L 16 R 1805/05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 RA 3998/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1805/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt. Außergerichtliche Kosten sind im Wiederaufnahmeverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1926 geborene Kläger war in der Deutschen Demokratischen Republik in die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für hauptamtliche Mitarbeiter des Staatsapparates (Zusatzversorgungssystem gemäß Nr. 19 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG –) einbezogen. Die Beklagte hatte seine Regelaltersrente für Bezugszeiten vom 1. August 1991 bis 30. Juni 1993 zuletzt durch Rentenbescheid vom 27. August 2002 neu festgestellt. Sie berücksichtigte dabei auch im Rahmen der Ermittlung des Monatsbetrages der Vergleichsrente die versicherten Arbeitsentgelte nur bis zu den Werten der Anlage 5 zum AAÜG. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch des Klägers hatte die Beklagte als Überprüfungsantrag gewertet und eine Rücknahme durch Bescheid vom 2. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1993 abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) Berlin hatte den Bescheid vom 2. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1993 aufgehoben, "die übrige Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2003" jedoch abgewiesen (Urteil vom 20. Januar 2004). Der Kläger hatte im Berufungsverfahren (L 16 RA 88/04) sein auf höhere Regelaltersrente für Bezugszeiten vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1993 gerichtetes Begehren weiterverfolgt und die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse bei der Ermittlung der Vergleichsrente gemäß § 307b Abs. 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I, S. 1939) auch für diesen Bezugszeitraum ungekürzte Arbeitsentgelte berücksichtigen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2005 hatte der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage erklärt, er sehe den Rechtsstreit als erledigt an.

Mit Schriftsatz vom 13. November 2005 widerruft der Kläger diese Erklärung und trägt vor, der auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. August 1999 – B 4 RA 50/97 R = BSGE 84, 156 ff. = SozR 3-2600 § 307b Nr. 7 gestützte "Risikohinweis" des Senats hinsichtlich der Bezugszeiten ab 1. Juli 1993 sei nicht fundiert gewesen. Er habe dieses Urteil erst nach der mündlichen Verhandlung studieren können und sei dabei zu der Erkenntnis gekommen, dass die Risikoargumentation eine Beendigung des Rechtsstreits nicht rechtfertige. In der mündlichen Verhandlung sei zudem entgegen § 112 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Sach- und Streitverhältnis nicht erörtert worden. Die Erledigungserklärung sei schließlich wesentlich auf Drängen seiner Ehefrau aus Sorge um seine Gesundheit zustande gekommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Rentenbescheides vom 27. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2003 zu verurteilen, ihm für Bezugszeiten vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 1993 höhere Regelaltersrente auf der Grundlage von 88,20 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) für den Monatsbetrag der Vergleichsrente zu gewähren.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme und Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 16 RA 88/04, nachdem er seine im Termin zu mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) abgegebene Erklärung, er sehe den Rechtsstreit als erledigt an, widerrufen hatte. Dem Begehren des Klägers kann nicht entsprochen werden. Denn der Rechtsstreit ist erledigt; über die Berufung des Klägers ist deswegen nicht in der Sache zu entscheiden.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG führt die einseitige Erledigungserklärung des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren anders als im Zivil- und Verwaltungsprozess zur Beendigung des Rechtsstreits in der Hauptsache. Die Erledigungserklärung hat hier (anders als nach § 91a Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO – oder § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung) keine eigenständige, insbesondere kostenrechtliche Bedeutung. Sie stellt sich je nach prozessualer Konstellation entweder als Klagerücknahme oder als Annahme eines von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses dar (BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 18/95 = USK 95155; Beschluss vom 29. Dezember 2005 – B 7a AL 192/05 B = juris). Die am 28. Oktober 2005 vom Kläger ohne jegliche Bedingung zu Protokoll gegebene Erklärung "Ich sehe den Rechtsstreit als erledigt an" ist rechtlich als Klagerücknahme zu werten. Diese Klagerücknahme hat gemäß § 102 Satz 2 SGG zur Folge, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Durch diese Erklärung hat der Kläger (nur) die vom SG abgewiesene (kombinierte) Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2002 "in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2003" zurückgenommen. Nur dieser Streitgegenstand kann im Berufungsverfahren angefallen sein, nachdem das SG den negativen Zugunstenbescheid vom 2. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2003 antragsgemäß aufgehoben und die Beklagte dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hatte.

Die wirksam erklärte Rücknahme dieser Klage kann nicht durch Anfechtung oder Widerruf beseitigt werden. Bei der Rücknahmeerklärung handelt es sich um eine rechtsgestaltende Prozesserklärung, die auch im Falle eines Irrtums über den Inhalt oder die Reichweite der abgegebenen Erklärung im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht anfechtbar oder widerrufbar ist. Ein Wiederaufgreifen eines durch Klagerücknahme erledigten Rechtsstreits ist nur ausnahmsweise dann möglich, wenn Wiederaufnahmegründe im Sinne der §§ 179, 180 SGG in Verbindung mit §§ 579 f. ZPO vorliegen. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Soweit der Kläger sein Begehren darauf stützt, er habe erst nach dem eingehenden Studium des Urteils des BSG vom 3. August 1999 – B 4 RA 50/97 R = BSGE 84, 156 ff. = SozR 3-2600 § 307b Nr. 7 erkannt, dass diese Entscheidung eine Beendigung des Rechtsstreits nicht rechtfertige, kann er damit nicht durchdringen. Es handelt sich bei der genannten Entscheidung des BSG weder um ein in derselben Sache erlassenes Urteil im Sinne von § 580 Nr. 7 Buchst. a ZPO noch um eine andere Urkunde im Sinne von § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO. Andere der in § 580 ZPO genannten Sachverhalte liegen ersichtlich nicht vor. Auch die Behauptung des Klägers, die gesetzlich vorgeschriebene Erörterung des Streitgegenstandes sei in der mündlichen Verhandlung sowohl vor dem SG als auch vor dem LSG unterblieben, verhilft seinem Wiederaufnahmebegehren nicht zum Erfolg. Abgesehen davon, dass durch die jeweiligen Sitzungsniederschriften das Gegenteil bewiesen ist (vgl. §§ 122 SGG, 160 Abs. 2 ZPO) ist damit ein Wiederaufnahmegrund nicht schlüssig vorgetragen. Denn ein Verstoß gegen die Erörterungspflicht dürfte zwar einen Verfahrensmangel darstellen, ist jedoch kein Wiederaufnahmegrund im Sinne von §§ 579 f. ZPO. Das gleiche gilt, soweit der Kläger die Wiederaufnahme unter Hinweis darauf begehrt, er habe die Erledigung des Rechtsstreit wesentlich auf Drängen seiner Ehefrau erklärt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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