L 23 B 82/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 49/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 82/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz – SGG-), ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ergänzende laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 163,63 EUR im Monat unter Berücksichtigung eines erhöhten Regelsatzes zu gewähren und ihr Mittel zur Anschaffung eines Kühlschranks und eines Computers zu bewilligen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Soweit die Antragstellerin die Gewährung von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt unter Berücksichtigung eines erhöhten Regelsatzes begehrt, hat sie einen Anordnungsanspruch nicht mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.

Die Antragstellerin, die zahlreiche Aufstellungen über ihre persönlichen Ausgaben ("Buchhaltung Jahr 2005") eingereicht hat, um zu belegen, dass sie einen höheren unabweisbaren Bedarf hat, als er dem Regelsatz zugrunde gelegt wird, verkennt, dass Regelsatzfestsetzungen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sind. Den Ländern steht bei der konkreten Festsetzung der Regelsätze nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) wie schon bei der Festsetzung der Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nach allgemeiner Auffassung eine Einschätzungsprärogative - auch als normative Gestaltungsfreiheit bezeichnet – zu (BVerwGE 25, 307; 94, 326; 102, 366; vgl. BVerfGE 87, 153, 170;). Die Regelsatzfestsetzung ist ein Akt wertender Erkenntnis und gestaltender sozialpolitischer Entscheidung darüber, mit welcher Regelsatzhöhe der notwendige Lebensunterhalt für den Regelbedarf sichergestellt ist. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf die Kontrolle, ob der gesetzliche Rahmen eingehalten wurde. Bezüglich der auf dem BSHG und der früheren Regelsatzverordnung beruhenden Regelsatzfestsetzung hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt entschieden, dass sich die gerichtliche Überprüfung hierbei in tatsächlicher Hinsicht (nur) darauf bezieht, ob sich die Regelsatzfestsetzung auf ausreichende Erfahrungswerte stützen kann, und in Bezug auf die der Festsetzung zugrunde liegenden Wertungen darauf, ob diese im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben vertretbar sind (BVerwGE 102, 366; 94, 326; 25, 307).

Es ist weder vorgetragen noch für den Senat ersichtlich, dass die hier streitgegenständliche Regelsatzfestsetzung der Berliner Landesregierung mit Regelsatzfestsetzungsverordnung vom 24. Juni 2005 – Regelsatzfestsetzungs-VO - (GVBl. S. 343) diesen Maßstäben nicht gerecht wird. Die beanstandete Regelsatzfestsetzung verstößt nicht gegen Bundesrecht. Maßgeblich für die Beurteilung der Regelsatzhöhe sind insbesondere die § 1 Satz 1, § 19 Abs. 1, § 28 SGB XII und die Regelsatzverordnung in der Fassung der Verordnung vom 3. Juni 2004 – Regelsatz-VO - (BGBl I S. 1067). Danach soll die Hilfe zum Lebensunterhalt dem Bedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, indem sie ihm den notwendigen Lebensunterhalt gewährleistet. § 28 Abs. 2 Satz 2 SGB XII ermächtigt die Länder, die Höhe der Regelsätze zu konkretisieren. § 28 Abs. 3 SGB XII enthält insoweit zunächst die Vorgabe, dass der Regelsatz den Bedarf des § 28 Abs. 1 SGB XII decken soll. Bei der Bestimmung der Regelsatzhöhe ist dem Regelsatzverordnungsgeber zwischen dem Interventionspunkt, an dem das Eingreifen des Hilfeträgers zur Sicherung des Existenzminimums zwingend erforderlich ist, und der oberen Grenze des Lohnabstandsgebots (§ 28 Abs.4 SGB XII) eine normative Gestaltungsfreiheit eingeräumt (vgl. Grube/Wahrendorf, § SGB XII, § 28 Rn. 19). § 28 Abs. 3 SGB XII enthält insoweit die Vorgabe, dass bei der Regelsatzbemessung Stand und Entwicklung der Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen sind, und schreibt als Bedarfsbemessungssystem das sog. Statistikmodell vor. Grundlage für die Festsetzung sind die tatsächlichen, statistisch ermittelten Verbrauchsausgaben von Haushalten in unteren Einkommensgruppen (§ 28 Abs. 3 Satz 3), Datengrundlage ist hierbei die sog. Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (§ 28 Abs. 3 Satz 4). Das Statistikmodell ist von der Rechtsprechung als geeignetes Bedarfsbemessungssystem anerkannt (hierzu ausführlich: BVerwGE 102, 366). Die Regelsatzfestsetzungs-VO hält sich mit der hier im Streit stehenden Festsetzung des Eckregelsatzes in diesem Rahmen. Anhaltspunkte, dass der Verordnungsgeber nicht von richtigen und vollständigen Tatsachengrundlagen ausgegangen ist, liegen nicht vor. Die Festlegung der Regelsatzhöhe verstößt auch nicht gegen das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet als unmittelbar geltendes Recht (vgl. BVerfGE 6, 32, 41) den Staat, Hilfe denjenigen zu leisten, die hilfebedürftig sind. Die Hilfe muss als Leistungsmaß die Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins sicherstellen (BVerfGE 40, 121, 133). Das in Art. 20 Abs. 1 GG unbestimmt formulierte Prinzip des Sozialstaates bedarf im hohen Maße der Konkretisierung durch den Gesetzgeber sowie eine Präzisierung durch die Rechtsprechung (vgl. BVerfGE 65, 182, 193). Zu den materiellen Vorgaben für den Gesetzgeber bei der Festlegung von Sozialhilfeleistungen hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: "Der Gesetzgeber besitzt in diesem Bereich ein weites Gestaltungsermessen; er darf bestimmen, in welchem Umfang unter Berücksichtigung des insgesamt vorhandenen Finanzvolumens und der sonstigen Staatsaufgaben Haushaltsmittel für die Aufgaben der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt und in Anspruch genommen werden sollen. Diesen Spielraum überschreitet der Gesetzgeber erst dann, wenn die dafür vorgesehenen Mittel und dementsprechend die vorgesehenen Leistungen erkennbar und eindeutig zur Erfüllung der sozialen Verpflichtung des Staates gegenüber in Not geratenen Mitbürgern unzureichend sind, also den sozialen Mindestvoraussetzungen nicht mehr entsprechen." (vgl. BVerfGE 70, 278, 288; 40, 121, 133). Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Zu beachten ist hierbei auch, dass der Gesetzgeber nicht jeden Einzelfall im Blick haben und insofern jedes Detail des menschlichen Bedarfes regeln muss; er darf typisieren, verallgemeinern und generelle Regelungen schaffen (vgl. BVerwGE 102, 366). Der Verordnungsgeber hat in Umsetzung der Vorgaben des § 28 SGB XII mit der Regelsatzverordnung vom 3. Juni 2004 (a. a. O.) die Eck-Regelsatzhöhe an nachvollziehbare und nach den vorgenannten Anforderungen überprüfbare Vorgaben geknüpft, denen die von der Berliner Landesregierung getroffene Regelung gerecht wird. Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner bei der Berechnung des monatlichen Bedarfs der Antragstellerin den Eckregelsatz der § 1 Regelsatzfestsetzungs-VO von 345,00 EUR zugrundelegt und einen Anspruch der Antragstellerin auf ergänzende Leistungen der Sozialhilfe abgelehnt hat. Denn den danach anzuerkennenden sozialhilferechtlichen Bedarf übersteigt das Einkommen der Antragstellerin um 55,96 EUR. Die Antragstellerin verfügt über ein monatliches Einkommen von 726,02 EUR (704,02 EUR Rente sowie 22,00 EUR Wohngeld) und hat Mietbelastungen von 325,06 EUR. Ob die Antragstellerin gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII einen um 28,00 EUR erhöhten sozialhilferechtlichen Bedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung hat, kann der Senat in diesem Zusammenhang dahin stehen lassen. Denn einen derartigen Bedarf – diesen als gegeben unterstellt – könnte sie mit ihrem den Regelsatz übersteigenden Einkommen befriedigen. Die von der Antragstellerin unter dem Begriff "Fixkosten" geltend gemachten Aufwendungen für Telefon, Kontoführung, Monatskarte u. a. werden vom Regelsatz erfasst (vgl. § 2 Regelsatz-VO). Soweit die Antragstellerin die Bewilligung von Mitteln zur Anschaffung eines Kühlschranks und eines Computers begehrt, hat sie ebenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Denn ihr Bedarf ist gedeckt. Die Antragstellerin ist sowohl im Besitz eines Computers als auch eines Kühlschrankes, mögen diese auch älteren Datums sein. Im Übrigen fehlt es bei dieser Sachlage auch an einem Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung durch das Gericht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ist nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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