L 5 B 860/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 102 AS 5865/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 B 860/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. September 2006 geändert. Die Verpflichtung des Antragsgegners, darlehensweise die anteilige Mietkaution in Höhe von 540,- EUR zu übernehmen, wird aufgehoben und der Antrag insoweit zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin S bewilligt. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

Streitig sind die anteiligen Aufwendungen für eine neue Unterkunft und eine anteilige Mietkaution.

Mit Beschluss vom 6. September 2006 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Zeitraum ab 30. August 2006 die monatlichen Mietkosten des Antragstellers für die Anmietung der Wohnung P in B in Höhe von anteilig 256,-EUR sowie – darlehensweise – die anteilige Mietkaution in Höhe von 540,-EUR zu übernehmen.

Die hiergegen gerichtete zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist teilweise begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen hinsichtlich der Unterkunftskosten, nicht aber hinsichtlich der Kaution vor.

Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet sich nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – und setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch, d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung, wie auch ein Anordnungsgrund, d. h. eine Eilbedürftigkeit des Verfahrens, bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Soweit der Antragsteller die Hälfte der tatsächlichen Mietkosten für die neue Wohnung in der P geltend macht, liegt ein Anordnungsanspruch vor. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Das ist hier nach vorläufiger Prüfung der Fall. Hinsichtlich der Angemessenheit der Miete orientiert sich der Senat an den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) vom 7. Juni 2005 – vgl. Amtsblatt von Berlin Nr. 49 Seite 3743. Insoweit ist bereits das Sozialgericht Berlin mit zutreffenden Gründen von dem Richtwert für einen 1-Personen- und nicht für einen 2-Personen-Haushalt (Nr. 4 Abs. 2 AV-Wohnen) ausgegangen und damit von einem Richtwert von 360,- Euro monatlicher Bruttowarmmiete. Zwar hat der 1968 geborene Kläger die jetzige 80 m² große 3-Zimmer-Wohnung ab 1. März 2006 zusammen mit der 1948 geborenen Frührentnerin D, mit der er auch zuvor seit dem 1. April 2002 zusammen gewohnt hat, gemietet (Mietzins 360,- EUR zuzüglich 152,- EUR Heiz- und Betriebskosten; Kaution 1.080,- EUR). Er hat aber stets angegeben, mit Frau D – wie zuvor – in einer Wohngemeinschaft zu leben. Der Senat schließt sich der Auffassung des Sozialgerichts, dass das Vorliegen eines Mehrpersonenhaushalts im Sinne der AV-Wohnen das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB II oder jedenfalls einer Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II voraussetzt, an. Auf die überzeugende Begründung mit Bezug auf Nr. 9.4 Abs. 5 f AV-Wohnen wird im vollem Umfang Bezug genommen. Auch aus Nr. 4 Abs. 8 AV-Wohnen ergibt sich ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich die Angemessenheitsprüfung der Wohnung auf den Hilfebedürftigen bzw. die Bedarfsgemeinschaft bezieht.

Im Fall des Antragsstellers und von Frau D liegt entgegen der Auffassung des Antragsgegners keine Bedarfsgemeinschaft vor. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft u.a. die Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt. Eheähnliche Gemeinschaften sind Lebensgemeinschaften zwischen Frau und Mann, die in der Regel auch Wirtschafts- und Wohngemeinschaften sind, darüber hinaus aber vor allem innere Bindungen aufweisen müssen, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründet (BVerfGE 87, 264, Brühl in LPK-SGB II § 7 Rdnr. 45). Auch wenn nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II in der Fassung ab 1. August 2006 eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft bei mehr als einjährigem Zusammenwohnen besteht, so gilt diese Vermutung eben auch erst ab diesem Zeitpunkt und ist im Übrigen durch die Umstände des Einzelfalles und des bisherigen widerspruchsfreien Vorbringens des Antragstellers nach summarischer Prüfung widerlegt. Der Antragsteller hat gegenüber dem Antragsgegner und auch gegenüber dem Gericht – zuletzt ausführlich mit Schriftsatz vom 7. November 2006 - stets eindeutig angegeben, dass es sich bei Frau D und ihm um eine Wohngemeinschaft handelt, und der Antragsgegner ist hiervon bisher ohne weiteres ausgegangen. Auch in dem Bewilligungsbescheid vom 13. Juni 2006 für den Leistungszeitraum ab 1. Juli 2006 hat der Antragsgegner im Übrigen den Antragsteller als allein stehend und Frau D nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft angesehen. Aus der Tatsache, dass der Antragsteller seine Mitbewohnerin gelegentlich zur Abholung seines Sozialtickets bevollmächtigt hat, lässt sich jedenfalls kein gegenteiliger Schluss ziehen

Nach summarischer Prüfung ist aber auch nicht von einer Haushaltsgemeinschaft des Antragstellers mit seiner Mitbewohnerin auszugehen, denn eine solche Haushaltsgemeinschaft liegt nur dann vor, wenn ein gemeinsamer Haushalt geführt und "aus einem Topf" gewirtschaftet wird, d. h. beim Zusammenleben in einer Wirtschafts- und Wohngemeinschaft (Brühl in LPK-SGB II § 9 Rdnr. 45). Für ein Wirtschaften "aus einem Topf" bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte, und vom Antragsteller wird das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft von Anfang an bestritten. Eine bloße Wohngemeinschaft, wie der Antragsteller sie angibt, reicht aber nicht aus, um auch eine Haushaltsgemeinschaft anzunehmen (vgl. hierzu auch § 9 Anm. 52 Mecke in Eicher/Spellbrink). Anders als in § 36 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch SGB XII – Sozialhilfe -, der beim Vorliegen einer Wohngemeinschaft eine Haushaltsgemeinschaft vermutet, reicht im SGB II für die Annahme einer Haushaltsgemeinschaft das bloße Vorliegen einer Wohngemeinschaft gerade nicht aus (vgl. Eicher/Spellbrink a.a.O.).

Der Antragsgegner ist demnach zu Recht verpflichtet worden, für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht die monatlichen angemessenen Mietkosten in Höhe von 256,- Euro (die Hälfte der tatsächlich anfallenden Mietkosten) zu übernehmen.

Soweit der Antragsteller beantragt hat, die anteilige Mietkaution zu zahlen, liegt dagegen entgegen der Auffassung des Sozialgerichts kein Anordnungsanspruch vor. Nach § 22 Absatz 3 Satz 1 SGB III kann u.a. eine Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Die erforderliche Zustimmung muss vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die durch § 22 Absatz 3 SGB III ersetzbaren Kosten in rechtlich relevanter Weise begründet werden (vgl. Lange in Eicher/Spellbrink § 22 Anm. 85). Daraus folgt, dass der hier ausdrücklich auf die Zahlung der anteiligen Mietkaution gerichtete Antrag des anwaltlich vertretenen Antragstellers schon im Hinblick auf die fehlende Zusicherung des Antragsgegners keinen Erfolg haben kann. Eine Auslegung des Antrages dahin, dass tatsächlich die vorläufige Erteilung einer Zusicherung begehrt war, hält der Senat nicht für möglich. § 123 SGG, der für die Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprechend gilt, bringt als Ausdruck der Dispositionsmaxime den wesentlichen Grundsatz zum Ausdruck, dass das Gericht nur über die vom Kläger – bzw. hier dem Antragsteller – zur Entscheidung gestellten Anträge entscheiden darf. Nicht aber gewährt das Gericht Rechtsschutz von Amts wegen. Wird ein Klage- bzw. Verfahrensantrag von einem Rechtsanwalt formuliert, ist in aller Regel davon auszugehen, dass er das Gewollte richtig wiedergibt. Denn zum einen ist von einem Rechtsanwalt zu erwarten, dass er über die erforderlichen juristischen Kenntnisse verfügt, um zu erkennen, mit welchen Anträgen er das Begehren seiner Mandanten fördern kann. Zum anderen dürfte im Falle der Einschaltung eines rechtskundigen Verfahrensbevollmächtigten dem Grundsatz der Neutralität des Gerichtes erhöhte Bedeutung zukommen. An seinem gestellten Antrag muss der Rechtsanwalt bzw. hier die Rechtsanwältin sich daher festhalten lassen (so bereits der erkennende Senat mit Beschluss vom 24. August 2006 – L 5 B 227/06 AS PKH -).

Dem Antragsteller war auf seinen Antrag im Hinblick auf sein Obsiegen im erstinstanzlichen Verfahren Prozesskostenhilfe auch für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und Rechtsanwältin S beizuordnen (§ 73a Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 119 Absatz 1 Satz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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