Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 2 AL 897/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 213/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. April 2006 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2004 verpflichtet, der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 01. Dezember 2003 zu erstatten. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Aufwendungen für ein Widerspruchsverfahren.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte im November 2003 bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Bereits zuvor hatte sie bei dem zuständigen Amt für Soziales und Versorgung F die Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) beantragt. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, dass ein GdB zwar beantragt, aber noch nicht festgestellt worden sei.
Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens wurde bei der Klägerin, deren Arbeitsverhältnis mit der Sparkasse M zwischenzeitlich zum 30. Juni 2004 gekündigt worden war (Kündigungsschreiben der Sparkasse M vom 10. November 2003; diese Kündigung wurde später zurückgenommen und der Klägerin mit Schreiben vom 26. Februar 2004 zum 30. September 2004 gekündigt), ein GdB von 30 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung F/ vom 10. Mai 2004). Nach einer mündlichen Anhörung der Klägerin durch den Widerspruchsausschuss am 27. Mai 2004 stellte die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 17. August 2004 einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleich und hob den Bescheid vom 1. Dezember 2003 auf. Zugleich entschied die Beklagte, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet würden. Gegen diese Kostenentscheidung sei der Widerspruch zulässig. Diesen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2004 zurück. Eine Kostenerstattung komme nach § 63 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) nicht in Betracht, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für die Gleichstellung noch nicht erfüllt gewesen seien und der angefochtene Ablehnungsbescheid daher zu Recht ergangen sei. Erst durch die spätere GdB-Feststellung habe eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgen können.
Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat die auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 gerichtete Klage mit Urteil vom 11. April 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn es fehle bereits an einer Abhilfeentscheidung der Beklagten. Die im Verlauf des Widerspruchsverfahrens erfolgte Gleichstellungsentscheidung der Beklagten stelle keine Abhilfeentscheidung dar, weil diese Gleichstellungsentscheidung nur deshalb möglich geworden sei, weil zwischenzeitlich von der zuständigen Behörde ein GdB von 30 festgestellt worden sei. Ohne diese GdB-Feststellung hätte es nach wie vor an einer der grundlegenden Vorraussetzungen für die begehrte Gleichstellung gemangelt. Daraus, dass diese Gleichstellung auf den Tag des Antragseinganges zurückwirke, folge keine andere Beurteilung. Denn zum Zeitpunkt seines Erlasses sei der Bescheid vom 1. Dezember 2003 rechtmäßig gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei ihr Widerspruch erfolgreich im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewesen. Sie habe deshalb einen Kostenerstattungsanspruch. Die Beklagte hätte vor dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens die Entscheidung über den gestellten Antrag auf Feststellung eines GdB abwarten müssen. Aus dieser Entscheidung folge, dass bereits zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 1. Dezember 2003 ein GdB von 30 vorgelegen habe, der lediglich noch nicht festgestellt gewesen sei. Im Übrigen habe die Abhilfeentscheidung nicht nur auf der GdB-Feststellung beruht, sondern auch auf ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung des Widerspruchsausschusses.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. April 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2004 zu verpflichten, ihr die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Widerspruchsvorgänge der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der diese ihre statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. hierzu BSG SozR 3-1500 § 63 Nr. 7) im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weiter verfolgt, ist begründet.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X dem Grunde nach zu erstatten; dabei hat sie die im Rahmen dieser Kostengrundentscheidung erforderliche (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R – veröffentlicht in juris; BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 78/04 R – veröffentlicht in juris – m.w.Nachw.) Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung nachgeholt und die Zuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig erachtet (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X), so dass hierüber vom Senat nicht zu befinden war.
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit sein Widerspruch erfolgreich gewesen ist. "Erfolgreich" ist der Widerspruch immer dann, wenn die Behörde – wie hier der Widerspruchsausschuss der Beklagten – ihm stattgibt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 = SozR 3-1300 § 63 Nr. 3). Unerheblich ist dabei, welche Gründe zur Stattgabe geführt haben (vgl. BSG aaO). Eine Stattgabe setzt allerdings voraus, dass eine ursächliche Verknüpfung zwischen Widerspruch und Aufhebungsentscheidung der Behörde besteht, d.h. die Aufhebungsentscheidung muss rechtlich wesentlich (auch) auf den Widerspruch zurückzuführen sein (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 – aaO; BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 78/04 R -). Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Abhilfeentscheidung des Widerspruchsausschusses der Beklagten ist zumindest teilweise rechtlich wesentlich auf den Widerspruch der Klägerin zurückzuführen.
Ungeachtet dessen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch bei der Erteilung des Bescheides vom 01. Dezember 2003 ein GdB der Klägerin von (mindestens) 30 von der hierfür zuständigen Versorgungsbehörde noch nicht festgestellt worden war, war die Abhilfeentscheidung der Beklagten vom 17. August 2004 zumindest teilweise dem Widerspruch der Klägerin zuzurechnen, und zwar jedenfalls insoweit, als der Widerspruchsausschuss der Beklagten sich anlässlich der persönlichen Anhörung der Klägerin am 27. Mai 2004 vom Vorliegen der – zusätzlichen – Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX überzeugt hatte. Neben einem Mindest-GdB von 30 und der übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX ist nämlich weitere Voraussetzung für eine Gleichstellungsentscheidung, dass der behinderte Mensch ohne die Gleichstellung infolge seiner Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten kann. Die Feststellung der letztgenannten Voraussetzung, bei der es um die Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt geht (vgl. BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1), ist unabhängig vom Vorliegen des Mindest-GdB von 30 zu treffen und sie war nach der erfolgten Feststellung eines GdB der Klägerin von 30 durch das Versorgungsamt auch nicht etwa entbehrlich. Hieraus erhellt, dass die Abhilfeentscheidung der Beklagten jedenfalls insoweit auf den Widerspruch der Klägerin zurückzuführen und der Widerspruch damit insoweit "erfolgreich" war.
Im Übrigen war der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01. Dezember 2003 entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung bereits deshalb fehlerhaft, weil zur Zeit des Erlasses dieses Bescheides die zuständige Versorgungsbehörde über die von der Klägerin – ebenfalls beantragte – Feststellung des GdB noch nicht entschieden hatte und die Beklagte deshalb zu jener Zeit über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX noch gar nicht abschließend hatte befinden können.
Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Im Regelfall ("sollen") besteht danach ein Rechtsanspruch des behinderten Menschen auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen (siehe dazu BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1), wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX gegeben sind. Eine Verpflichtung des behinderten Menschen, bereits bei der Beantragung der Gleichstellung die von der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2006 als "Mindestvoraussetzung" bezeichnete Tatbestandsvoraussetzung der GdB-Feststellung nachzuweisen, lässt sich dabei weder dem § 2 SGB IX noch sonstigen Vorschriften im SGB IX, insbesondere nicht den §§ 68, 69 SGB IX, entnehmen. Zum einem gilt bei der Gleichstellungsentscheidung aufgrund des § 2 Abs. 3 SGB IX schon der allgemeine das Sozialleistungsrecht beherrschende Grundsatz, dass der Sozialleistungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen für einen erhobenen Sozialleistungsanspruch von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Denn bei der Gleichstellung handelt es sich um eine Rehabilitationsmaßnahme im weiteren Sinne (vgl. BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1) und damit um eine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 4 SGB IX. Setzt die beantragte Leistung zur Teilhabe – wie hier – die Entscheidung eines anderen Rehabilitationsträgers, nämlich der Versorgungsbehörde (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX), voraus, so folgt bereits aus dem Amtsermittlungsprinzip, dass die Beklagte als Rehabilitationsträger (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX) die – vorrangige – Entscheidung der Versorgungsbehörde abwarten muss, um dem behinderten Menschen entsprechend der Zielsetzung des § 1 Satz 1 SGB IX zu der beantragten Gleichstellung zu verhelfen. Dass die – vorrangige – Entscheidung der Versorgungsbehörde oder aber einer sonstigen Dienststelle im Sinne des § 69 Abs. 2 SGB IX über die Feststellung des GdB von der Beklagten abzuwarten ist, folgt zum anderen zwingend aus den Regelungen der §§ 10, 12 und 14 SGB IX über die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger bei der Gewährung von Rehabilitationsleistungen, die sämtlich der Durchsetzung der das Behindertenrecht beherrschenden Zielvorgaben dienen, die Rechte der behinderten Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern (vgl. § 1 Satz 1 SGB IX).
Ob die Beklagte bereits in jedem Falle nach § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – verpflichtet ist, einen Antrag auf Gleichstellung auch als Antrag auf Feststellung des GdB zu werten und an die zuständige Versorgungsbehörde (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) weiterzuleiten, kann hier dahinstehen. Denn die Klägerin hatte unabhängig von dem am 20. November 2003 bei der Beklagten gestellten Gleichstellungsantrag auch einen Antrag auf Feststellung des GdB bei dem zuständigen Amt für Versorgung gestellt, über den nur noch nicht entschieden worden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Aufwendungen für ein Widerspruchsverfahren.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte im November 2003 bei der Beklagten die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 2 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Bereits zuvor hatte sie bei dem zuständigen Amt für Soziales und Versorgung F die Feststellung einer Behinderung und des Grades der Behinderung (GdB) beantragt. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, dass ein GdB zwar beantragt, aber noch nicht festgestellt worden sei.
Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens wurde bei der Klägerin, deren Arbeitsverhältnis mit der Sparkasse M zwischenzeitlich zum 30. Juni 2004 gekündigt worden war (Kündigungsschreiben der Sparkasse M vom 10. November 2003; diese Kündigung wurde später zurückgenommen und der Klägerin mit Schreiben vom 26. Februar 2004 zum 30. September 2004 gekündigt), ein GdB von 30 und eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit festgestellt (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung F/ vom 10. Mai 2004). Nach einer mündlichen Anhörung der Klägerin durch den Widerspruchsausschuss am 27. Mai 2004 stellte die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 17. August 2004 einem schwerbehinderten Menschen gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX gleich und hob den Bescheid vom 1. Dezember 2003 auf. Zugleich entschied die Beklagte, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen nicht erstattet würden. Gegen diese Kostenentscheidung sei der Widerspruch zulässig. Diesen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. November 2004 zurück. Eine Kostenerstattung komme nach § 63 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) nicht in Betracht, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für die Gleichstellung noch nicht erfüllt gewesen seien und der angefochtene Ablehnungsbescheid daher zu Recht ergangen sei. Erst durch die spätere GdB-Feststellung habe eine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgen können.
Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat die auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 gerichtete Klage mit Urteil vom 11. April 2006 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn es fehle bereits an einer Abhilfeentscheidung der Beklagten. Die im Verlauf des Widerspruchsverfahrens erfolgte Gleichstellungsentscheidung der Beklagten stelle keine Abhilfeentscheidung dar, weil diese Gleichstellungsentscheidung nur deshalb möglich geworden sei, weil zwischenzeitlich von der zuständigen Behörde ein GdB von 30 festgestellt worden sei. Ohne diese GdB-Feststellung hätte es nach wie vor an einer der grundlegenden Vorraussetzungen für die begehrte Gleichstellung gemangelt. Daraus, dass diese Gleichstellung auf den Tag des Antragseinganges zurückwirke, folge keine andere Beurteilung. Denn zum Zeitpunkt seines Erlasses sei der Bescheid vom 1. Dezember 2003 rechtmäßig gewesen.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie trägt vor: Entgegen der Auffassung des SG sei ihr Widerspruch erfolgreich im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X gewesen. Sie habe deshalb einen Kostenerstattungsanspruch. Die Beklagte hätte vor dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens die Entscheidung über den gestellten Antrag auf Feststellung eines GdB abwarten müssen. Aus dieser Entscheidung folge, dass bereits zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides vom 1. Dezember 2003 ein GdB von 30 vorgelegen habe, der lediglich noch nicht festgestellt gewesen sei. Im Übrigen habe die Abhilfeentscheidung nicht nur auf der GdB-Feststellung beruht, sondern auch auf ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung des Widerspruchsausschusses.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. April 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 17. August 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. November 2004 zu verpflichten, ihr die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Widerspruchsvorgänge der Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der diese ihre statthafte kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. hierzu BSG SozR 3-1500 § 63 Nr. 7) im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) weiter verfolgt, ist begründet.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. Dezember 2003 gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X dem Grunde nach zu erstatten; dabei hat sie die im Rahmen dieser Kostengrundentscheidung erforderliche (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2006 – B 4 RA 59/04 R – veröffentlicht in juris; BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 – B 6 KA 78/04 R – veröffentlicht in juris – m.w.Nachw.) Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung nachgeholt und die Zuziehung eines Rechtsanwalts als notwendig erachtet (vgl. § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X), so dass hierüber vom Senat nicht zu befinden war.
Gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit sein Widerspruch erfolgreich gewesen ist. "Erfolgreich" ist der Widerspruch immer dann, wenn die Behörde – wie hier der Widerspruchsausschuss der Beklagten – ihm stattgibt (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 = SozR 3-1300 § 63 Nr. 3). Unerheblich ist dabei, welche Gründe zur Stattgabe geführt haben (vgl. BSG aaO). Eine Stattgabe setzt allerdings voraus, dass eine ursächliche Verknüpfung zwischen Widerspruch und Aufhebungsentscheidung der Behörde besteht, d.h. die Aufhebungsentscheidung muss rechtlich wesentlich (auch) auf den Widerspruch zurückzuführen sein (vgl. BSG, Urteil vom 21. Juli 1992 – 4 RA 20/91 – aaO; BSG, Urteil vom 31. Mai 2006 - B 6 KA 78/04 R -). Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Abhilfeentscheidung des Widerspruchsausschusses der Beklagten ist zumindest teilweise rechtlich wesentlich auf den Widerspruch der Klägerin zurückzuführen.
Ungeachtet dessen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch bei der Erteilung des Bescheides vom 01. Dezember 2003 ein GdB der Klägerin von (mindestens) 30 von der hierfür zuständigen Versorgungsbehörde noch nicht festgestellt worden war, war die Abhilfeentscheidung der Beklagten vom 17. August 2004 zumindest teilweise dem Widerspruch der Klägerin zuzurechnen, und zwar jedenfalls insoweit, als der Widerspruchsausschuss der Beklagten sich anlässlich der persönlichen Anhörung der Klägerin am 27. Mai 2004 vom Vorliegen der – zusätzlichen – Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX überzeugt hatte. Neben einem Mindest-GdB von 30 und der übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX ist nämlich weitere Voraussetzung für eine Gleichstellungsentscheidung, dass der behinderte Mensch ohne die Gleichstellung infolge seiner Behinderung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten kann. Die Feststellung der letztgenannten Voraussetzung, bei der es um die Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt geht (vgl. BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1), ist unabhängig vom Vorliegen des Mindest-GdB von 30 zu treffen und sie war nach der erfolgten Feststellung eines GdB der Klägerin von 30 durch das Versorgungsamt auch nicht etwa entbehrlich. Hieraus erhellt, dass die Abhilfeentscheidung der Beklagten jedenfalls insoweit auf den Widerspruch der Klägerin zurückzuführen und der Widerspruch damit insoweit "erfolgreich" war.
Im Übrigen war der mit dem Widerspruch angefochtene Bescheid der Beklagten vom 01. Dezember 2003 entgegen der von der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung bereits deshalb fehlerhaft, weil zur Zeit des Erlasses dieses Bescheides die zuständige Versorgungsbehörde über die von der Klägerin – ebenfalls beantragte – Feststellung des GdB noch nicht entschieden hatte und die Beklagte deshalb zu jener Zeit über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX noch gar nicht abschließend hatte befinden können.
Nach § 2 Abs. 3 SGB IX sollen behinderte Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB IX vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX nicht erlangen oder nicht behalten können, schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Im Regelfall ("sollen") besteht danach ein Rechtsanspruch des behinderten Menschen auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen (siehe dazu BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1), wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 SGB IX gegeben sind. Eine Verpflichtung des behinderten Menschen, bereits bei der Beantragung der Gleichstellung die von der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2006 als "Mindestvoraussetzung" bezeichnete Tatbestandsvoraussetzung der GdB-Feststellung nachzuweisen, lässt sich dabei weder dem § 2 SGB IX noch sonstigen Vorschriften im SGB IX, insbesondere nicht den §§ 68, 69 SGB IX, entnehmen. Zum einem gilt bei der Gleichstellungsentscheidung aufgrund des § 2 Abs. 3 SGB IX schon der allgemeine das Sozialleistungsrecht beherrschende Grundsatz, dass der Sozialleistungsträger das Vorliegen der Voraussetzungen für einen erhobenen Sozialleistungsanspruch von Amts wegen zu ermitteln hat (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Denn bei der Gleichstellung handelt es sich um eine Rehabilitationsmaßnahme im weiteren Sinne (vgl. BSG SozR 3-3870 § 2 Nr. 1) und damit um eine Leistung zur Teilhabe im Sinne des § 4 SGB IX. Setzt die beantragte Leistung zur Teilhabe – wie hier – die Entscheidung eines anderen Rehabilitationsträgers, nämlich der Versorgungsbehörde (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX), voraus, so folgt bereits aus dem Amtsermittlungsprinzip, dass die Beklagte als Rehabilitationsträger (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX) die – vorrangige – Entscheidung der Versorgungsbehörde abwarten muss, um dem behinderten Menschen entsprechend der Zielsetzung des § 1 Satz 1 SGB IX zu der beantragten Gleichstellung zu verhelfen. Dass die – vorrangige – Entscheidung der Versorgungsbehörde oder aber einer sonstigen Dienststelle im Sinne des § 69 Abs. 2 SGB IX über die Feststellung des GdB von der Beklagten abzuwarten ist, folgt zum anderen zwingend aus den Regelungen der §§ 10, 12 und 14 SGB IX über die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger bei der Gewährung von Rehabilitationsleistungen, die sämtlich der Durchsetzung der das Behindertenrecht beherrschenden Zielvorgaben dienen, die Rechte der behinderten Menschen auf gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern (vgl. § 1 Satz 1 SGB IX).
Ob die Beklagte bereits in jedem Falle nach § 16 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – verpflichtet ist, einen Antrag auf Gleichstellung auch als Antrag auf Feststellung des GdB zu werten und an die zuständige Versorgungsbehörde (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) weiterzuleiten, kann hier dahinstehen. Denn die Klägerin hatte unabhängig von dem am 20. November 2003 bei der Beklagten gestellten Gleichstellungsantrag auch einen Antrag auf Feststellung des GdB bei dem zuständigen Amt für Versorgung gestellt, über den nur noch nicht entschieden worden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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