L 13 VH 5/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 VH 130/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VH 5/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Januar 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Versorgung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) wegen der Folgen einer zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung.

Der 1962 geborene Kläger befand sich zu Unrecht vom 22. September 1983 bis zum 1. März 1985 in Haft in der Jugendanstalt H wegen des Vorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts. Spätere Haftzeiten wurden nicht rehabilitiert.

Mit seinem im Mai 1997 gestellten Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach § 21 StrRehaG machte er geltend, haftbedingt an einem belastungsabhängigen Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule zu leiden. Der Beklagte holte ein versorgungsärztliches Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. F vom 19. August 1998 ein, der im Hinblick darauf, dass der Kläger vor und nach der Inhaftierung schwersten körperlichen Belastungen ausgesetzt gewesen sei, keinen Zusammenhang zwischen den Funktionseinschränkungen und Abnutzungserscheinungen der Wirbelsäule und der Haft erkennen konnte.

Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 16. September 1999 den Antrag ab.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger ergänzend erhebliche psychische Belastungen aufgrund der Haft geltend. Der Beklagte zog die Unterlagen des Fachkrankenhauses für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutische Medizin J bei, aus denen sich ein stationärer Aufenthalt vom 20. April bis zum 13. Mai 1981 wegen einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung sowie weitere stationäre Aufenthalte vom 2. bis 28. April 1982 und vom 24. November 1982 bis 9. Februar 1983 ergaben. In einem Gutachten vom 31. Juli 2000 führte der Diplom-Mediziner K aus, der Kläger habe körperliche Misshandlungen oder andere Extrembelastungen während der Haft auch auf gezielte Nachfrage nicht benannt, sondern berichtet, dass die gesamte Haftsituation für ihn verletzend und entwürdigend gewesen sei. Aus der Vorgeschichte sei zu berücksichtigen, dass die allgemeine cerebrale Leistungsfähigkeit des Klägers im unteren Normbereich angesiedelt sei und die gesamte Familiensituation wegen einer schwer erkrankten und wesensveränderten Mutter mit erheblichen Belastungen in der Kinder- und Jugendzeit verbunden gewesen sei. Die Haftsituation sei nur bedingt als A-Kriterium für eine posttraumatische Belastungsstörung zu werten. Werde die begrenzte Kompensationsfähigkeit des Klägers berücksichtigt, sei eine zeitlich begrenzte Stressreaktion für einige Wochen bis Monate mit Schlafstörungen, Gereiztheit und allgemeiner Dysphorie möglich. Eine bleibende psychische Störung sei auch unter Berücksichtigung aller Begleitumstände sehr unwahrscheinlich.

Durch Widerspruchsbescheid vom 18. September 2001 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die versorgungsärztliche Begutachtung habe keine Anhaltspunkte für eine auf die Haftzeit zu beziehende dauerhafte Gesundheitsstörung auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet erbracht. Darüber hinaus belegten die beigezogenen Befundunterlagen aus der Zeit vor der Inhaftierung bereits damals bestehende psychiatrische Auffälligkeiten. So finde sich im forensischen Gutachten vom 20. April 1981 die Diagnose einer abnormen Persönlichkeit.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin u.a. Befundberichte des behandelnden Arztes für Neurologie und Psychiatrie H und des Psychologen H eingeholt. Anschließend hat es ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. G erstatten lassen. Dr. G hat in seinem Gutachten vom 3. Februar 2003 dargelegt, die Hauptsymptomgruppenkonstellationen einer posttraumatischen Belastungsstörung seien nur teilweise erfüllt. Die Beeinträchtigung des Klägers sei durch die schon vor der Haft bestehende und weiter bestehende psychomental relevante Symptomatik bedingt, nämlich durch die Primärpersönlichkeitsstörung, einen sich zur Alkoholabhängigkeit entwickelt habenden Alkoholmissbrauch, eine chronisch-rezidivierende depressive Störung sowie Neigung zum nächtlichen Einnässen. Eine Verschlimmerung dieser Einschränkungen durch die Haft sei nicht festzustellen. Die Haftzeit habe lediglich eine vorübergehende Anpassungsstörung hervorgerufen.

Das Sozialgericht hat den Diplom-Psychologen H im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2004 als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hatte unter dem 8. September 2002 eine für den Bevollmächtigten des Klägers bestimmte Stellungnahme abgegeben, die dieser zur Akte gereicht hat. Der Zeuge hat angegeben, der Kläger schildere ihm gegenüber tagtägliche Alpträume, die ihn andauernd beschäftigten. Er sei der Ansicht, dass der erhöhte Alkoholkonsum psychosozial ableitbar sei. Die Unterlagen des Krankenhauses J und das Gutachten von Dr. G seien ihm nicht bekannt. Auf Nachfrage des Zeugen hat der Kläger im Termin erstmals angegeben, in der Haft sexuell bedroht worden zu sein.

Durch Urteil vom 26. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe infolge des Gewahrsams keine gesundheitliche Schädigung erlitten. Insbesondere habe keine psychoreaktive Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung festgestellt werden können. Dr. G habe für die Kammer - auch aufgrund der detailarmen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung- nachvollziehbar dargelegt, dass die Hauptsymptomgruppen einer posttraumatischen Belastungsstörung nur teilweise erfüllt seien und dass die haftunabhängigen gesundheitlichen Störungen die heute beim Kläger bestehenden psychischen Probleme verursachten. Die abweichende Meinung des Psychologen H sei schon deshalb nur sehr eingeschränkt nachvollziehbar, weil dieser bis zur mündlichen Verhandlung weder das Gutachten von Dr. G noch die Unterlagen des Krankenhauses J gekannt habe. Die von dem Psychologen als problematisch angesehene Diagnose der Persönlichkeitsstörung finde ihre medizinische Begründung in den Unterlagen des Krankenhauses J. Auch die Alkoholabhängigkeit und ihre Auswirkungen seien keine Schädigungsfolge, weil das Alkoholproblem offensichtlich bereits vor der Verhaftung bestanden habe.

Gegen das ihm am 18. Februar 2004 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 16. März 2004. Er macht geltend, als verschlossener Mensch erstmals seinen Gefühlen in der mündlichen Verhandlung freien Lauf gelassen zu haben. Dabei sei der neu geschilderte Aspekt einer sexuellen Belästigung vom Sozialgericht nicht berücksichtigt worden. Es sei für jeden Beurteilenden mehr als wahrscheinlich, dass eine Haft, wie sie der Diplompsychologe geschildert habe, eine Gesundheitsstörung zur Folge habe. Zu der von ihm erlittenen sexuellen Misshandlung hat der Kläger einen Bericht des Diplom-Psychologen H eingereicht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Januar 2004 aufzuheben sowie den Bescheid vom 16. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ab 1. Mai 1997 eine Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat ein psychiatrisches Gutachten von Prof. Dr. Z vom 27. Oktober 2005 eingeholt. Der Gutachter hat ausgeführt, dass bereits vor der ersten Inhaftierung eine erhebliche psychische Auffälligkeit des Klägers bestanden habe. Die verschiedenen Teilerscheinungen seien rückblickend als Ausdruck einer krisenhaft sich zuspitzenden Adoleszenzentwicklung bei Persönlichkeitsstörung anzusehen. Die der ersten Haft vorauslaufende persönlichkeitsgebundene entwicklungsphasisch betonte Symptomatik sei als Vorschaden anzusprechen. Trotz der ersten Haft habe sie sich nicht akzentuiert, sondern habe eine Beruhigung erfahren, so dass eine Verschlimmerung des psychischen Störungsbildes, die zeitnah zum schädigenden Ereignis zu erwarten gewesen wäre, nicht nachgewiesen werden könne. Die sozialen Anpassungsschwierigkeiten nach der Haftentlassung, wie sie sich in Deliktshandlungen ab 1985 bekundet hätten, seien keine Haftfolge. Vielmehr hätten sich in diesen dysfunktionalen Verhaltensmustern Aspekte der primären Persönlichkeitspathologie durchgesetzt. Die erste Hafterfahrung sei nach Art und Intensität nicht geeignet, zwingend eine längerfristige Destabilisierung zu bewirken. Sie habe den Kläger in seinem Empfinden, ein Außenseiter zu sein, bestärkt. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung müsse gefordert werden, dass es sich um eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung handele, von der angenommen werden könne, dass sie bei nahezu jedem Menschen eine tiefgreifende Verzweiflung hervorrufe. Die in Rede stehende Haft in ihrem Gesamtverlauf könne nicht als solche aufgefasst werden. Allerdings seien im Hinblick auf die begrenzten Bewältigungsressourcen des Klägers im Einzelarrest und in der sexuellen Misshandlung, sollten diese Ereignisse als wahr unterstellt werden, Vorkommnisse zu sehen, die geeignet gewesen seien, eine zeitlich begrenzte Störung zu bewirken. Sie mündeten aber nicht in einen chronischen Verlauf ein. Die aktuelle markante Persönlichkeitspathologie erkläre sich daraus, dass eine vorgängige Persönlichkeitsstörung und eine in den letzten Jahren prominente chronisch-depressive Verstimmung zusammenwirkten.

Dagegen hat der Kläger eingewandt, das Gutachten berücksichtige nicht, dass in den vorliegenden Verfahren großzügig verfahren werden solle.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akten des Sozialgerichts) und der Versorgungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der bei ihm vorliegenden psychischen Störung als Folge der als rechtstaatswidrig anerkannten Haft vom 22. September 1983 bis zum 21. März 1985.

Nach § 21 Abs. 1 StrRehaG erhält ein Betroffener, der infolge der Freiheitsentziehung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes. Dabei genügt gemäß § 21 Abs. 5 StrRehaG zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Dies gilt auch für die Verschlimmerung. Eine Wahrscheinlichkeit ist dann gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs oder ein zeitlicher Zusammenhang genügen nicht. Eine weitergehende Beweiserleichterung oder eine Umkehr der Beweislast hat der Gesetzgeber im StrRehaG nicht vorgenommen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist nicht feststellbar, dass die Haft wahrscheinlich die bei dem Kläger vorliegende psychische Schädigung bewirkt oder dauerhaft verschlimmert hätte.

Alle im Verfahren gehörten Sachverständigen sind auf der Grundlage der Unterlagen des Krankenhauses Jerichow, des Verhaltens des Klägers ihnen gegenüber und der persönlichen Exploration zu dem Ergebnis gekommen, dass die bei dem Kläger vorliegende psychische Störung haftunabhängig ist. Sie haben dies für den Senat nachvollziehbar auf der Grundlage verschiedener Kriterien dargelegt. Prof. Dr. Z hat umfassend anhand der aus der Zeit vor der ersten Haft stammenden Untersuchungsunterlagen herausgearbeitet, dass bereits vor der Haft eine Persönlichkeitsstörung vorgelegen habe. Er hat sich hierbei auf die stationären Aufenthalte des Klägers in der Psychiatrie vom 20. April bis zum 13. Mai 1981 wegen einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung sowie die weiteren stationäre Aufenthalte vom 2. bis 28. April 1982 und vom 24. November 1982 bis 9. Februar 1983 bezogen. Den Einwand des Klägers, dass es sich hierbei um ein Täuschungsmanöver gehandelt habe bzw. die Unterlagen gefälscht worden seien, entkräftet der Sachverständige dadurch, dass er darauf verweist, dass die verschiedenen Materialien ein anschauliches kohärentes Bild lieferten, das eindeutig für eine psychische Erkrankung vor der Haft spreche. Es seien weder formale noch inhaltliche Merkmale vorhanden, die einen Fälschungsverdacht begründen könnten. Auch hat der Gutachter für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger sich in früheren Untersuchungen deutlicher zu seinem konfliktträchtigen Lebensabschnitt vor der ersten Haft eingelassen habe. Es zeige sich eine komplexe Persönlichkeitsstörung bei eher geringer intellektueller Befähigung und mangelnder Ausdifferenzierung von Problemlösefähigkeiten. Des weiteren gelangt Prof. Dr. Z in Übereinstimmung mit Dr. G zu der Auffassung, dass bei dem Kläger keine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Hiervon abzuweichen, sieht der Senat keine Veranlassung. Denn das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ist dahingehend zusammenzufassen, dass zum Einen nicht das Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung vorliegt, zum anderen das Verhalten des Klägers nach der ersten Haft nicht auf eine längerdauernde Belastung schließen lässt. Zugleich weisen die Sachverständigen darauf hin, dass auf dem Hintergrund diverser familiärer Stressfaktoren seit Kindheit und Jugend eine chronische Neigung zu einer depressiven Störung entstanden sei.

Entgegen den pauschalen Behauptungen des Klägers, die Haftsituation werde nicht ausreichend gewürdigt, setzt sich Prof. Dr. Z im Einzelnen mit der speziellen Situation, in der sich der Kläger durch die Haftsituation befand, auseinander und legt dar, dass es den Kläger bei seinem Persönlichkeitsprofil mit geringer intellektueller Befähigung, introvertiertem Einzelgängertum und Hang zu reizbaren impulsiven Ausbrüchen gerade erhebliche Mühe gekostet habe, sich unter dem harten Haftregime zu behaupten. Zu einer schwerwiegenden psychischen Dekompensation sei es dennoch nicht gekommen. Der Sachverständige belegt auch mit der Würdigung der in der Folgezeit dokumentierten Verhaltensweisen des Klägers, dass es durch die erste Haft nicht zu einer stärkeren Labilisierung gekommen sei.

Nach alledem haben die Gutachter aufgrund ihres speziellen medizinischen bzw. psychologischen Sachverstandes eine Abgrenzung zwischen einer möglichen Haftfolge und der bei dem Kläger vorliegenden Persönlichkeitsstörung vorgenommen. Dem folgt der Senat, da das Ergebnis unter Würdigung der zur Akte gelangten biografischen Daten nachvollziehbar ist. Dabei hat er insbesondere berücksichtigt, dass der im Verwaltungsverfahren gehörte Gutachter und Dr. G anhand der Unterlagen und der persönlichen Exploration zu dem Ergebnis gelangt sind, dass die Persönlichkeitsstörung und chronisch – rezidivierende depressive Störung die wesentlichen Bedingungen für das vorliegende Erkrankungsbild darstellen. Dem ist Prof. Dr. Z, ein Gutachter, der dem Senat aus einer Vielzahl von Rechtstreiten als speziell in der Begutachtung von posttraumatischen Belastungsstörungen erfahren bekannt ist, gefolgt.

Nach alledem konnte der Senat - wie schon das Sozialgericht - der Einschätzung des Diplompsychologen H, es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, nicht folgen, da dieser diese Einschätzung in Abgrenzung zu den gerichtlich gehörten Gutachtern nicht begründet hat.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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