L 23 B 1057/05 SO

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 2 SO 301/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 B 1057/05 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. August 2005 abgeändert.

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Sozialgericht Berlin zu erstatten.

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten war in der Hauptsache im sozialgerichtlichen Verfahren die Anordnung einer aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen gegen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheide des Antragsgegners streitig. Die Antragstellerin bezog von dem Antragsgegner in der Zeit von 1. März 2001 bis 31. Dezember 2004 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz – BSHG –. Mit Bescheiden vom 6. Januar 2005 und 7. Januar 2005 hob der Antragsgegner die Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum unter Berufung auf § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGG X – auf und forderte nach § 50 SGB X einen Betrag von 33.726,50 Euro von der Antragstellerin. Mit den Bescheiden wurde jeweils unter Berufung auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – die sofortige Vollziehung angeordnet. Hierzu wurde jeweils ausgeführt: "Es besteht ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung, welches über das allgemeine Interesse am Vollzug eines Verwaltungsaktes hinausgeht. Bei einer polizeilichen Begehung ihrer Wohnung wurden wertvolle Gegenstände festgestellt, deren Besitz ihre Hilfebedürftigkeit zweifelhaft erscheinen lässt." Am 12. Januar 2005 hat die Antragstellerin über ihre Prozessbevollmächtigte vor dem Sozialgericht Berlin beantragt, Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragstellerin vom 12. Januar 2005 gegen die Bescheide der Antragsgegners vom 6. Januar 2005 und 7. Januar 2005 und die Aufhebung der Vollziehung der Bescheide wird angeordnet. Hilfsweise: Die Vollzugsanordnungen der Bescheide des Antragsgegners vom 6. Januar 2005 und 7. Januar 2005 sowie die getroffenen Vollzugsmaßnahmen, insbesondere die Pfändung vom 7. Januar 2005 werden aufgehoben. Sie hat u. a. ausgeführt, dass das öffentliche Sofortvollzugsinteresse nicht das individuelle Suspensivinteresse überwiege. Es fehle bereits an einer hinreichenden Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Bescheide nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG. Eine lediglich formelhafte Begründung reiche nicht aus. Nachdem sich die Antragstellerin verpflichtet hatte, eine Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 Euro bis zum 13. Mai 2005 zu leisten und eine weitere Sicherheitsleistung in Höhe von 2.400 Euro in zwölf monatlichen Raten zu 200 Euro zu leisten, erklärte sich der Antragsgegner bereit, die Vollzugsanordnungen aufzuheben. Die Antragstellerin erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 23. Mai 2005 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Sie hat sinngemäß beantragt, dem Antragsgegner die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 23. August 2005 den Antragsgegner verpflichtet, Kosten der Antragstellerin zu ½ zu erstatten und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten bewilligt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Erfolgsaussichten des Verfahrens, mit dem die Antragstellerin im Wesentlichen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen einen Bescheid angestrebt habe, mit dem der Antragsgegner Sozialhilfebewilligungen aufgehoben und ausgezahlte Leistungen zurückgefordert habe, seien offen gewesen. Es hätten ernsthafte Zweifel daran bestanden, ob die Anordnungen der sofortigen Vollziehung hinreichend begründet gewesen seien. Gegen den ihr am 5. September 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 20. September 2005 Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt. Der Beschwerde hat das Sozialgericht nicht abgeholfen (Entscheidung vom 5. Oktober 2005). Die Antragstellerin macht weiter geltend, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nicht hinreichend begründet gewesen. Ein gesteigertes Vollziehungsinteresse habe der Antragsgegner nicht begründet, sondern lediglich behauptet. Dies genüge nach der Rechtsprechung nicht; eine Nachholung einer Begründung sei nicht möglich. Schon allein wegen der nicht hinreichenden Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung hätte der vor dem Sozialgericht gestellte Antrag Erfolg gehabt. Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. August 2005 – S 2 SO 301/05 ER – insoweit zu ändern, als die Kosten des Verfahrens dem Antragsgegner auferlegt werden. Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Nach entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz – SGG – im Beschlussverfahren ist darüber, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, wenn das Verfahren – wie hier – anders als durch Beschluss beendet worden ist. Die Kostenentscheidung ist dabei grundsätzlich nach sachgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu treffen. Wesentlich sind dabei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache, daneben auch die Gründe, die zur Einlegung des Rechtsmittels bzw. zu seiner Erledigung geführt haben (BSG, SozR 3–1500 § 193 Nr. 2; BSG, Urteil vom 16. Juni 1999, B 9 V 20/98 R, veröffentlicht in juris, m. w. N.). Danach waren hier dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin nicht nur zu einem Teil, sondern insgesamt aufzuerlegen. Zum Zeitpunkt der Erledigung des Rechtsstreits hatte der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche in dem Sinne Aussicht auf Erfolg, als die Vollziehbarkeitsanordnung wegen eines Formverstoßes aufzuheben gewesen wäre (vgl. Schmidt in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 80 Anm. 93 m. w. N.). Nach § 86 b Abs. 1 Ziffer 2 SGG kann das Gericht in den Fällen, in denen ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung wiederherstellen bzw. anordnen. Voraussetzung dafür ist, dass ein gegen einen Bescheid erhobener Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat. Die Antragstellerin hatte gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 6. Januar 2005 und 7. Januar 2005 jeweils mit Schreiben vom 12. Januar 2005 Widersprüche eingelegt. Diese hatten keine aufschiebende Wirkung, weil der Antragsgegner mit den Bescheiden jeweils die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse angeordnet hatte, sodass die nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG dem Grunde nach bestehende aufschiebende Wirkung der Widersprüche aufgehoben war (§ 86 a Abs. 2 Ziffer 5 SGG). Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche nach § 86 b Abs. 1 Ziffer 2 SGG hatte deshalb im oben genannten Sinne Aussicht auf Erfolg, weil die Anordnungen der sofortigen Vollziehung formal rechtswidrig waren. Die Vollziehungsanordnung nach § 86 a Abs. 1 Nr. 5 SGG bedarf nämlich einer besonderen Begründung, an der es hier mangelte. Eine lediglich formelhafte Begründung reicht nicht aus. Die Begründung hat den Zweck, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnisnahme der Gründe, die Veranlassung zur Vollziehungsanordnung gegeben haben, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und eine Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels abschätzen zu können (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 86 a Anm. 21 e; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Auflage, § 80 Anm. 84). Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Darstellung des angenommenen öffentlichen Interesses daran, dass als Ausnahme von der Regel des § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG in dem konkreten Fall die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass das Interesse des Betroffenen deshalb hinter den erheblichen öffentlichen Interesse zurückstehen muss. Eine Wiederholung des Gesetzwortlautes des § 86 a Abs. 2 Ziffer 5 SGG reicht nicht aus, wenn nicht auf die Besonderheit des Einzelfalles eingegangen wird (Kopp/Schenke, a. a. O., Anm. 85). Der Antragsgegner hatte hier mit den Bescheiden vom 6. Januar und 7. Januar 2005 keine weiteren Begründungen für die Vollzugsanordnungen gegeben und lediglich ausgeführt, es bestehe ein besonderes, über das allgemeine Interesse am Vollzug eines Verwaltungsaktes hinausgehendes Interesse an der sofortigen Vollziehung. Damit hat der Antragsgegner (teilweise) den Gesetzeswortlaut des § 86 a Abs. 2 Ziffer 5 SGG wiederholt. Die weiteren Ausführungen, dass bei einer polizeilichen Begehung der Wohnung wertvolle Gegenstände festgestellt worden seien und deshalb Hilfebedürftigkeit zweifelhaft erscheine, stellen keine Begründung für ein gesteigertes Vollzugsinteresse dar und beziehen sich auf eine von dem Antragsgegner angenommene Rechtswidrigkeit der zuvor erfolgten Leistungsbewilligungen. Ausnahmsweise kann sich die Behörde auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen, wenn diese zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung belegen (Schmidt, a. a. O, Anm. 43). Für bestimmte Anordnungen ist das Erlassinteresse mit dem Vollzugsinteresse identisch. Die Gründe für den Erlass rechtfertigen zugleich die Anordnung der sofortigen Vollziehung (vgl. die Beispiele bei Schmidt, a. a. O., Anm. 34). Davon ist bei einem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid jedoch nicht zwingend auszugehen. Zwar kann hier die Gefahr bestehen, dass für die Rückforderung einzusetzende Vermögensgegenstände veräußert werden. Dies ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und deshalb von der Behörde zu prüfen und in der Begründung darzustellen. Da mit den Bescheiden vom 6. Januar und 7. Januar 2005 jeweils mit relativ kurzen Begründungen nur die Aufhebung vorheriger Verwaltungsentscheidungen nach § 45 SGB X begründet worden war, nicht jedoch eine besondere Eilbedürftigkeit, fehlte es an der hier notwendigen Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Kostenantragsverfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG war abzulehnen, weil Prozesskostenhilfe nur für selbstständige Gerichtsverfahren bewilligt werden kann (Zöller, Zivilprozessordnung, § 114 Anm. 2; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 2. Aufl., Anm. 481 ff.). Das Verfahren nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG stellt kein selbstständiges Antragsverfahren dar, sodass auch im Beschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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