L 13 SB 47/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 SB 849/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 47/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht).

Dem 1939 geborenen Kläger hatte der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 1999 einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 wegen einer chronischen Lebererkrankung und einer Zuckerkrankheit zuerkannt.

Mit seinem am 6. Oktober 2003 bei dem Beklagten eingegangenen Neufeststellungsantrag machte der Kläger eine Verschlimmerung der bestehenden Behinderungen wegen einer im Jahr 1999 erfolgten Lebertransplantation und eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus geltend. Er sei ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen jeder Art wegen der von ihm einzunehmenden Medikamente teilzunehmen. Hierzu reichte er ein Attest des behandelnden Internisten Dr. D vom 15. Januar 2004 ein, der in Ergänzung seines Befundberichtes vom 9. November 2003 ausführte, der Kläger könne aufgrund einer erhöhten Infektionsgefahr infolge der Einnahme von Immunsuppressiva nicht an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen, bei denen viele Menschen zusammenkämen. Insofern bestehe bei dem Kläger eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Möglichkeit, an Publikumsveranstaltungen teilzunehmen.

In einer gutachtlichen Stellungnahme vom10. Februar 2004 vertrat der Facharzt für Sozialmedizin S die Auffassung, die Voraussetzungen des Nachteilsausgleiches "RF" lägen bei immunsuppressiver Dauertherapie (Erhaltungstherapie) nicht vor.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2004 lehnte der Beklagte eine Neufeststellung nach dem Schwerbehindertenrecht ab. Eine Verschlimmerung könne nicht festgestellt werden. Lediglich aus Gründen der Vollständigkeit und Klarheit würden die Funktionsbeeinträchtigungen nunmehr wie folgt bezeichnet:

a. Lebertransplantation b. Insulinpflichtige Zuckerkrankheit.

Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Nachteilsausgleichs "RF" seien nicht erfüllt.

Mit seinem Widerspruch verwies der Kläger darauf, dass er sich vor Veranstaltungen wie Kino, Konzerten, Fußball etc. schützen müsse, weil eine Virenübertragung tödlich sein könne.

Durch Widerspruchsbescheid vom 7. April 2004 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die versorgungsärztliche Beurteilung habe ergeben, dass nach Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "RF" nicht vorlägen.

Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Vorbringen wiederholt. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr. D (vom 22. August 2004) eingeholt, der die Frage, ob die Teilnahme an allen Veranstaltungen auf Dauer ausgeschlossen sei, dahingehend beantwortet hat, dass dem Kläger von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie dem Besuch öffentlicher Veranstaltungen mit hohem Besucheraufkommen und höherer Sitzdichte abgeraten worden sei. Zur Dosierung hat Dr. D am 14. November 2004 angegeben, der Kläger nehme als immunsuppressive Erhaltungstherapie morgens 2 mg und abends 1 mg Prograf ein. Die Dosierung sei recht hoch. Normalerweise würden nur 1 bis 2 mg pro Tag eingenommen.

Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass der Kläger auf eine Erhaltungsdosis eingestellt worden sei, so dass er nicht ständig und umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei.

Durch Gerichtsbescheid vom 18. März 2005 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung im Oktober 2003 das Merkzeichen "RF" zuzuerkennen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Ziffer 3 der im Land Berlin geltenden Verordnung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (RGVO) vom 2. Januar 1992. Danach würden von der Rundfunkgebührenpflicht u.a. behinderte Menschen befreit, die nicht nur vorübergehend um wenigstens 80 v.H. in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert sind und wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten. Hierzu zählten nach Nr. 33 Abs. 2 c Nr. 4 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (AHP) behinderte Menschen nach Organtransplantation, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden. Ausweislich der Stellungnahme von Dr. D erfolge die Medikation in einer so hohen Dosierung, dass dem Kläger ärztlicherseits geraten werde, öffentliche Verkehrsmittel sowie öffentliche Veranstaltungen mit hohem Besucheraufkommen zu meiden. Dr. D habe auch anhand von Vergleichsdosen dargelegt, dass es sich um eine hohe Dosierung handele. Die von OMR R genannte Kategorie der Erhaltungsdosis stelle nach den AHP kein Unterscheidungskriterium dar. Es sei vielmehr eine Bewertung der Dosierung unter finalen Gesichtspunkten vorzunehmen. Sei die immunsuppressive Medikation so hoch dosiert, dass dem betreffenden behinderten Menschen auferlegt werde, Menschenansammlungen zu meiden, sei die Voraussetzung erfüllt, zumal dem Nachteilsausgleich insoweit präventiver Charakter zukomme, also verhindert werden solle, dass sich ein abstraktes Risiko realisiere.

Mit seiner Berufung hat der Beklagte geltend gemacht, bei einer Dosierung von 3 mg pro Tag handele es sich um eine niedrig dosierte Therapie, so dass die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG" nicht erfüllt seien. Eine hohe Dosierung liege bei 0,1 bis 0,2 mg pro Kg Körpergewicht.

Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat einen Befundbericht der LTX-Ambulanz vom 27. Juli 2005 eingeholt, in dem die Frage, ob die Teilnahme an allen öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei, verneint wurde. Hiergegen hat der Kläger eingewandt, dass der Auskunft nicht zu entnehmen sei, ob sie von einem kompetenten Arzt erstellt worden sei. In einer ergänzenden Auskunft hat die LTX- Ambulanz mitgeteilt, bei dem Kläger werde seit 10. November 2005 Prograf 1 mg in der Dosierung 2-0-1 eingesetzt. Zuvor habe die Dosierung 2-0-1,5 betragen. Es handele sich um eine Erhaltungstherapie.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "RF". Nach Art. 5 § 6 Abs. 1 Ziffer 8 des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrages (GVBl. 2005, S. 82 ff ) werden von der Rundfunkgebührenpflicht auf Antrag behinderte Menschen befreit, deren Grad der Behinderung nicht nur vorübergehend 80 v.H. beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Diese gesundheitlichen Voraussetzungen sind nach den als antizipierte Sachverständigengutachten zu beachtenden Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) 2005 Nr. 33, S. 141 f (insoweit gleichlautend in den zum Zeitpunkt der Antragstellung des Klägers geltenden AHP 1996 sowie den AHP 2004) bei behinderten Menschen nach Organtransplantation erfüllt, wenn über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinaus die Therapie mit immunsuppressiven Medikamenten in einer so hohen Dosierung erfolgt, dass dem Betroffenen auferlegt wird, alle Menschenansammlungen zu meiden. Dabei müssen die behinderten Menschen allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein. Es genügt nicht, dass sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen- bestimmter Art- verbietet, sondern nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sind als öffentliche Veranstaltungen Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen, die länger als 30 Minuten dauern, also u.a. auch Gottesdienste (BSG SozR 3-3870 § 48 Nr. 2). Die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen ist nur dann nicht möglich, wenn der behinderte Mensch in einem derartigen Maße eingeschränkt ist, dass er praktisch von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen und an das Haus gebunden ist (Vgl. BSG a.a.O.). Es kommt nicht darauf an, ob jene, an denen er noch teilnehmen kann, seinen persönlichen Vorlieben, Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprächen. Sonst müsste jeder nach einem anderen, in sein Belieben gestellten Maßstab von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Das wäre mit dem Gebührenrecht nicht vereinbar. Denn die Gebührenpflicht selbst wird nicht bloß nach dem individuell unterschiedlichen Umfang der Sendungen, an denen die einzelnen Teilnehmer interessiert sind, bemessen, sondern nach dem gesamten Sendeprogramm.

Von der Teilnahme am öffentlichen Gemeinschaftsleben ist der Kläger nicht insgesamt ausgeschlossen. Schon aus den Auskünften von Dr. D geht hervor, dass lediglich Einschränkungen bestehen, an Publikumsveranstaltungen zu partizipieren, insbesondere soll der Kläger Veranstaltungen vermeiden, bei denen viele Menschen zusammenkommen. Es liegt danach gerade kein Ausschluss von allen öffentlichen Veranstaltungen (z.B. einem Kurkonzert im Freien, einem Gottesdienst oder einer Versammlung einer Betroffenengruppe etc.) vor.

Soweit der Kläger ergänzend darauf verwiesen hat, dass die Unterscheidung zwischen Erhaltungstherapie und einer hohen Dosierung nicht nachvollziehbar sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass eine immunsuppressive Erhaltungstherapie von einer hochdosierten Anfangstherapie zu unterscheiden ist, steht in Übereinstimmung mit der Formulierung der Anhaltspunkte, die gerade eine so hohe Dosierung voraussetzen, dass der Betroffene alle Menschenansammlungen meiden soll. Würde jede Immunsuppression ausreichend sein, so würde es genügen, als Voraussetzung für die Gewährung des Nachteilsausgleichs eine Lebertransplantation anzugeben, da jede Organtransplantation eine lebenslange Immunsuppression, wenn auch in niedriger Dosierung, erforderlich macht.

Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung des Beklagten Erfolg hat.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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