L 16 RA 136/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 3975/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 136/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. August 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 01. September 1954 bis zum 30. September 1987 als Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) nach Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Der 1931 geborene Kläger hatte eine Facharbeiterausbildung zum Tischler im Februar 1951 abgeschlossen, von Oktober 1951 bis August 1954 die Fachschule für angewandte Kunst E besucht und dieses Studium erfolgreich abgeschlossen (Abschlusszeugnis vom 23. Juli 1954). Ausweislich der Urkunde des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kultur des F T vom 20. Juni 1996 ist der Kläger berechtigt, die staatliche Bezeichnung "Diplom-Designer" zu führen. Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete der Kläger als Dozent an der Fachschule für angewandte Kunst M bis August 1958 und von September 1958 bis Januar 1969 als Architekt sowie von Januar 1970 bis 30. September 1987 als Architekt und wissenschaftlicher Mitarbeiter, zuletzt an der D B z B. Ab 01. Oktober 1987 bezog der Kläger eine Invalidenrente aus der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR und eine Zusatzrente aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR), der er am 01. Juni 1972 beigetreten war; in ein Zusatzversorgungssystem war der Kläger nicht einbezogen worden. Vom 01. Februar 1988 bis 31. August 1988 war der Kläger nochmals als Forschungsingenieur mit einer Arbeitszeit von 7,95 Wochenstunden bei der B beschäftigt.

Die ehemalige Landesversicherungsanstalt Berlin hatte die Invalidenrente als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit weitergezahlt. Seit 01. Juli 1996 erhält der Kläger von diesem Rentenversicherungsträger eine Regelaltersrente.

Den im November 2001 von dem Kläger gestellten Antrag auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVTI lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. August 2002 ab mit der Begründung, dass der Kläger am 30. Juni 1990 keine Beschäftigung ausgeübt habe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2003).

Die auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 13. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Juli 2003 und auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zur AVTI vom 01. September 1954 bis 30. September 1987 sowie der erzielten Entgelte gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 18. August 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, den Zeitraum vom September 1954 bis September 1987 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG anzuerkennen. Die nachträgliche Feststellung der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem sei ausgeschlossen, weil der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt am 30. Juni 1990 in der DDR nicht mehr berufstätig gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG – (Urteile vom 09. April 2002 – B 4 RA 31/01 R und – B 4 RA 41/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nrn. 2, 6 und Urteil vom 29. Juli 2004 – B 4 RA 12/04 R –) müssten am 30. Juni 1990 die Voraussetzungen vorgelegen haben, die einen Anspruch auf Erteilung der Versorgungszusage begründeten. Für Versicherte, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der DDR tätig gewesen seien, könnten bei fehlender Versorgungszusage keine Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der DDR festgestellt werden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt zur Begründung vor: Die Ablehnung der nachträglichen Aufnahme in das DDR-Zusatzversorgungssystem sei übermäßig benachteiligend und ungerecht. Diese Ungerechtigkeit zeige sich, wenn die jahrzehntelange Berufstätigkeit zu den relativ wenigen Monaten der Invalidität zwischen Arbeitsende und dem 30. Juni 1990 ins Verhältnis gesetzt werde. Darüber hinaus müsse gesehen werden, dass das Ende der Berufstätigkeit nicht in den üblichen Vorruhestand übergegangen sei, sondern sich sofort – und nicht zuletzt durch die berufliche Belastung – die ärztlich bestimmte Invalidität mit einem Schwerbehindertenausweis angeschlossen habe. Selbst der ernsthafte Versuch, die Forschungsarbeit zumindest eingeschränkt fortzusetzen, sei gescheitert und unverständlich sei, dass unter diesen Voraussetzungen und der speziellen Situation keine Härtefalllösung möglich sein solle.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. August 2004 und dem Bescheid der Beklagten vom 13. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Juli 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, seine Beschäftigungszeiten vom 01. September 1954 bis 30. September 1987 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz und die in diesen Zeiten tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist insbesondere auf das – zwischenzeitlich ergangene – Urteil des BSG vom 10. Februar 2005 – B 4 RA 48/04 R –.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die rückverfilmte Rentenakte der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg, die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) verfolgbaren Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVTI für seine Beschäftigungszeiten vom 01. September 1954 bis 30. September 1987 sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte (§ 8 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 und 2 AAÜG).

Der Kläger fällt bereits nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 AAÜG. Danach gilt das AAÜG für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in der ehemaligen DDR erworben worden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Kläger am 01. August 1991 nicht Inhaber eines Versorgungsanspruchs oder einer Versorgungsanwartschaft aus einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem der ehemaligen DDR war.

Der Kläger fällt auch nicht aufgrund der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorzunehmenden erweiternden Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG, die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, unter den persönlichen Anwendungsbereich dieses Gesetzes (vgl. hierzu z. B. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 3/05 R = SozR 4-8570 § 1 Nr. 8 und Urteil vom 10. Februar 2005 – B 4 RA 48/04 R – nicht amtlich veröffentlicht sowie BSG SozR 3-8570 § 1 Nrn 2, 4, 6, 8). Aufgrund dieser erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG ist zu prüfen, ob Nichteinbezogene aus der Sicht des am 01. August 1991 gültigen Bundesrechts aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach dem zu sekundärem Bundesrecht gewordenen leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 3/05 R – aaO). Ein derartiger (fiktiver) bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage hängt im Bereich der AVTI nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die auf die Texte der Verordnung zur AVTI (VO-AVTI) vom 17. August 1950 (GBl 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur VO-AVTI vom 24. Mai 1951 (GBl 487) abstellt, von den folgenden drei Voraussetzungen ab: 1. von der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), 2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und 3. der Ausübung dieser Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs. 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs. 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Ob der Kläger, der nach der Urkunde des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kultur des F T vom 20. Juni 1996 in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist, die Berufsbezeichnung eines Diplom-Designers zu führen, bereits in der Zeit bis 30. Juni 1990 eine derartige Berechtigung in der DDR erworben hatte, ist nicht bekannt. Ebenso wenig steht fest, ob dem Kläger bis zum 30. Juni 1990 in der DDR die Berechtigung verliehen worden war, die Berufsbezeichnung eines Architekten oder (Forschungs-)Ingenieurs zu führen. Der Titel eines Diplom-Designers ist aber in jedem Falle nicht geeignet, die erste – persönliche – Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die AVTI zu begründen, weil der Beruf des Designers nicht zu den in der 2. DB aufgeführten Berufsbezeichnungen gehört. Es kann indes dahinstehen, ob der Kläger die persönliche und auch ob er die betriebliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVTI erfüllt. Denn die Erfüllung der zweiten – sachlichen - Voraussetzung ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger an dem maßgeblichen Stichtag, dem 30. Juni 1990, in der ehemaligen DDR überhaupt keine Beschäftigung mehr ausgeübt hatte. Er war zwar nach dem Beginn des Invalidenrentenbezuges am 01. Oktober 1987 nochmals vom 01. Februar 1988 bis zum 31. August 1988 mit einer Wochenarbeitszeit von 7,95 Stunden als Forschungsingenieur in der B z B beschäftigt. Danach konnte er aber, wie er selber vorträgt, aus gesundheitlichen Gründen bis heute keiner Beschäftigung mehr nachgehen. Jedenfalls mit Ablauf des 31. August 1988 war der Kläger damit endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, so dass er aus diesem Grund die sachliche Voraussetzung für eine fiktive Einbeziehung in die AVTI nicht begründen konnte (zur Abgrenzung von Arbeitsunfähigkeit und Invalidität vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 3/05 R- aaO).

Entgegen der von dem Kläger vertretenen Rechtsauffassung begegnet die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Stichtagsregelung auch keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. den Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 – 1 BvR 1921/04 - u. a.). Dass die Stichtagsregelung den Kläger benachteiligt, weil er, wie er vorbringt, trotz seiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit im Verhältnis zu dem relativ kurzen Zeitraum zwischen dem Arbeitsende und dem 30. Juni 1990 erheblich benachteiligt wird, ist eine Folge, die sich aus der vom BSG für maßgeblich erachteten Stichtagsregelung zum 30. Juni 1990 zwangsläufig ergibt; denn danach können nur diejenigen fiktiv einbezogen werden, bei denen die vorgegebenen drei Voraussetzungen kumulativ am Stichtag gegeben sind. Daraus, dass weder das BSG noch das BVerfG eine Härtefallregelung im Hinblick auf die sich aus dieser Stichtagsregelung ergebenden Härten für erforderlich gehalten haben, erhellt indes, dass derartige Härten im Einzelfall hinzunehmen sind. Im Übrigen wird im Hinblick darauf, dass der Kläger ab 01. Juni 1972 der FZR angehört hatte und damit seine Arbeitsentgelte bis zur Höhe von 1.200,00 Mark der DDR versichert waren, keine besondere Härte im Hinblick auf die festgestellte Altersrente gesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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