L 8 RA 27/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 6599/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 27/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:
I.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines so genannten Überführungsbescheides. Der Kläger ist 1957 geboren worden. Vom 1. Oktober 1976 bis zum 31. Januar 1990 war er in die Sonderversorgung der Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit (Sonderversorgung nach Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz [AAÜG]) einbezogen. Zuletzt bekleidete er beim Ministerium für Staatssicherheit den Rang eines Oberleutnants. Mit Bescheid vom 29. Mai 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2001 stellte die Beklagte die Zeit vom 1. Oktober 1976 bis zum 31. Januar 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Sonderversorgung, die in dieser Zeit bezogenen tatsächlichen Jahresbruttoentgelte sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür fest, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 AAÜG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1939) – 100 % des Durchschnittseinkommens der Versicherten des Beitrittsgebiets – vorliegen. Das der Anlage 6 zum AAÜG entnommene jährliche Durchschnittseinkommen war ebenfalls ausgewiesen. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass die beschränkte Berücksichtigung des von ihm erzielten Arbeitsentgeltes nur bis zur Höhe des jeweiligen Durchschnittsentgeltes im Beitrittsgebiet verfassungswidrig sei. Allein dass er einem Sonderversorgungssystem zugehört habe, reiche nicht aus, um die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AAÜG feststellen zu können. Vielmehr setze dies schon nach einfachem Gesetzesrecht ergänzend voraus, dass die Vergütung nicht auf Arbeit und Leistung beruht habe. Die von ihm erzielten Entgelte hätten aber seiner Qualifikation als Berufssoldat und Fachschulabsolvent in der Fachrichtung Fernmeldewesen mit Aufgaben auf Akademikerniveau entsprochen. Dies gelte jedenfalls für die Jahre 1977 bis 1981 und 1983 bis 31. Januar 1990. Eine andere Auslegung widerspreche der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. April 1999. Das Bundesverfassungsgericht habe sich zudem nur zu Sachverhalten geäußert, in denen die Entgelte tatsächlich überhöht gewesen seien. Als Folge seien bei ihm in den genannten Zeiträumen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 AAÜG festzustellen. Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 12. September 2003 die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (seit 1. Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund) zum Verfahren beigeladen und die Klage durch Urteil vom 20. Januar 2004 abgewiesen. Sie sei zulässig, aber unbegründet. Die Kammer gehe – entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichtes – davon aus, dass die Beklagte als Versorgungsträger mit dem streitigen Bescheid vom 29. Mai 2001 gemäß § 8 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 AAÜG eine den beigeladenen Rentenversicherungsträger bindende Regelung bezüglich der für eine Rentengewährung maßgeblichen Entgelte des Klägers getroffen und nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze durch die Beigeladene festgestellt habe. Die Beklagte habe die Entgelte jedoch zutreffend unter Berücksichtigung des § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG in Verbindung mit der Anlage 6 in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 und 12 des 2. AAÜG-ÄndG festgestellt. Die Begrenzung auf das jeweilige Durchschnittsentgelt im Beitrittsgebiet habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138ff) als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Diese Entscheidung entfalte gemäß § 131 Abs. 1 BVerfGG gegenüber den Verfassungsorganen des Bundes und der Länder sowie gegenüber allen Behörden und Gerichten eine Bindungswirkung, die nicht durch eine zwischenzeitliche Änderung der Sach- und/oder Rechtslage entfallen sei, was das Gericht näher dargelegt hat. Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass die der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Anlage 6 AAÜG zugrunde liegende Typisierung und Pauschalierung verfassungswidrig sei. Allein die Zugehörigkeit zum Versorgungssystem für die Mitarbeiter des MfS rechtfertige nicht die Annahme überhöhter Arbeitsentgelte. In diesem Bereich habe bei Akademikern, Fachschulabsolventen, Meistern und Facharbeitern - wie bei den Berechtigten der anderen Sonderversorgungssysteme - die reale Arbeitsleistung dem Arbeitsentgelt zugrunde gelegen, das insoweit nicht politisch überhöht gewesen sei. Er habe tatsächlich höherwertige Arbeit auf Akademikerniveau geleistet, die gleich hoch bezahlt worden sei wie allgemein in der DDR bei gleicher beruflicher Position. Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen zur Sache sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2004 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeiten vom 1. Januar 1977 bis zum 31. Dezember 1981 sowie vom 1. Januar 1983 bis zum 31. Januar 1990 die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 6 Abs. 1 AAÜG festzustellen, hilfsweise festzustellen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 7 AAÜG während der o.g. Zeiten nicht vorliegen, hilfsweise hilfsweise festzustellen, dass die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze während o.g. Zeiten nicht in Betracht kommt.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und die Verfassungsrechtslage für geklärt. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen. II. Der Senat konnte die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und angesichts der fach- und verfassungsgerichtlich geklärten Rechtslage eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Berufung kann keinen Erfolg haben, denn das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Kläger auf die von ihm gewünschten Feststellungen unter Änderung der angefochtenen Bescheide keinen Anspruch hat. Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der so genannten Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (s. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, siehe hierzu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; Urteile vom 4. August 1998 - B 4 RA 74/96 R - und vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R -, zitiert nach Juris). Angesichts dieses begrenzten Aufgabenkreises des Versorgungsträgers, der entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht befugt ist, mit bindender Wirkung für den Rentenversicherungsträger die für die Entscheidung über den Rentenanspruch maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze oder die Höhe der als versichert geltenden Arbeitsverdienste zu regeln (so ausdrücklich das BSG in dem oben zuerst angegebenen Urteil vom 20. Dezember 2001 B 4 RA 6/01 R, das der erkennende Senat für zutreffend hält) ist die Berufung wegen Unzulässigkeit der Klage unbegründet, soweit der Kläger andere Feststellungen oder Verpflichtungen der Beklagten begehrt. Soweit der Kläger jedenfalls der Sache nach die Verpflichtung der Beklagten zu Feststellungen begehrt, die nach dem Gesagten in ihre Zuständigkeit fallen, ist die Berufung unbegründet, weil die Beklagte die maßgeblichen Umstände und Daten ohne Rechtsfehler festgestellt hat. Das gilt im Besonderen für die Feststellung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG vorliegen, da der Kläger in den streitigen Zeiträumen durchgängig in die Sonderversorgung für Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit einbezogen war. Auf Grund der durch das AAÜG vorgegebenen, dem Prinzip der Spezialität folgenden Typik (ebenfalls s. dazu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7 und § 10 Nr. 1) schließt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für § 7 Abs. 1 AAÜG die Anwendung anderer, für den Kläger günstigerer Beitragsbemessungsgrenzen ebenso aus wie eine Überprüfung der erzielten Arbeitseinkünfte im Einzelfall. Ob die verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen § 7 AAÜG im Verfahren gegen den Versorgungsträger angesichts dessen begrenzter Aufgaben überhaupt rechtlich erheblich sein können, kann dahinstehen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass dies der Fall ist, weil die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen nur auf Grund einer Ermächtigungsgrundlage treffen kann und dies die unweigerliche Folge hat, dass die Ermächtigungsgrundlage auch verfassungswidrig sein kann, würde dies keinen Einfluss auf den Verfahrensgang haben. Denn verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 1 AAÜG bestehen nicht. Das BVerfG hat es generell für zulässig gehalten, dass es eine besondere Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitsverdienste aus Beschäftigungen beim Ministerium für Staatssicherheit gibt und § 7 Abs. 1 (Satz 1) AAÜG i. V. mit der damaligen Anlage 6 zum AAÜG - nur - insoweit für nichtig erklärt, als diese besondere Beitragsbemessungsgrenze unter dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets lag (s. BVerfGE 100, 138 [182 f.]). Es hat dagegen sowohl die generelle Typisierung für zulässig gehalten, dass die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit deutlich überhöhte Entgelte erhalten haben, als auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers verneint, Arbeitsentgelte über dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets zu berücksichtigen (so nochmals ausdrücklich BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 –, Abs. 11 und, als Abgrenzung zu § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG, Beschluss vom 23. Juni 2004 – 1 BvL 3/98 u. a. -, Abs. 79, zitiert – wie auch die folgenden mit Aktenzeichen genannten Beschlüsse des BVerfG - nach www.bundesverfassungsgericht.de). Ein Grund, das BVerfG von neuem mit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zu befassen, besteht nicht. Es ist nicht erkennbar, dass nach der Beschlussfassung des BVerfG vom 22. Juni 2004 neue Tatsachen bekannt geworden wären, die den Gesetzgeber von Verfassungs wegen zwängen, seine bisherige Einschätzung zu ändern (s. zum zulässigen Ausgangspunkt des Gesetzgebers BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 a. a. O. Abs. 13, 14). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) war bereits mit der Frage der Überleitung von Ansprüchen und Anwartschaften von ehemaligen Angehörigen der Sonderversorgung des Ministeriums für Staatssicherheit befasst und hat – in Kenntnis des Urteils des BVerfG vom 28. April 1999 (BVerfGE 100, 138) – eine Menschenrechtsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Entscheidung vom 2. März 2000, Günter Schwengel./. Bundesrepublik Deutschland – Az. 52442/99 -) Die sich aus § 8 Abs. 3 AAÜG in der Auslegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebende Folge, dass im Verfahren gegen den Versorgungsträger bestimmte Einwendungen gegen die Begrenzung der rentensteigernd wirksam werdenden Entgelte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können, stellt die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht in Frage und ist von daher nicht verfassungswidrig (BVerfG SozR 3-8570 § 8 Nr. 5). Bei seiner – offenbar auf das Fehlen einer "Ermächtigung" zur Einzelfallprüfung abzielenden – Argumentation zu § 8 Abs. 3 (in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 und 2) AAÜG verkennt der Kläger, dass die Vorschrift lediglich das Verfahren regelt und keinen materiellen Gehalt hat. Sind bereits keine Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der anzuwenden Vorschriften zu sehen, so ergibt sich erst recht nicht die für den vom Kläger angeregten Vorlagebeschluss nach Artikel 100 des Grundgesetzes erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen angesichts der umfangreichen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu § 7 AAÜG nicht vor. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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