L 15 B 234/06 SO ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 20 SO 105/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 234/06 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Oktober 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 6. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2006 und des Schriftsatzes der Antragsgegnerin vom 16. November 2006 wird wieder hergestellt. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu tragen.

Gründe:

Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet. Gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen anordnen, in denen Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben. Zwar hat die Klage gegen den Bescheid vom 6. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2006 entgegen § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG nur deshalb keine aufschiebende Wirkung, weil die Antragsgegnerin in dem Widerspruchsbescheid vom 11. August 2006 gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG eine sofortige Vollziehung angeordnet hat. Auch in diesem Fall richtet sich einstweiliger Rechtsschutz aber nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG. In der Vorschrift ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zwar nicht genannt, wohl aber wird sie in § 86 b Abs. 1 Satz 3 SGG ausdrücklich erwähnt. Daran zeigt sich, dass der Gesetzgeber auch bei Anordnungen des Sofortvollzugs durch die Behörde einstweiligen Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat einräumen wollen (so bereits Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2006 – L 13 AL 4566/05 ER-B -, zitiert aus der Rechtsprechungsdatenbank "Juris"). Nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung in Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten ist und die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, die sofortige Vollziehung mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung anordnet. Es kann dahinstehen, ob das formelle Erfordernis, wonach die Antragsgegnerin die Vollziehungsanordnung erlassen und das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 6. April 2006 schriftlich begründet hat, nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2006 durch den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 16. November 2006 wirksam auch auf die Aufhebung der Leistungsbewilligung (Verfügungssatz Nr. 1 des Bescheides vom 6. April 2006) erstreckt werden konnte. Selbst wenn dies zu Gunsten der Antragsgegnerin angenommen wird, sind die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht erfüllt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stellt eine Ausnahme vom Regelfall des § 86a Abs. 1 SGG dar. Nach dieser Vorschrift hat der Rechtsbehelf grundsätzlich selbst dann aufschiebende Wirkung, wenn die angegriffene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig ist. Für die Vollziehungsanordnung ist deshalb ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse hinaus geht, welches den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) NVwZ 1996, 58 , 59 mit weiteren Nachweisen). Das besondere öffentliche Interesse muss gerade an der sofortigen Vollziehung bestehen. Auch fiskalische Interessen können dabei ein besonderes öffentliches Interesse begründen, jedoch bei Geldforderungen nur dann, wenn deren Vollstreckung gefährdet erscheint (s. LSG Baden-Württemberg a.a.O. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Antragsgegnerin stützt das Vollziehungsinteresse im Wesentlichen darauf, dass bei Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache die Vollstreckung der geltend gemachten Forderung durch Wertverlust von verwertbaren Gegenständen gefährdet erscheint. Dieses Interesse rechtfertigt die getroffene Anordnung bereits deshalb nicht, weil die materielle Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 6. April 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2006 nach summarischer Prüfung wenigstens teilweise noch ungeklärt ist. Lediglich für den Beginn des Aufhebungszeitraums (ab August 2005) ergeben sich – anders als die Antragstellerin meint – kaum Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin die Bewilligung von Pflegegeld und von Hilfen zur Gesundheit zu Recht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben hat. Nach Lage der Akten hat es die Antragstellerin grob fahrlässig unterlassen, der Antragsgegnerin den Zufluss der Rentennachzahlungen von insgesamt 24.290,96 EUR im August 2005 bekannt zu geben. Am 12. Mai 2005 hatte die Antragsgegnerin bei der Vorsprache ihres Bevollmächtigten Herrn S lediglich erfahren, dass die Antragstellerin eine Rentennachzahlung von über 40.000,00 EUR zu erwarten hatte. Nach der von der Antragsgegnerin gefertigten Gesprächsnotiz war bei dieser Gelegenheit erörtert worden, dass erst andere Ämter "wegen der Sozialhilfe der vergangenen Jahre" darauf zurückgreifen würden. Herrn S ist nach der Gesprächsnotiz ausdrücklich der Hinweis gegeben worden, dass die Antragstellerin sich melden solle, wenn die tatsächliche Auszahlungssumme bekannt wird. Es gibt nach den Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Antragstellerin oder ein von ihr Bevollmächtigter der Antragsgegnerin vor dem 15. Februar 2006 mitgeteilt hätte, welcher Betrag der Träger der Rentenversicherung dann tatsächlich ausgezahlt hat und wann. Die Antragstellerin hatte sich gegenüber der Antragsgegnerin am 15. Februar 2006 dahingehend eingelassen, dass sie "dachte, dass das Sozialamt nicht darüber informiert werden muss, weil mir nichts davon bekannt war, Krankenhilfe zurückzahlen zu müssen. Bei der Rentennachzahlung ging es immer um Rückforderung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Für mich war das erledigt und die Schuldentilgung hatte aus meiner Sicht Vorrang". Indessen hatte sie langjährig Sozialhilfe bezogen und jeweils Anträge ausfüllen müssen, in denen sie nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen gefragt worden war. Sie hatte auch Bescheide bekommen, in denen sie ausdrücklich auf ihre Mitteilungspflichten hingewiesen worden war (siehe beispielhaft die Rückseite des Bewilligungsbescheides für Pflegegeld vom 15. Oktober 2004). Schon deshalb musste ihr klar sein, dass Sozialhilfeleistungen prinzipiell einkommens- und vermögensabhängig sind. Von der Antragstellerin wird nicht gefordert, dass sie selbst Überlegungen dazu anstellt, ob Einkommen oder Vermögen Auswirkungen auf Ansprüche der Sozialhilfe hat. Das zu prüfen ist Aufgabe der Antragsgegnerin. Deshalb war die Antragstellerin auch dann nicht von ihren Mitteilungspflichten entbunden, wenn sie der Meinung war, dass die Schuldentilgung aus ihrer Sicht Vorrang hatte. Dass sie aus der Rentennachzahlung Schulden aus ihrem früheren Konkursverfahren getilgt hat, ist nach Aktenlage im Übrigen nicht erkennbar. Gleichwohl kann sich der Bescheid vom 6. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2005 wenigstens teilweise als rechtswidrig darstellen. Denn unstreitig hat die Antragstellerin von dem Geldvermögen in den Monaten August bis Dezember 2005 Ausgaben von über 21.000,00 EUR getätigt. Selbst wenn sie dadurch eine sozialhilferechtliche Bedürftigkeit selbst herbeigeführt haben sollte, so würde dies Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) nicht von vornherein ausschließen, sondern lediglich einen Anspruch der Antragsgegnerin auf Kostenersatz nach § 103 SGB XII auslösen. Eine auf § 45 SGB X gestützte Aufhebung der ergangenen Leistungsbewilligungen kommt dann nicht in Betracht. Ob und falls ja welche der von der Antragstellerin erworbenen Vermögensgegenstände einzusetzendes Vermögen darstellen (und zu welchem Zeitpunkt), ist zwischen den Beteiligten streitig und im Rahmen des Hauptsacheverfahrens abschließend zu klären. So lange aber nicht geklärt ist, in welchem Umfang sich die von der Antragsgegnerin aufgestellte Forderung als rechtmäßig erweist, kann jedenfalls kein besonderes Interesse an der Vollziehung der angefochtenen Bescheide bestehen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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