L 14 B 1168/06 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 34 AS 9142/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 1168/06 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2006 wird als unzulässig verworfen, soweit sie Zeiträume vor Erlass dieses Beschlusses betrifft. Die Beschwerde im Übrigen wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Unterkunfts- und Heizkosten (abzüglich der Warmwasserpauschale) nur bis zur Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen sind. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist die Höhe der zu übernehmenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.

Die Antragstellerin bezieht seit dem 1. Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Sie bewohnt eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer monatlichen Gesamtmiete von 472,77 Euro (Stand: Februar 2006). Am 19. Mai 2005 wurde ihr Sohn L geboren. Das Amtsgericht P/W übertrug durch Beschluss vom 20. Juni 2005 im Wege der einstweiligen Anordnung dem Jugendamt R von B die Personensorge für L. Durch Schreiben vom 13. März 2006 wies der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hin, dass die zur Zeit berücksichtigten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 463,77 Euro (472,77 Euro abzüglich 9 Euro Pauschale für Warmwasser) den für einen 1-Personen-Haushalt geltenden Richtwert von 360,- Euro übersteigen würden, und forderte zur Kostensenkung auf. Nachdem bereits durch Bescheid vom 13. März 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2006 gewährt worden waren, "bewilligte" der Antragsgegner durch Bescheide vom 11. und 19. September 2006 Leistungen für den Monat Oktober 2006 nur noch unter Berücksichtigung von als angemessen angesehenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 360,- Euro abzüglich von 9,- Euro Warmwasserpauschale. Mit weiterem Bescheid vom 19. September 2006 bewilligte der Antragsgegner Leistungen für die Zeit von November 2006 bis Februar 2007 unter denselben Voraussetzungen. Die Antragstellerin legte Widerspruch ein, der von der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen wurde (Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2006).

Mit dem am 9. Oktober 2006 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin, dass der Antragsgegner zur Weitergewährung der Kosten für Unterkunft und Heizung in bisheriger Höhe verpflichtet werde. Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 3. November 2006 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11. September 2006 in der Fassung des Bescheides vom 19. September und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2006 angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig für die Zeit vom 1. November 2006 bis 28. Februar 2007 Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von monatlich 463,77 Euro zu gewähren. Gegen die Rechtmäßigkeit der Bescheide bestünden erhebliche Bedenken. Der Antragsgegner habe nicht geprüft, ob die Antragstellerin sich um die Rückerlangung des Sorgerechts für L bemüht habe. Die anzustellende Folgenabwägung rechtfertige die einstweilige Verpflichtung zur Leistung.

Gegen den ihm am 10. November 2006 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. Dezember 2006 eingegangene Beschwerde des Antragsgegners. Die Antragstellerin habe ab November 2006 nur noch Anspruch auf 387 Euro im Monat für Unterkunft und Heizung. Ihr habe seit der Anhörung vor dem Amtsgericht P/W am 30. Juni 2006 und dem daraufhin ergangenen Beschluss des Amtsgerichts vom 31. Juli 2006, der ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestimmt habe, klar sein müssen, dass L nicht in ihre Wohnung zurückkehren werde.

Der Antragsgegner beantragt (nach dem Sinn seines Vorbringens),

den Beschluss des Sozialgerichts vom 6. November 2006 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie kämpfe darum, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L zurückzubekommen. Wegen der erneuten Schwangerschaft könne ihr ein Umzug nicht zugemutet werden. Die Miete betrage zur Zeit nur noch 456,99 Euro.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die die Antragstellerin betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.

II.

Soweit die Beschwerde zurückliegende Zeiträume betrifft, ist sie unzulässig und deswegen nach den §§ 572 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung, 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu verwerfen. Da die Vollstreckung des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses des Sozialgerichtes nicht ausgesetzt worden ist (Beschluss des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 22. Dezember 2006), kann der Antragsgegner mit der Beschwerde insoweit nur das Rechtsschutzziel verfolgen, die nachträgliche Feststellung zu erhalten, dass er nicht zur Leistung verpflichtet war und nunmehr zur Rückforderung berechtigt ist. Dieses auf die endgültige Klärung der Rechtslage gerichtete Rechtsschutzziel kann nicht im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens verfolgt werden (vgl. im Einzelnen Beschluss des erkennenden Senats vom 2. Februar 2006 - L 14 B 1307/05 AS ER -).

Soweit in der Zukunft liegende Zeiträume betroffen sind (Februar 2007), ist die Beschwerde unbegründet. Jedenfalls vorläufig sind die Aufwendungen der Antragstellerin für Unterkunft und Heizung weiter in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit sie angemessen sind. "Angemessenheit” ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der richterlichen Nachprüfung unterliegt. Entsprechend vermögen die von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Berlin erlassenen Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) die Gerichte nicht zu binden. Sie geben aber Hinweise darauf, was in der Behördenpraxis für angemessen gehalten wird (Beschluss des erkennenden Senats vom 31. Juli 2006 - L 14 B 168/06 AS ER - ). Soweit schon der Inhalt der AV-Wohnen das Bestehen eines Leistungsanspruchs nahe legt, wird im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes regelmäßig davon auszugehen sein, dass der Anspruch dem Antragsteller zusteht.

Zugunsten der Antragstellerin ist hier zu berücksichtigen, dass sie bis zur Verhandlung vor dem Amtsgerichts P/W am 30. Juni 2006 und ab der voraussichtlich im April 2007 zu erwartenden Geburt ihres zweiten Kindes als Alleinerziehende mit einem Kind anzusehen ist. Es kann der Antragstellerin nicht widerlegt werden, dass sie sich bis zu der Verhandlung, in der sie ihr Einverständnis mit der Aufnahme L in eine Behinderteneinrichtung erklärte, um die Rückkehr ihres Sohnes in ihren Haushalt bemühte. Bis dahin galt L dann noch als zu ihrem Haushalt gehörend. Der Antragsgegner durfte ihr nicht vorher schon durch Umzugsaufforderungen nahe legen, die räumlichen Voraussetzungen für eine Rückkehr des Kindes zu beseitigen. Für einen Zwei-Personen-Haushalt gilt eine Brutto-Warmmiete von 444 Euro als angemessen (Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen), für Alleinerziehende ist die Möglichkeit eines Zuschlags von 10 Prozent vorgesehen (Nr. 4 Abs. 5 Buchstabe a) der AV-Wohnen). Daraus ergibt sich für Alleinerziehende mit einem Kind insgesamt ein Betrag von 488,- Euro monatlich. Die von der Antragstellerin zu zahlende Miete (vermindert um einen pauschalen Abzug für die aus der Regelleistung zu finanzierende Warmwasserbereitung) liegt darunter. Das gilt erst recht, wenn sich die Miete - wie von der Antragstellerin vorgetragen - auf 456,99 Euro ermäßigt hat.

Die Absenkung der zu übernehmenden Kosten ist auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil bei der Antragstellerin in den Monaten von Juli 2006 bis März 2007 nur die Voraussetzungen eines 1-Personen Haushaltes mit der Möglichkeit eines Zuschlags von 10 Prozent bei Schwangerschaft (Nr. 4 Abs. 5 Buchstabe e) der AV-Wohnen) vorlagen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind auch bei Überschreitung des Angemessenen die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zunächst in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, "in der Regel" für längstens sechs Monate. In besonders gelagerten Fällen ist daher die Übernahme eigentlich unangemessener Kosten auch für einen längeren Zeitraum möglich. Ein solcher Fall liegt hier vor. Die verbleibenden drei Monate (Januar bis März 2007) sind als verhältnismäßig geringfügiger Zeitraum anzusehen, der einen Wohnungswechsel und die dadurch entstehenden Aufwendungen nicht rechtfertigt. Im Übrigen ist der Antragstellerin in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft ein Umzug ohnehin nicht (mehr) zuzumuten.

Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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