtschaft und Eintragung des Rechtsnachfolgers sei die Umwandlung des VEB in eine AG abgeschlossen gewesen. Aus welchen Gründen der Betrieb in eine AG umgewandelt worden sei, habe keine Bedeutung. AG seien den VEB versorgungsrechtlich nicht gleichgestellt gewesen. Auch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege nicht vor. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen hinaus. Über seinen bisherigen Vortrag hinaus führt er an, dass eine Privatisierung erst dann vorliege, wenn sich die Gesellschaftsanteile und das Eigentum an den Produktionsmitteln in privater Hand befänden.

Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 29. Juli 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 6. Dezember 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz und die während dieser Zeit erzielten tatsächlichen Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung in der Sache entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die vom Kläger begehrten Feststellungen zu treffen. Er unterfällt bereits nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG, weil er bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. August 1991 bezogen auf den Stichtag 30. Juni 1990 (Tag vor der Schließung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR) keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger hatte und auch keine Versorgungsanwartschaft erworben hatte. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hätte der Kläger zum Stichtag nur gehabt, wenn sie einzelvertraglich vereinbart gewesen wäre oder ein nach Art. 19 Einigungsvertrag (EV; vom 31. August 1990, Bundesgesetzblatt Teil II S. 889) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAPG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa Bundessozialgericht – BSG – , Urteil vom 18. Juni 2003 – B 4 RA 50/02 R –, zitiert nach Juris) vorliegen würde. Keine dieser Alternativen ist vorliegend erfüllt. Dem Kläger war zu DDR-Zeiten eine Versorgung einzelvertraglich nicht zugesichert worden und auch ein bindender Verwaltungsakt einer der oben genannten Stellen ist nicht ergangen. Der Kläger hatte am 1. August 1991 aber auch keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage": § 1 Abs. 1 AAÜG ist nach der Rechtsprechung des BSG im Wege einer verfassungskonformen Erweiterung auch auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni 1990, dem Tag vor der Schließung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR, zwar nicht in ein Versorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 1. August 1991 einen Anspruch auf eine Versorgungszusage im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der Versorgungssysteme gehabt hätten. Es kommt danach in erster Linie auf das Bundesrecht des AAÜG an und nur nachrangig und lückenfüllend kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls (Art. 9. Abs. 2 EV) auch auf die nach Maßgabe des Bundesrechts auszulegenden Versorgungsregeln im EV, der in Bundesrecht transformiert worden ist (ständige Rechtsprechung, s. etwa BSG SozR 4-8570 § 1 Nr. 4 und 6; 3-8570 § 1 Nr. 2, 3 und 8). Einen Anspruch auf Zugehörigkeit zu der vorliegend allein in Betracht kommenden zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz kann der Kläger nur dann haben, wenn die in § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech; vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) genannten drei Voraussetzungen erfüllt sind: Der "Versorgungsberechtigte" muss eine bestimmte Berufsbezeichnung führen (persönliche Voraussetzung), eine der Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit verrichtet haben (sachliche Voraussetzung) und die Tätigkeit bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens oder in einem gleichgestellten Betrieb oder einer gleichgestellten Einrichtung verrichtet haben (betriebliche Voraussetzung; ebenfalls ständige Rechtsprechung, siehe stellvertretend BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 und 8 und BSG SozR 4-8570 § 5 Nr. 6). Der Kläger erfüllte am Stichtag 30. Juni 1990 nicht die betriebliche Voraussetzung, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht in einem volkseigenen (Produktions-)Betrieb beschäftigt war. Entscheidend ist insoweit, dass der Arbeitgeber des Klägers am Stichtag eine Rechtsperson des privaten Rechts, nämlich eine Aktiengesellschaft war. Allein auf Grund seiner Rechtsform unterliegt der Beschäftigungsbetrieb nicht dem Anwendungsbereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz, weil es sich nach dem Sprachgebrauch der DDR bei Kapitalgesellschaften nicht um "volkseigene Betriebe" handelte (ausführlich zu diesem Begriff BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 7 unter 2 b aa; bestätigt im Urteil vom 12. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R -, zitiert nach Juris). In wessen Besitz sich die Gesellschaftsanteile oder die Produktionsmittel am 30. Juni 1990 befanden, ist entgegen der Auffassung des Klägers rechtlich unbeachtlich (ebenso etwa LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. September 2005 – L 22 R 280/05 – und Urteil vom 13. Oktober 2005 – L 21 R 223/05). Aktiengesellschaften gehören auch nicht zu den volkseigenen Betrieben gleichgestellten Institutionen, weil sie in der abschließenden Aufzählung des § 1 Abs. 2 2. DB nicht enthalten sind. Ob der Kläger vor dem 30. Juni 1990 angesichts seiner Qualifikation, der Art seiner Beschäftigung und des Beschäftigungsbetriebs zu bestimmten Zeiten die Voraussetzungen für die Einbeziehung in ein System der Zusatzversorgung erfüllt haben könnte, musste nicht geprüft werden, weil dies – da die Sachlage am 30. Juni 1990 maßgeblich ist - rechtlich keine Bedeutung hat. § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG führt zu keinem anderen Ergebnis, weil diese Vorschrift voraussetzt, dass eine Rechtsposition (einzelvertragliche Vereinbarung, Versorgungszusage durch eine staatliche Stelle der DDR) tatsächlich bestand, die der Begünstigte vor dem 30. Juni 1990 verloren hatte (BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und 3; BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 16/04 R -, zitiert nach Juris). Ein Verstoß des § 1 AAÜG in der Auslegung des BSG gegen Verfassungsrecht, im Besonderen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), liegt nicht vor. Die Ungleichbehandlung ist bereits in den Versorgungsordnungen der DDR angelegt. Der Gesetzgeber des Einigungsvertrags war von Verfassungs wegen nicht gehalten, sie nachträglich zu korrigieren. Auch das Abstellen auf den Stichtag 30. Juni 1990 ist nicht zu beanstanden, weil damit an den Tag des In-Kraft-Tretens des Verbots der Neueinbeziehung in die Versorgungssysteme der DDR und damit an einen in der geschriebenen Rechtsordnung verankerten Zeitpunkt angeknüpft wird (siehe Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in SozR 4-8570 § 5 Nr. 4 und vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 u. a. -, zitiert nach www.bundesverfassungsgericht.de). Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liegt auch nicht im konkreten Fall vor, selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Beklagte in anderen Fällen trotz im wesentlichen gleicher Sachlage Feststellungen nach dem AAÜG getroffen hätte. Die Entscheidung darüber, ob das AAÜG anwendbar ist, steht nicht im Ermessen der Beklagten. Dementsprechend kann nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch auf eine gleichförmige Ermessensausübung hergeleitet werden. Abgesehen davon besteht in keinem Fall ein Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht, da durch ein Handeln der an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) kein dauerhaft rechtswidriger Zustand geschaffen werden darf (s. zum Ganzen etwa BSG, Beschluss vom 9. Dezember 1999 – B 9 V 61/99 B -, zitiert nach Juris, unter Bezug auf BVerfGE 50, 142 [166]; dazu, dass im Bereich der "gebundenen" Verwaltung aus einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis keine Rechte hergeleitet werden können BSG, Urteil vom 20. April 2003 – 4 RA 7/92 -, zitiert nach Juris). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Im Besonderen ist keine klärungsbedürftige Rechtsfrage offen. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, ist nicht zwischen den vom Kläger so genannten "volkseigenen" Kapitalgesellschaften und "privaten" zu unterscheiden, um einen Anspruch auf "fiktive Einbeziehung" in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz begründen zu können. Das BSG hat eindeutig auf die Rechtsform des Betriebes abgestellt.
Rechtskraft
Aus
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