L 8 RA 82/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 2775/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RA 82/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:
I.

Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).

Die Klägerin ist 1950 geboren und hat ihr Berufsleben bis 2. Oktober 1990 in der DDR zurückgelegt. Seit April 1995 ist sie Beamtin des Landes B. Ausweislich der Urkunde vom 30. Januar 1976 (mit Nachtrag) war sie ab 1. Oktober 1975 in die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen (AVIwiss), ab 1. September 1976 in die zusätzliche Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Berufs- und Volksbildung (ZV Pädagogen) einbezogen.

Vom 20. Juli 1975 bis zum 25. Juli 1979 und vom 1. September 1980 bis zum 31. Juli 1981 begleitete sie ihren Ehemann als "mitreisende Ehefrau" während beruflicher Auslandseinsätze, ohne in diesen Zeiten selbst beschäftigt zu sein. In diesen Zeiträumen ruhte das im DDR-Inland bestehende Arbeitsrechtsverhältnis der Klägerin.

Im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens stellte die Beklagte durch Bescheid vom 20. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 die Zeit vom 1. August 1973 bis zum 19. Juli 1975 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVIwiss, die Zeit vom 26. Juli 1979 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur ZV Pädagogen, die in diesen Zeiträumen tatsächlich erzielten Entgelte sowie Arbeitsausfalltage für die Jahre 1982, 1985, 1986, 1988, 1989 und 1990 fest.

Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht hat die Klägerin, wie bereits im Widerspruchsverfahren, geltend gemacht, dass auch die Zeiten vom 20. Juli 1975 bis zum 25. Juli 1979 und vom 1. September 1980 bis zum 31. Juli 1981 als Zeiten der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen festzustellen seien. In den fraglichen Zeiten habe ihr Arbeitsverhältnis nach DDR-Recht lediglich geruht und ihre Zugehörigkeit zu den Zusatzversorgungen sei nicht unterbrochen gewesen.

Durch Urteil vom 11. August 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die streitigen Zeiten könnten nicht als Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem festgestellt werden, weil das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin geruht und sie kein Entgelt erzielt habe. Dass das DDR-Recht bei dienstlicher Entsendung von Ehepaaren ins Ausland die Zeit des Aufenthalts des Ehegatten, der im Ausland keine berufliche Tätigkeit ausübe, einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleichgestellt habe, begründe keinen Anspruch nach dem AAÜG. Denn die fragliche Bestimmung sei nicht mehr geltendes Recht und habe der Sache nach lediglich noch für Renten nach Artikel 2 des Rentenüberleitungsgesetzes Bedeutung gehabt.

Mit der Berufung vertritt die Klägerin ihre Rechtsauffassung weiter. Die Fortgeltung der einschlägigen Bestimmungen des DDR-Rechts sei aus dem Einigungsvertrag abzuleiten. Sie beantragt der Sache nach,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2004 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 2003 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Zeit vom 20. Juli 1975 bis zum 31. August 1976 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen. künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen und die Zeiten vom 1. September 1976 bis zum 25. Juli 1979 sowie vom 1. September 1980 bis zum 31. Juli 1981 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Berufs- und Volksbildung sowie die in den genannten Zeiten tatsächlich erzielten Entgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung angesichts der eindeutigen Rechtslage für nicht erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz).

Der Senat hat den Berufungsantrag der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Sachvortrags sowie des in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht aufgenommenen Antrags dergestalt ausgelegt, dass sie unter Änderung der angefochtenen Bescheide die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu Zusatzversorgungssystemen sowie der in diesen Zeiträumen tatsächlich erzielten Entgelte begehrt. Denn allein dies gehört zum Aufgabenkreis der Beklagten (dazu stellvertretend Bundessozialgericht -BSG- in der Entscheidungssammlung Sozialrecht - SozR 3-8570 § 8 Nr. 7). Welche konkreten Ansprüche sich aus den Feststellungen ergeben, die in die Zuständigkeit der Beklagten fallen, entscheidet erst im Rentenfall der Träger der Rentenversicherung. Im Gegensatz zu dem vom Sozialgericht aufgenommenen Antrag war ferner zwischen den Zeiten bis zum 31. August 1976 und denen ab 1. September 1976 zu unterscheiden. Ab 1. September 1976 war die Klägerin nicht mehr in die AVIwiss, sondern in die ZV Pädagogen einbezogen. Zudem ist ungeachtet dessen nach dem Bundesrecht des AAÜG eine in der DDR ausgeübte Beschäftigung jeweils dem spezielleren Versorgungssystem zuzuordnen (BSG SozR 3-8570 § 5 Nr. 4).

Die Berufung ist unbegründet. Zwar ist das AAÜG gemäß dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 anwendbar, da die Klägerin durch eine zu DDR-Zeiten erteilte Versorgungszusage in Versorgungssysteme einbezogen war, die vom AAÜG erfasst werden. Für die streitigen Zeiten kann die Beklagte aber keine in ihre Zuständigkeit fallenden Feststellungen treffen.

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat der Versorgungsträger (hier: die Beklagte) in einem dem Rentenfeststellungsverfahren vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch / Sechstes Buch (SGB VI) ähnlichen Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Wertes der SGB VI-Rente oder -Rentenanwartschaften von Bedeutung sein können. Dies sind die Daten über - die Zeiten der sogenannten Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, - die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (s. §§ 6 und 7 AAÜG), - die Summe der Arbeitsausfalltage, soweit diese nicht in einem Sozialversicherungsausweis eingetragen sind (§ 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG) sowie - die Höhe des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens, soweit es in der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit erzielt worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe etwa BSG SozR 3-8570 § 8 Nr. 7; Urteile vom 4. August 1998 -B 4 RA 74/96 R- und vom 23. Juni 1998 -B 4 RA 61/97 R-, zitiert nach Juris). Für die streitigen Zeiträume liegen die Voraussetzungen nicht vor, unter denen die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem festzustellen ist. Maßstabsnorm ist § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG (siehe zum Folgenden vor allem BSG SozR 4-8570 § 5 Nr. 1). Diese Norm ordnet die Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung ("gelten als") für Zeiten an, in denen die (zum 1. August 1991) "Versorgungsberechtigte" eine (entgeltliche) Beschäftigung oder Tätigkeit zu irgendeinem Zeitpunkt (notwendig vor dem 1. Juli 1990) ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist. Ob die Tatbestandsvoraussetzungen für diese Gleichstellung mit rentenrechtlichen Pflichtbeitragszeiten erfüllt sind, hängt somit davon ab, ob (1) die Betroffene eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die (2) "entgeltlich" war und die (3) ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war.

Es kann dahingestellt bleiben, ob auch ein ruhendes Arbeitsverhältnis eine "ausgeübte Beschäftigung" darstellen kann und folglich ebenfalls, ob ein ruhendes Arbeitsverhältnis "seiner Art nach" von einem Versorgungssystem erfasst sein kann. Denn die Klägerin, die in den streitigen Zeiträumen unstreitig tatsächlich nicht gearbeitet hat, stand in diesen Zeiträumen jedenfalls nicht in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis.

Obwohl § 5 AAÜG dies nicht ausdrücklich sagt, folgt das Erfordernis der Entgeltlichkeit direkt aus der Gleichstellung mit Pflichtbeitragszeiten sowie aus der Funktion der §§ 5 bis 8 AAÜG, die Überleitung des SGB VI auch auf zum 31. Dezember 1991 in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebietes überführte Renten zu regeln. "Pflichtbeitragszeiten" sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (oder nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten, § 55 Abs. 1 SGB VI). Pflichtbeiträge sind nach dem SGB VI für Personen zu zahlen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI). Nach Bundesrecht ist die Entgeltzahlungspflicht eine Hauptpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis. Eine entgeltliche Beschäftigung besteht mithin in der Zeit nicht, in der diese Hauptpflicht nicht besteht, im Besonderen dann, wenn der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. So lag es hier. Das Arbeitsrechtsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem "Arbeitgeber" ruhte in den streitigen Zeiträumen hinsichtlich beider Hauptpflichten.

Aus Vorschriften des DDR-Rechts, die eine Gleichstellung von Zeiten eines Auslandsaufenthalts mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung für Personen vorsahen, die als Ehegatten eines im Ausland arbeitenden DDR-Bürgers dort selbst nicht arbeiteten, kann die Klägerin kein für sie günstiges Ergebnis ableiten. Denn ob eine Pflichtbeitragszeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG vorliegt, beurteilt sich, wie eben ausgeführt, nicht nach DDR-Recht, sondern nach Bundesrecht.

Anders als die Klägerin meint, ist damit keine Verletzung von Grundrechten verbunden. Die in der DDR erworbenen Ansprüche und Anwartschaften genießen den Schutz des Grundrechts auf Eigentum (Artikel 14 Abs. 1 Grundgesetz -GG-) überhaupt nur in der Form, die sie auf Grund der Regelungen des Einigungsvertrags erhalten haben (Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Amtliche Entscheidungssammlung -BVerfGE- 100, 1 [37]). Denn die Schutzwirkung der Grundrechte erstreckte sich vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht auf das Gebiet der DDR. Das GG ist dort auch nicht rückwirkend in Kraft getreten (BVerfGE 100, 1 [33]). Die von der Klägerin für sich in Anspruch genommenen Vorschriften aus den Rentenverordnungen der DDR sind nicht im Überführungsprogramm des Einigungsvertrags enthalten. Das ergibt sich unmittelbar daraus, dass sie in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III des Einigungsvertrags nicht aufgeführt sind. Lediglich auf Grund von Artikel 19 Einigungsvertrag ergibt sich ein Vertrauensschutz für Personen, denen auf der Grundlage des DDR-Rentenrechts von den zuständigen Stellen der DDR Renten oder Versorgungen bindend zuerkannt worden sind bzw. auf Grund von Artikel 30 Abs. 5 und Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe b) Sätze 3 und 4 Einigungsvertrag ein (durch Artikel 2 des Rentenüberleitungsgesetzes und § 4 Abs. 4 AAÜG umgesetzter) befristeter Vertrauensschutz für Personen, die in der Zeit bis 30. Juni 1995 in der gesetzlichen Rentenversicherung beziehungsweise nach den Versorgungsordnungen leistungsberechtigt geworden sind.

Soweit danach die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR überhaupt in das Überführungsprogramm des Einigungsvertrags aufgenommen worden und damit unter den Schutz des Grundrechts auf Eigentums gestellt worden sind, ist dies - soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung - in einer mit dem GG vereinbaren Weise geschehen. Aus Artikel 14 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt sich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, das Altersversorgungssystem der DDR einschließlich der Zusatz- und Sonderversorgungen beizubehalten. Erst recht ist er folglich nicht gehalten, Vorschriften über einzelne rentenrechtliche Zeiten nach DDR-Recht in das Bundesrecht der Rentenüberleitung zu übernehmen. Vielmehr konnte er das System der Altersversorgung der DDR in einer ihm geeignet erscheinenden Form in das Rentenversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland eingliedern. Darin liegt keine Abschwächung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung gegenüber der Bevölkerung der DDR. Denn auch das Rentensystem der Bundesrepublik Deutschland genießt als System keinen verfassungsrechtlichen Bestandsschutz, sondern könnte vom Gesetzgeber auf andere Grundlagen gestellt werden. (BVerfGE 100, 1 [39, 40, 44 ff.]; Beschlüsse vom 6. August 2002 -1 BvR 586/98- und vom 13. Dezember 2002 -1 BvR 1144/00-, zitiert nach Juris).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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