L 17 R 1023/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 475/94 W 01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 R 1023/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Überführungsbescheides (Entgeltbescheides).

Der am 1928 geborene Kläger war vom 1. September 1955 bis 31. Januar 1990 zuletzt im Dienstgrad eines Oberst beim Ministerium für Staatssicherheit - MfS - der ehemaligen DDR beschäftigt. Er war in das Sonderversorgungssystem Nr. 4 der Anlage 2 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz - AAÜG - (Sonderversorgung für Angehörige des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit/ Amtes für nationale Sicherheit, eingeführt mit Wirkung vom 1. Januar 1953) einbezogen. Seit 1. Februar 1990 bezog er Invaliden- und ab 1. Juli 1993 Altersrente.

Mit Bescheid vom 1. Dezember 1993 stellte die Beklagte die Zugehörigkeit des Klägers zu dem genannten Sonderversorgungssystem für die Zeit vom 1. September 1955 bis 31. Januar 1990 und die in dieser Zeit von ihm bezogenen Jahresbruttoarbeitsentgelte fest. Diesen Entgelten stellte sie die - begrenzten - "Entgelte nach AAÜG" gegenüber. Der dagegen vom Kläger erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Januar 1994 unter Hinweis auf die Gesetzeslage von der Beklagten zurückgewiesen.

Mit der am 26. Januar 1994 beim Sozialgericht erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die seiner Ansicht nach rechtswidrige Kürzung des für den Rentenanspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigungsfähigen Entgeltes aus der Dienstzeit beim MfS gewandt. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Verfahrens hat die Beklagte am 24. September 1999 einen weiteren Bescheid erlassen und darin unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 1999 die "Entgelte nach AAÜG" auf 100 v. H. (statt zuvor auf 70 v. H.) des Durchschnittsentgeltes im Beitrittsgebiet festgesetzt. Der Kläger hat sich auch gegen diesen Bescheid gewandt und geltend gemacht, die Neufassung des § 7 AAÜG durch das Zweite AAÜG-Änderungsgesetz sei ebenfalls verfassungswidrig, denn es benachteilige ihn als Berechtigten aus dem Sonderversorgungssystem des MfS drastisch gegenüber vergleichbaren Personen, die in andere Versorgungssysteme einbezogen gewesen seien. Die angegriffene Rechtsnorm beruhe auf der unzulässigen Unterstellung, dass Angehörige des MfS durchweg überhöhte Entgelte bezogen hätten.

Der Kläger hat sich gegen die vom Sozialgericht im Januar 2002 angekündigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid gewandt und beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen (Schriftsatz vom 20. Februar 2002). Nachdem das Sozialgericht den auf den 2. Mai 2003 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung auf Bitten des Klägerbevollmächtigten aufgehoben hatte, hat es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. Juni 2003 abgewiesen.

Zur Begründung der Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei mangels Klagebefugnis unzulässig. Eine Klagebefugnis setzte voraus, dass nach dem vom Kläger behaupteten Sachverhalt zumindest die Möglichkeit bestehe, dass er in einem subjektiv-öffentlichen Recht, das es in der Rechtsordnung wirklich gebe und das ihm möglicherweise zustehe, durch die angefochtene Verwaltungsentscheidung verletzt worden sei. Diese Voraussetzung liege nicht vor. Der Kläger wende sich gegen eine Begrenzung seiner erzielten Jahresbruttoarbeitsentgelte aufgrund seiner Tätigkeit beim MfS und wolle mit seiner Klage erreichen, dass die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Versorgungsträger seinem Rentenversicherungsträger verbindlich eine höhere Beitragsbemessungsgrenze bzw. höhere als versichert geltende Arbeitsverdienste als diejenigen, die in der Spalte "Entgelt nach AAÜG" aufgeführt seien, vorschreibt. Ein solcher Anspruch gegen den Versorgungsträger sei jedoch in der Rechtsordnung nicht vorgesehen.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - hat das Sozialgericht weiterhin ausgeführt, zu den vom Versorgungsträger nach § 8 AAÜG festzustellenden Daten zählten nur

1. die Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem, 2. die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfassten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens, 3. die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (§§ 6 und 7 AAÜG) und 4. in den Fällen des § 8 Abs. 1 Satz 3 AAÜG die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.

Aufgrund dieser Begrenzung des Regelungsinhaltes der angefochtenen Bescheide habe die Beklagte den Einwand des Klägers, er habe aufgrund seiner akademischen Ausbildung keine unangemessen überhöhten Entgelte erzielt, zu Recht unbeachtet gelassen, denn die einzige tatsächliche Voraussetzung für die Anwendung der besonderen Beitragsbemessungsgrenze bestehe in der - vom Kläger nicht bestrittenen - Zugehörigkeit zu dem Sonderversorgungssystem des MfS. In die Zuständigkeit des Versorgungsträgers falle es nicht, dem Rentenversicherungsträger die für die Entscheidung über die Rentenfestsetzung maßgebliche Beitragsbemessungsgrenze oder aber die Höhe der als versichert geltenden Arbeitsverdienste vorzuschreiben. Diese Entscheidung treffe der Rentenversicherungsträger in alleiniger Kompetenz. Bei den in den angefochtenen Verwaltungsakten enthaltenen Angaben zum "Entgelt nach AAÜG" handele es sich nicht um Regelungen, sondern um für den Rentenversicherungsträger unverbindliche Mitteilungen oder Hinweise. Einwendungen gegen die Höhe der berücksichtungsfähigen Entgelte bei der Rentenberechnung müsse der Kläger gegen den Rentenversicherungsträger geltend machen. Dies verstoße nicht gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Auch die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage lägen nicht vor, denn der Versorgungsträger sei nicht verpflichtet, rechtlich folgenlose Hinweise nachträglich und im Übrigen gleichfalls rechtsfolgenlos abzuändern.

Gegen den ihm am 27. Juni 2003 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 1. Juli 2003 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung macht er geltend, er bestreite, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die besondere Beitragsbemessungsgrenze gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG vorlägen, weil deren Anwendung in seinem Fall sinnwidrig sei. Die Beklagte müsse bei ihrer Befugniswahrnehmung aus § 8 Abs. 2 und 3 AAÜG bereits die Norm des § 7 AAÜG und deren materiellen Gehalt (mithin auch die Rechtsfolge) im Blick haben. Wegen der von ihm ausgehenden Rechtsfolgen sei § 7 AAÜG verfassungswidrig, weil ohne Nachweis einer individuellen Schuld bzw. ohne Nachweis der fehlenden Gleichwertigkeit von ausgeübter Tätigkeit und erzieltem Einkommen eine rentenwirksame Entwertung von Entgeltbestandteilen oberhalb des jeweils allgemeinen Durchschnittsverdienstes ausnahmslos und unwiderlegbar für sämtliche Berechtigte des Versorgungssystems des MfS pauschal und endgültig vorgeschrieben werde.

Zudem rügt der Kläger, das Sozialgericht habe ohne vorherige ordnungsgemäße Anhörung durch Gerichtsbescheid entschieden.

Der Kläger beantragt wörtlich,

1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17.06.2003 aufzuheben,

2. den Bescheid der Beklagten/ Berufungsbeklagten vom 01.12.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.01.1994 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.09.1999 abzuändern

und

3. die Beklagte/ Berufungsbeklagte zu verurteilen, die während seiner Zugehörigkeit zum Versorgungssystem des MfS der DDR erzielten Arbeitsentgelte ohne die Begrenzung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AAÜG und somit nach § 6 Abs. 1 AAÜG festzustellen;

hilfsweise wird beantragt,

die Beklagte/ Berufungsbeklagte zu verurteilen, festzustellen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze nach § 7 AAÜG nicht vorliegen und festzustellen, dass er dem Versichertenkreis nach § 6 Abs. 1 AAÜG zugehört.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt verwiesen. Die Akten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 16 RA 475/94 W 01 -13 sowie die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - entscheiden, weil die Beteiligten dafür ihre Zustimmung erteilt haben.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Es kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob die verfahrensrechtliche Rüge des Klägers, das Sozialgericht habe gegen die Pflicht zur Anhörung vor Erlass eines Gerichtsbescheides verstoßen, gerechtfertigt ist. Nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vor Erlass eines Gerichtsbescheides zu hören. Eine derartige Anhörung ist hier mit einem dem Kläger am 5. Februar 2002 zugegangenem Schreiben erfolgt. Diese Anhörung war grundsätzlich unbefristet wirksam. Eine erneute Mitteilung wird nur dann notwendig, wenn eine wesentliche Änderung der Prozesssituation nachträglich eintritt, so dass die Beteiligten davon ausgehen können, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides entfallen sind. Nur in diesem Fall hat das Gericht die Beteiligten über seine unverändert bestehende Absicht, das Verfahren durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, zu unterrichten. Im vorliegenden Verfahren hätte eine solche erneute Anhörung nahe gelegen, nachdem das Sozialgericht jeweils auf Bitten des Klägers zunächst eine mündliche Verhandlung anberaumt und sodann - wegen Verhinderung seines Bevollmächtigten – den Termin wieder aufgehoben hatte. Denn der Kläger konnte nunmehr davon ausgehen, dass das Gericht seiner Einschätzung, das Verfahren eigne sich nicht zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid, auch weiterhin folgen wird. Aber auch dann, wenn das Sozialgericht gegen das Recht auf Gehör verstoßen haben sollte, läge zwar ein Verfahrensfehler vor, der in der Sache jedoch keine andere Entscheidung zulässt. Eine Zurückverweisung an das Sozialgericht gemäß § 159 Abs. 1 SGG kam aus diesem Grunde auch nicht in Betracht. Denn unabhängig davon, dass das Berufungsgericht nicht zur Zurückverweisung verpflichtet ist, wird es diese regelmäßig nur dann aussprechen, wenn eine erneute Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zweckmäßig ist. Dafür liegen keine Anhaltspunkte vor, denn der Sachverhalt war bereits hinreichend geklärt und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass zur Durchführung des Verfahrens eine mündliche Verhandlung notwendig gewesen wäre. Letzteres belegt schon der Umstand, dass auch der Kläger im Berufungsverfahren einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hat.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig angesehen, weil es an einer Klagebefugnis, die eine notwendige Prozessvoraussetzung darstellt, fehlt. Das Berufungsgericht sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab, weil es den zutreffenden Entscheidungsgründen des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils folgt.

Aus dem Berufungsvorbringen des Klägers ergibt sich nichts Neues. Nach den bereits vom Sozialgericht benannten Entscheidungen des BSG, denen auch der Senat folgt, ist es nicht - wie vom Kläger geltend gemacht - Aufgabe der Beklagten, bei ihrer Feststellung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung einer niedrigeren als der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze vorliegen, die Rechtsfolge dieser Feststellung (mögliche Entgeltbegrenzung bei der Berechnung der Rente durch den Rentenversicherungsträger) im Blick zu haben. Die Entscheidung darüber, ob aufgrund der allgemeinen oder der besonderen Beitragsbemessungsgrenzen bei der Rentenberechnung nicht die tatsächlich erzielten Entgelte, sondern nur geringere Beträge Berücksichtigung finden, trifft der Rentenversicherungsträger in alleiniger Zuständigkeit. Aus diesem Grunde kommt es in dem gegen den Sonder-versorgungsträger gerichteten Verfahren nicht darauf an, ob der Kläger durch die nur eingeschränkte Berücksichtigung seiner erzielten Arbeitsverdienste bei der Rentenberechnung in seinen verfassungsgemäßen Rechten verletzt wird. Derartige Einwendungen sind gegenüber dem Rentenversicherungsträger geltend zu machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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