L 8 R 428/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 10 RA 2040/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 R 428/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:
I. Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Witwenrente. Die Klägerin ist am 1937 geboren worden. Sie übersiedelte im September 1996 als Spätaussiedlerin aus K in die Bundesrepublik Deutschland. Ihr Ehemann E H war bereits am 26. Juni 1984 in der S verstorben. Beide Eheleute hatten in der Bundesrepublik Deutschland keine in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigungen ausgeübt. Durch Bescheid vom 8. September 1997 erkannte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. September 1996 große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes zu. Dabei errechnete sie einen Rangwert von 31,4765 Entgeltpunkten, den sie nach § 22b Fremdrentengesetz (FRG) in der Fassung des Wachstumsförderungsgesetzes (WFG) vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1461) auf 25,0000 Entgeltpunkte begrenzte. Durch Bescheid vom 14. Mai 1998 wurde der Klägerin aus eigener Versicherung von der Beklagten eine Altersrente für Frauen ab dem 1. Dezember 1997 zuerkannt. Der rechnerische Rangwert dieser Rente von 25,2404 Entgeltpunkten wurde ebenfalls auf Grund von § 22b FRG in der Fassung des WFG auf 25,0000 Entgeltpunkte begrenzt. Mit Bescheid vom 2. September 1998 nahm die Beklagte den Bescheid vom 8. September 1997 mit Wirkung ab 1. Dezember 1997 "gemäß § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X)" zurück und rechnete die (bis dahin noch nicht ausgekehrte) Nachzahlung aus der Altersrente für Frauen in voller Höhe mit der Überzahlung auf. Nach der Neuregelung des § 22b Abs. 1 Satz 3 FRG durch das Rentenreformgesetz 1999 (vom 16. Dezember 1997, BGBl. I S. 2998; im Folgenden: FRG a.F.) würden bei Berechtigten mit mehr als einer Rente nach dem FRG vorrangig die Entgeltpunkte aus der Rente mit dem höheren Rentenartfaktor berücksichtigt. Da demnach bei der Versichertenrente der Klägerin die 25 Entgeltpunkte bereits voll aufgebraucht seien, bestehe ab dem 1. Dezember 1997 kein Zahlungsanspruch aus der Witwenrente mehr. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Im Oktober 2001 beantragte die Klägerin, den Bescheid vom 2. September 1998 mit Blick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. August 2001 – B 4 RA 118/00 R -, SozR 3-5050 § 22b Nr. 2 zu überprüfen. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 21. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2003 ab. Der Bescheid vom 2. September 1998 sei rechtmäßig ergangen. Sie folge der von der Klägerin zu ihren Gunsten herangezogenen Entscheidung des BSG nicht, wonach die Entgeltpunkte aus einer Rente aus eigener Versicherung und einer abgeleiteten Hinterbliebenenrente nicht zusammenzurechnen seien. Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass es der Beklagten nicht zustehe, sich nicht an die Entscheidung des BSG gebunden zu fühlen, nur weil sie die Rechtsauffassung des BSG nicht teile. Das Urteil des BSG stütze ihr Begehren eindeutig. Durch Urteil vom 21. Februar 2005 hat das Sozialgericht die Klage, die es auf Aufhebung des Bescheides vom 21. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. April 2003 und des Bescheides vom 2. September 1998 sowie Zahlung einer Hinterbliebenenrente über den 1. Dezember 1997 hinaus gerichtet ansah, abgewiesen. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid sei § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG in der Fassung des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes (vom 21. Juli 2004, BGBl. I S. 1791; im Folgenden: FRG n.F.), der zum 7. Mai 1996 in kraft getreten sei und ausdrücklich bestimme, dass für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zurückgelegt würden. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Änderung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n. F., im besonderen das rückwirkende Inkrafttreten, bestünden nicht, da es sich lediglich um eine Klarstellung handle. Bereits dem früheren Wortlaut der Vorschrift habe sich entnehmen lassen, dass die Begrenzung der Entgeltpunkte auch beim Zusammentreffen von Versicherten- und Hinterbliebenenrente habe erfolgen sollen. Die anderslautenden Schlussfolgerungen des BSG im Urteil vom 30. August 2001 überzeugten nicht, was sich aus der historischen, gesetzessystematischen und teleologischen Auslegung der Vorschrift ergebe. Mit ihrer nicht begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragt der Sache nach, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 2. September 1998 zurückzunehmen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte bezüglich EH lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen. II. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung der Klägerin entscheiden, da er sie einstimmig für unbegründet und angesichts der unstreitigen Sach- und der höchstrichterlich geklärten Rechtslage eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes vom 2. September 1998 durch die Beklagte. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Außer Streit steht, dass die Klägerin, die 1996 und demnach vor dem in § 14a FRG n.F. genannten Stichtag 1. Januar 2002 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt war, dem Grunde nach einen Anspruch auf Witwenrente auf der Grundlage einer sogenannten "fiktiven FRG-Rente" hatte (s. dazu ausführlich BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 – B 1 KN 9/04 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ob die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 2. September 1998 das Recht unrichtig angewandt hatte, was sich nach dem bei Erlass des Verwaltungsakts anwendbaren Recht beurteilt, kann dahinstehen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass § 22b Abs. 1 Satz 3 FRG a.F. nicht dazu führt, dass die einer Rente für FRG-Zeiten zu Grunde zu legenden Entgeltpunkte in der Weise begrenzt werden, dass die Höchstgrenze nach § 22b Abs 1 Satz 1 FRG a.F. von 25 Entgeltpunkten auch für den Fall des Zusammentreffens einer Rente aus eigener Versicherung mit einer Hinterbliebenenrente gilt, wenn für beide Renten FRG-Zeiten berücksichtigt sind (so BSG, Urteile vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R und 1/05 R -, beide zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, im Anschluss an BSG SozR 4-5050 § 22b Nr. 1 und 2 und BSG SozR 3-5050 § 22b Nr. 2), begründete die sonach unrichtige Rechtsanwendung durch die Beklagte noch keinen Rücknahmeanspruch. Denn der Klägerin sind deswegen keine Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Ob diese Voraussetzung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorliegt, beantwortet sich nach der materiellen Rechtslage, wie sie sich für den im September 1996 entstandenen Rentenanspruch der Klägerin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung ergibt (s. auch hierzu BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R – mit weiteren Nachweisen). Vorliegend ist deshalb zu berücksichtigen, dass § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG a.F. rückwirkend zum 7. Mai 1996 durch § 22b Abs 1 Satz 1 FRG n.F. ersetzt worden ist, der bestimmt, dass für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 Entgeltpunkte der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu Grunde gelegt werden. Es gibt keine gesetzliche Bestimmung, welche die Anwendung des § 22b Abs. 1 Satz 1 FRG n.F. im vorliegenden Fall ausschließen könnte und der Gesetzgeber war auch von Verfassungs wegen nicht gehindert, den Anspruch auf Hinterbliebenenrente in die Begrenzungsregelung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG n.F. einzubeziehen (in diesem Sinne wiederum im Besonderen BSG, Urteil vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R -; s. auch BSG, Urteile vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 1/05 R - und vom 5. Oktober 2005 – B 5 RJ 57/03 und 39/04 R -, zitiert nach Juris). Die Begrenzungsregelung in § 22b Abs. 1 FRG a.F. hatte das BSG bereits für verfassungsmäßig erachtet (BSG SozR 3-5050 § 22b Nr. 1 und 3 sowie BSG SozR 4-5050 § 22b Nr 2 und 3). § 22b Abs 1 Satz 1 FRG n.F. führt den mit § 22b FRG bereits in der Fassung des WFG vorgenommenen Systemwechsel fort. Daher ist die Erweiterung der Begrenzungsregelung nicht anders zu beurteilen als die bisherige Regelung. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14. Abs. 1 Grundgesetz [GG] scheidet bereits deshalb aus, weil selbst der Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach einem ausschließlich in der bundesdeutschen Rentenversicherung Versicherten nicht von diesem Grundrecht geschützt wird (BVerfGE 97, 271). Aber auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht berührt. Die Ungleichbehandlung der Klägerin gegenüber Hinterbliebenen, deren Renten keine Entgeltpunkte für FRG-Zeiten zu Grunde liegen, beruht darauf, dass dem FRG-Anteil ihrer Renten keine Beiträge zur bundesdeutschen Rentenversicherung zugeordnet werden können. Die hieraus sich ergebenden Leistungen werden vielmehr aus sozialstaatlichen Gründen gewährt werden; dies ist ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium. § 22b Abs 1 Satz 1 FRG n.F. ist schließlich auch insoweit verfassungsgemäß, als er den bereits vor Verkündung dieser Vorschrift bestehenden Anspruch der Klägerin vom Zeitpunkt seines Entstehens an erfasst. Zwar handelt es sich dabei um eine verfassungsrechtlich grundsätzlich verbotene so genannte echte Rückwirkung bzw Rückbewirkung von Rechtsfolgen (s. dazu etwa BVerfGE 72, 200 [242, 255, 257]). Das Verbot der echten Rückwirkung kann aber dann ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn sich bei den Betroffenen kein schutzwürdiges Vertrauen bilden konnte. Das ist etwa dann der Fall, wenn das geltende Recht unklar und verworren war, sodass eine baldige Klärung erwartet werden musste (BVerfGE 30, 367 [388]; 45, 142 [173]; 50, 177 [193] und 72, 200 [259]). Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG erfüllt, wenn die ursprüngliche Norm von vornherein Anlass zu Auslegungsproblemen gibt, "deren Lösung nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung" möglich ist (BVerfGE 50, 177 [194]). In diesem Fall entsteht Rechtssicherheit hinsichtlich des Norminhalts erst durch die Rechtsprechung, insbesondere die des zuständigen höchsten Fachgerichts und/oder eine ständige Praxis der Gesetzesanwendung, die dann Grundlage für eine schutzwürdige Vertrauensbildung wird. Dies berücksichtigend hat das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz durch seine rückwirkend mit dem Tag des Inkraftretens der Ursprungsfassung des § 22b FRG in kraft getretenen Änderung des § 22b Abs. 1 Satz FRG schutzwürdiges Vertrauen in den Norminhalt des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG a.F. nicht verletzt. Solch ein Vertrauen konnte sich vor dem Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 11. März 2004 nicht bilden, dem entsprechend war auch keine Übergangsregelung notwendig. Bis zum Urteil des 4. Senats des BSG vom 30. August 2001 (SozR 3-5050 § 22b Nr 2) wurde die Vorschrift von den Trägern der Rentenversicherung durchgehend dahin verstanden, dass der Höchstwert von 25 Entgeltpunkten alle für FRG-Zeiten ermittelten Entgeltpunkte erfasse, unabhängig davon, aus welcher Versicherung sie stammten. Dieses Verständnis wurde praktisch weder von den Gerichten der ersten und zweiten Instanz noch von den Betroffenen in Frage gestellt, was sich auch im vorliegenden Fall daran zeigt, dass die Klägerin den Bescheid vom 2. September 1998 bestandskräftig werden ließ. Selbst in dem Fall, der dem Urteil des 4. Senats zu Grunde liegt, war das in den ersten beiden Instanzen zwischen den Beteiligten unstreitig (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2000 - L 12 RA 2663/99 -, zitiert nach Juris); gestritten wurde darüber, ob die Begrenzung verfassungsgemäß sei. Die Auslegung des 4. Senats überraschte daher und wurde von den Rentenversicherungsträgern übereinstimmend nicht befolgt. Die erneut mit entsprechenden Streitigkeiten befassten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit schlossen sich dem Urteil des BSG nur teilweise an. Zu abweichenden Entscheidungen kam es sogar dann noch, als weitere Fachsenate des BSG im März 2004 (13. Senat, s. in SozR 4-5050 § 22b Nr 1) und Juli 2004 (8. Senat, in SozR 4-5050 § 22b Nr 2) der Auffassung des 4. Senats folgten (ausführliche Darstellung wiederum im Urteil des BSG vom 21. Juni 2005 – B 8 KN 9/04 R -) Hinzu kommt, dass die Entscheidung des 4. Senats aus dem Jahr 2001 noch nicht alle Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 22b Abs 1 Satz 1 FRG a.F. geklärt hatte. Im Hinblick auf den bedeutsamen Widerspruch gegen die Auslegung des 4. Senats und die damit verbundenen weiteren Fragen war das Ergebnis der ausstehenden Prüfung durch die anderen Rentensenate des BSG offen. Erst mit den Urteilen des 13. Senats vom März 2004 und des 8. Senats vom Juli 2004 konnte deshalb erwartet werden, dass es bei dieser Auslegung bleiben werde. Zu diesem Zeitpunkt war – am 11. März 2004 – der Gesetzesbeschluss über das Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz aber bereits ergangen. Ein berechtigtes Vertrauen in einen ihnen günstigen Inhalt des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG a.F. konnte sich daher bei den Betroffenen nicht bilden. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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