L 31 KR 43/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 1065/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 KR 43/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2005 wird zurückgewiesen. Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung.

Die 1989 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin ist seit April 1999 in zahnärztliche Behandlung bei dem Kieferorthopäden Dr. JK. Dieser erstellte am 22. Dezember 2003 einen kieferorthopädischen Behandlungsplan über eine "Rezidivbehandlung nach abgeschlossener kieferorthopädischer Behandlung". Er gab an, dass ein Behandlungsbedarf nach der Indikationsgruppe 3 (der Anlage 1 zu den Richtlinien für die kieferorthopädische Behandlung vom 4. Juni 2003 und 24. September 2003 in der ab 1. Januar 2004 gültigen Fassung - BAnz Nr. 226 vom 3. Dezember 2003 S.2966 - (KFO-RL 2004)) gegeben sei. Die voraussichtliche Dauer der Behandlung betrage sechzehn Quartale. Der mit der Begutachtung dieses Planes von der beklagten Krankenkasse beauftragte Fachzahnarzt für Kieferorthopädie M K befürwortete in seinem Gutachten vom 5. Februar 2004 den Behandlungsplan nicht. Die Feststellung des Behandlungsbedarfsgrades sei nicht korrekt. Es sei lediglich ein Behandlungsbedarf der Indikationsgruppe 1 der Anlage 1 zu den KFO-RL gegeben.

Die Beklagte lehnte daraufhin die Kostenübernahme für die geplante kieferorthopädische Behandlung mit Bescheid vom 11. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2004 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass eine kieferorthopädische Behandlung nur dann zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehöre, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen festgestellt werde. Erforderlich hierfür sei mindestens eine Einstufung in die Indikationsgruppe 3 der Anlage 1 zu den KFO-RL. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin ausweislich des von ihr eingeholten Gutachtens nicht. Gegen dieses Gutachten sei auch kein Einspruch zum Zwecke der Einholung eines Obergutachtens eingelegt worden. Die Feststellungen des Gutachters seien daher anerkannt worden. Es bestehe somit kein Anspruch auf die begehrte Leistung.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vorgetragen, dass bei ihr aufgrund einer Zahnfehlstellung eine erhebliche Funktionsbeeinträchtigung gegeben sei. Es existiere eine ausgeprägte "Spee´sche Kurve mit Elongation des Frontzahnsegments, eine fehlerhafte Bisslage und eine Mittellinienverschiebung". Es sei eine logopädische Behandlung erforderlich. Nach der Beurteilung des behandelnden Zahnarztes sei ein Behandlungsbedarfsgrad der Indikationgruppe 3 der Anlage 1 zu den KFO-RL gegeben. Aber selbst wenn ein solcher Grad nicht gegeben sei, sei eine kieferorthopädische Behandlung erforderlich, um schwere Schäden in der Zukunft abzuwenden. Die KFO-RL seien auch rechtswidrig. Sie entsprächen nicht der Ermächtigungsgrundlage. In dieser sei lediglich von einer drohenden Beeinträchtigung die Rede. Eine solche liege aber bei ihr vor.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des die Klägerin behandelnden Kieferorthopäden Dr. J.K. vom 30.August 2004 und eine ergänzende Stellungnahme vom 22. September 2004 eingeholt. In dieser Stellungnahme hat der Arzt mitgeteilt, dass im Falle der Klägerin kein Behandlungsbedarf entsprechend der Indikationsgruppe 3 der Anlage 1 zu den KFO-RL gegeben sei.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Oktober 2005 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen, der das Gericht uneingeschränkt folge. Ergänzend hat es ausgeführt, dass der behandelnde Kieferorthopädie in seiner Stellungnahme vom 22. September 2004 angegeben habe, dass im Falle der Klägerin ein Behandlungsbedarf entsprechend der Indikationsgruppe 3 der Anlage 1 zu den KFO-RL nicht gegeben sei. Soweit die Klägerin meine, dass die bereits im Jahr 1997 begonnene kieferorthopädische Behandlung noch nicht abgeschlossen sei, die streitbefangene Behandlung sich daher als Fortsetzung dieser noch nicht abgeschlossenen Behandlung darstelle, treffe dies nicht zu. Der die Klägerin behandelnde Zahnarzt habe in seinem Befundbericht mitgeteilt, dass diese Behandlung abgeschlossen worden sei.

Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die genannten Richtlinien auch nicht rechtswidrig. Es obliege allein dem gemeinsamen Bundesausschuss zu bestimmen, in welchen Fällen ein Anspruch auf Gewährung kieferorthopädischer Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung gegeben sei. Diesem Auftrag sei der Ausschuss mit Erlass der genannten Richtlinien nachgekommen. Der Anspruch auf Gewährung kieferorthopädischer Leistungen scheitere zudem daran, dass der der streitbefangenen Behandlung zugrunde liegende Behandlungsplan bereits älter als ein Jahr sei, ohne dass eine der geplanten Behandlung zuzurechnenden Leistungen erbracht worden sei (unter Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 28 Nr.1).

Gegen den ihr am 22. November 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 5. Dezember 2005 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine kieferorthopädische Behandlung auf der Grundlage des Behandlungsplanes des Kieferorthopäden Dr. J K vom 22. Dezember 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil die Voraussetzungen der §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorliegen und die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Berlin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der begehrten kieferorthopädischen Behandlung als Sachleistung.

Nach § 29 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte einen Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Diese Leistungspflicht der Krankenkassen für kieferorthopädische Behandlungen beschränkt sich auf Kinder und Jugendliche. Die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, gehört nach § 28 Abs. 2 Satz 6 SGB V nicht zur zahnärztlichen Behandlung im Sinne des Gesetzes. Eine Ausnahme gilt nur bei schwerem Kieferanomalien, die kombinierte Kiefer chirurgischer und kieferorthopädische Maßnahmen erfordern (§ 28 Abs. 2 Satz 7 SGB V). Nach diesen Bestimmungen steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Denn sie hat das 18. Lebensjahr am 25. Januar 2007 vollendet (§§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Da sie mit der Behandlung noch nicht begonnen hat, besteht kein Anspruch auf die Gewährung der streitbefangenen Leistung als Sachleistung. Ein Ausnahmefall ist nicht gegeben. Die Kl. Leidet nicht unter schweren Kieferanomalien, die eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung erfordert. Die Beteiligten streiten ausschließlich um die Notwendigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung.

Dass die Klägerin das 18. Lebensjahr erst während des Prozesses vollendet hat und zurzeit der Antragstellung und der Verwaltungsentscheidung noch zum Personenkreis der Kinder und Jugendlichen gehörte, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Das Sozialrecht kennt keinen allgemeinen Grundsatz des Inhalts, dass eine für den Betroffenen in einem früheren Verwaltungsstadium bestehende mögliche günstigere Sach- oder Rechtslage vom Versicherungsträger oder dem Gericht auch dann noch zugrunde zulegen ist, wenn sie im Zeitpunkt der das Verfahren abschließenden Entscheidung wegen einer zwischenzeitlich eingetretenen Sachverhalts, oder Rechtsänderung nicht mehr besteht. Ob eine Sozialleistung zu gewähren ist, beurteilt sich vielmehr im jeweiligen Zusammenhang nach der Sach- und Rechtslage, auf die es nach dem anzuwendenden materiellen Recht für die Entscheidung ankommt. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Leistungsanspruchs zu entnehmen, sondern auch die Antwort auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Solange die Behandlung nicht durchgeführt ist, muss infolgedessen regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung abgestellt werden. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Altersgrenze des § 28 Abs. 2 Satz 6 SGB V (BSG, a. a. O.).

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sich die streitbefangene Behandlung als Fortsetzung der im Jahre 1999 begonnenen und ihres Erachtens noch nicht abgeschlossenen kieferorthopädischen Behandlung darstelle, trifft dies nicht zu. Das Sozialgericht Berlin hat hierzu in dem angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend ausgeführt, dass der die Klägerin behandelnde Kieferorthopäde in dem von dem Gericht eingeholten Befundbericht vom 30. August 2004 ausgeführt hat, dass diese Behandlung bereits abgeschlossen ist. Dies verdeutlicht auch der Umstand, dass die Klägerin mit Antragstellung der Beklagten den von ihrem Kieferorthopäden am 22. Dezember 2003 aufgestellten kieferorthopädischen Behandlungsplan vorgelegt hat. Denn die Aufstellung des Behandlungsplans ist im Regelfall als der Beginn einer Behandlung anzusehen (BSG, a. a. O. m. w. Nachw.). Wäre die in diesem Verfahren streitbefangene Behandlung bereits Teil der vorangegangenen - nach Auffassung der Klägerin noch nicht abgeschlossenen - kieferorthopädischen Behandlung, hätte es keines neuen genehmigungsbedürftigen Behandlungsplanes bedurft. Entweder wäre die von der Klägerin in diesem Verfahren begehrte Sachleistung bereits Gegenstand des bereits genehmigten kieferorthopädischen Behandlungsplans oder der behandelnde Arzt hätte einen Verlängerungsantrag stellen müssen. Beides ist aber nicht der Fall. Die Beklagte hat bereits im August 2001 einem Verlängerungsantrag des Kieferorthopäden um vier weitere Quartale zugestimmt. Einen weiteren Verlängerungsantrag hat der die Klägerin behandelnde Arzt nach Aktenlage nicht gestellt. In dem kieferorthopädischen Behandlungsplan vom 22. Dezember 2003 hat er zudem auch festgestellt, dass es sich bei der in diesem Verfahren streitbefangenen Leistung um eine "Rezidivbehandlung nach abgeschlossener kieferorthopädischer Behandlung" handelt.

Im Zusammenhang mit der Altersgrenze in § 28 Abs. 2 Satz 6 SGB V hilft der Klägerin auch nicht, dass der Behandlungsplan bereits am 22. Dezember 2003, also vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres aufgestellt worden ist. Insoweit kann dieser Plan nicht mehr als Beginn der hier streitbefangenen Behandlung angesehen werden. Ein zunächst aufgestellter Plan kann für eine erst nach Jahren beginnende Behandlung keine medizinische Grundlage mehr sein. Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Gerichtsbescheid bereits zutreffend ausgeführt, dass ein Behandlungsplan nicht mehr als Behandlungsbeginn zu werten ist, wenn seit seiner Aufstellung ein Jahr lang keine der geplanten Behandlung zuzurechnenden Leistungen erbracht worden sind (BSG, a. a. O.). Dies ist hier der Fall. Seit Aufstellung des Plans im Jahre 2003 sind diesem Plan zuzurechnende Leistungen nicht erbracht worden. Da dem Behandlungsplan anspruchsbegründende Bedeutung zukommt (BSG, a. a. O), kann der kieferorthopädische Behandlungsplan vom 22. Dezember 2003 spätestens seit Anfang des Jahres 2005 nicht mehr Grundlage der in diesem Verfahren begehrten Leistung sein.

Dass die zeitliche Verzögerung hinsichtlich der Umsetzung dieses Behandlungsplans nicht auf mangelnden Willen der Klägerin beruht, sondern auf die ablehnende Entscheidung der Beklagten führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Versicherte hat auf prozessualem Wege Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass er seinen möglicherweise bestehenden Leistungsanspruch wegen der Prozessdauer verliert. Jedenfalls kann er im Klageverfahren dann nicht so gestellt werden als würde ihm der Anspruch entgegen dem materiellem Recht dennoch zustehen (BSG, a. a. O.).

Die Klage kann schließlich auch deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin nicht die Vorraussetzungen des Anspruchs auf Gewährung einerkieferorthopädischen Behandlung erfüllt. Nach den KFO-RL gehört die gesamte kieferorthopädische Behandlung zur vertragszahnärztlichen Versorgung, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen - der Anlage 1 zu den KFO-RL - festgestellt wird. Vorraussetzung ist mindestens eine Einstufung in den Behandlungsbedarfsgrad 3 der Indikationsgruppen (B. Nr. 2 Satz 2 KFO-RL). Diese Vorraussetzung erfüllt die Klägerin nicht. Der Behandlungsbedarf der Klägerin erreicht ausweislich der übereinstimmenden Stellungnahme ihres behandelnden Kieferorthopäden und des Gutachters der Beklagten jedenfalls nicht den Grad der Indikationsgruppe 3 oder einer höheren Gruppe der Anlage 1 zu den KFO-RL. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen sind Ermittlungen quasi "ins Blaue hinein" nicht angezeigt. Der Senat sieht insoweit und hinsichtlich der weiteren Begründung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, und weist die Berufung aus den Gründen der angefochten Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil ein Grund hierfür nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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