L 17 B 1701/05 R

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 481/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 B 1701/05 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 26. September 2005 wird aufgehoben. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist gewährt.

Gründe:

Den Antrag des Antragstellers, die Zeit vom 19. Oktober 1975 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben festzustellen, lehnte die Beklage mit Bescheid vom 14. Februar 2005 / Widerspruchbescheid vom 25. Mai 2005 ab. Der Widerspruchbescheid ist dem Antragsteller nach seinen Angaben am 27. Mai 2005 zugegangen.

Am 3. August 2005 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dazu hat er vorgetragen, ihm sei bekannt gewesen, dass seine (ehemalige) Arbeitgeberin, die PCK Raffinerie GmbH, ihre Mitarbeiter dabei unterstütze, Ansprüche auf Zusatzversorgung durchzusetzen, und deshalb die Kommunikation zu dem jetzigen Prozessbevollmächtigten vermittele. Er habe deshalb seine Unterlagen an die zuständige Mitarbeiterin der P GmbH, Frau A, übergeben und bei ihr am 2. Juni 2005 eine Vollmacht unterzeichnet. Er sei darüber unterrichtet worden, dass sich der Bevollmächtigte melden werde, wenn es etwas Relevantes zu berichten gebe. Frau A habe die Vollmacht und die Unterlagen noch am selben Tage mit der Post an den Bevollmächtigten gesandt.

Am 28. Juli 2005 habe sich Frau A telefonisch beim Bevollmächtigten erkundigt, ob und wann ihr eine Kopie der Klageschrift zugesandt worden sei. Eine Nachprüfung in dessen Büro habe ergeben, dass die Unterlagen dort nicht bekannt gewesen seien. Es sei davon auszugehen, dass der Brief vom 2. Juni 2005 auf dem Postweg verloren gegangen sei. Hieran treffe weder den Antragsteller noch die von ihm beauftragten Personen ein Verschulden. Nachdem es bei etwa 100 vorangegangenen Klagen zu keinen Störungen der Kommunikation gekommen sei, hätten die Beteiligten darauf vertrauen dürfen, dass der Klageauftrag rechtzeitig beim Bevollmächtigten eingehen werde.

Dazu hat er eidesstattliche Versicherungen von C A, von J F (Hilfskraft des Bevollmächtigten) und von U H (Sekretärin des Bevollmächtigten), alle vom 1. August 2005, eingereicht.

Mit Beschluss vom 26. September 2005 hat das Sozialgericht Neuruppin den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Klagefrist zurückgewiesen. Die Klage sei verspätet; der Kläger könne sich nicht auf mangelndes Verschulden im Sinne des § 67 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - berufen. Der Kläger hätte die Klage vorab zur Vermeidung eines Fristversäumnisses ohne Begründung selbst erheben können. Das Gericht vermöge nicht zu erkennen, dass ihm aufgrund mangelnder Einsichts- und Erkenntnisfähigkeit die Bedeutung von Rechtsbehelfsfristen unbekannt gewesen sei.

Darüber hinaus müsse er sich jedoch auch das Verhalten der Mitarbeiterin seines ehemaligen Arbeitgebers, Frau A, zurechnen lassen, der er seine Angelegenheit bedenkenlos und ohne weitere eigene Kontrollen übergeben habe. Zwar habe diese im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 1. August 2005 vorgetragen, bereits zahlreiche vergleichbare Anliegen ehemaliger Mitarbeiter bearbeitet, an den Bevollmächtigten fristgerecht weitergeleitet und den rechtzeitigen Zugang des Klageauftrages überwacht zu haben. In dem vorliegenden Einzelfall habe sie dies aber versäumt. Da vorliegend die Klagefrist am 27. Juni 2005 abgelaufen sei, habe sie rechtzeitig vor diesem Datum den Eingang des Klageauftrages überwachen müssen. Stattdessen sei ihr erst zwei Monate später ihre unsachgemäße Bearbeitung aufgefallen. Auch bei Beachtung dieser Sorgfaltspflicht wäre das Fristversäumnis vermieden worden.

Gegen den am 30. September 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11. Oktober 2005 eingegangene Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Der Kläger ist der Auffassung, das Sozialgericht sehe zu Unrecht ein Verschulden darin, dass er nicht selbst Klage erhoben habe. Mit dieser Begründung müssten die Gerichte jeden Antrag auf Wiedereinsetzung abweisen, wenn das die Fristeinhaltung verhindernde Ereignis bei beauftragten Personen aufgetreten sei. Die Gerichte hätten dies jedoch noch nie getan.

Auch das von Frau A geforderte Verhalten überspanne die vom Kläger und den von ihm Beauftragten zu erwartende Sorgfalt. Es sei ständige Rechtsprechung, dass derjenige, der der Deutschen Post eine Briefsendung übergebe, darauf vertrauen dürfe, dass diese in angemessener Zeit zugestellt werde.

Die fristgerecht eingegangene Beschwerde ist zulässig und begründet. Der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin ist rechtswidrig. Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist zu gewähren.

Nach § 67 Abs. 1 SGG kann auf Antrag Wiederein¬setzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden ver¬hindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Bei der Frage des Verschuldens an dem Fristver¬säumnis ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Verfahrensvor¬schriften sind nicht Selbstzweck, sondern dienen der Wahrung der materi¬ellen Rechte der Prozessbeteiligten. Im Zweifel sind sie so auszule¬gen, dass eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglicht wird (BSG, Urteil vom 31. März 1993 13 RJ 9/92 SozR 3-1500 § 67 Nr. 7).

Ein Verschulden des Klägers an der Versäumung der Klagefrist ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat mit drei eidesstattlichen Versicherungen den Ablauf der Klageeinreichung glaubhaft gemacht (vgl. § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 202 SGG in Verbindung mit § 294 der Zivilprozessordnung - ZPO ). Wieso es sich bei diesen eidesstattlichen Versicherungen lediglich um Stellungnahmen handeln soll, hat das Sozialgericht nicht erläutert. Es ist auch nicht nachvollziehbar. Besondere Formvorschriften für derartige Versicherungen bestehen nicht. Im vorliegenden Fall wäre die Unwahrheit der eidesstattlichen Versicherungen sogar strafbewehrt (§ 156 des Strafgesetzbuches).

Nach dem danach glaubhaft gemachten Ablauf hat der Kläger zur Erteilung des Klageauftrags an seinen Bevollmächtigten Frau A eingeschaltet. Darin ist kein Verschulden zu sehen. Es ist in der Regel nicht schuldhaft, Boten oder Vertreter einzuschalten. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn es Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit dieser Personen gibt. Dies ist aber vorliegend nicht ersichtlich. Die vom Kläger eingeschaltete Frau A ist Sachbearbeiterin in der Personalabteilung der P GmbH. Es ist deshalb ihr Beruf, mit Urkunden und anderen wichtigen Schriftstücken umzugehen. Der Kläger durfte schon deshalb annehmen, dass sie besonders gewissenhaft ist. Hier kam hinzu, dass sie schon seit eineinhalb Jahren vergleichbare Vorgänge bearbeitet hat, ohne dass Beanstandungen erhoben worden sind.

Es kann dem Kläger auch nicht als Verschulden angelastet werden, dass Frau A, den noch die Einhaltung der Klagefrist ermöglichenden Eingang des Klageauftrags beim Bevollmächtigten nicht überwachte. Denn sie hat das Poststück an bewährte Boten weitergegeben und konnte sich darauf verlassen, dass diese die Post einliefern. Bei ordnungsgemäß zur Post gegebenen Briefen darf man aber darauf vertrauen, dass diese innerhalb der normalen Postlaufzeit beim Empfänger eintreffen. Es ist nicht fahrlässig, wenn der Eingang nicht zusätzlich durch Nachfrage beim Adressaten überwacht wird (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. § 67 Rn. 6b).

Der Verlust des Klageauftrags auf dem Postweg, der letztlich Ursache der Verspätung der Klage war, ist dem Kläger nicht anzulasten.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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