L 7 B 18/06 KA ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 71 KA 419/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 B 18/06 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im Beschwerdeverfahren ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde.
2. Eine Ausnahme hiervon ist nur dann anzunehmen, wenn effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Hauptsachenentscheidung Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht oder niht hinreichend rückgängig machen ließen.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2006 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vorliegen.

Ausweislich des bereits bei dem Sozialgericht gestellten Antrags begehrt die Antragstellerin die Gestattung der weiteren Durchführung und Abrechnung phlebologischer Leistungen gemäß Kapitel 30.5 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) jedenfalls ab Eingang ihres Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Berlin (01. Dezember 2005). Dementsprechend ist in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren:

1. Für die Zeit vom 01. Dezember 2005 bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren ist bereits zweifelhaft, ob insoweit ein Anordnungsgrund besteht. Denn ausweislich des vorgenannten Antrags der Antragstellerin könnte deren Begehren darauf gerichtet sein, eine Statusentscheidung der Antragsgegnerin herbeizuführen. Eine auf die Vergangenheit bezogene Statusentscheidung ist jedoch rechtlich nicht möglich, weil Entscheidungen, die einen vertragsärztlichen Status begründen oder ändern, jeweils nur mit Wirkung für die Zukunft herbeigeführt werden können. Darüber hinaus kann im Grundsatz eine Statusentscheidung in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch sonst nicht herbeigeführt werden, weil ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darauf abzielt, vorläufige Regelungen herbeizuführen, während Statusentscheidungen stets endgültigen Charakter besitzen.

Indessen kann offen bleiben, ob die Antragstellerin tatsächlich eine Statusentscheidung begehrt, denn es fehlt für die Zeit bis zur Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren jedenfalls aus einem anderem Grund an einem Anordnungsgrund. Insoweit besteht keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen kann. Die Antragstellerin hat – auch nach Erhalt der Entscheidung des Sozialgerichts, die unter Anderem auf das Fehlen des Anordnungsgrundes gestützt war – keine Umstände vorgetragen, die einen Anordnungsgrund für den vorgenannten Zeitraum begründen können.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Randnummern 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer – einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – und vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine – stattgebende – Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin jedoch nicht vorgetragen, sie sind auch nicht sonst ersichtlich.

Zwar würde die Antragstellerin – wenn ihr Begehren tatsächlich auf die Herbeiführung einer Statusentscheidung gerichtet sein sollte – eine solche rückwirkende Statusentscheidung auch in einem Verfahren der Hauptsache nicht erreichen können. Hierdurch entstünde ihr aber kein schwerer und unzumutbarer Nachteil. Denn im Ergebnis begehrt die Antragstellerin eine Entscheidung der Antragsgegnerin, durch die ihr die Erreichung eines angemessenen vertragsärztlichen Honorars ermöglicht wird. Dies ist aber auch bereits auf der Grundlage der gegenwärtigen Regelungen der Fall. So hat die Antragstellerin lediglich im 2. Quartal des Jahres 2005 ein um 3,07 % niedrigeres vertragsärztliches Honorar erzielt als im entsprechenden Vorjahresquartal, während ihr Honorar in den beiden folgenden Quartalen, d. h. in den Quartalen III und IV/2005, um 8,77 % bzw. um 0,25 % höher lag als im jeweiligen Vorjahresquartal. Anhaltspunkte dafür, dass in den folgenden, noch nicht endgültig abgerechneten Quartalen bis zur Entscheidung des Senats im Beschwerdeverfahren eine wesentliche Änderung dieser Verhältnisse eingetreten ist, hat die Klägerin nicht vorgetragen, sie sind auch nicht von Amts wegen erkennbar.

2. Für die Zukunft ist wiederum zweifelhaft, ob ein Anordnungsanspruch besteht, weil die Antragstellerin auch insoweit möglicherweise eine der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht zugängliche Statusentscheidung begehrt. In jedem Falle aber mangelt es auch zukunftsgerichtet derzeit an einem Anordnungsgrund, denn die Antragstellerin hat auch sonst keine Gesichtspunkte vorgetragen, die ihr ein Zuwarten auf eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache als unzumutbar erscheinen lassen. Zwar macht die Antragstellerin geltend, ihr blieben nunmehr die Patienten weg. Sie verliere jetzt das Patientenklientel für proktologische und phlebologische Leistungen, an deren Hausarztpauschalen und Grundleistungen sie vorrangig verdient habe. Hierin liegt jedoch kein rechtlich erheblicher Anordnungsgrund. Aus diesem Vortrag ist bereits nicht zu ersehen, in welchem Umfang die Antragstellerin zukünftig konkret mit Umsatzeinbußen zu rechnen haben könnte und welche Auswirkungen diese auf ihre wirtschaftliche Gesamtsituation haben dürften. Darüber hinaus ist es auch nicht Zweck der Befugnis zur Abrechnungen bestimmter spezialisierter, typischerweise fachärztlicher Leistungen, die hiervon betroffenen Patienten ergänzend auch für eine sonstige hausärztliche Versorgung anwerben zu können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz und entspricht sowohl der Festsetzung der Vorinstanz als auch den Angaben der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren; der Senat hat hierbei berücksichtigt, dass die Antragstellerin, auch wenn sie vorliegend noch kein Verfahren der Hauptsache betreibt, gleichwohl eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt hat.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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