L 8 RA 46/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 RA 5306/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 46/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Werts des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Teilzeitarbeit. Der Kläger ist im Januar 1940 geboren worden. Seit 1. Oktober 1975 war er bei der M GmbH beschäftigt, seit 1980 als Verkaufsleiter für Osteuropa. Die Anteile der M GmbH befinden sich vollständig im Besitz der M Corporation, USA. Das Arbeitsverhältnis wurde mit Kündigungsschreiben der M GmbH vom 26. Juni 1996, dem Kläger am selben Tag zugegangen, zum 31. Januar 1997 beendet. Die vom Kläger hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage endete durch Vergleich vor dem Arbeitsgericht Berlin vom 14. Mai 1997, in dem es bei dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses blieb, jedoch eine höhere Abfindung vereinbart wurde. Nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses war der Kläger arbeitslos gemeldet und bezog Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Der Kündigung ging folgendes voraus: Die M Corporation erklärte gegenüber dem Geschäftsführer der M GmbH mit vertraulichem Telefax vom 15. August 1995, dass im Rahmen eines Gewinnsteigerungsplans die Reduzierung der Kosten in Europa vorgesehen sei. Unter anderem sollten die Verkaufskosten in Gebieten verringert werden, in denen die M Corporation für mehrere Jahre keine besseren Verkäufe erwartete, vor allem in den früheren Ostblockländern. Um die operativen Ziele zu erreichen, werde eine Verringerung des Personals in den europäischen Betriebsstätten von 15 bis 20 % erwartet. Am 31. Oktober 1995 fand infolge dessen ein Gespräch zwischen der Geschäftsführung der M GmbH und dem Kläger statt, als dessen Ergebnis sich ergab, dass auch sein Arbeitsplatz im Zuge der Umstrukturierung wegfallen werde. Am 14. November 1995 wurde zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat der M GmbH eine mit "Interessenausgleich" bezeichnete Vereinbarung getroffen, am selben Tag wurden dem Betriebsrat auch Kündigungsabsichtserklärungen unter anderem betreffend den Kläger übermittelt. Am 21. Dezember 1995 wurde zwischen der M GmbH und dem Kläger in einem Gespräch erörtert, dass die Kündigung im Lauf der Umstrukturierung spätestens bis 31. Dezember 1996 erfolgen sollte. Ausweislich einer Gesprächsnotiz der Geschäftsführung der M GmbH wurde schließlich am 30. Mai 1996 beschlossen, den Markt in Osteuropa ab 1. Oktober 1996 nicht mehr mit eigenen Verkaufsmitarbeitern aus Berlin zu bearbeiten. Der Wortlaut der Gesprächsnotiz wurde unverändert in das an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben der M GmbH vom 17. Juni 1996 und das Kündigungsschreiben übernommen. Auf Grund der Umstrukturierung zum 1. Oktober 1996 falle der Arbeitsplatz des Klägers weg. Auf seinen Antrag hin gewährte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 31. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2002 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Teilzeitarbeit ab dem 1. Februar 2000. Den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente errechnete sie auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 0,889 (statt 1,000) wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 37 Monate. Dem entsprechend ergab sich ein Rangwert von 57,6827 statt 64,8849 Entgeltpunkten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente ohne Abschläge, da sein Arbeitsverhältnis nicht aufgrund einer vor dem 14. Februar 1996 erfolgten Kündigung nach dem 13. Februar 1996 beendet worden sei. Erst am 26. Juni 1996 sei die ordentliche Kündigung ausgesprochen worden. Mit seiner Klage hat der Kläger, wie bereits im Widerspruchsverfahren, geltend gemacht, dass ihm bereits in dem Gespräch vom 31. Oktober 1995 mündlich gekündigt worden sei. Jedenfalls in der Betriebsvereinbarung vom 14. November 1995 sei eine Kündigung zu sehen, da seine Arbeitgeberin an diese Vereinbarung gebunden gewesen sei, auch wenn noch keine konkrete Kündigung ausgesprochen worden sei. Durch Urteil vom 24. April 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Festsetzung eines höheren monatlichen Wertes des Rechts auf Altersrente. Der Zugangsfaktor sei auf 0,889 abzusenken gewesen, da die Voraussetzungen für die Vertrauensschutzregelung nicht erfüllt seien. Das Arbeitsverhältnis des Klägers sei nicht aufgrund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt sei, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden. Eine Kündigung sei vor dem 14. Februar 1996 nicht ausgesprochen worden. Insoweit komme es nicht auf Vorabinformationen, Ankündigungen oder mündliche Absprachen sondern lediglich darauf an, ob eine wirksame arbeitsrechtliche Kündigung ausgesprochen worden sei. Eine diesen Erfordernissen genügende Kündigung sei vor dem 26. Juli 1996 nicht ausgesprochen worden. Der Kläger selbst habe eingeräumt, dass vor diesem Datum der Vollzug der ihm angekündigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu keinem Zeitpunkt bestimmbar festgestanden habe. Es liege aber auch keine wirksame Vereinbarung im Sinne des Gesetzes vor. Dabei könne offen bleiben, ob die Information des Betriebsrats am 14. November 1995 oder die im Kündigungsschreiben erwähnte Abfindungsvereinbarung mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich oder eine sonstige arbeitsrechtliche Betriebsvereinbarung darstelle. Wesentlich sei, dass die Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses selbst konkret bestimmbar vorwegnehmen müsse, so dass eine später erfolgte Kündigung sich als bloße Formalie darstelle. Dagegen spreche vorliegend, dass die tatsächlich ausgesprochene Kündigung die Begründung der unternehmerischen Entscheidung vom 30. Mai 1996 übernehme und es damit, abgesehen von der allgemeinen Abfindungsregelung, an jeder Bezugnahme auf eine vorher getroffene Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses fehle. Auch die Akten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens stützen dieses Ergebnis. Der Arbeitgeber habe die Kündigung zu keiner Zeit als Vollzug einer vorab getroffenen Vereinbarung mit dem Kläger oder dem Betriebsrat verteidigt oder begründet. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Er hat unter anderem die Kopie eines zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung der Firma M GmbH vereinbarten Interessenausgleichs vom 14. November 1995 eingereicht. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. April 2003 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2002 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, den monatlichen Wert des Rechts auf Altersrente ab 1. Februar 2000 auf der Grundlage eines Zugangsfaktors von 1,0 festzusetzen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Unstreitig erfüllt der Kläger dem Grunde nach die Voraussetzungen des § 237 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der vorliegend anwendbaren, ab 1. Januar 2000 gültigen Fassung (des Art. 1 Rentenreformgesetz 1999 vom 16. Dezember 1997, Bundesgesetzblatt Teil I S. 2998 – im Folgenden ohne Zusätze zitiert) für den Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der (anfängliche) Monatsbetrag der Rente, wenn (1.) die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 SGB VI), (2.) der Rentenartfaktor (§ 67 SGB VI) und (3.) der aktuelle Rentenwert (§ 68 SGB VI) miteinander vervielfältigt werden. Die Beklagte hat diese "Rentenformel" zutreffend angewendet, ein höherer Zugangsfaktor als 0,889 kann nicht berücksichtigt werden. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VI in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (im folgenden ebenfalls ohne Zusatz zitiert) werden bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, mit dem Zugangsfaktor 1,0 berücksichtigt, es sei denn, sie waren bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer vorzeitig in Anspruch genommenen Rente wegen Alters. Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ist der Zugangsfaktor bei Entgeltpunkten, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, für jeden Kalendermonat, für die der Versicherte die Rente vorzeitig in Anspruch nimmt, um 0,003 niedriger als 1,0. Der Kläger hat die Altersrente um 37 Monate vorzeitig gegenüber der für ihn maßgebenden Altersgrenze in Anspruch genommen. Gemäß § 237 Abs. 3 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren (§ 237 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die Rente kann vorzeitig in Anspruch genommen werden. Ausweislich der Anlage 19 zum SGB VI, welche die Anhebung der Altersgrenze und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme regelt, gilt für den im Januar 1940 geborenen Kläger eine Altersgrenze von 63 Jahren und einem Monat. Die Rente konnte von ihm zwar – wie geschehen - ab dem vollendeten 60. Lebensjahr vorzeitig in Anspruch genommen werden, jedoch ergibt sich infolge dessen ein um 0,003 x 37 = 0,111 auf 0,889 verringerter Zugangsfaktor. Die Voraussetzungen des § 237 Abs. 4 Satz 1 SGB VI, unter denen es für Versicherte mit einem Geburtsdatum vor 1941 bei der Altersgrenze von 60 Jahren bleibt, sind nicht erfüllt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist weder aufgrund einer Kündigung noch aufgrund einer Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden. Eine Kündigung vor dem 14. Februar 1996 ist nicht ausgesprochen wurden, da dies, wie das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend ausführt, den Ausspruch einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung im Sinne des bürgerlichen (und damit auch Arbeits-) Rechts durch den Arbeitgeber als Partei des Arbeitsvertrags erfordert. Aber auch "aufgrund" einer vor dem 14. Februar 1996 geschlossenen Vereinbarung ist das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden. Zwar muss die Vereinbarung nicht zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags geschlossen worden sein (Bundessozialgericht [BSG] in Entscheidungssammlung Sozialrecht [SozR] 4-2600 § 237 Nr. 2; BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 – B 4 RA 5/03 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Es reicht aus, wenn die Vereinbarung einen Verpflichtungsvertrag darstellte, der zur rechtlichen und sachlichen Grundlage für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geworden ist; maßgebend ist insoweit, ob der Arbeitnehmer vor dem Stichtag nach den konkreten Regelungen und Umständen des Eimzelfalls gehalten war, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinzunehmen (BSG, Urteil vom 5. Juli 2005, a.a.O.). Solch ein Fall liegt hier nicht vor. Der allein als Vereinbarung in dem genannten Sinn in Betracht kommende Interessenausgleich vom 14. November 1995 schrieb (in seiner Nr. 2) lediglich die Maximalzahl der von dem Personalabbau betroffenen gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten fest. Auch wenn in einer an den Betriebsrat am selben Tag übermittelten Namensliste bereits der Name des Klägers genannt worden war, so ist er doch in der konkret ausformulierten Vereinbarung weder unmittelbar noch eindeutig bestimmbar genannt worden. Die Vereinbarung nennt ausdrücklich auch keinen Termin, zu dem der Personalabbau wirksam werden sollte, sondern schreibt im Gegenteil ausdrücklich fest, dass die Arbeitsverträge durch Einzelverträge einvernehmlich geändert oder aufgelöst oder aber vom Unternehmen – unter Wahrung der Rechte des Betriebsrates – gekündigt werden (Nr. 2 und 3 des Interessenausgleichs). Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts auf den Seiten 6, dritter Absatz, bis 9, zweiter Absatz, Bezug genommen, um Wiederholungen zu vermeiden (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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