L 31 KR 41/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 3254/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 KR 41/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Krankengeld streitig.

Der 1962 geborene Kläger war wegen seiner Beschäftigung bei der beklagten Krankenkasse gegen Krankheit versichert. Er war seit dem 14. August 2003 arbeitsunfähig. Zum 30. September 2003 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, die Wirksamkeit der Kündigung ist Gegenstand eines noch anhängigen Arbeitsrechtsstreits. Die Beklagte zahlte dem Kläger nach Ende der Lohnfortzahlung vom 25. September 2003 an auf der Grundlage des letzten abgerechneten Arbeitsentgelts Krankengeld in Höhe von 45,67 EUR (brutto) täglich. Am 22. Dezember 2003 teilte die behandelnde Ärztin O mit, der Kläger sei aufgefordert worden, sich ua. in psychiatrische Mitbehandlung zu begeben. Auf Grund der Aktenlage nahm der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) am 12. Januar 2004 Arbeitsfähigkeit ab 16. Januar 2004 an. Nach Eingang einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S-G vom 15. Januar 2004, wonach beim Kläger der Verdacht auf eine Panikstörung bestehe und weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorliege, und einer entsprechenden Folgebescheinigung vom 22. Januar 2004 änderte der MDK seine Auffassung und nahm Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 26. Januar 2004 und in der Folge über den 9. Februar 2004 hinaus an. Die Beklagte zahlte Krankengeld entsprechend fort.

Am 20. Februar 2004 ließ die Beklagte den Kläger durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie im MDK, Prof. Dr. K, ambulant untersuchen. Dieser kam zum Ergebnis, dass eine dysthym-dysphorische Entwicklung bei emotionaler Instabilität bestehe. Der Befund sei stark gekennzeichnet von einer ausgesprochen dysphosisch-negativistischen Einstellung verbunden mit reduzierter emotionaler Kontrolle. In Situationen mit äußerer Belastung und Anforderungen an ihn sei es zu vegetativen Reaktionsweisen gekommen. Man könne insoweit mit milden Neuroleptika etwas Hilfe bringen. Die jetzt vorgesehene Gesprächstherapie sei ein langfristiger Prozess. Eine Arbeitsunfähigkeit könne dies jedoch nicht begründen. Ab dem 8. März 2004 bestehe auf dem alten Arbeitsplatz und auf dem allgemeinen Arbeitmarkt wieder Arbeitsfähigkeit. Ausgehend von diesem Gutachten bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2004 Krankengeld bis zum 7. März 2004. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und legte zugleich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. N für die Zeit vom 2. März 2004 bis zum 15. März 2004 vor, wonach Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines agitierten Erregungszustandes, rezidivierenden Panikattacken, einer Panikstörung und einer dissoziativen Persönlichkeitsentwicklung bestehe. Sie unterstütze den Widerspruch ausdrücklich (Attest vom 9. März 2004). Mit Folgebescheinigungen vom 16. März 2004, vom 22. April 2004 und 5. Mai 2004 stellte sie Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 19. Mai 2004 fest. Die Beklagte legte die Bescheinigungen Prof. Dr. K vor, aus dessen Sicht sich keine abweichende Einschätzung ergab. Dies teilte sie dem Kläger am 7. April 2004 mit und zahlte bis zu diesem Tag Krankengeld. Den Widerspruch im Übrigen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 7. September 2004 zurück. Es verbleibe dabei, dass aus medizinischen Gründen über den 7. März 2004 hinaus keine Arbeitsunfähigkeit nachgewiesen sei. Die Bescheinigung der behandelnden Ärztin sei nicht geeignet, zu einer anderen Auffassung zu führen, da sie nach Auffassung des MDK nicht ausreichend begründet sei. Die Zahlung von Krankengeld vom 8. März 2004 bis zum 7. April 2004 sei nur aus Vertrauensschutzgesichtspunkten erfolge. Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 29. September 2005 abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, Arbeitsunfähigkeit habe - wie von seinen behandelnden Ärzten bescheinigt - durchgehend bis zum 19. Mai 2004 bestanden. Das entgegenstehende Gutachten des MDK vom 20. Februar 2004 mache nicht nachvollziehbar, weshalb von einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bis zum 7. März 2004 ausgegangen worden sei. Es sei eine Behandlung mit Neuroleptika, wie von Prof. Dr. K vorgeschlagen, nicht erfolgt. Auch eine Gesprächstherapie habe nicht stattgefunden. Prof. Dr. K habe sich schließlich nicht mit den von den behandelnden Ärzten diagnostizierten Leiden auseinandersetzt. Außerdem seien die körperlichen Leiden nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 29. September 2005 und des Bescheides der Beklagten vom 24. Februar 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2004 zu verurteilen, dem Kläger vom 8. April 2004 bis zum 19. Mai 2004 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Das Gericht hat den Sachverhalt am 2. März 2006 und am 5. Januar 2007 mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle des Senats (§ 155 Abs. 3 und 4 SGG) einverstanden erklärt. Die den Vorgang betreffende Verwaltungsakte und die Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin (S 89 KR 3254/04) haben bei der Entscheidung vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zutreffend hat das SG Berlin die Klage abgewiesen, denn dem Kläger steht kein Anspruch auf Krankengeld im geltend gemachten Zeitraum zu. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte ua Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist ein Versicherter arbeitsunfähig, wenn er durch Krankheit daran gehindert ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete, zuletzt ausgeübte Arbeit zu verrichten. Der Anspruch auf Krankengeld entsteht nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Dass die Beklagten im Falle des Klägers das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im dargestellten Sinne jedenfalls ab dem 8. April 2004 verneint hat, hält einer Überprüfung Stand. Es ist nicht nachgewiesen, dass der Kläger im streitigen Zeitraum aus Krankheitsgründen gehindert war, seine zuvor ausgeübte Beschäftigung zu verrichten. Der Umstand, dass die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Verrichtung der zuletzt ausgeübten Arbeit nicht erwiesen ist, geht nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsätzen über die Feststellungslast zu Lasten des Klägers.

Dieser Grundsatz greift gerade typischerweise in den Fällen, in denen die Beurteilungen der Arbeits(un)fähigkeit durch den behandelnden Arzt auf der einen Seite und durch den MDK auf der anderen Seite voneinander abweichen. Dementsprechend sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Krankenkassen und Gerichte an den Inhalt einer ärztlichen Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit nicht gebunden. Einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt vielmehr lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldanspruch zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl. zuletzt BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 RdNr. 20 mwN). Im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Sinne ein Beweismittel wie jedes andere, sodass der durch sie bescheinigte Inhalt durch andere Beweismittel widerlegt werden kann; ob eine solche Bescheinigung dort als ausreichender und keiner weiteren Überprüfung bedürfender Nachweis angesehen werden kann, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und unterliegt pflichtgemäßem richterlichen Ermessen.

Davon ausgehend ist nicht erkennbar, dass die für den MDK von Prof. Dr. K am 20. Februar 2004 getroffenen Einschätzung, eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei in etwas mehr als 2 Wochen zu erwarten, unrichtig ist. Dem Kläger ist insbesondere nicht darin zu folgen, dass in unzulässiger Weise eine Prognose zur Frage der Arbeits(un)fähigkeit über den 7. März 2004 hinaus abgegeben worden ist. Der Kläger übersieht, dass die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit mit Wirkung für die Zukunft stets – auch soweit der behandelnde Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellt - mit einer Prognose verbunden ist, die ihre Grundlage in ärztlichen Kenntnissen und Erfahrungen hat. Diese Prognose mag zwar in der Regel umso unsicherer sein, je weiter sie in die Zukunft reicht. Vorliegend ist aber nichts erkennbar, was gegen die Richtigkeit der von Prof. Dr. K getroffenen Prognose spricht. Das Gutachten ist auf der Grundlage einer ambulanten Vorstellung des Klägers beim MDK erfolgt. Prof. Dr. Khat dabei – entgegen der Auffassung des Klägers – die von den behandelnden Ärzten aufgestellten Diagnosen (im Kern Panikstörungen) als vegetative Reaktionen beschrieben und berücksichtigt und im Grundsatz bestätigt. Die Annahme, eine weitere Zeit der Schonung über etwas mehr als 2 Wochen würde zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit führen, ist durchaus nachvollziehbar. Er ist dabei keinesfalls zwingend davon ausgegangen, dass diese nur bei Gabe von milden Neuroleptika zu erreichen sei; er hat dies ebenso wie eine Gesprächstherapie nur als Möglichkeit aufgezeigt, die Leiden des Klägers zu lindern. Zugleich hat er aber ausgeführt, dass eine längere Arbeitsunfähigkeit durch die Behandlungsbedürftigkeit der Störung nicht zu rechtfertigen sei.

Zwar hat Dr. N entgegen der MDK-Einschätzung Zeiten der Arbeitsunfähigkeit vom 8. März 2004 bis zum 19. Mai 2004 attestiert. Das zwingt die Beklagte nicht schon zur Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme des MDK. Denn § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V verpflichtet eine Krankenkasse nicht in jedem Fall von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu derartigem Vorgehen, sondern - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Fällen - nur dann, "wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich" ist. Diese Regelung legt einer Krankenkasse deshalb nicht schon bei jedweder erneuten Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch den behandelnden Arzt die Pflicht auf, wiederum den MDK einzuschalten, wenn - wie hier - in Bezug auf den für die Krankengeldgewährung streitigen Leistungszeitraum bereits zuvor eine MDK-Begutachtung erfolgt und in diesem Zusammenhang eine konkrete Prognose über die Dauer der gesundheitlichen Beeinträchtigungen abgegeben worden war. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der detailliert in § 275 Abs. 1a SGB V geregelten Beispiele für eine gebotene Befassung des MDK kann dessen wiederholte Einschaltung in derartigen Fällen vielmehr erst dann als "erforderlich" angesehen werden, wenn sich aus dem Inhalt einer neuen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst oder aus sonstigen, z.B. neu hinzugetretenen Umständen nachvollziehbare Zweifel an der Richtigkeit einer vorangegangenen MDK-Einschätzung ergeben. Obwohl der einzelne Vertragsarzt nicht gehindert ist, die Arbeits(un)fähigkeit des Versicherten anders zu beurteilen als der MDK, besteht ohne derart erkennbare Umstände eine erneute Begutachtungspflicht nur dann, wenn der behandelnde Arzt seine gegenteilige Ansicht untermauert und nicht nur seine schon zuvor abgegebene Einschätzung in der Folgezeit kommentarlos wiederholt. Dies ergibt sich in gleicher Weise auch aus den einschlägigen Regelungen des Vertragsarztrechts, insbesondere also § 62 Abs. 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 19 Abs. 3 BMV-Ärzte/Ersatzkassen, die nur dasjenige wiederholen, was bereits aus § 275 SGB V herzuleiten ist (zum Ganzen BSG aaO RdNr. 27). Da Dr. N keinen begründeten Einspruch gegen die Einschätzung des MDK eingelegt hat, sondern im Kern nur die schon bei der MDK-Begutachtung bekannt gewesenen Diagnosen wiederholte, ergibt sich mithin auch unter diesem Blickwinkel nichts zu Gunsten des Klägers. Da dies dem Kläger nach der erneuten Stellungnahme der Beklagten auch bekannt war, brauchte eine Zahlung von Krankengeld aus Vertrauensschutzgesichtspunkten jedenfalls über den 7. März 2004 hinaus nicht zu erfolgen.

Angesichts der verhältnismäßig kurzen Zeit der streitigen Arbeitsunfähigkeit, die nunmehr nahezu 3 Jahre zurückliegt, ist nicht erkennbar, dass noch Ermittlungsmöglichkeiten bestehen. Der Kläger hat solche Ermittlungsmöglichkeiten im Verlauf des Klage- und Berufungsverfahren auch nicht konkret aufgezeigt. Die Nichterweislichkeit der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Krankengeld geht zu seinen Lasten. Die Berufung konnte keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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