Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 RA 6540/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 540/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. April 2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren, ob die Klägerin Zahlungen aus dem ihr dem Grunde nach zuerkannten Anspruch auf Hinterbliebenenrente verlangen kann.
Die am 1931 geborene Klägerin ist die Witwe des am 22. Januar 2000 verstorbenen AS(Versicherter). Die Eheleute lebten in Kasachstan (Republik der ehemaligen Sowjetunion). Nur die Klägerin siedelte am 31. März 1998 nach Deutschland über, wo sie als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt wurde. Sie bezog seit ihrer Einreise eine eigene Altersrente. Dabei ermittelte die Beklagte 34,7313 Entgeltpunkte und begrenzte sie nach § 22 b Fremdrentengesetz (FRG) in der Fassung vor dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz (alte Fassung: a. F.) auf 25 Entgeltpunkte. Der Zahlbetrag betrug ab 1. Juli 2002 592,85 Euro.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vom 28. Juni 2002 mit Bescheid vom 14. August 2002 große Witwenrente ab 1. Juni 2001, wobei sie aufgrund der für den Versicherten nach dem FRG anrechenbaren Zeiten 31,4317 Entgeltpunkte ermittelte. Die Auszahlung einer Witwenrente lehnte die Beklagte jedoch mit der Begründung ab, dass der Rentenfeststellung hier insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte zugrunde zu legen seien, die bei der Klägerin bereits bei ihrer eigenen Rente berücksichtigt würden.
Den am 6. Mai 2004 im Wesentlichen unter Hinweis auf das am 30. August 2001 ergangene Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – (B 4 RA 118/00 R) gestellten Antrag auf Überprüfung und Neufeststellung der Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Bescheid vom 14. August 2002 könne nicht nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen werden, da weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Vorschrift des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG sei durch das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz neu gefasst worden. Der neue Gesetzestext und seine Begründung brächten unmissverständlich zum Ausdruck, dass eine gemeinsame Begrenzung aller Renten eines Berechtigten auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen sei. Da § 22 b FRG in der Ausgangsfassung am 7. Mai 1996 in Kraft getreten sei, erfolge die Klarstellung gemäß Artikel 15 Abs. 3 Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz mit Wirkung vom 7. Mai 1996. Die Neufassung des § 22 b FRG sei bereits in der Gesetzesbegründung eindeutig als Klarstellung bezeichnet und ihr sei ausdrücklich Rückwirkung beigemessen worden. Die bisherigen Entscheidungen des BSG zu § 22 b FRG seien zu einem Zeitpunkt gefällt worden, in denen das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz noch nicht verkündet gewesen sei. Die Beklagte halte entsprechend ihrer bisherigen Rechtsauffassung daran fest, dass mit der Neufassung von 22 b FRG keine inhaltliche Änderung der Vorschrift eingetreten sei. Eine Zahlung der Witwenrente könne daher nicht erfolgen, da bereits der eigenen Altersrente der Klägerin 25 Entgeltpunkte zugrunde lägen.
Mit ihrer am 29. November 2004 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz verankerte Rückwirkung auf ihren Fall sei verfassungswidrig und verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. § 22 b FRG a. F. rechtfertige keine Begrenzung der nach dem FRG zu berücksichtigenden Entgeltpunkte für die Inhaber einer Hinterbliebenenrente neben einer eigenen Rente. Bei Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten wäre die ihr zuerkannte Hinterbliebenenrente sinnlos. Auch würde sie gegenüber "normalen" Rentenempfängern mit einer Altersrente und Hinterbliebenenrente schlechter gestellt. Es sei daher der Auffassung des 4., 8. und 13. Senats des BSG vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes zu folgen, die eine Begrenzung der Versicherten- und Hinterbliebenenrente auf maximal 25 Entgeltpunkte als rechtswidrig angesehen hätten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. April 2005 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Der Bescheid vom 14. August 2002 sei nicht rechtswidrig und daher nicht gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Die Klägerin habe kein Recht auf Zahlung der Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann neben ihrer Rente aus eigener Versicherung. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14. August 2002 ergebe sich aus § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG. Der aufgrund des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes geänderte Wortlaut von § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG lasse keinen Zweifel zu, dass eine Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte auf 25 für anrechenbare Zeiten nach dem FRG auch bei einem Zusammentreffen von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente in einer Person erfolgen solle. Da diese Vorschrift bereits mit Wirkung vom 7. Mai 1996, also vor erstmaliger Entstehung eines Stammrechts auf Rente der Klägerin am 1. April 1998, geändert worden sei, sei sie vorliegend auf alle Rentenbezugszeiten anwendbar. Auf verfassungsrechtliche Bedenken stoße die Änderung des Wortlautes der Vorschrift und insbesondere das Inkrafttreten bereits am 7. Mai 1996 nicht. Es liege keine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarende Rückwirkung vor, denn es handele sich lediglich um eine rückwirkende Klarstellung und nicht um eine materielle Rechtsänderung. Aus Wortlaut, systematischer und ergänzender teleologischer Auslegung des § 22 b FRG a. F. ergebe sich, dass diese Vorschrift auch bei einem Zusammentreffen von Renten aus eigener Versicherung und Hinterbliebenenrente anwendbar gewesen sei.
Gegen das der Klägerin am 26. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Juni 2005 eingelegte Berufung, zu deren Begründung sie auf ein weiteres einschlägiges Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 2004 (L 8 RJ 68/03) verweist und im Übrigen auf ihr Klagevorbringen Bezug nimmt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 14. August 2002 zu ändern und ihr neben ihrer eigenen Rente Witwenrente nach dem verstorbenen AS ohne Begrenzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, dass mit der im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz geregelten Rückwirkung zwar ein Fall echter Rückwirkung vorliege, die aber nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten Fallgruppen gerechtfertigt gewesen sei, da die Rechtslage vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes unklar und verworren gewesen sei, was sich bereits daraus ergebe, dass die Gerichte der verschiedenen Instanzen sehr unterschiedlich judiziert hätten. Jedenfalls aber seien der Klägerin nach der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 9/04 R) keine Sozialleistungen zu Unrecht versagt worden.
Die Akten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 10 RA 6540/04 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten 49 160432 S 005 lagen vor und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, da sie insbesondere fristgerecht erhoben worden ist. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat es mit ihrem Bescheid vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 zutreffenderweise abgelehnt, den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 14. August 2002 zu ändern und der Klägerin die dem Grunde nach zuerkannte große Witwenrente auszuzahlen.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Anspruch ist § 44 SGB X. Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Verfassungsgemäße Rechte der Klägerin werden dadurch nicht verletzt.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsaktes anwendbaren Recht. Der hier maßgebliche Verwaltungsakt wurde am 14. August 2002 erlassen. Danach ist § 22 b Abs. 1 FRG a. F. (eingefügt durch Artikel 3 Nr. 5 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung - Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG - vom 25. September 1996 - BGBl. I, 1461 - und ergänzt um Satz 3 durch Artikel 12 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 - BGBl. I, 2998) die maßgebliche Rechtsgrundlage.
Ob sich aus § 22 b Abs. 1 FRG a. F. ergibt, dass bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung sowie einer Hinterbliebenenrente eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen ist (so die Auffassung der Beklagten sowie zahlreicher Sozial- und Landessozialgerichte, nur beispielhaft seien erwähnt: SG Mannheim vom 27. November 2002 – S 9 RJ 2074/02 – SG Berlin vom 29. März 2004 – S 18 KN 25/03 –, LSG Schleswig-Holstein vom 12. Dezember 2002 – L 5 KN 2/02 –, LSG Baden-Württemberg vom 3. Oktober 2003 – L 3 RJ 2485/03 –, LSG Berlin vom 17. September 2004 – L 5 RJ 23/04 –, alle veröffentlicht in JURIS) oder ob eine solche Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte dieser Vorschrift nicht zu entnehmen ist (so der 4., 13. und 8. Senat des BSG in seinen Urteilen vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R- in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 2, vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R – in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 1 und vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 2), kann letztlich dahingestellt bleiben, weil die weitere Voraussetzung des § 44 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt ist. Denn es sind der Klägerin Sozialleistungen nicht zu Unrecht vorenthalten worden. Der Senat folgt damit der Auffassung des 8. und 5. Senats des BSG in seinen Urteilen vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R, veröffentlicht in JURIS) und vom 5. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R und B 5 RJ 39/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de), der er sich nach eigener Überprüfung anschließt. Ein Ruhen des Verfahrens hielt der Senat daher nicht für zweckmäßig (§ 202 Sozialgerichtsgesetz –SGG – in Verbindung mit § 251 Zivilprozessordnung).
Die Frage, inwieweit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden, beurteilt sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Recht, also nach § 22 b Abs. 1 FRG in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes (§ 22 b FRG n. F.). Denn für den mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch auf Erlass eines Zugunsten-Bescheides nach § 44 SGB X gilt nichts anderes als für eine sonstige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, bei der maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, nach welchem Recht die Begründetheit eines Anspruches zu prüfen ist, grundsätzlich die mündliche Verhandlung ist und daher Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des Rechtsstreits eintreten, zu beachten sind, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. BSG vom 25. Oktober 1984 - 11 RAz 3/83 in SozR 3-1300 § 44 Nr. 13, BSG vom 13. September 1994 – 5 RJ 30/93 –, BSG vom 2. Juli 1997 – 9 RVs 9/96, die beiden zuletzt genannten Urteile veröffentlicht in JURIS und Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X Bd. I § 44 Rz 8).
Da § 22 b Abs. 1 FRG a. F. rückwirkend zum 7. Mai 1996 durch § 22 b Abs. 1 FRG n. F. ersetzt wurde, ist § 22 b FRG n. F. zu beachten. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des neuen Rechts im vorliegenden Fall ausschließen könnte, liegt nicht vor. Der rückwirkenden Anwendung steht insbesondere nicht § 300 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch entgegen (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 1/05 R - a.a.O.).
Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. einzubeziehen. Denn der von ihm in weitgehender Abkehr von dem das frühere FRG beherrschenden Eingliederungsprinzip vorgenommene Systemwechsel hin zu an der Höhe der Eingliederungshilfe orientierten Rentenleistungen für neu hinzuziehende Spätaussiedler stellt deshalb keine Ungleichbehandlung gegenüber Hinterbliebenen, deren Ehegatten ihr Berufsleben in Deutschland verbracht haben, dar, weil die den Spätaussiedlern gewährten Renten aus dem Sozialstaatsprinzip folgen und nicht auf eigenen Beiträgen zur bundesdeutschen Rentenversicherung beruhen. Das ist ein sachgerechtes Kriterium und daher keine ungerechtfertigte Benachteiligung (vgl. BSG vom 30. August 2001 – B 4 RA 87/00 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 1, BSG vom 3. Juni 2002 – B 5 RJ 22/01 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 3 und BSG vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – in BSGE 93, 15).
§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. verstößt auch nicht insoweit gegen die Verfassung, soweit darin eine rückwirkende Rechtsänderung enthalten ist, da sich aufgrund der unklaren Rechtslage ein schutzwürdiges Vertrauen bei der Klägerin nicht bilden konnte. Nach der vom BVerfG entwickelten Rechtsprechung zur Rückwirkung von Gesetzen handelt es sich vorliegend um eine so genannte echte Rückwirkung, da die Rechtsfolgen der Neufassung von § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend ab 7. Mai 1996 (vgl. Artikel 9 Nr. 2 in Verbindung mit Artikel 15 Abs. 3 Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz) eintreten (vgl. Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83- in BVerfGE 72, 200). Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Denn das Verbot rückwirkend belastender Gesetze folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes. Zu dessen wesentlichen Elementen gehört die Rechtsicherheit, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 a.a.O.). Das BVerfG hat jedoch verschiedene Ausnahmefälle benannt. Den entwickelten Ausnahmen ist zu entnehmen, dass eine Durchbrechung des Rückwirkungsgebotes aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls oder dann zulässig und geboten ist, wenn sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen nicht bilden konnte. Hierzu gehört der Fall, dass die geltende Rechtslage unklar und verworren ist, so dass eine baldige Klärung erwartet werden muss (BVerfG vom 17. Januar 1979-1 BvR 446/77- in SozR 3 5750 Art 2 § 9a Nr. 8 und BVerfG vom 14. Mai 1986 a.a.O.).
Letzteres ist hier der Fall. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt konnte sich vorliegend bei der Klägerin nicht bilden, denn die Rechtslage zu § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. war unklar und verworren. Nachdem die Sozial- und Landessozialgerichte zunächst der Auffassung der Beklagten zu § 22 b FRG a. F. folgten und eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte bei einem Zusammentreffen von eigener Rente und einer Hinterbliebenenrente für zulässig hielten, vertrat der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 30. August 2001 (a.a.O.) eine andere Auffassung. Eine Klärung erfolgte letztlich aber auch noch nicht durch diese höchstrichterliche Entscheidung, denn zahlreiche Sozial- und Landessozialgerichte folgten dieser Entscheidung nicht. Auch die Rentenversicherungsträger verabredeten, ihr nicht zu folgen. Ob durch die folgenden Entscheidungen des 13. Senats vom 11. März 2004 (B 13 RJ 44/03 R a.a.O.) sowie des 8. Senats vom 7. Juni 2004 (B 8 KN 10/03 R a.a.O.) davon auszugehen gewesen wäre, dass die Betroffenen auf eine bestimmte Interpretation des Gesetzes vertrauen dürfen, kann letztlich dahin gestellt bleiben, denn am 11. März 2004 wurde bereits das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen (siehe Bundesratsdrucksache 191/04), das heißt, dass die Betroffenen bereits von diesem Zeitpunkt an Kenntnis von der Änderung der Rechtslage hatten, so dass sich auch durch die Entscheidungen des 8. und 13. Senats kein Vertrauen in die Rechtslage ergeben konnte. Selbst wenn ein berechtigtes Vertrauen bis zu diesem Zeitpunkt unterstellt würde, entfiele dieses, denn die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist nicht mehr möglich, wenn mit der Änderung einer Rechtslage gerechnet werden muss. Letzteres ist regelmäßig ab dem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung der Fall. Damit entfällt dann auch ein zu dem Zeitpunkt bereits vorhandenes berechtigtes Vertrauen in die alte Rechtslage (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 1/05 R - a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Überprüfungsverfahren, ob die Klägerin Zahlungen aus dem ihr dem Grunde nach zuerkannten Anspruch auf Hinterbliebenenrente verlangen kann.
Die am 1931 geborene Klägerin ist die Witwe des am 22. Januar 2000 verstorbenen AS(Versicherter). Die Eheleute lebten in Kasachstan (Republik der ehemaligen Sowjetunion). Nur die Klägerin siedelte am 31. März 1998 nach Deutschland über, wo sie als Spätaussiedlerin gemäß § 4 des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt wurde. Sie bezog seit ihrer Einreise eine eigene Altersrente. Dabei ermittelte die Beklagte 34,7313 Entgeltpunkte und begrenzte sie nach § 22 b Fremdrentengesetz (FRG) in der Fassung vor dem Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz (alte Fassung: a. F.) auf 25 Entgeltpunkte. Der Zahlbetrag betrug ab 1. Juli 2002 592,85 Euro.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vom 28. Juni 2002 mit Bescheid vom 14. August 2002 große Witwenrente ab 1. Juni 2001, wobei sie aufgrund der für den Versicherten nach dem FRG anrechenbaren Zeiten 31,4317 Entgeltpunkte ermittelte. Die Auszahlung einer Witwenrente lehnte die Beklagte jedoch mit der Begründung ab, dass der Rentenfeststellung hier insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte zugrunde zu legen seien, die bei der Klägerin bereits bei ihrer eigenen Rente berücksichtigt würden.
Den am 6. Mai 2004 im Wesentlichen unter Hinweis auf das am 30. August 2001 ergangene Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – (B 4 RA 118/00 R) gestellten Antrag auf Überprüfung und Neufeststellung der Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, der Bescheid vom 14. August 2002 könne nicht nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen werden, da weder das Recht unrichtig angewandt, noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Die Vorschrift des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG sei durch das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz neu gefasst worden. Der neue Gesetzestext und seine Begründung brächten unmissverständlich zum Ausdruck, dass eine gemeinsame Begrenzung aller Renten eines Berechtigten auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen sei. Da § 22 b FRG in der Ausgangsfassung am 7. Mai 1996 in Kraft getreten sei, erfolge die Klarstellung gemäß Artikel 15 Abs. 3 Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz mit Wirkung vom 7. Mai 1996. Die Neufassung des § 22 b FRG sei bereits in der Gesetzesbegründung eindeutig als Klarstellung bezeichnet und ihr sei ausdrücklich Rückwirkung beigemessen worden. Die bisherigen Entscheidungen des BSG zu § 22 b FRG seien zu einem Zeitpunkt gefällt worden, in denen das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz noch nicht verkündet gewesen sei. Die Beklagte halte entsprechend ihrer bisherigen Rechtsauffassung daran fest, dass mit der Neufassung von 22 b FRG keine inhaltliche Änderung der Vorschrift eingetreten sei. Eine Zahlung der Witwenrente könne daher nicht erfolgen, da bereits der eigenen Altersrente der Klägerin 25 Entgeltpunkte zugrunde lägen.
Mit ihrer am 29. November 2004 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz verankerte Rückwirkung auf ihren Fall sei verfassungswidrig und verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. § 22 b FRG a. F. rechtfertige keine Begrenzung der nach dem FRG zu berücksichtigenden Entgeltpunkte für die Inhaber einer Hinterbliebenenrente neben einer eigenen Rente. Bei Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten wäre die ihr zuerkannte Hinterbliebenenrente sinnlos. Auch würde sie gegenüber "normalen" Rentenempfängern mit einer Altersrente und Hinterbliebenenrente schlechter gestellt. Es sei daher der Auffassung des 4., 8. und 13. Senats des BSG vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes zu folgen, die eine Begrenzung der Versicherten- und Hinterbliebenenrente auf maximal 25 Entgeltpunkte als rechtswidrig angesehen hätten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. April 2005 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Klage sei unbegründet. Der Bescheid vom 14. August 2002 sei nicht rechtswidrig und daher nicht gemäß § 44 SGB X zurückzunehmen. Die Klägerin habe kein Recht auf Zahlung der Hinterbliebenenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann neben ihrer Rente aus eigener Versicherung. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 14. August 2002 ergebe sich aus § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG. Der aufgrund des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes geänderte Wortlaut von § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG lasse keinen Zweifel zu, dass eine Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte auf 25 für anrechenbare Zeiten nach dem FRG auch bei einem Zusammentreffen von Versichertenrente und Hinterbliebenenrente in einer Person erfolgen solle. Da diese Vorschrift bereits mit Wirkung vom 7. Mai 1996, also vor erstmaliger Entstehung eines Stammrechts auf Rente der Klägerin am 1. April 1998, geändert worden sei, sei sie vorliegend auf alle Rentenbezugszeiten anwendbar. Auf verfassungsrechtliche Bedenken stoße die Änderung des Wortlautes der Vorschrift und insbesondere das Inkrafttreten bereits am 7. Mai 1996 nicht. Es liege keine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarende Rückwirkung vor, denn es handele sich lediglich um eine rückwirkende Klarstellung und nicht um eine materielle Rechtsänderung. Aus Wortlaut, systematischer und ergänzender teleologischer Auslegung des § 22 b FRG a. F. ergebe sich, dass diese Vorschrift auch bei einem Zusammentreffen von Renten aus eigener Versicherung und Hinterbliebenenrente anwendbar gewesen sei.
Gegen das der Klägerin am 26. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. Juni 2005 eingelegte Berufung, zu deren Begründung sie auf ein weiteres einschlägiges Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 2004 (L 8 RJ 68/03) verweist und im Übrigen auf ihr Klagevorbringen Bezug nimmt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. April 2005 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 14. August 2002 zu ändern und ihr neben ihrer eigenen Rente Witwenrente nach dem verstorbenen AS ohne Begrenzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, dass mit der im Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz geregelten Rückwirkung zwar ein Fall echter Rückwirkung vorliege, die aber nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entwickelten Fallgruppen gerechtfertigt gewesen sei, da die Rechtslage vor Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes unklar und verworren gewesen sei, was sich bereits daraus ergebe, dass die Gerichte der verschiedenen Instanzen sehr unterschiedlich judiziert hätten. Jedenfalls aber seien der Klägerin nach der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 9/04 R) keine Sozialleistungen zu Unrecht versagt worden.
Die Akten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 10 RA 6540/04 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten 49 160432 S 005 lagen vor und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, da sie insbesondere fristgerecht erhoben worden ist. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat es mit ihrem Bescheid vom 9. August 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2004 zutreffenderweise abgelehnt, den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 14. August 2002 zu ändern und der Klägerin die dem Grunde nach zuerkannte große Witwenrente auszuzahlen.
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Anspruch ist § 44 SGB X. Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Verfassungsgemäße Rechte der Klägerin werden dadurch nicht verletzt.
Die Frage, inwieweit bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, beurteilt sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsaktes anwendbaren Recht. Der hier maßgebliche Verwaltungsakt wurde am 14. August 2002 erlassen. Danach ist § 22 b Abs. 1 FRG a. F. (eingefügt durch Artikel 3 Nr. 5 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung - Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz - WFG - vom 25. September 1996 - BGBl. I, 1461 - und ergänzt um Satz 3 durch Artikel 12 Nr. 2 des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 - BGBl. I, 2998) die maßgebliche Rechtsgrundlage.
Ob sich aus § 22 b Abs. 1 FRG a. F. ergibt, dass bei Zusammentreffen einer Rente aus eigener Versicherung sowie einer Hinterbliebenenrente eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte vorzunehmen ist (so die Auffassung der Beklagten sowie zahlreicher Sozial- und Landessozialgerichte, nur beispielhaft seien erwähnt: SG Mannheim vom 27. November 2002 – S 9 RJ 2074/02 – SG Berlin vom 29. März 2004 – S 18 KN 25/03 –, LSG Schleswig-Holstein vom 12. Dezember 2002 – L 5 KN 2/02 –, LSG Baden-Württemberg vom 3. Oktober 2003 – L 3 RJ 2485/03 –, LSG Berlin vom 17. September 2004 – L 5 RJ 23/04 –, alle veröffentlicht in JURIS) oder ob eine solche Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Entgeltpunkte dieser Vorschrift nicht zu entnehmen ist (so der 4., 13. und 8. Senat des BSG in seinen Urteilen vom 30. August 2001 - B 4 RA 118/00 R- in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 2, vom 11. März 2004 – B 13 RJ 44/03 R – in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 1 und vom 7. Juli 2004 – B 8 KN 10/03 R – in SozR 4-5050 § 22 b Nr. 2), kann letztlich dahingestellt bleiben, weil die weitere Voraussetzung des § 44 Abs. 1 SGB X nicht erfüllt ist. Denn es sind der Klägerin Sozialleistungen nicht zu Unrecht vorenthalten worden. Der Senat folgt damit der Auffassung des 8. und 5. Senats des BSG in seinen Urteilen vom 21. Juni 2005 (B 8 KN 1/05 R und B 8 KN 9/04 R, veröffentlicht in JURIS) und vom 5. Oktober 2005 (B 5 RJ 57/03 R und B 5 RJ 39/04 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de), der er sich nach eigener Überprüfung anschließt. Ein Ruhen des Verfahrens hielt der Senat daher nicht für zweckmäßig (§ 202 Sozialgerichtsgesetz –SGG – in Verbindung mit § 251 Zivilprozessordnung).
Die Frage, inwieweit Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten wurden, beurteilt sich nach dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Recht, also nach § 22 b Abs. 1 FRG in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes (§ 22 b FRG n. F.). Denn für den mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgten Anspruch auf Erlass eines Zugunsten-Bescheides nach § 44 SGB X gilt nichts anderes als für eine sonstige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, bei der maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, nach welchem Recht die Begründetheit eines Anspruches zu prüfen ist, grundsätzlich die mündliche Verhandlung ist und daher Rechtsänderungen, die nach Erlass der angefochtenen Entscheidung während des Rechtsstreits eintreten, zu beachten sind, wenn das neue Recht nach seinem zeitlichen Geltungswillen das streitige Rechtsverhältnis erfasst (vgl. BSG vom 25. Oktober 1984 - 11 RAz 3/83 in SozR 3-1300 § 44 Nr. 13, BSG vom 13. September 1994 – 5 RJ 30/93 –, BSG vom 2. Juli 1997 – 9 RVs 9/96, die beiden zuletzt genannten Urteile veröffentlicht in JURIS und Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X Bd. I § 44 Rz 8).
Da § 22 b Abs. 1 FRG a. F. rückwirkend zum 7. Mai 1996 durch § 22 b Abs. 1 FRG n. F. ersetzt wurde, ist § 22 b FRG n. F. zu beachten. Eine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des neuen Rechts im vorliegenden Fall ausschließen könnte, liegt nicht vor. Der rückwirkenden Anwendung steht insbesondere nicht § 300 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch entgegen (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 1/05 R - a.a.O.).
Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. einzubeziehen. Denn der von ihm in weitgehender Abkehr von dem das frühere FRG beherrschenden Eingliederungsprinzip vorgenommene Systemwechsel hin zu an der Höhe der Eingliederungshilfe orientierten Rentenleistungen für neu hinzuziehende Spätaussiedler stellt deshalb keine Ungleichbehandlung gegenüber Hinterbliebenen, deren Ehegatten ihr Berufsleben in Deutschland verbracht haben, dar, weil die den Spätaussiedlern gewährten Renten aus dem Sozialstaatsprinzip folgen und nicht auf eigenen Beiträgen zur bundesdeutschen Rentenversicherung beruhen. Das ist ein sachgerechtes Kriterium und daher keine ungerechtfertigte Benachteiligung (vgl. BSG vom 30. August 2001 – B 4 RA 87/00 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 1, BSG vom 3. Juni 2002 – B 5 RJ 22/01 R – in SozR 3-5050 § 22 b Nr. 3 und BSG vom 19. Mai 2004 – B 13 RJ 46/03 R – in BSGE 93, 15).
§ 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F. verstößt auch nicht insoweit gegen die Verfassung, soweit darin eine rückwirkende Rechtsänderung enthalten ist, da sich aufgrund der unklaren Rechtslage ein schutzwürdiges Vertrauen bei der Klägerin nicht bilden konnte. Nach der vom BVerfG entwickelten Rechtsprechung zur Rückwirkung von Gesetzen handelt es sich vorliegend um eine so genannte echte Rückwirkung, da die Rechtsfolgen der Neufassung von § 22 b Abs. 1 Satz 1 FRG nicht nur für die Zukunft, sondern rückwirkend ab 7. Mai 1996 (vgl. Artikel 9 Nr. 2 in Verbindung mit Artikel 15 Abs. 3 Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz) eintreten (vgl. Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83- in BVerfGE 72, 200). Sie ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Denn das Verbot rückwirkend belastender Gesetze folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes. Zu dessen wesentlichen Elementen gehört die Rechtsicherheit, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 a.a.O.). Das BVerfG hat jedoch verschiedene Ausnahmefälle benannt. Den entwickelten Ausnahmen ist zu entnehmen, dass eine Durchbrechung des Rückwirkungsgebotes aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls oder dann zulässig und geboten ist, wenn sich ein schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen nicht bilden konnte. Hierzu gehört der Fall, dass die geltende Rechtslage unklar und verworren ist, so dass eine baldige Klärung erwartet werden muss (BVerfG vom 17. Januar 1979-1 BvR 446/77- in SozR 3 5750 Art 2 § 9a Nr. 8 und BVerfG vom 14. Mai 1986 a.a.O.).
Letzteres ist hier der Fall. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf einen bestimmten Gesetzesinhalt konnte sich vorliegend bei der Klägerin nicht bilden, denn die Rechtslage zu § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG a. F. war unklar und verworren. Nachdem die Sozial- und Landessozialgerichte zunächst der Auffassung der Beklagten zu § 22 b FRG a. F. folgten und eine Begrenzung auf 25 Entgeltpunkte bei einem Zusammentreffen von eigener Rente und einer Hinterbliebenenrente für zulässig hielten, vertrat der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 30. August 2001 (a.a.O.) eine andere Auffassung. Eine Klärung erfolgte letztlich aber auch noch nicht durch diese höchstrichterliche Entscheidung, denn zahlreiche Sozial- und Landessozialgerichte folgten dieser Entscheidung nicht. Auch die Rentenversicherungsträger verabredeten, ihr nicht zu folgen. Ob durch die folgenden Entscheidungen des 13. Senats vom 11. März 2004 (B 13 RJ 44/03 R a.a.O.) sowie des 8. Senats vom 7. Juni 2004 (B 8 KN 10/03 R a.a.O.) davon auszugehen gewesen wäre, dass die Betroffenen auf eine bestimmte Interpretation des Gesetzes vertrauen dürfen, kann letztlich dahin gestellt bleiben, denn am 11. März 2004 wurde bereits das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen (siehe Bundesratsdrucksache 191/04), das heißt, dass die Betroffenen bereits von diesem Zeitpunkt an Kenntnis von der Änderung der Rechtslage hatten, so dass sich auch durch die Entscheidungen des 8. und 13. Senats kein Vertrauen in die Rechtslage ergeben konnte. Selbst wenn ein berechtigtes Vertrauen bis zu diesem Zeitpunkt unterstellt würde, entfiele dieses, denn die Bildung schutzwürdigen Vertrauens ist nicht mehr möglich, wenn mit der Änderung einer Rechtslage gerechnet werden muss. Letzteres ist regelmäßig ab dem Gesetzesbeschluss über eine Rechtsänderung der Fall. Damit entfällt dann auch ein zu dem Zeitpunkt bereits vorhandenes berechtigtes Vertrauen in die alte Rechtslage (vgl. BSG vom 21. Juni 2005 - B 8 KN 1/05 R - a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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