L 8 RA 26/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 RA 7510/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 26/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Überführungsbescheides. Der Kläger ist 1951 geboren worden. Vom 1. April 1970 bis zum 31. März 1990 war er in die Sonderversorgung der Angehörigen des Minsteriums für Staatssicherheit/Amtes für Nationale Sicherheit. (Sonderversorgung nach Anlage 2 Nr. 4 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG -) einbezogen. Mit Bescheid vom 13. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2001 stellte die Beklagte die Zeit vom 1. April 1970 bis zum 31. März 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Sonderversorgung, die in dieser Zeit bezogenen tatsächlichen Jahresbruttoentgelte sowie die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür fest, dass das Durchschnittseinkommen der Versicherten im Beitrittsgebiet als besondere Beitragsbemessungsgrenze anzuwenden ist (§ 7 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetz vom 27. Juli 2001, BGBl. I S. 1939). Mit der Klage vor dem Sozialgericht hat der Kläger – wie bereits im Widerspruchsverfahren – geltend gemacht, dass ihm durch die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze verfassungswidrig Rentenanwartschaften vorenthalten würden. Allein dass er dem Sonderversorgungssystem zugehört habe, reiche nicht aus, um die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 AAÜG feststellen zu können. Vielmehr setze dies ergänzend voraus, dass die Vergütung nicht auf Arbeit und Leistung beruht habe. Er habe jedoch keine überhöhten Entgelte erzielt. Als Folge seien bei ihm die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 AAÜG festzustellen. Durch Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig sei die Klage, soweit sich der Kläger mit ihr gegen die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze wende. Die Entscheidung über die Anwendung obliege ausschließlich dem Träger der Rentenversicherung, die Beklagte stelle lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze fest. Die Voraussetzungen für diese Feststellung seien jedoch erfüllt. Es komme nicht darauf an, ob die erzielten Entgelte leistungs- oder qualifikationsgerecht oder aber überhöht seien. Von Verfassungs wegen sei die Regelung des § 7 Abs. 1 AAÜG in der Fassung des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes nicht zu beanstanden. In seinem Urteil aus dem Jahr 1999 habe das Bundesverfassungsgericht keine Bedenken dagegen geäußert, dass das Gesetz typisierend allein an die Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem anknüpfe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe ebenfalls eine Beschwerde als offensichtlich unbegründet abgewiesen und dabei ausgeführt, dass der Abbau politisch bedingter finanzieller Privilegien ein legitimes Ziel im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention sei. Die Kammer sehe angesichts dessen keinen Anlass für das Ruhen oder die Aussetzung des Verfahrens. Mit der Berufung macht der Kläger weiterhin geltend, dass bei ihm eine einzelfallbezogene Prüfung vorzunehmen sei, ob er überhöhte Arbeitsentgelte erzielt habe. Die anzuwendenden Rechtsvorschriften des einfachen Rechts, im Besonderen § 8 Abs. 3 Satz 1 i. V. mit Abs. 1 Satz 1 und 2 AAÜG, verstießen gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz und stünden in vielfacher Hinsicht mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 in Konflikt. Der Gesetzgeber habe zudem eine neue Tatsachenbasis zu beachten, da sich die Grundannahme über die durchweg deutlich überhöhten Verdienste im Ministerium für Staatssicherheit aufgrund des zwischenzeitlich erlangten Kenntnisstandes jedenfalls bei Akademikern und Fachschulabsolventen wie dem Kläger als unrichtig herausgestellt habe. Angesichts dessen bestehe auch keine Bindung an die bisher ergangenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2003 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 13. November 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, für die Zeiten vom 1. April 1970 bis zum 31. März 1990 die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anwendung der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 6 Abs. 1 AAÜG festzustellen, jedoch keinerlei Daten festzustellen, nach denen die besondere Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 7 AAÜG in Betracht kommt, hilfsweise, das Verfahren nach Art. 100 GG auszusetzen und die Verfassungswidrigkeit von § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG sowie von § 8 Abs. 2 und 3 AAÜG i.d.F. des 2. AAÜG-ÄndG überprüfen zu lassen, hilfsweise die Revision zuzulassen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und die Verfassungsrechtslage für geklärt. Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -). Die Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm gewünschten Feststellungen unter Änderung der angefochtenen Bescheide hat. Für das vom Kläger mit dem "Hauptantrag" geltend gemachten Anliegen gibt es keine Rechtsgrundlage. Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 SGB VI ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der sogenannten Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (s. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, siehe hierzu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; Urteile vom 4. August 1998 - B 4 RA 74/96 R - und vom 23. Juni 1998 - B 4 RA 61/97 R -, zitiert nach Juris). Diese Daten hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden ohne Rechtsfehler festgestellt. Das gilt im Besonderen für die – im Ergebnis vom Kläger allein angegriffene - Feststellung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 Abs. 1 AAÜG in Verbindung mit Anlage 6 zum AAÜG vorliegen, da der Kläger im streitigen Zeitraum durchgängig in die Sonderversorgung für Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit einbezogen war. Auf Grund der durch das AAÜG vorgegebenen, dem Prinzip der Spezialität folgenden Typik (ebenfalls s. dazu etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; 3-8570 § 10 Nr. 1) schließt das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für § 7 Abs. 1 AAÜG die Anwendung anderer, für den Kläger günstigerer Beitragsbemessungsgrenzen ebenso aus wie eine Überprüfung der erzielten Arbeitseinkünfte im Einzelfall. Ob die verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen § 7 AAÜG im Verfahren gegen den Versorgungsträger angesichts der begrenzten Aufgaben der Beklagten überhaupt rechtlich erheblich sein können, kann dahinstehen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass dies der Fall ist, weil die Beklagte die tatsächlichen Feststellungen nur auf Grund einer Ermächtigungsgrundlage treffen kann und dies die unweigerliche Folge hat, dass die Ermächtigungsgrundlage auch verfassungswidrig sein kann, würde dies keinen Einfluss auf den Verfahrensgang haben. Denn verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 7 Abs. 1 AAÜG bestehen nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat es generell für zulässig gehalten, dass es eine besondere Beitragsbemessungsgrenze für Arbeitsverdienste aus Beschäftigungen beim Ministerium für Staatssicherheit gibt und § 7 Abs. 1 (Satz 1) AAÜG i. V. mit der damaligen Anlage 6 zum AAÜG nur insoweit für nichtig erklärt, als diese besondere Beitragsbemessungsgrenze unter dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets lag (s. BVerfGE 100, 138 (182 f.). Es hat dagegen sowohl die generelle Typisierung für zulässig gehalten, dass die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit deutlich überhöhte Entgelte erhalten haben, als auch eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers verneint, Arbeitsentgelte über dem Durchschnittseinkommen des Beitrittsgebiets zu berücksichtigen (so nochmals ausdrücklich Bundesverfassungsgericht - BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 – 1 BvR 1070/02 –, Abs. 11 und, als Abgrenzung zu § 6 Abs. 2 und 3 AAÜG, Beschluss vom 23. Juni 2004 – 1 BvL 3/98 u. a. -, Abs. 79). Ein Grund, das BVerfG von neuem mit der verfassungsrechtlichen Überprüfung des § 7 Abs. 1 AAÜG zu befassen, besteht - zumal nach dem Beschluss vom 22. Juni 2004 - nicht. Es ist nicht erkennbar, dass nach der Beschlussfassung des BVerfG vom 22. Juni 2004 neue Tatsachen bekannt geworden wären, die den Gesetzgeber von Verfassungswegen zwängen, seine bisherige Einschätzung zu ändern (s. zum zulässigen Ausgangspunkt des Gesetzgebers BVerfG, Beschluss vom 22. Juni 2004 a.a.O. Abs. 13, 14). Die sich aus § 8 Abs. 3 AAÜG in der Auslegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebende Folge, dass im Verfahren gegen den Versorgungsträger bestimmte Einwendungen gegen die Begrenzung der rentensteigernd wirksam werdenden Entgelte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden können, stellt die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht in Frage und ist von daher nicht verfassungswidrig (BVerfG, Beschluss vom 9. März 2000 – 1 BvR 2216/96SozR 3-8570 § 8 Nr. 5). Bei seiner – offenbar auf das Fehlen einer "Ermächtigung" zur Einzelfallprüfung abzielenden - Argumentation zu § 8 Abs. 3 (i. V. mit Abs. 1 Satz 1 und 2) AAÜG verkennt der Kläger, dass die Vorschrift lediglich das Verfahren regelt und keinen materiellen Gehalt hat. Sind bereits keine Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der anzuwenden Vorschriften zu sehen, so ergibt sich erst recht nicht die für einen Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz erforderliche Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen angesichts der umfangreichen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG zu § 7 AAÜG nicht vor. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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