L 9 B 360/06 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 432/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 360/06 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2006 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006 sowie die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2006 werden angeordnet. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. Juli 2006 ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den am 30. Juni 2006 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes abgelehnt.

Bei diesem Antrag, mit dem der Antragsteller bei sachdienlicher Auslegung seiner Schriftsätze erreichen will, dass die Antragsgegnerin die von ihr erlassenen Beitragsbescheide vom 12. Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006) und vom 11. Januar 2006 vorläufig nicht vollzieht, handelt es sich entgegen der Auffassung des Sozialge-richts nicht um einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86 b Abs. 2 SGG. Vielmehr liegt ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller bereits erhobenen Klage gegen den ersten sowie des von ihm darüber hinaus be-reits eingelegten Widerspruchs gegen den zweiten Bescheid im Sinne des § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vor, weil die vorgenannten Bescheide nach § 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind und der Antragsteller gegen sie in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage vorgehen müsste.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller gegen die vorgenannten Bescheide eingelegten Rechtsbehelfe ist zulässig und begründet. Hierbei ergibt sich der Maßstab für die Begründetheitsprüfung aus § 86 a Abs. 3 Satz 2 SGG. Hiernach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwal-tungsaktes bestehen hierbei dann, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlicher ist als ein Misserfolg.

Letzteres ist hier der Fall. Denn abgesehen davon, dass sich die Bescheide vom 12. Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006) und vom 11. Januar 2006 schon insoweit als rechtswidrig erweisen, als nicht die nach § 46 Abs. 1 und 2 des Elften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) hierfür allein zuständige Pflegekasse, sondern die Antragsgegnerin auch über die Heranziehung des Antragstellers zu Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung entschieden hat, spricht nach Lage der Akten bei summarischer Prüfung alles dafür, dass die Antragsgegnerin die der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Ein-nahmen fehlerhaft ermittelt hat. Zutreffend ist die Antragsgegnerin im vorstehenden Zusammenhang zwar davon ausgegangen, dass bei versicherungspflichtigen Rentnern, zu denen der Antragsteller angesichts der Höhe der von ihm bezogenen Renten gehören dürfte, nach § 237 Satz 1 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie § 57 Abs. 1 SGB XI der Beitragsbemessung nicht nur der Zahlbetrag der gesetzlichen Rente, sondern – abgesehen von weiteren Einnahmen – auch das Arbeitseinkommen zugrunde zu legen ist. Dieses Arbeitseinkommen, bei dem es sich nach der in § 15 Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) enthaltenen Legaldefinition um den nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn aus selbständiger Tätigkeit handelt, hat die Antragsgegnerin jedoch nicht richtig festgestellt. Denn wie sich den Akten entnehmen lässt, hat sie insoweit allein auf den jeweils letzten Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen und die Beiträge ausschließlich auf der Grundlage der darin ausgewiesenen Gewinne festge-setzt. Mit dieser Verfahrensweise hat sie sich zwar an der Vorschrift des § 15 Abs. 1 SGB IV orientiert, mit der der Gesetzgeber zumindest in materiell-rechtlicher Hinsicht eine Anbindung des Beitragsrechts an das Steuerrecht geregelt hat, um auf diese Weise das Verfahren der Beitragserhebung zu vereinfachen und zu erleichtern sowie die Bearbeitungsdauer zu verkürzen (vgl. BT-Drs. 12/5700 S. 92). Bei der von ihr gewählten Verfahrensweise hätte es die Antragsgegnerin jedoch nicht belassen dürfen. Da die Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts an das jeweils vergangene Kalenderjahr anknüpfen, die geschuldeten Beiträge mit Blick auf die Fälligkeitsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV i. V. m. der Satzung der Antragsgegnerin aber zeitbezogen festgesetzt werden müssen, hätte die Antragsgegnerin vielmehr den Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit zukunftsgerichtet schätzen müssen (vgl. z. B. Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Erg.- Lfg. 7/06, § 226 RdNr. 8 b m. w. Nachw.; Renner in Rühling/Renner, Die Krankenversicherung der Rentner, 19. Lfg. VI/04, § 226 SGB V, RdNr. 28 m. w. Nachw.). Hierbei hätte sie zwar auf die Daten aus dem jeweils letzten Einkommen-steuerbescheid zurückgreifen dürfen. Im Hinblick darauf, dass das Arbeitseinkommen des Antragstellers bereits seit Jahren stärkeren Schwankungen unterliegt, hätte sie diese Daten jedoch nicht einfach fortschreiben dürfen, sondern den Antragsteller dazu auffordern müssen, sein aktuelles Arbeitseinkommen anzugeben und durch geeignete Nachweise, wie z. B. durch Auskünfte des zuständigen Finanzamtes oder seines Steuerberaters, zu belegen. Eine solche Auf-forderung lässt sich den Akten indes nicht entnehmen. Insbesondere reicht insoweit der von der Antragsgegnerin entwickelte Fragebogen B 5121 KVdR Anf. nicht aus, weil der betroffene Versicherte ihm angesichts der darin zugleich ausgesprochenen Bitte, den letzten Einkommensteuerbescheid beizufügen, nicht mit der erforderlichen Klarheit entnehmen kann, dass er sein aktuelles Arbeitseinkommen anzugeben hat. Hinzu kommt, dass auch die Antragsgegnerin selbst mit diesem Fragebogen nicht die aktuelle Einkommenssituation des Antragstellers hat abfragen wollen, sondern gemeint hat, sie sei an die Daten des letzten Einkommensteuerbescheides gebunden, was sich aus ihrem Schreiben vom 05. Dezember 2005 ergibt. Mit diesem Schreiben hat sie nämlich den ihr durch den Steuerberater des Antragstellers im November 2005 zugesandten Jahresabschluss für 2004 mit dem Bemerken zurückgereicht, sie könne eine Beitragsumstufung erst nach Vorlage des Einkommensteuerbescheides für 2004 vornehmen. Eine ordnungsgemäße Schätzung des Arbeitseinkommens liegt den Beitragsbescheiden vom 12. Oktober 2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2006) und vom 11. Januar 2006 damit bei summarischer Prüfung nicht zugrunde.

Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass der zuerst genannte Bescheid nach Lage der Akten bei summarischer Prüfung auch insoweit rechtswidrig ist, als die Antragsgegnerin den Antragsteller hiermit nicht erst ab dem Monat nach Ermittlung des Arbeitseinkommens, d. h. ab dem 1. November 2005, sondern rückwirkend bereits ab dem 01. September 2005 zur Zahlung von Beiträgen herangezogen hat. Denn setzt eine ordnungsgemäße Ermitt-lung der der Beitragsbemessung zugrunde zu legenden Einnahmen eine in die Zukunft gerichtete Schätzung voraus, darf auch die Beitragsbemessung selbst nur für die Zukunft vorgenommen werden.

Nach allem kommt es auf die Frage, ob die Vollziehung der genannten Bescheide für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat, nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in analoger Anwendung und folgt dem Ausgang des Verfahrens selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. § 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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