L 22 R 973/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 5273/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 973/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2006 wird als unzulässig verworfen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten eine höhere Altersrente.

Der 1931 in Deutschland geborene Kläger wanderte 1953 nach Australien aus. Seit 1963 lebt er in Kanada. Auf seinen am 14. Juni 2002 über seinen Bevollmächtigten gestellten Rentenantrag erhielt der Kläger mit Rentenbescheid vom 15. Januar 2003 ab 1. Juni 2003 (zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 71 Jahre alt) Regelaltersrente (Zahlbetrag am 1. März 2003 238,61 EUR). Der Kläger, der Rente bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres begehrte, legte gegen den Bescheid Widerspruch ein. Die Beklagte stellte aufgrund der Rentenantragstellung des Klägers beim kanadischen Rentenversicherungsträger am 28. November 1996 die Rente daraufhin neu fest (Rentenbescheid vom 4. November 2003). Danach wurde Rente bereits ab 1. November 1996 bewilligt. Für die Zeit vom 1. November 1996 bis 31. Dezember 2003 wies die Beklagte eine Nachzahlung von 10.572,58 EUR aus, die dem Kläger überwiesen wurde. Die monatliche Rente betrug am 1. April 2004 181,81 EUR. Der Kläger wandte sich nunmehr dagegen, dass die Rentenzahlung nur noch 181,81 EUR, nicht 238,61 EUR betrage. Die Beklagte wies den Widerspruch, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 4. November 2003 abgeholfen worden sei, mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2004 zurück. Dagegen hat der Kläger am 13. September 2004 Klage erhoben. Ein Angebot der Beklagten im laufenden Klageverfahren, die Nachzahlung von 10.572,58 EUR zurückzuzahlen und dann eine Rente nach dem Bescheid vom 15. Januar 2003 mit Rentenbeginn ab dem 1. Juni 2002 weiterzubeziehen, lehnte er ab, da er eine solche Summe nicht aufbringen könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. Januar 2006 als unbegründet abgewiesen.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 20. März 2006 zugestellte Urteil (Zustellungszeugnis des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland Toronto vom 6. April 2006) richtet sich seine am 4. Juli 2006 eingelegte Berufung, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Seinem Vorbringen ist der Antrag zu entnehmen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 15. Januar 2003 und 4. November 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2004 zu verurteilen, ihm die Rente ab 1. November 1996 in Höhe von 238, 61 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach einem Hinweis des Gerichts, dass die Berufung verspätet eingelegt worden ist, gab der Kläger an, das Urteil sei seinem Bevollmächtigten am 20. März 2006 zugestellt worden, der für ihn die Klage geführt habe. Er selbst habe das übersandte Dokument (Urteil) erst am 10. April 2006 - entweder wegen Nachlässigkeit seines Bevollmächtigten oder der kanadischen Post - bekommen. Nunmehr könne er sich aber keinen Prozessbevollmächtigten mehr leisten. Wegen seiner Erkrankungen mit einhergehenden Krankenhausaufenthalten im April 2004, April 2005, Juni 2005 und November 2005 mit sich anschließender Hauspflege bis Juni 2006 sei es im Übrigen zur verzögerten Bearbeitung der Angelegenheit gekommen. Er habe die Berufungsschrift am 16. Juni 2006 per Einschreiben bei der kanadischen Post aufgegeben. Die Post werde von ihm und seiner Frau einmal wöchentlich betreut. Während der Krankenhausaufenthalte habe sich seine Frau um die Post gekümmert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (53 290631 R 033) Bezug genommen.

II. Die Berufung ist, da sie nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden ist, nach § 158 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen (§ 158 Satz 2 SGG), wovon der Senat Gebrauch gemacht hat, da der Kläger sich schriftsätzlich geäußert hat und er, da er in Kanada lebt, einen erheblichen Aufwand haben dürfte, zu einer mündlichen Verhandlung anzureisen.

Das vom Kläger angefochtene Urteil des Sozialgerichts Berlin, dem eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, ist am 20. März 2006 zugestellt worden. Die Zustellung (nachgewiesen durch das Zustellungszeugnis des Generalkonsulates der Bundesrepublik Deutschland Toronto vom 6. April 2006) erfolgte per Einschreiben an den Prozessbevollmächtigten des Klägers. Die Zustellung über die Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland entspricht den Vorschriften des § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 183 Abs. 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung i.V.m. dem Haager Zustellungsübereinkommen vom 15. November 1965 (BGBl. 1989 II Seite 807 - vgl. Rechtshilfeordnung für Zivilsachen, 2. Auflage November 2001, Länderteil: Kanada, Seite 1). Die Zustellung erfolgte auch gemäß § 73 Abs. 3 Satz 1 SGG zu Recht an den Prozessbevollmächtigten des Klägers, da der Kläger dem Gericht erst nach der Zustellung des Urteils, nämlich im Berufungsschriftsatz vom 10. Juni 2006 (bei Gericht eingegangen am 4. Juli 2006) mitgeteilt hat, dass sein Prozessbevollmächtigter nicht mehr von ihm beauftrag sei. Daher muss er sich die Zustellung gemäß § 73 Abs. 3 Satz 2 SGG zurechnen lassen. Die für den in Kanada lebenden Kläger geltende dreimonatige Berufungsfrist begann nach § 64 Abs. 1 SGG am 21. März 2006 und endete gemäß § 64 Abs. 2 SGG mit Ablauf des 20. Juni 2006 (Dienstag). Die am 4. Juli 2006 eingelegte Berufung war verspätet und ist somit nicht in der gesetzlichen Frist eingelegt worden (§ 158 Satz 1 SGG).

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist kommt nicht in Betracht. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Ohne Verschulden versäumt der Beteiligte eine Frist, der diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist (Meyer-Ladewig - Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 67 Rdnr. 3).

Die vom Kläger für eine Fristüberschreitung genannten Krankenhausaufenthalte sowie die sich anschließende Hauspflege können eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen. Die vom Kläger genannten Krankenhausaufenthalte fanden im April 2004, April 2005 Juni 2005 und im November 2005 statt, also außerhalb der hier maßgeblichen Frist vom 21. März 2006 bis 20. Juni 2006. Während dieses Zeitraumes war der Kläger zu Hause und hatte Hilfe durch eine Hauspflege. Es ist daher nicht nachvollziehbar, dass er weder in der Lage war, selbst zu handeln noch einen anderen beauftragen konnte (siehe hierzu die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25. Februar 1992 - 9a BVg 10/91 in juris).Ein Verschulden des Klägers scheidet auch nicht deshalb aus, weil er den Berufungsschriftsatz rechtzeitig zur Post gegeben haben will, denn entgegen seiner Angabe im Schriftsatz vom 30. August 2006, wonach er die Berufungsschrift vom 10. Juni 2006 am 16. Juni 2006 bei der kanadischen Post aufgegeben habe, ergibt sich aus dem von ihm vorgelegten Belegen (registrierte Nummer des Einschreibens an das Landessozialgericht und Briefumschlag mit eben dieser Nummer), dass der Brief erst am 26. Juli 2006 bei der kanadischen Post aufgegeben wurde. Bei einer somit anzunehmenden normalen Postlaufzeit von acht Tagen bis zum Eingang am 4. Juli 2006 hätte bei unmittelbarer Aufgabe der Berufung am 11. Juni 2006 die Berufungsfrist gewahrt werden können. Dem Kläger blieb damit auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er das Urteil erst am 10. April 2006 von seinem Prozessbevollmächtigten erhalten hat, noch ausreichend Zeit, seine Berufung bis zum 20. Juni 2006 einzulegen. Die mit der Zustellung an den Bevollmächtigten laufende Berufungsfrist wird durch die Übersendung des Urteils an den Kläger selbst nicht beeinflusst.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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